Leitsatz (amtlich)

Zur Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 2084, 2265

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 24.04.1991)

LG Köln

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 24. April 1991 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerinnen sind die Kinder des Beklagten zu 1). Dieser und der Beklagte zu 2) sind Brüder. Die Eltern der Beklagten errichteten am 16. Oktober 1961 ein gemeinschaftliches Testament. Dabei schrieb die Mutter (Erblasserin) eigenhändig folgenden Text:

„Unser letzter Wille

Wir, die Eheleute …, setzen uns hiermit gegenseitig zum alleinigen Erben ein. Nach dem Tode des Überlebenden soll unser gemeinsames Eigentum auf unsere beiden Söhne … (die namentlich benannten Beklagten) und auf ihre leiblichen Nachkommen zu gleichen Teilen zufallen.”

Das Testament trägt die Unterschrift der Mutter und darunter diejenige des Vaters.

Der Vater der Beklagten starb am 25. Oktober 1961; er wurde von ihrer Mutter allein beerbt. Die Mutter starb am 1. Oktober 1988; durch Erbschein vom 27. Januar 1989 sind die Parteien als ihre Erben zu je einem Viertel ausgewiesen. Die Klägerinnen halten sich demgemäß für Miterben ihrer Großmutter und verlangen von dem Beklagten zu 1) noch Auskünfte. Von beiden Beklagten verlangen sie ferner Zahlungen. Dabei handelt es sich um 200.000 DM Erlös aus dem Verkauf eines Grundstücks der Großmutter am 3. April 1987, von dem die Beklagten je 80.000 DM erhielten. Die Beklagten halten den Erbschein für unrichtig und sehen sich selbst als die einzigen Erben ihrer Mutter an; die Klägerinnen hätten nach dem Willen ihrer Großeltern nur zu Nacherben eingesetzt sein sollen.

Das Landgericht hat den Beklagten zu 1) zur Erteilung von Auskunft über den Nachlaßbestand und beide Beklagte zur Zahlung von je 17.000 DM an beide Klägerinnen verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und hat den Beklagten zu 1) auf die Anschlußberufung der Klägerinnen zu weiterer Auskunft über den Kaufpreisrest von 40.000 DM verurteilt. Mit ihrer Revision erstreben die Beklagten weiterhin Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht sieht die Klägerinnen als Miterben ihrer Großmutter an und billigt ihnen auf dieser Grundlage Auskunftsansprüche aus §§ 2027 Abs. 1, 666, 1922 BGB und Zahlungsansprüche aus § 2287 BGB zu. Die Klägerinnen seien durch das gemeinschaftliche Testament ihrer Großeltern zu Miterben neben den Beklagten berufen; der Wortlaut sei hier eindeutig. Auch bei eindeutig formulierten Willenserklärungen sei das Gericht zwar an den Wortsinn nicht gebunden, wenn sich aus den Umständen ergebe, daß der Erklärende mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden habe, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspreche. Auch hier schließe der Wortlaut eine bloße Nacherbschaft zugunsten der Klägerinnen nicht von vornherein aus, weil dem wirklichen Willen des Erklärenden der Vorrang gebühre und weil der Wortlaut der Auslegung daher keine Grenze setze. Als einen Umstand, der in diese Richtung weisen könne, erwägt das Berufungsgericht, daß die Beklagten sich vor dem Landgericht darauf berufen hätten, ihre Eltern hätten zunächst nur ihre Söhne als Erben einsetzen wollen. Es läßt diesen Vortrag aber unberücksichtigt, weil die Beklagten ihn im Berufungsverfahren nicht aufgegriffen hätten. Vor dem Berufungsgericht machten die Beklagten lediglich geltend, die Erblasserin habe die Beklagten als ihre einzigen Erben angesehen. Dieser Umstand reiche aber doch nicht aus, um die Verfügung gegen den klaren Wortlaut auslegen zu können. Bei einem gemeinschaftlichen Testament komme es nämlich auf den übereinstimmenden Willen beider Verfügenden an.

2. Diese Begründung hält den Angriffen der Revision nicht stand.

Wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, ist bei der Auslegung eines jeden Testaments der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Dabei darf sich der Tatrichter nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränken, sondern muß auch alle ihm zugänglichen Umstände außerhalb des Testaments auswerten, die zur Aufdeckung des Erblasserwillens beitragen können. Dabei geht es nicht um die Ermittlung eines von der Erklärung losgelösten Willens, sondern um die Klärung der Frage, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, daß der Sprachgebrauch nicht immer so exakt ist oder sein kann, daß der Erklärende mit seinen Worten genau das unmißverständlich wiedergibt, was er zum Ausdruck bringen wollte. Gerade deshalb ordnet § 133 BGB an, den Wortsinn der benutzten Ausdrücke unter Heranziehung aller Umstände zu „hinterfragen”. Nur dann kann die Auslegung der Erklärung durch den Richter gerade die Bedeutung auffinden und ihr die rechtliche Wirkung zukommen lassen, die der Erklärende seiner Willenserklärung „wirklich” beilegen wollte.

