Rz. 7

Abs. 2 S. 1 sieht neben der Kenntnis des Anfalls der Erbschaft auch ausdrücklich die Kenntnis des vorläufigen Erben vom Grund der Berufung vor. Berufungsgrund kann eine letztwillige Verfügung in Form des Testaments, gemeinschaftlichen Testaments oder Erbvertrags sowie die gesetzliche Erbfolge i.S.v. § 1948 BGB sein (str., vgl. zum Tatbestandsmerkmal des "Berufungsgrundes" die Nachw. bei § 1948 Rdn 1), wobei die gewillkürte Erbfolge das gesetzliche Erbrecht ausschließt. Es genügt also nicht, dass der vorläufige Erbe aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses grds. gesetzlicher Erbe ist. Vielmehr muss er positive Kenntnis davon besitzen, ob er aufgrund gesetzlicher oder gewillkürter Erbfolge zum Erben berufen ist. Er muss Kenntnis von dem konkreten einschlägigen Berufungsgrund (Gesetz, letztwillige Verfügung oder Erbvertrag) haben.[25] Liegt also eine letztwillige Verfügung vor, nimmt der vorläufige Erbe jedoch an, gesetzlicher Erbe zu sein, oder umgekehrt (der gesetzliche Erbe vermutet, aufgrund einer wirksamen Verfügung zum Erben berufen zu sein), so beginnt die Ausschlagungsfrist nicht zu laufen.[26] Kenntnis des genauen Umfangs seines Erbteils, der genauen rechtlichen Qualifizierung als Erbvertrag oder Testament oder weiterer Einzelheiten sind aber nicht erforderlich,[27] dagegen ist es sehr wohl ausschlaggebend, dass der vorläufige Erbe bei Vorliegen mehrerer (überholter) Verfügungen Kenntnis von der wirksamen letztwilligen Verfügung besitzt. Letztlich liegt die Intention der ausdrücklichen Hervorhebung des Berufungsgrundes in Abs. 2 nämlich darin, im Interesse des vorläufigen Erben zu garantieren, dass dieser im Rahmen seiner Überlegungen zur Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft die wahren Gesamtumstände kennt. Aus diesem Grund beginnt die Ausschlagungsfrist auch dann nicht zu laufen, wenn der vorläufige Erbe zwar gesetzlicher Erbe geworden ist, aber von einem falschen Verwandtschaftsverhältnis ausgeht.[28]

 

Rz. 8

Auch hier ist ein verständlicher Tatsachen- und/oder Rechtsirrtum beachtlich, ein nicht "von vornherein von der Hand zu weisender" Irrtum über die Art oder Wirksamkeit der Berufung schließt positive Kenntnis von dem Berufungsgrund daher aus.[29] Irrtümer des vorläufigen Erben über Einzelheiten des Nachlasses – etwa dessen Überschuldung – werden in Lit. und Rspr. sehr unterschiedlich beurteilt.[30] Hier werden die Umstände des Einzelfalls entscheidend sein.[31] Die Anerkennung solcher Irrtümer sollte ausgehend von dem Grundsatz, dass die Kenntnis von Einzelheiten i.R.d. Berufungsgrundes nicht erforderlich ist, jedoch sehr restriktiv gehandhabt werden. Ein gesteigertes Schutzbedürfnis besteht auch deshalb nicht, da die Annahme oder Ausschlagung in diesem Falle der Anfechtung unterliegen kann. Für den Regelungsbereich des § 2306 BGB (Pflichtteil) gelten insoweit Besonderheiten (vgl. Rdn 17).

[26] Erman/J. Schmidt, § 1944 Rn 5; MüKo/Leipold, § 1944 Rn 4.
[27] MüKo/Leipold, § 1944 Rn 6; Palandt/Weidlich, § 1944 Rn 4; abw. Jauernig/Stürner, § 1944 Rn 2.
[28] Zum Ganzen ausführlich MüKo/Leipold, § 1944 Rn 4 ff.
[29] BGH ZErb 2000, 232, 233; BGH WM 1968, 542, 544 = Rpfleger 1968, 183; Erman/J. Schmidt, § 1944 Rn 5; MüKo/Leipold, § 1944 Rn 13.
[30] Für deren Unbeachtlichkeit etwa: MüKo/Leipold, § 1944 Rn 11, 12; für deren Beachtlichkeit etwa: BayObLG FamRZ 1994, 264; Erman/J. Schmidt, § 1944 Rn 7; diff. Soergel/Stein, § 1944 Rn 9 a.E.
[31] Staudinger/Otte, § 1944 Rn 6 f.

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