Entscheidungsstichwort (Thema)

Bebauungsplan, der Eingriffe in Natur und Landschaft erwarten läßt. Abwägungsgebot. Berücksichtigung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Erstreckung des Kreises der abwägungserheblichen Belange auf naturschutzrechtliche Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Anforderung an die Ermittlung und Gewichtung. verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Gewichtungsvorgaben

 

Leitsatz (amtlich)

Sind aufgrund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung eines Bebauungsplans Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten, so verpflichtet § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG die Gemeinde zu ermitteln und zu entscheiden, ob vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen sind und ob und wie unvermeidbare Beeinträchtigungen auszugleichen oder durch Ersatzmaßnahmen zu kompensieren sind. Ermittlung und Entscheidung müssen den Anforderungen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots entsprechen.

 

Normenkette

BauGB § 1 Abs. 3, 5 Sätze 1, 2 Nr. 5, Abs. 6; BNatSchG § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3, 9, § 8a Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 S. 1; GG Art. 14 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Entscheidung vom 25.04.1996; Aktenzeichen 8 S 3262/95)

 

Tenor

Sind aufgrund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung eines Bebauungsplans Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten, so verpflichtet § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG die Gemeinde zu ermitteln und zu entscheiden, ob vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen sind und ob und wie unvermeidbare Beeinträchtigungen auszugleichen oder durch Ersatzmaßnahmen zu kompensieren sind. Ermittlung und Entscheidung müssen den Anforderungen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots entsprechen.

Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei; die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.

 

Tatbestand

I.

Gegenstand des Normenkontrollverfahrens ist ein Bebauungsplan, der eine bislang landwirtschaftlich genutzte Fläche mit Ausnahme eines am westlichen Rand gelegenen Teils, der als Dorfgebiet festgesetzt ist, als allgemeines Wohngebiet ausweist. Der Bebauungsplan wurde am 12. Juni 1995 von der Antragsgegnerin als Satzung beschlossen.

Der Antragsteller ist Eigentümer eines Grundstücks, dessen östlicher Ausläufer vom Bebauungsplan erfaßt wird, das aber im übrigen außerhalb des Plangebiets liegt. Auf dem planexternen Bereich des Grundstücks befinden sich sowohl das Wohnhaus des Antragstellers als auch mehrere landwirtschaftlich genutzte Gebäude sowie zwei Fahrsilos. Der Antragsteller wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen die Gültigkeit des Bebauungsplans.

Das Normenkontrollgericht hat den Normenkontrollantrag mit Beschluß vom 25. April 1996 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Antrag sei unbegründet. Der Bebauungsplan sei rechtmäßig zustande gekommen. Insbesondere sei die Abwägung in bezug auf die Berücksichtigung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht zu beanstanden. Die nach § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG entsprechend anzuwendende naturschutzrechliche Eingriffsregelung sei nicht als striktes Recht zu beachten, sondern Teil der gemeindlichen Abwägung. Diese werde durch § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG bezüglich der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege lediglich konkretisiert und strukturiert. Die Antragsgegnerin sei bei der Planaufstellung entsprechend verfahren.

Mit der Nichtvorlagebeschwerde macht der Antragsteller geltend, das Normenkontrollgericht habe gegen seine Vorlagepflicht verstoßen. Der Rechtsfrage, ob § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG striktes Recht oder Teil der von der Gemeinde vorzunehmenden Abwägung sei, komme grundsätzliche Bedeutung zu.

Der beschließende Senat hat über die Nichtvorlagebeschwerde am 31. Januar 1997 mündlich verhandelt.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Beschwerde ist nach § 47 Abs. 7 Satz 1 VwGO a.F. zulässig. Sie ist hinsichtlich der gestellten Frage auch begründet. Die Rechtssache besitzt insoweit grundsätzliche Bedeutung. Die vom Normenkontrollgericht behandelte Rechtsfrage wird im Schrifttum mit beachtlichen Erwägungen kontrovers erörtert.