Der Erblasserwille ist als sogenannte innere Tatsache dem Geständnis und der Beweisaufnahme zugänglich (BGHZ 86, 41, 46) und geht, wenn er feststeht und formgerecht erklärt ist, jeder anderen Interpretation vor (BGHZ 86, 41, 45). Kann der Richter sich aber trotz Auswertung aller Umstände von dem tatsächlich vorhandenen wirklichen Willen des Erblassers nicht überzeugen, dann muß er sich – wiederum unter Auswertung von Wortlaut und allen Umständen – notfalls mit dem Sinn begnügen, der dem Erblasserwillen mutmaßlich am ehesten entspricht. Von diesem durch Wortlaut und Umständen nahegelegten Verständnis darf er nur dann abgehen, wenn weitere Umstände mit mindestens annähernd gleich großem Gewicht für ein Verständnis in einem anderen Sinne dargetan und bewiesen sind (so schon Senatsurteil vom 23. Januar 1985 – IVa ZR 85/83 – unveröffentlicht).

Handelt es sich – wie hier – um ein gemeinschaftliches Testament, dann ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bei der Auslegung stets zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen Ehegatten mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Teiles entsprochen hat (BGHZ 112, 229, 233). Das ist nötig, weil die beiderseitigen Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten nicht nur aufeinander abgestimmt werden (§ 2270 BGB), sondern erfahrungsgemäß nicht selten auch inhaltlich abgesprochen und insofern Ergebnis und Ausdruck eines gemeinsam gefaßten Entschlusses beider Teile sind. Läßt sich bei der Auslegung der einzelnen Verfügungen eine derartige Übereinstimmung der beiderseitigen Vorstellungen und Absichten nicht feststellen oder lag eine solche nicht vor, dann muß allerdings auf den Willen gerade des Erblassers abgestellt werden, um dessen testamentarische Verfügung es geht. Im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Verfügungen der Ehegatten für den jeweils anderen Teil kommt es hierbei jedoch, anders als bei einseitigen Testamenten, nicht allein auf den Willen des betreffenden Testators an, um dessen Verfügung es geht; vielmehr muß gemäß dem hier anzuwendenden § 157 BGB eine Beurteilung aus der Sicht (Empfängerhorizont) des anderen Ehegatten stattfinden: Dieser muß die Möglichkeit haben, sich bei seinen Verfügungen auf diejenigen des anderen Teiles einzustellen und umgekehrt.

3. Den dargestellten Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht.

a) Das Berufungsgericht hätte berücksichtigen sollen, daß nach dem Vortrag der Beklagten die Erblasserin ihre Söhne als ihre einzigen Erben angesehen habe. Das Berufungsgericht versteht den Beklagtenvortrag hier dahin, daß die Erblasserin bei der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments die Beklagten zu ihren Erben habe einsetzen wollen und will die so verstandene Behauptung ersichtlich als wahr unterstellen. Diesen Umstand läßt es aber als nicht ausreichend beiseite, weil es auf den übereinstimmenden Willen beider Ehegatten ankomme. Das stimmt mit der oben näher dargelegten Rechtsauffassung des Senats nicht überein.

Das Berufungsgericht übersieht zunächst, daß der Wille des einen Ehegatten auch einen Anhalt für den Willen und die Vorstellungen des anderen darstellen kann (vgl. z.B. Soergel/Wolf, BGB 11. Aufl. vor § 2265 Rdn. 14). Vor allem aber mußte das Berufungsgericht sich fragen, wie der vorverstorbene Ehemann die eigenhändige testamentarische Verfügung der Erblasserin verstanden oder, wenn dafür Anhaltspunkte fehlen, mutmaßlich verstanden hat. In diesem Zusammenhang sind die Rechtsfolgen von besonderer Bedeutung, die sich bei Auslegung in dem von den Klägerinnen gewünschten Sinne hätten ergeben können. Hierzu haben die Beklagten bereits vor dem Landgericht zutreffend darauf hingewiesen, daß ihre Erbteile bei völliger Gleichsetzung mit ihren Abkömmlingen bei jeder Geburt (oder Zeugung) eines weiteren Enkelkindes oder sogar eines Urenkels der Erblasserin (ohne Rücksicht auf das Pflichtteilsrecht) vermindert worden wären. Eine Erbeinsetzung der eigenen Kinder mit so wenig „festem” Inhalt ist derart ungewöhnlich, daß sie erfahrungsgemäß allenfalls bei ganz besonderen Verhältnissen, die hier nicht vorliegen, als gewollt erwartet werden kann. Bereits dieser Umstand legt die Annahme nahe, daß die Verfügung nicht in diesem Sinne gemeint sein dürfte. Das gilt um so mehr, als das Gesetz bemüht ist, das Ergebnis der Auslegung von Verfügungen von Todes wegen in. Zweifelsfällen mit Hilfe zahlreicher Auslegungs- und Ergänzungsvorschriften (vgl. §§ 2066ff. BGB) an Regelungen der gesetzlichen Erbfolge anzunähern. Auch das hat das Berufungsgericht verkannt.

