Entscheidungsstichwort (Thema)

Planfeststellung. Rechtsschutz. Einwendung. Verwirkung. Präklusion. Verschulden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Rechtsverwahrung. Enteignung

 

Leitsatz (amtlich)

  • Die in § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG enthaltene materielle Verwirkungspräklusion ist verfassungsgemäß auch dann, wenn sie sich im Ergebnis auf Einwendungen gegen eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG erstreckt.
  • Fristgemäß erhobene Einwendungen, die sich nur gegen Anwendung des Rechts durch die Planfeststellsungsbehörde wenden, erhalten dem Einwender die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen der Planfeststellungsbehörde.
  • Bei unverschuldeter Fristsäumnis und zur Vermeidung ungewöhnlicher Härten kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erwogen werden.
  • Die Bestätigung einer Gemeinde, sie habe den Hinweis nach § 17 Abs. 4 Satz 2 FStrG bekanntgemacht, ist beweisrechtlich in tatsächlicher Hinsicht nach § 98 VwGO, §§ 417, 418 Abs. 1 ZPO zu beurteilen.
 

Normenkette

FStrG n.F. § 17 Abs. 4 S. 1; GG Art. 14 Abs. 3; VwGO § 87 b Abs. 3; ZPO § 418

 

Tenor

  • Die Klagen des Klägers zu 1 – … –, der Klägerin zu 2 – … –, der Kläger zu 4 – … – und des Klägers zu 5 – … – werden abgewiesen.
  • Das Verfahren des Klägers zu 3 – … – wird eingestellt.
  • Die Kosten des Klageverfahrens tragen

    der Kläger zu 1 – … –

    zu

    6 v.H.,

    die Klägerin zu 2 – … –

    zu

    70 v.H.,

    der Kläger zu 3 – … –

    zu

    5 v.H.,

    die Kläger zu 4 – … – als Gesamtschuldner

    zu

    7 v.H.,

    der Kläger zu 5 – … –

    zu

    12 v.H.

 

Tatbestand

I.

Die Kläger sind Eigentümer von Grundflächen in der Gemeinde Kodersdorf (Sachsen). Mit ihrer Klage wenden sie sich gegen den Planfeststellungsbeschluß des Regierungspräsidiums Dresden vom 12. Oktober 1995. Mit dem Plan wird der Neubau der Bundesautobahn Bautzen-Görlitz (BAB 4) im – zweiten – Streckenabschnitt Nieder Seifersdorf-Görlitz festgestellt. Der Planfeststellungsbeschluß über den ersten Abschnitt Weißenberg-Nieder Seifersdorf stammt vom 5. April 1995; er ist Gegenstand eines anderen Klageverfahrens (BVerwG 4 A 16.95).

Im Aufstellungsverfahren wurden vier Varianten erörtert. Der angefochtene Planfeststellungsbeschluß entscheidet sich für die Variante Nord-Nord 2 mit teilweiser Untertunnelung eines Landschaftsschutzgebietes (Länge 3,5 km).

Der Kläger zu 1, die Klägerin zu 2, der Kläger zu 3 und die Kläger zu 4 haben ihren Wohnsitz in der Gemeinde Kodersdorf. Der angegriffene Planfeststellungsbeschluß nimmt ihren Grund und Boden in Anspruch. Der Kläger zu 5 ist ein anerkannter Naturschutzverband. Sämtliche Kläger begehren die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses. Dazu tragen sie im wesentlichen vor:

