Entscheidungsstichwort (Thema)

Begrenzung der Raumtemperatur nach der Arbeitsstättenverordnung. arbeitsschutzrechtliche Anordnung gemäß §§ 120 f, 139 i GewO. geeigneter Adressat einer arbeitsschutzrechtlichen Anordnung. inhaltliche Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes, der nur das Ziel umschreibt. rechtliche Unmöglichkeit als Einwand gegen Verwaltungsakt

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Durchsetzung der durch die Arbeitsstättenverordnung auferlegten Pflichten.

 

Normenkette

GewO §§ 120f, 120e, 139i, 139h; VwVfG § 37; Arbeitsstättenverordnung §§ 3, 5-6, 16

 

Verfahrensgang

Bayerischer VGH (Urteil vom 01.06.1979; Aktenzeichen 150 VI 77)

VG München (Entscheidung vom 03.03.1977; Aktenzeichen 264 VI 74)

 

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Juni 1979 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin betreibt in dem gemieteten Teilbereich eines Einkaufszentrums einen Möbelhandel. Durch Bescheid vom 5. April 1974 ordnete das zuständige Gewerbeaufsichtsamt mehrere Arbeitsschutzmaßnahmen an, die die Klägerin erfolglos mit Widerspruch und Klage bekämpft hat. Während des Berufungsverfahrens haben die Parteien übereinstimmend das Klageverfahren wegen einiger Punkte in der Hauptsache für erledigt erklärt, so daß sich der Streit auf die der Klägerin auferlegten Verpflichtungen beschränkte,

  1. durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, daß die Raumtemperatur auch im Hochsommer 22°C nicht übersteigt, wobei die Luftgeschwindigkeit an keinem Arbeitsplatz über 0,3 m/sec betragen darf;
  2. die lichtgebenden Fensterflächen im Verkaufsraum nicht abzudecken und die vorhandenen Abdeckungen zu entfernen;
  3. das Gewerbeaufsichtsamt bis zum 5. Juli 1974 über das Veranlaßte zu unterrichten.

Durch Bescheid vom 5. Februar 1979 hat das Gewerbeaufsichtsamt die unter Ziffer 1. genannte Verpflichtung wie folgt gefaßt:

„Durch geeignete Maßnahmen ist sicherzustellen, daß die Raumtemperatur den Wert von 26 C nicht überschreitet. Dabei darf die Luftgeschwindigkeit an keinem Arbeitsplatz über 0,3 m/sec betragen. Bei außergewöhnlichen Witterungsverhältnissen darf der Wert von 26 C kurzzeitig überschritten werden.”

Das Berufungsgericht hat das Verfahren im Umfange der übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt sowie die Bescheide vom 5. April 1974 und vom 5. Februar 1979 hinsichtlich der vorerwähnten Verpflichtung zur Begrenzung der Baumtemperatur aufgehoben und im übrigen die Klage abgewiesen und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Seine Entscheidung zur strittigen Verpflichtung, Raumtemperatur und Luftgeschwindigkeit nicht über bestimmte Werte ansteigen zu lassen, hat das Berufungsgericht mit der Erwägung begründet, die Klägerin sei als Mieterin nach allgemeinem Sicherheitsrecht nicht Störer, deshalb nicht konkret – individuell verantwortlich und somit auch keine geeignete Adressatin der arbeitsschutzrechtlichen Anordnung.

Gegen dieses Urteil hat das beklagte Land die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt und die Verletzung des § 139 g GewO sowie des § 62 HGB gerügt, die nach Meinung des beklagten Landes die vom Berufungsgericht aufgehobene Anordnung rechtfertigen.

Das beklagte Land beantragt sinngemäß,

die Berufung im vollem Umfang zurückzuweisen, soweit sich das Verfahren in der

Berufungsinstanz nicht erledigt hat.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Berufungsurteil und vertritt zusätzlich die Auffassung, die Revision müsse auch dann zurückgewiesen werden, wenn man der Auffassung des Berufungsgerichts zur Frage der Verantwortlichkeit der Klägerin nicht folge; denn gemäß § 144 Abs. 4 VwGO sei die Entscheidung des Berufungsgerichts jedenfalls deshalb richtig, weil ein arbeitsschutzrechtlicher Sicherheitsverstoß überhaupt nicht vorliege und zudem der angefochtene Verwaltungsakt dem Bestimmtheitsgrundsatz widerspreche.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Revision ist begründet und mußte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung führen.

Da nur das beklagte Land Revision eingelegt hat, war im Revisionsverfahren ausschließlich darüber zu befinden, ob das Berufungsgericht zu Recht zum Nachteil des beklagten Landes die an die Klägerin gerichtete arbeitsschutzrechtliche Anordnung über die Begrenzung der Raumtemperatur und der Luftgeschwindigkeit aufgehoben hat. Der maßgebliche Inhalt dieser Anordnung ergibt sich aus dem Bescheid vom 5. Februar 1979, der im Einverständnis der Beteiligten und damit gemäß § 91 Abs. 1 VwGO zulässigerweise im Umfang seines Regelungsinhaltes als Streitgegenstand an die Stelle des Ausgangsbescheides vom 5. April 1974 getreten ist.

Die Durchführung des Vorverfahrens war wegen der fortbestehenden Identität des Streitstoffes entbehrlich (vgl. Urteil vom 23. März 1982 – BVerwG 1 C 157/79 – NJW 1982, 2513).

