Entscheidungsstichwort (Thema)

Elterliche Sorge: Rückwirkender Entzug. Aufrechterhaltung einer Verbleibensanordnung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein rückwirkender Entzug der elterlichen Sorge kommt regelmäßig nicht in Betracht. Insbesondere kann er ohne Anhaltspunkte für eine künftige Kindeswohlgefährdung nicht darauf gestützt werden, dass sich der Sorgeberechtigte für einen in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Zeitraum geweigert hat, Hilfe zur Erziehung für eine zwischenzeitlich erledigte Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie zu beantragen.

2. Allein der Wille eines 15-jährigen Jugendlichen, in einer Pflegefamilie zu verbleiben, in der er seit vielen Jahren untergebracht war, rechtfertigt es nicht, eine bestehende Verbleibensanordnung aufrecht zu erhalten.

3. Zu den Voraussetzungen der Aufhebung einer Vebleibensanordnung.

 

Normenkette

BGB §§ 1666, 1632 Abs. 4, § 1696 Abs. 2; SGB VIII § 27

 

Verfahrensgang

AG Rockenhausen (Beschluss vom 08.06.2010; Aktenzeichen 3 F 192/10)

 

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die im Beschluss des Senats vom 31.7.2007, Az. 2 UF 171/06 (1 F 82/03 SO - AG Bad Dürkheim) zu Ziff. I. 3. ausgesprochene Verbleibensanordnung bezüglich A. und N. K. wird aufgehoben.

III. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Auslagen findet nicht statt.

IV. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

V. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. A. und N. K. sind aus der Ehe der Beteiligten zu 2) und 3) hervorgegangen. Die Ehe der Kindeseltern wurde durch Urteil des AG - Familiengericht - Bad Dürkheim vom 21.2.2006 geschieden. Mit Beschluss vom 27.8.2001 (1 F 157/00) hatte das AG - Familiengericht - Bad Dürkheim den beteiligten Kindeseltern die Personensorge für die beiden Kinder entzogen und auf das ... übertragen. Die Pflegschaft wurde aufgrund Zuständigkeitswechsel seit Anfang 2007 durch das ... ausgeübt.

In Vollzug der familiengerichtlichen Entscheidung wurden die Kinder Ende August 2001 in der Pflegefamilie W. in ... untergebracht, wo sich N. seitdem aufhält und A. sich bis 12.6.2010 aufgehalten hatte. An diesem Tag wechselte sie in den Haushalt des Antragsgegners.

Im Scheidungsverbundverfahren 1 F 82/03 des AG - Familiengericht - Bad Dürkheim hatten beide Eltern jeweils für sich beantragt, die elterliche Sorge auf sie (jeweils allein) zurückzuübertragen. Gegen die ablehnende Entscheidung des Familiengerichts hatten beide Eltern Rechtsmittel eingelegt und zunächst jeweils ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Im Verlauf des Beschwerdeverfahrens, 2 UF 171/06, zog die Kindesmutter ihren Antrag zurück und schloss sich dem Antrag des Vaters an, die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder auf ihn allein zurückzuübertragen. Der Senat holte seinerzeit ein kinderpsychologisches Gutachten des Sachverständigen Dr. P. S. zur Frage der Auswirkungen einer Rückübertragung der elterlichen Sorge auf den Vater und eine damit verbundene Rückführung in dessen Haushalt auf das Kindeswohl ein und entschied nach persönlicher Anhörung der beteiligten Kinder, der Eltern und der befassten Mitarbeiter der Jugendämter sowie der Pflegemutter mit Beschluss vom 31.7.2007 dahin, dass die elterliche Sorge für A. und N. K. auf den Kindesvater übertragen wird. Zugleich ordnete der Senat in dem Beschluss vom 31.7.2007 unter Ziff. I. 3. an, dass A. und N. in der Pflegefamilie W. in ... verbleiben.

Der Senat folgte insoweit dem Sachverständigen, der ausführte: "Eine Herausnahme aus der Pflegefamilie würde für die Kinder ein hochgradig kritisches Lebensereignis darstellen, das sehr hohe Anforderungen an ihre Bewältigungsresourcen stellen würde, da sie nicht nur von ihrer Hauptbezugsperson getrennt würden, ihr schulisches Umfeld und ihren Freundeskreis verlieren würden, in dem sie verankert sind sondern auch in ein Umfeld zurückkämen, das aufgrund der Vorgeschichte emotional negativ besetzt ist. Zu bedenken ist auch, dass eine Herausnahme der Kinder aus dem Haushalt der Pflegeeltern gegen den Willen der Kinder zur Reaktanz führen würde, mit der Folge, dass die Beziehung der Kinder zum Vater noch weiter belastet würde. Zu befürchten wären - besonders bei N. - auch uneinfühlbare Impulshandlungen, z.B. in Form von Weglaufen." (Bl. 357 f. d.A. 2 UF 171/06). Im Termin zur mündlichen Anhörung vor dem Senat hatte der Sachverständige sein Gutachten weiter mündlich erläutert und Wege zur Anbahnung einer Rückführung der Kinder aufgezeigt. Er legte dar, dass den Beteiligten mehr Zeit gelassen werden müsse und ein anderes Setting aufzubauen sei, um wieder mehr Vertrauen zueinander zu entwickeln. Es könne durchaus wichtig sein, dass der Vater einen Ortswechsel vornehme oder eine Änderung seiner Wohnungseinrichtung, einfach um dadurch für die Kinder ein Symbol für einen Neuanfang zu setzen. Der Sachverständige bekräftigte seine Auffassung, dass ein abruptes Herausnehmen der Kinder aus der Pflegefamilie eine Gefahr, ja eine "regelrechte Katastroph...

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