Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen einer Aufhebung des Entzugs der Personensorge für ein Kind, das im Säuglingsalter in Obhut genommen worden ist und enge Bindungen zu seinen derzeitigen Pflegeeltern entwickelt hat.

 

Normenkette

BGB §§ 1666, 1666a, 1671; GG Art. 6

 

Verfahrensgang

AG Frankfurt am Main (Beschluss vom 04.08.2010)

 

Tenor

Die angefochtene Entscheidung wird abgeändert.

Der Mutter wird die elterliche Sorge für das betroffene Kind zur alleinigen Ausübung übertragen. Von der Ergreifung gerichtlicher Maßnahmen in Bezug auf die elterliche Sorge wird abgesehen.

Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Ihre im zweiten Rechtszug angefallenen außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten selbst. Hinsichtlich der Kosten des ersten Rechtszugs bleibt es bei der Kostenentscheidung des AG.

Der Geschäftswert wird für das Beschwerdeverfahren festgesetzt auf 6.000 EUR.

 

Gründe

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den teilweisen Entzug der elterlichen Sorge für das betroffene Kind B.

B. ist aus der mittlerweile rechtskräftig geschiedenen Ehe der Beteiligten zu 1 und 2 hervorgegangen. Er wurde am 8.7.2009 im Alter von vier Monaten gemeinsam mit seinen beiden älteren, aus einer vorherigen Beziehung der Mutter stammenden Halbschwestern C. und Ch. in Obhut genommen. Anlass für die Inobhutnahme waren fortgesetzte massive tätliche Übergriffe von B. s alkoholkrankem Vater gegenüber der Mutter über einen Zeitraum von annähernd einem Jahr, denen die nach eigenen Angaben unter Panikattacken leidende Mutter trotz Inanspruchnahme von sozialpädagogischer Familienhilfe und mehrfach bekundeter Trennungsabsicht keinen Einhalt gebieten konnte. Entgegen der von ihr erwirkten gerichtlichen Anordnung und entgegen späterer Absprachen im Rahmen der Hilfeplanung nahm sie ihren Ehemann immer wieder in die gemeinsam mit den Kindern bewohnte Ehewohnung auf, was regelmäßig erneute tätliche Übergriffe des Ehemanns und diesbezügliche Polizeieinsätze zur Folge hatte, die im Januar 2009 sogar zu einer vierwöchigen Untersuchungshaft des Ehemanns führten. Trotz sich anschließender erneuter Übergriffe und der Androhung einer Inobhutnahme der Kinder hielt sich der Vater im Juli 2009 wieder regelmäßig in der Ehewohnung auf, was schließlich zur Inobhutnahme führte.

Bei B. s Halbschwestern war es zu diesem Zeitpunkt in Folge der häuslichen Situation bereits zu erheblichen Verhaltensauffälligkeiten in der Schule bzw. im Kindergarten gekommen. Die Mutter selbst verfügt über einen Realschulabschluss, jedoch über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Im Zeitpunkt der Inobhutnahme der Kinder bezog die Familie Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB II.

Das AG entzog beiden Eltern auf entsprechenden Antrag des Jugendamts vom 10.7.2009 hin mit Beschluss vom selben Tage zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge und das Recht zur Beantragung von Hilfe zur Erziehung. Zur Pflegerin für die entzogenen Teilbereiche der elterlichen Sorge wurde, nachdem zunächst eine Amtspflegschaft eingerichtet worden und es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Amtspflegerin und dem Sozialdienst des Jugendamts gekommen war, schließlich die Beteiligte zu 5 als Berufspflegerin bestellt.

Nach der Inobhutnahme der Kinder erwirkte die Mutter gegen den Vater vor dem AG zwar erneut eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz und begab sich in ambulante, ab September 2009 vorübergehend auch stationäre psychotherapeutische Behandlung im Klinikum H. Dennoch suchte sie offenbar auch weiterhin den Kontakt zu ihrem nun getrennt von ihr lebenden Ehemann. Am 27.10.2009 kam es zu einem erneuten Polizeieinsatz in der Wohnung des Ehemanns, nachdem es dort zu einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen beiden Eheleuten gekommen war. Im Rahmen ihrer fortgesetzten Kontakte zeugten die Eheleute den am 12.10.2010 geborenen Sohn D.. Die Schwangerschaft verheimlichte die Mutter zunächst sowohl gegenüber dem Jugendamt als auch gegenüber den vom AG im Hauptsacheverfahren mit der Erstellung eines psychologischen Sachverständigengutachtens beauftragten Diplom-Psychologen L. M. und H. N.

B. befand sich bis zum 7.2.2011 in einer Bereitschaftspflegestelle in F. Er hatte dort bis Ende des Jahres 2010 zwei- bis dreimal wöchentlich Umgang mit seiner Mutter, weil zunächst eine Rückführung in deren Haushalt angedacht war. Die Mutter war Anfang des Jahres 2010 in die ehemalige Wohnung ihrer Mutter umgezogen; in dem Haus lebte damals auch der Vater der beiden Kinder C. und Ch.. Zwischen der von B. damals als "Mama" bezeichneten und angesehenen Bereitschaftspflegemutter und seiner Mutter entwickelte sich in diesem Zeitraum ein freundschaftliches Verhältnis. Umgangskontakte mit dem Vater gab es seit B. s Inobhutnahme nicht.

Die vom AG beauftragten Sachverständigen kamen in ihrem schriftlichen Gutachten vom 12.4.2010, Bl. 347 ff. der Akte, zu dem Ergebnis, die Erziehungsfähigkeit der Mutter sei wegen der bei ihr ärztlicherseits diagnostizierten...

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