2. Die zu klärende Rechtsfrage wird wie folgt beantwortet:

Sind aufgrund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung eines Bebauungsplans Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten, so verpflichtet § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG die Gemeinde zu ermitteln und zu entscheiden, ob vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen sind und ob und wie unvermeidbare Beeinträchtigungen auszugleichen oder durch Ersatzmaßnahmen zu kompensieren sind. Ermittlung und Entscheidung müssen den Anforderungen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots entsprechen.

Der beschließende Senat hat hierzu erwogen:

a) Der Gesetzgeber hat mit den §§ 8a bis 8c BNatSchG eine umstrittene Rechtslage klären wollen. Diese läßt sich wie folgt kennzeichnen:

§ 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG gibt den Ländern ein Regelungsprogramm vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 1990 – BVerwG 4 C 44.87 – BVerwGE 85, 348). Danach ist der Verursacher eines Eingriffs im Sinne des § 8 Abs. 1 BNatSchG zu verpflichten, vermeidbare Beeinträchtigungen zu unterlassen und unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen, soweit es zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege erforderlich ist. Die Behörde muß bei der Zulassung eines als Eingriff zu qualifizierenden Vorhabens im Zulassungsbescheid Regelungen zur Vermeidung von Beeinträchtigungen oder zum Ausgleich unvermeidbarer Beeinträchtigungen treffen. Sie darf, wie sich aus § 8 Abs. 3 BNatSchG ergibt, davon nur absehen, soweit Vermeidung und Ausgleich nicht möglich sind, und auch dann nur, wenn die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege gegenüber den mit dem Vorhaben verfolgten Zielen nachrangig sind. § 8 Abs. 9 BNatSchG überläßt es den Ländern, Vorschriften über Ersatzmaßnahmen zu erlassen.

Es war zweifelhaft, ob und mit welcher Reichweite dieses Regelungssystem bei der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung eines Bebauungsplans anwendbar war. Nach einer vielfach vertretenen Auffassung kam die Verpflichtung, Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu vermeiden oder diese auszugleichen, auch im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans erst im Baugenehmigungsverfahren zum Tragen. Welche Bedeutung dies für die Bauleitplanung hatte, insbesondere ob die planende Gemeinde die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung bereits planerisch zu antizipieren und gleichsam vorsorgend Flächen für Ausgleich und Ersatz auszuweisen hatte, um Bauvorhaben im Baugenehmigungsverfahren nicht an der Eingriffsregelung scheitern zu lassen, war umstritten. Ebenso umstritten war, ob Landesrecht Ersatzmaßnahmen im Sinne des § 8 Abs. 9 BNatSchG zwingend vorschreiben durfte, wenn die von einem baurechtlich zulässigen Vorhaben verursachten Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft nicht, insbesondere nicht nach den Festsetzungen des die bauliche Nutzung zulassenden Bebauungsplans, auszugleichen waren.

Diesen Meinungsstreit, der eine uneinheitliche Rechtsanwendungspraxis in den einzelnen Bundesländern zur Folge hatte und der zu Unsicherheiten für Investitionsvorhaben führen konnte, wollte der Gesetzgeber beenden. Nach § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG ist, wenn aufgrund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten sind, über die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bereits im Bauleitplan zu entscheiden. Diese Entscheidung soll unter entsprechender Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG und der Vorschriften über Ersatzmaßnahmen im Sinne des § 8 Abs. 9 BNatSchG nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs und des Maßnahmengesetzes zum Baugesetzbuch in der Abwägung nach § 1 des Baugesetzbuchs getroffen werden. § 8a Abs. 2 BNatSchG stellt dazu ausdrücklich klar, daß auf Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans § 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG und die Vorschriften über Ersatzmaßnahmen im Sinne des § 8 Abs. 9 BNatSchG (nur) anzuwenden sind, soweit der Bebauungsplan entsprechende Festsetzungen enthält. § 8 Abs. 3 BNatSchG ist dagegen nicht anzuwenden.

Mit dieser Regelung ist gegenüber der Rechtslage vor Inkrafttreten des § 8a BNatSchG zunächst in zwei Bereichen Klarheit geschaffen: (1.) Über Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für Eingriffe in Natur und Landschaft ist bereits im Bebauungsplan, also nicht erst im Baugenehmigungsverfahren zu entscheiden. (2.) Eine Verpflichtung zu Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen über die im Bebauungsplan getroffenen Festsetzungen hinaus besteht nicht. Der Bebauungsplan trifft dazu eine abschließende Regelung.