Das planfestgestellte Vorhaben verstoße gegen die EG-Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-Richtlinie), gegen die EG-Richtlinie 79/409/EWG des Rates zur Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (Vogelschutzrichtlinie) und gegen die EG-Richtlinie 85/337/EWG des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-Richtlinie). Das Abwägungsmaterial sei unvollständig ermittelt. Eine ordnungsgemäße Umweltverträglichkeitsprüfung hätte ein anderes Bild ergeben. Ein ordnungsgemäßes Raumordnungsverfahren habe nicht stattgefunden. Auch das Verfahren der Auslegung und der Erörterung sei im Planaufstellungsverfahren nicht ordnungsgemäß gewesen. Eine ordnungsgemäße Verbandsbeteiligung habe es nicht gegeben. Die Naturschutzverbände seien nicht hinreichend beteiligt worden. Die Entscheidung leide unter Abwägungsfehlern. Ferner seien Maßgaben der Linienbestimmung nicht eingehalten. Die Linienbestimmung selbst sei fehlerhaft zustande gekommen. Gegen die Planrechtfertigung aufgrund Gesetzes (Fernstraßenausbaugesetz) bestünden verfassungsrechtliche Bedenken. Eine Stellungnahme der unteren Naturschutzbehörde beim Landratsamt Görlitz, in der Bedenken gegen die Trassenführung erhoben werden sollten, sei staatlicherseits verhindert worden. Die Eingriffe seien im übrigen vermeidbar. Ein angenommener Lärmvorteil der Nordtrasse bestehe nicht. Das gleiche gelte für Luftschadstoffemissionen. Die Kosten der Nordtrasse seien höher als die der Südtrasse. Tatsächlich habe man sich durch frühzeitigen Landaufkauf im Bereich der Nordtrasse faktisch gebunden. Dies sei u.a. durch die Beteiligung an kommunalen Wirtschaftsförderungsgesellschaften geschehen. Unter Beweisangebot wird behauptet, die Südtrasse sei möglich und umweltfreundlicher.

Die einzelnen Kläger haben sich im Aufstellungsverfahren unterschiedlich beteiligt. Der Kläger zu 1 hat sich nicht geäußert. Die Klägerin zu 2 und die Kläger zu 4 haben fristgemäß Einwendungen vorgetragen. Eine Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses begehrt keiner dieser Kläger. Auch der Kläger zu 5 hat sich beteiligt. Der Kläger zu 4 hat Einwendungen im Verfahren des ersten Streckenabschnitts erhoben. Der Kläger zu 3 und der Beklagte haben später übereinstimmend das Klageverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Der Kläger zu 1, die Klägerin zu 2, die Kläger zu 4 und der Kläger zu 5 beantragen,

die Bescheide der Beklagten an die Fa. DEGES Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH vom 12. Oktober 1995 betreffend die Planfeststellung der sog. Nordtrasse der BAB A 4 zwischen Weißenberg und Görlitz aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Er verteidigt die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses, auch durch Bestreiten des tatsächlichen Vorbringens der Kläger.

Der Oberbundesanwalt beteiligt sich nicht.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Klagen des Klägers zu 1, der Klägerin zu 2, der Kläger zu 4 und des Klägers zu 5 sind unbegründet. Das Gericht kann nicht prüfen, ob die Kläger in ihren Rechten verletzt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ob der angegriffene Planfeststellungsbeschluß rechtmäßig ist, bedarf keiner Entscheidung.

1.1 Die Klagen des Klägers zu 1, der Klägerin zu 2 und der Kläger zu 4 sind als Anfechtungsklage zulässig, aber nicht begründet.

Das Gericht ist an der inhaltlichen Prüfung gehindert, ob der angegriffene Planfeststellungsbeschluß vom 12. Oktober 1995 die genannten Kläger in ihren subjektiven Rechten verletzt. Die Kläger sind mit ihrem Klagevorbringen ausgeschlossen. Das ergibt § 17 Abs. 4 Satz 1 des Fernstraßengesetzes – FStrG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 1994 (BGBl I S. 854). Danach sind Einwendungen gegen den Planfeststellungsbeschluß nach Ablauf der im Planfeststellungsverfahren eröffneten Einwendungsfrist ausgeschlossen. Diese Voraussetzungen liegen für die genannten Kläger vor. Demgemäß findet eine inhaltliche Prüfung des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses nicht statt. Auf die unter Beweis gestellte Behauptung zu den Lebensbedingungen bestimmter Vogelarten kommt es nicht an. Die Klage scheitert an § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG.