Mit der Aussage, die Klägerin sei als Mieterin der von ihr benutzten Räume keine geeignete Adressatin der vorbezeichneten Anordnung gewesen, verletzt das Berufungsurteil Bundesrecht. Die Anordnung hat eine tragfähige Rechtsgrundlage in § 120 f und § 139 i GewO, da sie der Durchführung von Pflichten dient, die sich aus der Arbeitsstättenverordnung – ArbStättV – als einer auf Grund von § 120 e Abs. 1 GewO und § 139 h Abs. 1 GewO ergangenen Rechtsverordnung ergeben und die auch der Klägerin in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeberin von Personen auferlegt sind, die entweder kaufmännische Dienste (§ 139 i GewO) oder andere Hilfsdienste (§ 120 f GewO) verrichten. Die betreffenden Pflichten sind in §§ 3 Abs. 1, 5, 6 und 16 Abs. 4 ArbStättV sowie in den gemäß § 3 Abs. 2 ArbStättV heranzuziehenden Arbeitsstätten-Richtlinien – ASR – Nr. 2.4 zu § 6 ArbStättV, Nr. 4.2.2 zu § 5 ArbStättV – formuliert.

Zu Unrecht vertritt die Klägerin die Auffassung, der Verwaltungsakt sei inhaltlich nicht hinreichend bestimmt. Dem in § 37 Abs. 1 VwVfG statuierten Bestimmtheitserfordernis genügt nach der zutreffenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung ein Verwaltungsakt der vorliegenden Art, der nur das Ziel der auferlegten Verpflichtung festhält, die Wahl des Mittels aber dem Adressaten überläßt (vgl. BVerwG, GewArch 1969, 83; Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, 1978, § 7 Rdnrn. 11/12; VGH Baden-Württemberg, VBlBW 1982, 97; Meyer/Borgs, VwVfG, 2. Auflage, § 37 Rdnr. 10; Meyer in: Landmann/Rohmer, GewO, § 24 a, Rdnr. 21; § 120 d, Rdnr. 6). Daß ein solcher Verwaltungsakt nur mit Einschränkungen vollziehbar sein mag, berührt nicht seine Rechtmäßigkeit.

Nach § 120 f und § 139 i GewO dürfen allerdings nur solche Maßnahmen angeordnet werden, die im Einzelfall zur Durchführung der Arbeitsstättenverordnung erforderlich sind.

Eine Erforderlichkeit in diesem Sinne besteht jedenfalls dann nicht, wenn die vom Adressaten unterhaltene Arbeitsstätte den Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung genügt. Die Klägerin hat vorgetragen, die in Rede stehende Arbeitsstätte weise die in der Verfügung vorgeschriebenen Werte auf. Sie hat in der Berufungsinstanz zu diesem Punkt auch einen vom Berufungsgericht nicht behandelten Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gestellt. Da das Berufungsgericht der Auffassung war, ein etwaiger Verstoß der hier interessierenden Art sei der Klägerin nicht zuzurechnen, brauchte das Gericht die Frage des Bestehens eines solchen Verstoßes nicht beweismäßig zu klären. Im Berufungsurteil wird deshalb der arbeitsschutzrechtliche Sicherheitsverstoß auf Seite 14 auch nur unterstellt. Die Ausführungen auf den Seiten 8 und 10 des Urteils, wonach die in der Anordnung vorgeschriebenen Maßnahmen eine nicht unerhebliche Änderung der Bausubstanz erfordern würden, stehen dazu nicht im Widerspruch. Bei diesen Ausführungen wird die Erforderlichkeit der betreffenden Maßnahmen vorausgesetzt, sie basieren also auf der bloßen Annahme, daß auf der Grundlage der gegenwärtigen baulichen Gegebenheit das durch die Arbeitsstättenverordnung vorgegebene Ziel der Temperaturbegrenzung noch erreicht werden müsse. Unter diesen Umständen ist dem Senat ein abschließendes Urteil über die Rechtmäßigkeit der strittigen Anordnung nicht möglich, weil zunächst in tatsächlicher Hinsicht geklärt werden muß, ob die Arbeitsräume der Klägerin überhaupt entsprechend der Beanstandung durch das Gewerbeaufsichtsamt den Vorschriften der Arbeitsstättenverordnung widersprechen.

Die somit erforderliche Zurückverweisung hätte sich nur dann erübrigt, wenn feststände, daß durch den angefochtenen Verwaltungsakt von der Klägerin etwas rechtlich Unmögliches verlangt wird. Eine diesbezügliche Bewertung würde voraussetzen, daß das der Klägerin aufgegebene Ziel nur durch Maßnahmen erreicht werden könnte, die zu treffen der Klägerin rechtlich unmöglich ist. Daß diese Voraussetzung erfüllt ist, kann der Senat den ihm vorliegenden tatsächlichen Unterlagen nicht entnehmen. Zwar enthält das Berufungsurteil die für den Senat verbindliche Feststellung, bei den von der Klägerin gegebenenfalls zu treffenden Maßnahmen handele es sich um „in die Bausubstanz eingreifende Änderungen”; aber daraus folgt nicht, daß von der Klägerin etwas rechtlich Unmögliches verlangt wird. Das Berufungsgericht wird in der neuen Verhandlung den in dieser Hinsicht von ihm auf den Seiten 18 und 19 seines Urteils aufgeworfenen Fragen nachzugehen haben, wobei die Annahme naheliegt, daß unter Berücksichtigung des vertraglichen Mietzweckes die Klägerin gegen den Vermieter einen Anspruch darauf hat, daß ihr die Zustimmung zu den baulichen Veränderungen erteilt wird, die erforderlich sind, damit der Arbeitsstättenverordnung genügt wird und die Klägerin in die Lage versetzt ist, den Mietgegenstand vertragsgemäß zu benutzen.

 

Unterschriften

Dr. Heinrich, Prof. Dr. Barbey, Dr. Dickersbach, Meyer, Dr. Diefenbach

 

Fundstellen

Dokument-Index HI845572

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