§ 8a Abs. 1 Satz 2 BNatSchG setzt voraus, daß Ausgleichsund Ersatzmaßnahmen durch planerische Festsetzungen getroffen werden können. Dies war auch vor Inkrafttreten des § 8a Abs. 1 BNatSchG unumstritten. Die Gemeinde verfügt insbesondere durch § 9 Abs. 1 Nrn. 15, 20 und 25 BauGB über die rechtliche Möglichkeit, Flächen als Ausgleichs- oder Ersatzflächen planerisch festzusetzen (vgl. auch BVerwG, Beschluß vom 27. Juli 1990 – BVerwG 4 B 156.89 – Buchholz 406.11 § 17 BauGB Nr. 4 = NVwZ 1991, 62 f.). Das vermag alsdann für den so betroffenen Eigentümer Ansprüche nach § 40 Abs. 1 BauGB auszulösen. § 8a Abs. 1 BNatSchG bestätigt diese gesetzgeberische Konzeption. Einen Vorbehalt, daß sich derartige Festsetzungen nicht auf “fremdes”, sondern nur auf gemeindeeigenes Grundeigentum beziehen dürfe, enthält das Gesetz nicht. Daß § 8a BNatSchG die Gemeinde nicht daran hindert, Ausgleich und Ersatz auch durch einen städtebaulichen Vertrag (§ 6 BauGBMaßnG) statt durch Festsetzungen im Bebauungsplan zu gewährleisten, bedarf hier keiner weiteren Erörterung (vgl. BVerwG, Beschluß vom 9. Mai 1997 – BVerwG 4 N 1.96 – ≪zur Veröffentlichung vorgesehen≫).

b) § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG verweist bei Bebauungsplänen, die Eingriffe in Natur und Landschaft erwarten lassen, für die Entscheidung über die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege auf das bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot in § 1 BauGB. Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, daß die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege keinen abstrakten Vorrang vor den in der Bauleitplanung zu berücksichtigenden anderen Belangen haben. Das gilt sowohl für die Vermeidung von Beeinträchtigungen als auch für den Ausgleich unvermeidbarer Beeinträchtigungen oder den Ersatz für nicht ausgleichbare Beeinträchtigungen. Vielmehr müssen sich die Belange von Naturschutz und Landschaftspflege mit den gegenläufigen Erfordernissen der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung messen lassen, und zwar entsprechend dem ihnen in der konkreten Planungssituation zukommenden Gewicht.

Gegenüber anderen öffentlichen, beispielhaft in § 1 Abs. 5 Satz 2 BauGB benannten Belangen haben die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege allerdings eine herausgehobene Bedeutung: In der Bauleitplanung ist nicht nur darüber zu entscheiden, ob sich die Eingriffe in Natur und Landschaft im Planbereich überhaupt rechtfertigen lassen, sondern auch darüber, ob und in welchem Umfang für – angesichts vorrangiger städtebaulicher Erfordernisse – unvermeidbare Beeinträchtigungen Ausgleich und Ersatz zu leisten ist. Das Besondere des § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG besteht darin, daß die in der Abwägung zu berücksichtigenden Naturschutzbelange über das Integritätsinteresse hinaus, falls dieses nicht gewahrt werden kann, auf das Kompensationsinteresse erweitert werden. § 8a BNatSchG verdeutlicht unter gleichzeitigem Verweis auf § 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG, daß beispielsweise die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts als Bestandteil der natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen ist (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 1 BauGB). Es ist der Auftrag der planenden Gemeinde, dem Kompensationsinteresse gerade schon planerisch nachzugehen. Deshalb betont der Gesetzgeber, daß die Belange der Natur und der Landschaftspflege bereits in der vorbereitenden Bauleitplanung Gegenstand planerischer Entscheidung sein müssen.