1.1.1 § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG normiert eine materielle Verwirkungspräklusion. Die Einwendungsfrist besitzt für das gerichtliche Verfahren, das einem straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren folgt, materiell-rechtlichen Charakter (ebenso BVerwG, Beschluß vom 12. November 1992 – BVerwG 7 ER 300.92 – Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 22 = NVwZ 1993, 266 zu § 36 Abs. 4 Satz 1 BBahnG in der durch Art. 31 des Dritten Rechtsbereinigungsgesetzes vom 28. Juni 1990 ≪BGBl I S. 1221≫ entstandenen Fassung; BVerwG, Beschluß vom 19. März 1995 – BVerwG 11 VR 2.95 – NVwZ 1995, 905 zu § 17 Nr. 5 WaStrG in der Fassung des Planvereinfachungsgesetzes vom 17. Dezember 1994 ≪BGBl I S. 2123≫). Die durch das erwähnte Dritte Rechtsbereinigungsgesetz eingeführte straßenrechtliche Präklusion erstreckt sich nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift auch auf das nachfolgende verwaltungsgerichtliche Verfahren (vgl. so bereits BVerwG, Beschluß vom 12. Februar 1996 – BVerwG 4 A 38.95 – ≪derzeit noch unveröffentlicht≫). Der Gesetzgeber hat in § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG vergleichbare Regelungen des Atom- und Immissionsschutzrechts (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 17. Juli 1980 – BVerwG 7 C 101.78 – BVerwGE 60, 297 ≪301 ff.≫) und des Bundeswasserstraßenrechts (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 6. August 1982 – BVerwG 4 C 66.79 – BVerwGE 66, 99 ≪101≫) übernommen. Die bestehende Gesetzeslage ist grundgesetzgemäß. Für die von den Klägern beantragte Vorlage an das Bundesverfassungsgericht sind die gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG erforderlichen Voraussetzungen nicht gegeben. Die von den Klägern erhobenen Bedenken treffen nicht zu.

Eine materielle Verwirkungspräklusion und der in ihr enthaltene Ausschluß neuer Einwendungen ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfGE 61, 82 ≪109 ff.≫). Das gilt auch im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Der Rechtsschutz – auch der verwaltungsgerichtliche – muß gewiß substantiell und effektiv sein. Unzumutbare Hindernisse dürfen nicht bestehen. Das gilt namentlich für den hier berührten Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 24, 367 ≪401≫; 45, 297 ≪322, 333≫; 74, 264 ≪282 f.≫; 79, 80 ≪84≫). Das hindert den Gesetzgeber indes grundsätzlich nicht, aus sachgerechten Überlegungen heraus Verfahrensregeln, Formen, Fristen und Substantiierungslasten zur Durchsetzung grundrechtlicher Rechtspositionen einzuführen. Auch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG steht dem nicht entgegen (vgl. BVerfGE 40, 237 ≪252≫; 40, 272 ≪274 f.≫; 41, 23 ≪26≫; 44, 302 ≪305≫; 53, 115 ≪127≫; 54, 94 ≪97≫). Das Nähere darf der Gesetzgeber als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG regeln. Das ist in § 17 Abs. 4 FStrG geschehen. Die Vorschrift ist nach Inhalt und Ausgestaltung eine verfassungsrechtlich zulässige Regelung. Das gilt auch dann, wenn sich – bei objektiver Betrachtung – eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ergeben könnte. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Dem Gesetzgeber ist durch Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG die nähere Ausgestaltung des Eigentumsinhalts aufgetragen. Dazu gehören auch Regelungen über die verfahrensmäßige Durchsetzung einer bestehenden Eigentümerposition (vgl. BVerfGE 37, 132). Der Eingriff des Gesetzgebers muß in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem Gesetz verfolgten Ziel stehen. Die Eigentumsbindung muß zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und erforderlich sein. Der gesetzgeberische Gestaltungsbereich erweitert sich in seiner Eingriffsintensität, je stärker eine soziale Funktion gegeben ist (vgl. BVerfGE 42, 263 ≪294≫; 52, 1 ≪32≫; 53, 257 ≪292 f.≫; 70, 191 ≪201≫; 79, 29 ≪42≫; 79, 292 ≪302≫; 81, 29 ≪32≫; 84, 382 ≪385≫). Diesen Voraussetzungen genügt § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG. Dabei ist eine verfassungskonforme Handhabung nicht ausgeschlossen, sondern bedarf in der Frage, welche Anforderungen an die Konkretheit einer erhobenen Einwendung zu stellen sind, gesonderter Prüfung.

