Leitsatz

  1. Keine automatische Beschlussnichtigkeit!
  2. Amtsgericht Kerpen widerspricht mit teils bekannten, teils auch beachtlichen neuen Gedanken der Grundsatzentscheidung des BGH v. 20.9.2000 und verneint die Nichtigkeit früherer Gemeinschafts-"Zitterbeschlüsse" (hier: Änderung der Kostenverteilung) allein wegen fehlender, formalrechtlicher Beschlusskompetenz!
  3. Ungültige Verwalterentlastung
 

Normenkette

(§ 23 Abs. 4 WEG)

 

Kommentar

  1. Im Streit ging es u.a. um einen unangefochten gebliebenen Beschluss von 1996, durch den ein in der Gemeinschaftsordnung vereinbarter Kostenverteilungsschlüssel geändert wurde. In aktueller Beschlussfassung über die Genehmigung der Abrechnung bezogen sich Verwaltung und Gemeinschaft wieder auf den vereinbarten Schlüssel, und zwar unter Hinweis auf die Nichtigkeit des Änderungsbeschlusses von 1996 (in Folge der BGH-Grundsatzentscheidung v. 20.9.2000, V ZB 58/99, NJW 2000, 3500 und damit zwischenzeitlich h.R.M.). Auf Anfechtung des aktuellen Abrechnungsgenehmigungsbeschlusses hin erklärte das Amtsgericht diesen Beschluss für ungültig und bestätigte weiterhin den Feststellungsantrag, die Verteilung nach dem früheren Eigentümerbeschluss vorzunehmen. Dabei setzte sich das Gericht eingehend mit der BGH-Entscheidung v. 20.9.2000 auseinander, mit dem Ergebnis, dass diese höchstrichterliche Rechtsprechung und die nachfolgende h.R.M. insoweit "verfehlt" sei.
  2. Stichwortartig und auszugsweise geht es um folgende rechtliche Argumente, die – entgegen BGH (!) – nach Meinung des AG nicht die Nichtigkeit eines Kostenverteilungsänderungsbeschlusses rechtfertigen können:

    • Wann Beschlüsse im Wohnungseigentumsrecht als nichtig anzusehen sind, ist im WEG nicht geregelt, auch nicht in § 23 Abs. 4 S. 2 WEG (vgl. dazu eingehend Rau, ZMR 2001, 241).
    • Ob ein Beschluss nichtig ist, ist der Regelung des § 23 Abs. 4 WEG gleichsam vorgelagert; diese Bestimmung regelt nur die Anfechtbarkeit von Beschlüssen. Nichtige Beschlüsse bedürfen überhaupt keiner Anfechtung, sind vielmehr ohnehin unwirksam (vgl. auch BGH v. 18.5.1989, V ZB 4/89, NJW 1989, 2059). Insoweit setzt sich der BGH in seiner Entscheidung v. 20.9.2000 in Widerspruch zur Senatsentscheidung von 1989 und zur grundsätzlichen systematischen Vorstellung des Zivilrechts.
    • Von vereinbarungsändernden Mehrheitsbeschlüssen sei nach Meinung des BGH vielfach in der Praxis ausufernder Gebrauch gemacht worden. Dieses Argument stellt allerdings kein geeignetes Kriterium dafür dar, ob derartige "Zitterbeschlüsse" als nichtig anzusehen sind. Die Häufigkeit eines praktizierten rechtsgeschäftlichen Verhaltens kann nicht als Beschlussnichtigkeitsargument eingestuft werden.
    • Was bei Zitterbeschlüssen die vom BGH herausgestellte Entwertung der Grundbuchpublizität betreffe (Rechtsnachfolgerschutz), ist zu sagen, dass ein Erwerber allemal mit Unsicherheiten rechnen muss. In vielen Gemeinschaftsordnungen finden sich offen oder häufig auch "versteckt" sog. "Öffnungsklauseln" und damit u.U. auch mit formeller Beschlusskompetenz gefasste "Altbeschlüsse". Auch über allein schuldrechtlich vereinbarte Öffnungsklauseln können bisher Beschlüsse gefasst worden sein, die nicht als nichtig anzusehen sind (vgl. dazu ebenfalls Rau, ZMR 2000, 241 (247) und WE 2002, 163, a.A. zu den Rechtsfolgen einer nur schuldrechtlichen Öffnungsklausel Kümmel, ZWE 2002, 68).
    • Zitterbeschlüsse stellen auch keine "Umgehung" des § 10 Abs. 2 WEG dar (wie der BGH meint), vergleicht man die Absätze 2 bzw. 3 dieser Bestimmung. Nach § 10 Abs. 3 WEG binden Beschlüsse auch ohne Eintragung Sondernachfolger. Diese vom Gesetzgeber vorgesehene Gestaltungsfreiheit (bei Beschlüssen mit einem Anfechtungsrisiko behaftet) kann nicht dadurch ausgehebelt werden, dass nach BGH zu Gunsten eines Erwerbers ein Vertrauensschutz konstruiert wird, für den es im WEG keine Stütze gibt.
    • Protokollmängel sind ebenfalls kein entscheidendes Argument, zumal ja auch Protokolle über Beschlüsse gemäß Öffnungsklausel für das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander verbindlich sind.
    • Auch über die Rechtsfolgen einer Missachtung der gesetzlichen Kompetenzordnung ("Vertrags- und Mehrheitsprinzip für Eigentümerentscheidungen") gibt der Gesetzeswortlaut keine Auskunft. Jedenfalls kann dem Gesetz nicht entnommen werden, dass kompetenzverstoßende Beschlüsse nichtig seien. Die Beschlussnichtigkeitsfolge wegen Überschreitung der formellen Beschlusskompetenz ist somit auch keine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, der seinerzeit diese Problematik überhaupt nicht gesehen und auch später keine Regelung dazu getroffen hat; nach BGH sei die Nichtigkeit nur eine für sinnvoll gehaltene Rechtsfolge.
    • Bestehe bereits Beschlussnichtigkeit wegen fehlender formalrechtlicher Beschlusskompetenz, solle es nach BGH überhaupt nicht mehr auf die Frage ankommen, ob ein Beschluss überhaupt inhaltlich zu missbilligen sei. Gerade Beschlussfassungen zur Einberufung sog. Eventualeinberufungen (in Abweichung zur dispositiven Gesetzesbestimmung des § 25 Abs. 4 WEG) beweisen doch die...

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