Damit wird die Gemeinde verpflichtet, in Wahrnehmung ihres Planungsauftrags nach § 1 Abs. 3 BauGB zugleich über ein Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmenkonzept für die Bewältigung der antizipierten Eingriffsfolgen zu entscheiden. Der Gesetzgeber will erreichen, daß auf den sich anbahnenden Konflikt unterschiedlicher Interessen konzeptionell geantwortet wird. In seiner Vorstellung ist damit eine effektivere Beachtung der Belange von Naturschutz und Landschaftspflege verbunden als es in einem “nachgeschalteten” Baugenehmigungsverfahren bei realistischer Betrachtungsweise noch der Fall sein könnte. Durch die “Vorverlagerung” der Entscheidung über ein Ausgleichskonzept in die Planungsphase sollen die Belange nicht geschwächt, sondern vielmehr gestärkt werden. Folgt man dieser gesetzgeberischen Zielsetzung, so erfährt das allgemeine bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot in § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG eine spezifisch fachrechtliche Anreicherung. Zwar wird die “abwägende” Struktur nicht geändert. Diese bleibt dadurch gekennzeichnet, daß das Gewicht der von der Planung berührten und in sie einzustellenden Belange in der konkreten Planungssituation zu ermitteln ist (Urteil vom 1. November 1974 – BVerwG 4 C 38.71 – BVerwGE 47, 144 ≪148≫; Beschluß vom 5. April 1993 – BVerwG 4 NB 3.91 – DVBl 1993, 662 ≪664≫). Gleichwohl verpflichtet § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG die Gemeinde, die von der Bauleitplanung berührten Naturschutzbelange in der Abwägung in spezifischer, nämlich den Kompensationsgedanken einschließender Weise zu behandeln.

Das bedeutet nicht, daß § 8a Abs. 1 BNatSchG Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege als solchen in der planerischen Abwägung abstrakt einen höheren Rang gegenüber anderen Belangen zuweist. Der Gesetzgeber will in § 8a Abs. 1 BNatSchG nicht die Grundprinzipien des § 1 BauGB verlassen. Er will vielmehr in das Abwägungskonzept des § 1 Abs. 5 und 6 BauGB die Berücksichtigung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege in der spezifischen Anreicherung um den Vermeidungs- und Kompensationsgrundsatz verfahrensmäßig und inhaltlich integriert sehen. Deshalb verpflichtet § 8a BNatSchG die Gemeinde, bei planerischen Eingriffen in Natur und Landschaft ein gesetzlich vorgeprägtes Entscheidungsprogramm abzuarbeiten und über ein Folgenbewältigungsprogramm abwägend zu entscheiden (ebenso OVG NW, Urteil vom 28. Juni 1995 – 7a D 44/94.NE –, DVBl 1996, 58). Damit die Belange von Natur und Landschaft möglichst effektiv zur Geltung kommen, erfordert die Entscheidung über ein Vermeidungs- und Folgenbewältigungsprogramm auf der Planungsebene eine differenzierende Betrachtung. Wie das Integritätsinteresse zu bewerten ist und welche Kompensation möglich ist, ergibt sich vor dem Hintergrund es § 1 Abs. 3 BauGB aus der konkreten Situation.

c) Danach ist es falsch oder zumindest mißverständlich, § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG als ein Optimierungsgebot zu bezeichnen. Eine derartige Zuordnung wird dem gesetzgeberischen Anliegen nicht gerecht. § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG schreibt nicht vor, daß die Belange von Natur und Landschaft unabhängig von ihrem Gewicht in der konkreten Situation und dem (Gegen-)Gewicht der anderen Belange zu optimieren seien. Das gesetzgeberische Anliegen ist ein anderes. § 8a Abs. 1 BNatSchG will die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung des § 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG einschließlich der landesrechtlichen Regelung gemäß § 8 Abs. 9 BNatSchG in die Bauleitplanung integrieren. Die in Bezug genommenen Regelungen sind “entsprechend” anzuwenden. Damit will der Gesetzgeber gerade einen strikten Anwendungsbefehl vermieden wissen, wie er insoweit im Planfeststellungsrecht gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 1997 – BVerwG 4 C 10.96 – ≪zur Veröffentlichung vorgesehen≫). Die Entstehungsgeschichte des § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG bestätigt diese Auslegung. Die Gesetz gewordene Formulierung beruht auf einer Beschlußempfehlung des federführenden Bundestagsausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, der klarstellen wollte, “daß sich die entsprechende Einbeziehung von Elementen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung … nach Abwägungsgrundsätzen vollziehen soll … und kein Optimierungsgebot enthält” (BTDrucks 12/4340, S. 26). Die Gegenauffassung, die sich zwar in dem vom Bundesrat formulierten Alternativvorschlag niederschlug (BRDrucks 82/93 Beschluß Nr. 10, Begründung S. 18), hat sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt. Daß die Bauleitplanung insoweit nicht an strikte Vorgaben gebunden ist, ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG, sondern auch daraus, daß § 8a Abs. 8 BNatSchG es für planfeststellungsersetzende Bebauungspläne (vgl. § 17 Abs. 3 FStrG) bei der (unmittelbaren) Anwendung des § 8 BNatSchG beläßt.