Der Gesetzgeber verfolgt mit § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG legitime Ziele. Er hat als Konfliktfrage gesehen, daß bei wichtigen Maßnahmen der Infrastruktur zwischen Bürgerbeteiligung, planerischer Informationsaufbereitung und effektivem Rechtsschutz einerseits und dem Ziel einer behördlichen Verfahrensbeschleunigung und der Rechtssicherheit der Planungsentscheidung andererseits ein Spannungsverhältnis besteht. § 17 Abs. 4 FStrG beabsichtigt einen hierauf bezogenen Ausgleich der gegenläufigen Interessen. Die Individualinteressen des einzelnen betroffenen Bürgers sind zu beachten. § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG beschneidet den Bürger in der Verfolgung seiner Interessen und Rechte weder sachwidrig noch unzumutbar. Ihm ist es grundsätzlich möglich, seine Belange – auch soweit sie nicht eigene Rechtspositionen betreffen – vorzutragen und auf ihre Berücksichtigung zu dringen. Dasselbe gilt für öffentliche Belange. Gerade die Weite dieses Vorbringens rechtfertigt zur Durchsetzung wichtiger Gemeinwohlbelange verfahrensmäßige Beschränkungen. Das Verfahren der Planaufstellung ist ein zeit- und kostenaufwendiger Vorgang, der neben finanziellen Mitteln in erheblicher Weise sachkundige Personalkapazität bindet. Es ist daher ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers, daß derartige Investitionen zur Lösung oder Verbesserung von Infrastrukturproblemen nicht ohne hinreichenden Grund in Frage gestellt werden. Gerade bei komplexen Planungsverfahren besteht zudem ein berechtigtes Anliegen, im Stadium der Planung über Bedenken und Anregungen der betroffenen Bürger und der zu beteiligenden Träger öffentlicher Belange möglichst frühzeitig zu erfahren, welche konkreten Interessen betroffene Bürger oder beteiligte Behörden, Gemeinden und öffentliche Verbände haben. Ein derartiges Wissen kann die Planung in ihrer Durchführung und in ihrer Ausgewogenheit erleichtern. Eine derart frühe Beteiligung liegt auch im wohlverstandenen Interesse der betroffenen Bürger selbst. Sie können durch ihr Vorbringen die Chancen der Einflußnahme wahren, bevor eine Art planerische Verfestigung eingetreten ist. Weil die planerischen Abwägungsentscheidungen nach rechtlichen Maßstäben nur begrenzt strukturierbar und daher auch nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar sind, kommt der sachgerechten Aufbereitung des Abwägungsmaterials eine besondere Bedeutung zu. Dies ist in der Rechtsprechung immer wieder hervorgehoben worden (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1969 – BVerwG 4 C 105.66 – BVerwGE 34, 301; Urteil vom 5. Juli 1974 – BVerwG 4 C 50.72 – BVerwGE 45, 309; Urteil vom 5. Dezember 1986 – BVerwG 4 C 13.85 – BVerwGE 75, 214). Der Gesetzgeber verfolgt insoweit mit der von ihm eröffneten Möglichkeit, im Aufstellungsverfahren eine effektive Beteiligung des Bürgers am Verfahren durch Einwendung und Anhörung vorzusehen, der Sache nach den Gedanken eines vorverlagerten Rechtsschutzes (vgl. allg. BVerfGE 53, 30 ≪65≫; vgl. ferner BVerfGE 37, 132 ≪141≫; 46, 325 ≪334≫; 49, 220 ≪225≫). Dagegen lassen sich rechtsstaatliche Bedenken nicht erheben.

