Rz. 1

Der Erblasser bestimmt in seiner letztwilligen Verfügung, ob und wenn ja, in welchem Umfang die gesetzliche Erbfolge durch andere Rechtsfolgen ersetzt oder ergänzt werden soll. Innerhalb der gesetzlichen Grenzen entscheidet er hierbei frei und eigenverantwortlich. In vielen Fällen ist jedoch nicht klar, welchen Inhalt die Verfügung von Todes wegen hat oder ob ein bestimmtes Erklärungsverhalten als Verfügung von Todes wegen aufzufassen ist. Häufig ist auch unklar, welche Art von Verfügung errichtet worden ist, ob es sich um einen Erbvertrag oder ein Testament handelt.[1] In diesen Fällen greift die Auslegung ein. Das Ziel der Auslegung ist daher darin zu sehen, festzustellen, welchen rechtlich geltenden Inhalt die Verfügung von Todes wegen hat,[2] d.h. den auf den Eintritt oder das Ausbleiben erbrechtlicher Wirkung gerichteten Erblasserwillen festzustellen. Hierbei ist die Willenserklärung bzw. das Verhalten, das ggf. als Willenserklärung zu deuten ist, als Gegenstand der Auslegung zu sehen.[3] Bei der Testamentsauslegung geht es daher, wie auch bei der Auslegung anderer Willenserklärungen, um die Klärung, was der Erblasser sagen wollte, nicht um die Ermittlung eines von der Erklärung losgelösten Willens.[4] Letztwillige Verfügungen sind formbedürftig. Aus diesem Grund können nur solche Verfügungen Gegenstand der Auslegung sein, die formwirksam niedergelegt wurden.

 

Rz. 2

Man unterscheidet zwischen erläuternder Auslegung, auch einfache oder unmittelbare Auslegung genannt, die darauf gerichtet ist, den vorhandenen Willen des Erblassers zu ermitteln, und ergänzender Auslegung. Ziel der ergänzenden Auslegung ist es, den hypothetischen Willen des Erblassers festzustellen, und zwar für den Fall, dass die letztwillige Verfügung eine Lücke enthält (siehe Rdn 43 ff.). Auch das Erbrecht enthält zahlreiche Auslegungs- und Ergänzungsregeln, in denen die allg. Erfahrungssätze zum Ausdruck kommen. Ferner ist § 2084 BGB zu beachten. Die Auslegung hat stets Vorrang vor der Umdeutung und der Anfechtung.[5]

Die Auslegung dient dazu, den Erblasserwillen umfassend zu verwirklichen, die Umdeutung hingegen ist nur auf ähnliche Ergebnisse gerichtet, während die Anfechtung auf eine Vermeidung ungewollter Wirkungen abzielt.

[2] Staudinger/Otte, Vor §§ 2064 ff. Rn 23.
[3] MüKo/Leipold, § 2084 Rn 3.
[4] BGH NJW 1993, 256; BGH FamRZ 1987, 475, 476; BayObLG ZEV 1994, 37, 38; Schmidt-Kessel, WM 1988 Beil. Nr. 8, S. 7.

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