d) Diese Einbindung in § 1 BauGB bedeutet nicht, daß es planerischer Beliebigkeit überlassen ist, ob die in § 8 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 9 BNatSchG enthaltenen Gebote im Rahmen der Abwägung zur Geltung kommen.

aa) Dies verbietet bereits die verfassungsrechtliche Ausgangslage.

Planerische Festsetzungen sind Bestimmungen über Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG. Daraus folgt, daß Privatnützigkeit und auch faktische Verfügbarkeit von Grund und Boden einerseits und Sozialgebundenheit andererseits abwägungsrelevante Belange von erheblicher Bedeutung sind und bei der Planung gebührend berücksichtigt werden müssen (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Januar 1981 – BVerwG 4 C 4.78 – BVerwGE 61, 295, vom 11. Dezember 1981 – BVerwG 4 C 69.78 – BVerwGE 64, 270 und vom 12. Juli 1985 – BVerwG 4 C 40.83 – BVerwGE 72, 15). Diese Betrachtung gilt nicht nur für das Grundeigentum, auf dem der Eingriff in Natur und Landschaft mutmaßlich stattfinden wird. Sie gilt auch für jene Grundflächen, die als Ausgleichs- und Ersatzflächen in Betracht kommen. Mit einer entsprechenden Ausweisung ist in aller Regel eine Einschränkung der privaten Nutzungsmöglichkeiten verbunden. Dafür bedarf es gewichtiger Gründe. Diese müssen es rechtfertigen, daß die privaten Interessen der Eigentümer potentieller Ausgleichs- und Ersatzflächen zugunsten des Allgemeinwohls zurückgedrängt werden. Dies wirkt sich indes zugleich auch zugunsten der Privatnützigkeit des sog. Eingriffsgrundstücks aus. Dem Nutzen des einen Eigentümers entspricht das Opfer des anderen. Indem der Gesetzgeber dies mit § 8a Abs. 1 BNatSchG im Zusammenwirken mit § 1 Abs. 5 Satz 1 BauGB ermöglicht, trifft er eine gesetzliche Wertung dahin, daß auch die – grundsätzlich anzustrebende – Kompensation als Grund des Allgemeinwohls ein solches Gewicht hat, daß sie – für das sog. Ausgleichsgrundstück – eine dauerhafte Einschränkung der privaten Nutzung rechtfertigen kann.

Das Gewicht, das Belangen von Natur und Landschaft zukommt, zeigt sich auch in der verfassungsrechtlichen Wertung, die Art. 20a GG zugrunde liegt. Schutz und Entwicklung der natürlichen Lebensgrundlagen sind verfassungsrechtlich normierte Staatsziele (vgl. auch BVerwG, Beschluß vom 13. April 1995 – BVerwG 4 B 70.95 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 309 = DVBl 1995, 1008; Beschluß vom 21. September 1995 – BVerwG 4 B 263.94 – Buchholz 406.401 § 20 g BNatSchG Nr. 1). Darin eingeschlossen sind Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Die Verfassung normiert einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Es ist allgemein anerkannt, daß bei der planerischen Abwägung den Belangen, die den Schutz des Grundgesetzes genießen, ein dementsprechendes erhebliches Gewicht zukommt.

bb) § 8a Abs. 1 BNatSchG trägt diesen Wertungen Rechnung. Er stellt im Zusammenwirken mit § 1 Abs. 5 Satz 1 BauGB hohe Anforderungen an die Ermittlung und die Gewichtung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Er gibt der Gemeinde mit der Verweisung auf eine entsprechende Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG ein spezifisches, sowohl bauplanerisch als auch naturschutzrechtlich ausgerichtetes Modell der Konfliktbewältigung vor.