Die Erörterung erhobener Einwendungen soll ferner einem kooperativen Verständnis der Konfliktbewältigung jener Probleme dienen, die jede großflächige Planung auslöst. Auch dies stellt einen legitimen Grund dar, den von einer Planung betroffenen Eigentümer durch die Sanktion der materiellen Präklusion nachdrücklich aufzufordern, zumindest seine eigenen Interessen bereits im Einwendungsverfahren vorzutragen. Die Planfeststellungsbehörde hat ein berechtigtes Interesse daran, frühzeitig zu erfahren, welche individuellen Belange, die als berührt vorgetragen wurden, möglicherweise einer weiteren Erörterung bedürfen. Sie kann ihr Verhalten danach einrichten, ggf. in konkrete Verhandlungen mit Betroffenen eintreten, auch um rechtlich zweifelhafte Fragen einvernehmlich zu lösen und damit den späteren Vollzug der Planung zu fördern. Gerade bei Massenverfahren der vorliegenden Art ist eine Konzentration des Verfahrens einschließlich der möglichen Einwendungen im Sinne einer umfassenden, konzentrierten Ermittlung der abwägungserheblichen Belange mithin von einer legitimen Zielsetzung getragen. Das nicht genutzte Angebot an Beteiligung sanktionslos verstreichen lassen zu können, kann aus diesem Grunde nicht von Verfassungs wegen als geboten angesehen werden. Eine rechtsstaatlich unzumutbare Verkürzung berechtigter Belange der betroffenen Bürger stellt die auferlegte Mitwirkungslast nach alledem jedenfalls im Grundsatz nicht dar.

Die nähere Ausgestaltung des § 17 Abs. 4 FStrG gibt zu verfassungsrechtlichen Bedenken ebenfalls keinen Anlaß. Der Gesetzgeber hat das Maß der Zumutbarkeit nicht überschritten. Anforderungen, die für den Bürger nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten erfüllbar wären, bestehen nicht. Der Gesetzgeber wird seiner rechtsstaatlichen Verpflichtung gerecht, wenn er es dem betroffenen Bürger innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens ermöglicht, sich für die zu erhebenden Einwendungen auch sachkundiger Hilfe Dritter zu versichern. Die vorgesehenen gesetzlichen Fristen und Erörterungsmöglichkeiten sind nicht so kurz und begrenzend, daß dies dem betroffenen Bürger kaum möglich wäre. § 17 Abs. 4 Satz 2 FStrG sieht zudem vor, daß auf die Folgen des § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG ausdrücklich hingewiesen wird. Unterbleibt dieser belehrende Hinweis, tritt eine Präklusion nicht ein. Auch die Art und Weise der öffentlichen Bekanntmachung fördert dies. Das Erfordernis gerade der ortsüblichen Bekanntmachung in der jeweiligen Gemeinde gewährleistet, daß der betroffene Bürger von dem geplanten Vorhaben auch erfährt. Die Bekanntmachung muß sowohl hinreichend konkret als auch allgemeinverständlich sein. Sie muß dem betroffenen Bürger die Kenntnis eröffnen können, daß die vorgesehene Planung möglicherweise seine Interessen betrifft und er damit aufgerufen ist, sich um seine Belange zu kümmern. Schließlich kann bei unverschuldeter Fristsäumnis und zur Vermeidung ungewöhnlicher Härten im Hinblick auf § 32 VwVfG eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erwogen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. August 1982 – BVerwG 4 C 66.79 – BVerwGE 66, 99 ≪105≫). Einer weiteren Vertiefung bedarf diese Frage hier nicht. Die Kläger haben nicht einmal andeutungsweise geltend gemacht, sie seien im Aufstellungsverfahren gehindert gewesen, ihre eigenen Interessen sachgerecht wahrzunehmen.