b) Hinzu kommt, daß der Wortlaut des Testaments entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts insoweit keinesfalls eindeutig ist, was das Revisionsgericht selbständig zu prüfen hat (BGHZ 32, 60, 63 und ständig).

Der Wortlaut des gemeinschaftlichen Testaments spricht dafür, daß beide Ehegatten nach dem Tode des Längstlebenden außer ihren Söhnen auch deren Nachkommen bedenken wollten, wobei das Wort „Nachkommen” (ebenso wie „Abkömmlinge” in §§ 1924ff. BGB) nach allgemeinem Sprachgebrauch auch in Verbindung mit „leibliche” nicht nur die Enkel der Erblasser, sondern sämtlich Deszendenten bezeichnet. Insbesondere enthält der Wortlaut aber keinen Ausschluß derjenigen leiblichen Nachkommen, die beim Erbfall weder geboren noch erzeugt sein würden (vgl. § 2101 Abs. 1 BGB). So gesehen spricht der Wortlaut in bezug auf die Nachkommen zweiten Grades und der ferneren Grade (§ 1589 Satz 2 BGB) gleichermaßen oder sogar mehr dafür, daß die Erblasser mit der Wendung „ihr gemeinsames Eigentum” solle auf die „leiblichen Nachkommen” ihrer linder „zufallen”, gemeint haben könnten, ihr Vermögen solle zwar zunächst Ihren Kindern zukommen, aber in deren Hand auch für fernere Generationen gesichert bleiben und diesen „zu gegebener Zeit” auch zufallen. Einem solchen – keineswegs ungewöhnlichen – Wunsch kann Rechnung getragen werden mit Hilfe einer Kombination der Nacherbfolge (§ 2100 BGB) mit einer weiteren Nach(nach)erbfolge, was vor allem bei juristischer Beratung nicht selten geschieht. Auch das hat das Berufungsgericht nicht gesehen.

c) Schließlich gibt es noch weitere Umstände, die für die von den Beklagten für richtig gehaltene Auslegung sprechen können und die bislang nicht berücksichtigt sind:

Hierhin gehört die unstreitige Tatsache, daß die Erblasserin den größten Teil des Erlöses aus dem Grundstücksverkauf vom 3. April 1987 gerade unter Ihre beiden Söhne aufgeteilt und den Enkelinnen davon nichts hat zukommen lassen. Dieser Vorgang spricht nicht von vornherein für eine Benachteiligungsabsicht der Erblasserin, sondern eher dafür, daß sie ihre Söhne als ihre Erben ansah und als ihre einzigen unmittelbaren. Erben hatte einsetzen wollen.

In dieselbe Richtung könnte ferner der Umstand deuten, daß die Erblasserin, wie ihr undatierter Abschiedsbrief erkennen läßt, ihren Söhnen erheblich näher gestanden haben dürfte als ihren Enkelinnen.

4. Aus diesen Gründen kann das angefochtene Urteil nicht bestehenbleiben.

Das Berufungsgericht wird die Verfügung der Erblasserin in dem gemeinschaftlichen Testament daher erneut auszulegen haben. Die Nachlaßakten, die das Berufungsgericht beizuziehen haben wird, können dafür zusätzliche Anhaltspunkte bieten und dürften jedenfalls erkennen lassen, aus welchen Gründen das Nachlaßgericht einen Erbschein erteilt hat, der die Klägerinnen als Miterben zu je einem Viertel ausweist. Dieser Erbschein hat für sich genommen für die Auslegung im vorliegenden Erkenntnisverfahren, das die Parteien jedenfalls inzwischen auch als Prätendentenstreit führen, allerdings keine eigene Bedeutung (BGHZ 86, 41, 51 und ständig).

 

Unterschriften

Bundschuh, Dr. Schmidt-Kessel, Dr. Ritter, Römer, Terno

 

Fundstellen

Haufe-Index 1128811

NJW 1993, 256

Nachschlagewerk BGH

DNotZ 1993, 124

DNotZ 199, 124

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