Rz. 23

Maßgeblich bei der gewillkürten Erbfolge ist, was der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung von Todes wegen in Form eines Testaments oder Erbvertrages als Willenserklärung zum Ausdruck gebracht hat. Vielfach ist aber der letzte Wille nicht eindeutig gefasst; dies kann bedeuten, dass nicht klar ist, wer von mehreren Personen, die im Testamten erwähnt sind, als Erben in Betracht kommen oder in welcher Höhe die einzelnen Erben am Nachlass beteiligt sind. In diesen Fällen muss durch Auslegung versucht werden, den letzten Willen des Erblassers zu ermitteln. Die Ermittlung des wirklichen Willens des Erblassers geht der Testamentsanfechtung stets vor.[30] Die zivilrechtliche Auslegung der letztwilligen Verfügung von Todes wegen ist die Grundlage der Besteuerung nach § 3 Abs. 1 ErbStG. Erst dann, wenn der Erbe, dessen Beteiligung am Nachlass, an Auflagen, am Vermächtnis, an Vor- und Nacherbschaft, Testamentsvollstreckung und Teilungsanordnungen bei einer unklaren Verfügung von Todes wegen eindeutig ermittelt werden konnte, kann die eigentliche Besteuerung des Erbfalls beim jeweiligen Erwerber erfolgen. Denn neben der Frage, wer Erbe in welchem Umfang geworden ist, müssen auch die Belastungen des Nachlasses entsprechend klargeworden sein, um deren Berücksichtigung bei der Besteuerung vornehmen zu können. Für die Ermittlung des wirklichen Willens des Erblassers wird die gesamte Urkunde herangezogen, darüber hinaus aber auch sämtliche in Betracht kommende Umstände außerhalb der Urkunde.[31] Führt die vorgenommene individuelle Auslegung nicht zu einem Ergebnis, wonach ein eindeutiger Wille des Erblassers erkennbar wird, greifen daneben die gesetzlichen Auslegungsregeln nach §§ 20672073 BGB. Eine der in der Praxis häufig auftretenden Fragestellungen ist, ob der Erblasser tatsächlich eine Erb- oder nur eine Vermächtnisanordnung vorgenommen hat. Beide Erwerbsvorgänge werden nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gleich erfasst. Zivilrechtlich liegt aber ein grundlegender Unterschied beider Erwerbsformen vor. Der Erbe wird nach § 1922 BGB Gesamtrechtsnachfolger des verstorbenen Erblassers, wohingegen der Vermächtnisnehmer lediglich bezogen auf einen bestimmten Gegenstand nach § 2174 BGB vom Erben die Erfüllung des Vermächtnisses und damit die Herausgabe des Gegenstandes fordern kann. Um einen Streit über diese Fragestellung zu vermeiden und nicht die Frage der Auslegung einer letztwilligen Verfügung von Todes wegen einem Zivilgericht zu überlassen, können die Beteiligten einen notariell beurkundeten Auslegungsvertrag abschließen. Meist ist im Übrigen bei einer sächlichen Verteilung auf mehrere Stämme eher von einer Vermächtnisanordnung als von einer Erbeinsetzung auszugehen.[32]

 

Rz. 24

Im Einzelnen stellen sich in der Praxis häufig folgende Auslegungsfragen:

Eine Gruppe von Personen bekommt etwas zugedacht, ohne dass der Erblasser konkret bestimmt, wer Erbe wird.
Ein Abkömmling wird als Erbe eingesetzt. Ist damit beim Vorversterben dieses eingesetzten Abkömmlings auch dessen Abkömmling als Ersatzerbe vorgesehen?
Der Erblasser verwendet einen Gattungsbegriff bei der Anordnung eines Vermächtnisses, ohne zu spezifizieren, was tatsächlich damit alles von einem Vermächtnis umfasst sein soll.[33]
Der Erblasser benutzt eine Bezeichnung, die nicht abschließend ist, so bei dem Begriff "Kinder". Ist damit nur das leibliche oder auch ein adoptiertes Kind gemeint?[34]
Der Erblasser setzt einen Gegenstand als Vermächtnis aus, der aber im Zeitpunkt des Todes nicht mehr vorhanden ist. Es stellt sich dann die Frage, ob der Vermächtnisanspruch weggefallen ist oder ein Ersatz- oder Geldanspruch stattdessen besteht.[35]
 

Rz. 25

Insbesondere die Frage, ob ein Erblasser auch eine wirksame Ersatzerbfolge verfügt hat, ist häufig nur durch die Testamentsauslegung ermittelbar, sofern der Wille des Erblassers nicht eindeutig formuliert ist. Um diese Frage beantworten zu können, ist der gesamte Inhalt der letztwilligen Verfügung von Todes wegen zu würdigen, aber auch sämtliche Nebenumstände, die letztlich erkennen lassen, was der Erblasser wollte. Dabei ist auch zu berücksichtigen, was der Erblasser zu Lebzeiten äußerte und sein Verhalten.[36]

[30] Bonefeld/Wachter/Mehrle, Kap. 4 Rn 7.
[32] BayObLG ZEV 2006, 182.
[33] Grüneberg/Weidlich, § 2155 Rn 1.
[34] BayObLG FamRZ 1991, 118 ff.
[35] Grüneberg/Weidlich, § 2174 Rn 5.
[36] OLG Hamm ZErb 2008, 25 ff.

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