1.1.2 Der Ausschluß nach § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG tritt – wie dargelegt – gemäß § 17 Abs. 4 Satz 2 FStrG nur ein, wenn in der Bekanntmachung der Auslegung oder der Einwendungsfrist auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde. Auch diese Voraussetzung ist hier gegeben. Die Planungsunterlagen waren in der Gemeinde Kodersdorf vom 21. November 1994 bis zum 21. Dezember 1994 ausgelegt. Die Bekanntmachung der Gemeinde Kodersdorf über die Auslegung der Planungsunterlagen vom 11. November 1994 bis zum 23. November 1994 enthielt einen entsprechenden belehrenden Hinweis. Dieser Hinweis war konkret und allgemeinverständlich. Das steht zur Überzeugung des Gerichts fest. Ihm liegt der Text der Bekanntmachung vor. Darin heißt es ausdrücklich, daß nach Ablauf der Einwendungsfrist – die angegeben ist – Einwendungen gegen den Plan ausgeschlossen seien. Auch auf die Folge des § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG wird in der Bekanntmachung hingewiesen. Das alles war ausreichend.

Die Bekanntmachung über die Auslegung war ferner ortsüblich. Sie erfolgte durch Aushang an der örtlichen Verkündungstafel des Gemeindeamtes der Gemeinde Kodersdorf. Diese Art der Bekanntmachung beruhte auf § 3 Abs. 1 der am 6. April 1994 in Kraft getretenen Bekanntmachungssatzung der Gemeinde Kodersdorf. Neben der ortsüblichen Bekanntmachung wurde zusätzlich eine öffentliche Bekanntmachung vorgenommen, nämlich durch Aushang an weiteren Verkündungstafeln und durch Einrücken in der Kreisausgabe Niesky der Sächsischen Zeitung. Der Beklagte hat dies näher vorgetragen. Die Kläger haben dem nicht widersprochen. Das Gericht sieht zu weiterer Aufklärung keinen Anlaß. Die Gemeinde Kodersdorf bestätigte in ihrem Schreiben vom 6. Januar 1995, sie habe die Bekanntmachung durch Anschlag an den Aushangtafeln getroffen. Diese Erklärung legt das Gericht seiner Entscheidung zugrunde (vgl. § 98 VwGO, §§ 417, 418 Abs. 1 ZPO). Damit ist – da andere Veröffentlichungsformen rechtlich, insbesondere kommunalverfassungsrechtlich nicht vorgeschrieben sind – die gesetzlich vorgeschriebene Veröffentlichung in rechtsstaatlich genügender Weise vorgenommen worden. Die Kläger behaupten auch nicht, daß die Bekanntmachung fehlerhaft gewesen sei. Das Gericht sieht keinen Anlaß, dieser Frage weiter nachzugehen.

1.1.3 Die Kläger haben während der Auslegungsfrist und der sich anschließenden Einwendungsfrist keine Einwendungen erhoben, auf welche sich ihr jetziges Klagevorbringen beziehen könnte, mit dem sie die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses erreichen wollen.

1.1.3.1 Der Kläger zu 1 hat überhaupt keine Einwendungen gegen den Plan erhoben. Er bestreitet dies auch nicht. Er trägt auch nicht vor, daß ihn irgendwelche Umstände daran gehindert hätten, fristgerecht Einwendungen gegen das planfestgestellte Vorhaben zu erheben. Dafür ist nach der Aktenlage auch nichts ersichtlich.

Vielmehr ist der Kläger zu 1 der Ansicht, er könne – im Hinblick auf die enteignungsrechtliche Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses – noch im gerichtlichen Verfahren jeden Einwand erheben, der zur Prüfung der Rechtswidrigkeit des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses führen könne. Diese Rechtsauffassung trifft nicht zu. Die materielle Verwirkungspräklusion ist auch dann grundgesetzgemäß, wenn sie sich im Ergebnis auf eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG bezieht. Dem steht auch Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG nicht entgegen. Das verfassungsrechtliche Gebot, hinsichtlich der Höhe der Entschädigung den ordentlichen Rechtsweg zu gewährleisten, besagt dazu nichts. Die Intensität des Eingriffs in einen grundrechtlichen Schutzbereich beeinflußt zwar die Voraussetzungen, unter denen der Gesetzgeber eine materielle Präklusion normieren darf, hindert diese aber ebensowenig wie beispielsweise die Regelung der Klagefrist. Auch diese kann bei objektiver Betrachtung im Ergebnis “rechtsvernichtend” sein.

1.1.3.2 Die Klägerin zu 2 und die Kläger zu 4 haben Einwendungen gegen den Plan fristgerecht erhoben. Diese reichen ihrem Inhalt nach indes nicht aus, um die mit dem Aufhebungsantrag vorausgesetzte umfassende gerichtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses zu erreichen.

Dem Gericht liegt hinsichtlich der Klägerin zu 2 das Schreiben der Klägerin vom 19. Dezember 1995 vor, das als Einwendung anzusehen ist. Das Schreiben betrifft den zweiten Streckenabschnitt. Die in ihm erhobenen Einwendungen betreffen im Kern nur Fragen, die nicht die Planung als solche berühren, sondern nur Inhalt geltend gemachter Planergänzungsanträge sein könnten. Einwendungen der Klägerin, die ausdrücklich die Planung als solche und vor allem den zweiten Streckenabschnitt als solchen betreffen, fehlen. Das Schreiben der Klägerin zu 2 läßt auch in keiner Hinsicht die Deutung zu, die Klägerin wolle sich auch oder gar in erster Linie gegen den Plan und die Trassenführung als solche wenden. Es fehlt hierzu an jedwedem Anhalt. Das klägerische Schreiben ist auch nicht mißzuverstehen. Es ist klar nach bestimmten Belangen gegliedert. Diese betreffen sämtlich gewünschte Maßnahmen, welche durch planergänzende Auflagen ausgeglichen werden sollen. Anderes wird nicht vorgetragen. Das Schreiben bot der Planfeststellungsbehörde keinen Anlaß zu einer Nachfrage, was gemeint sein könnte. Der objektive Erklärungswert des Schreibens ist eindeutig. Im Erörterungstermin wurde anderes nicht vorgetragen. Daß die Klägerin – wie andere auch – lieber vor einem Eingriff in ihr Eigentum verschont wäre, ist verständlich. Das genügt indes hier wie auch bei dem Schreiben der Kläger zu 4 nicht, die vorgetragenen Einwendungen stillschweigend zu ergänzen.

Hinsichtlich der Kläger zu 4 liegen die Dinge ebenso. Dem Gericht liegt ein Schreiben dieser Kläger vom 16. Dezember 1994 vor. Das Schreiben betrifft den zweiten Streckenabschnitt. Die dort erhobenen Einwendungen betreffen im Kern ebenfalls nur Fragen, die nicht die Planung als solche berühren, sondern nur Inhalt geltend gemachter Planergänzungsanträge sein könnten. Einwendungen der Kläger, die ausdrücklich die Planung als solche und vor allem den zweiten Streckenabschnitt als solchen betreffen, fehlen auch hier. Das Schreiben der Kläger zu 4 läßt auch in keiner Hinsicht die Deutung zu, die Kläger wollten sich auch oder gar in erster Linie gegen den Plan und die Trassenführung als solche wenden. Das klägerische Schreiben ist klar gegliedert und nicht mißzuverstehen. Das Vorbringen betrifft gewünschte Maßnahmen, welche durch planergänzende Auflagen ausgeglichen werden sollen. Anderes wird nicht vorgetragen. Das Schreiben bot der Planfeststellungsbehörde keinen Anlaß zu einer Nachfrage. Der objektive Erklärungswert des Schreibens ist eindeutig. Im Erörterungstermin wurde anderes nicht vorgetragen.

Das Gericht prüft die formelle und materielle Rechtmäßigkeit des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses – hier des zweiten Streckenabschnittes – nur innerhalb des Rahmens der mit der Klage zulässigerweise vorgetragenen Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Planfeststellungsverfahren sich ein Kläger beschwert fühlt (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 1995 – BVerwG 4 A 1.93 – BVerwGE 98, 126 = NVwZ 1995, 901). Anderes wird grundsätzlich – vorbehaltlich der gerichtlichen Amtsermittlung nach § 86 VwGO – nicht geprüft. Die Klägerin zu 2 und die Kläger zu 4 haben mit der Klage nicht vorgetragen, daß die im Planfeststellungsbeschluß zu ihren Gunsten enthaltenen Auflagen unzureichend seien.

1.1.4 Das Gericht hat erwogen, ob trotz der materiellen Präklusion der Kläger die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses jedenfalls insoweit zu prüfen sei, als nur die eigene Begründung des Beschlusses zugrunde gelegt wird.

Die gerichtliche Prüfung wäre in diesem Falle auf eine reine Rechtskontrolle zu begrenzen. Die dem Planfeststellungsbeschluß zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen wären als feststehend hinzunehmen. An diese Fallgestaltung ist zu denken, wenn ein Bürger als Einwendung nur die Rechtswidrigkeit des geplanten Vorhabens geltend machen will, aber die Richtigkeit der dem Plan zugrunde liegenden tatsächlichen Ermittlungen nicht angreift. Es mag etwa sein, daß lediglich eine konkrete Rechtsfrage im Streit steht. Hier muß sich der Bürger die Möglichkeit der späteren gerichtlichen Klärung bewahren können. Das geschieht durch fristgerechte Einwendung. § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG verlangt nicht, daß sich die Einwendung auf Tatsachen zu beziehen hat.

Die Frage bedarf keiner abschließenden Antwort. Die Einwendungen der Klägerin zu 2 und der Kläger zu 4 lassen sich in tatsächlicher Hinsicht nicht dahin verstehen, daß sie der Rechtswahrung späterer gerichtlicher Rechtsprüfung der erhobenen Anfechtungsklage dienen sollten. Bei dieser Sachlage sieht das Gericht keine rechtliche Möglichkeit, zugunsten der Kläger in eine immanente Prüfung der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses einzutreten.

1.2 Die Klage des Klägers zu 5 ist als Anfechtungsklage zulässig, aber unbegründet. Die Voraussetzungen des § 113 Abs. 1 Satz 1 GG liegen nicht vor. Der Kläger zu 5 ist durch den Planfeststellungsbeschluß nicht in seinen Rechten verletzt. Auf die Erwägungen im Urteil vom heutigen Tage im Klageverfahren BVerwG 4 A 16.95 wird verwiesen. Sie gelten auch hier.

2. Das Verfahren des Klägers zu 3 ist in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 1 VwGO einzustellen. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt. Eine nähere Sachprüfung entfällt.

3. Die Kostenentscheidung beruht – unter entsprechender Anwendung des § 5 ZPO – hinsichtlich des Klägers zu 1, der Klägerin zu 2, der Kläger zu 4 und des Klägers zu 5 auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO, hinsichtlich des Klägers zu 3 auf § 161 Abs. 2 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die Kosten hinsichtlich des Klägers zu 3 nur ihm aufzuerlegen. Seine Klage hatte – jedenfalls auf der Grundlage der Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz – keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

 

Unterschriften

Gaentzsch, Berkemann, Hien, Lemmel, Halama

 

Fundstellen

DÖV 1997, 795

DVBl. 1997, 51

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