§ 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG verdeutlicht der planenden Gemeinde zunächst, daß die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei jedem Eingriff in Natur und Landschaft so nachteilig betroffen sind, daß – planerisch vorbeugend – stets Ermittlungen zur Vermeidung von Beeinträchtigungen und über Ausgleich und Ersatz sowie eine Einstellung der dabei gewonnenen Erkenntnisse in die Abwägung unerläßlich sind. § 8a Abs. 1 BNatSchG zeigt zudem auf, daß die im Eingriff liegende Beeinträchtigung von Natur und Landschaft, auch soweit sie unvermeidbar ist, um so schwerer wiegt, wenn Vermeidungs- und Kompensationsmaßnahmen unterbleiben. Wenn solche Maßnahmen möglich sind und – gerade auch mit Blick auf § 1 Abs. 3, 5 und 6 BauGB – keine unverhältnismäßigen Opfer erfordern, will § 8a Abs. 1 BNatSchG sie auch planerisch ausgewiesen wissen.

Mit der Integration des dem § 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG entlehnten Konfliktbewältigungsmodells in die bauleitplanerische Abwägung verweist § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG zugleich auf § 1 Abs. 5 Satz 1 BauGB. Damit schlagen die in § 8a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG konkretisierten Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege in der Abwägung mit erheblichem Gewicht zu Buche. Der Gesetzgeber hat in § 1 Abs. 5 Satz 1 BauGB von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, durch Gewichtungsvorgaben auf den Abwägungsvorgang steuernden Einfluß zu nehmen. Danach sollen die Bauleitpläne u.a. dazu beitragen, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln. In diesem Punkt trifft sich das Bauplanungsrecht mit den in § 1 Abs. 1 BNatSchG formulierten Anforderungen des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Der Gemeinde werden durch § 1 Abs. 5 Satz 1 BauGB Ziele vorgegeben, die in der Abwägung zwar nicht von vornherein unüberwindbar sind, denen nach der programmatischen Wertung des Gesetzgebers jedoch erkennbar ein erhöhtes inneres Gewicht zukommen soll. In diesem Sinne konkretisiert § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG für den Fall zu erwartender Eingriffe in Natur und Landschaft eines der programmatischen Hauptziele jeder Bauleitplanung.

§ 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG sichert damit den durch die Eingriffsregelung geschützten Belangen eine im Vergleich mit dem früheren Rechtszustand höhere Durchsetzungskraft, indem die Vorschrift – wie ausgeführt – den Kreis der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege ausdrücklich auf die in § 8 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 9 BNatSchG genannten Maßnahmen erstreckt. Die stärkere Beachtung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege korrespondiert mit der in § 8 Abs. 1 BNatSchG umschriebenen Eingriffslage. § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG behandelt eine vom Gesetzgeber selbst als schwerwiegend beurteilte Beeinträchtigung der naturhaften Umwelt. Aus dieser Wechselbezüglichkeit zwischen Eingriffslage und Beachtungsgebot hat die Gemeinde Folgerungen für das in der Abwägung zu realisierende Gewicht der Belange zu ziehen:

e) Die Gemeinde hat zu prüfen, ob aufgrund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne des § 8 Abs. 1 BNatSchG zu erwarten sind. Hierbei darf sie nicht stehenbleiben. Sie hat ganz allgemein der Frage nach dem vorfindlichen Zustand von Natur und Landschaft und damit dem berührten Integritätsinteresse nachzugehen. Sie hat ferner Erwägungen darüber anzustellen, ob und wie sich die festgestellten voraussichtlichen Eingriffsfolgen sachgemäß bewältigen lassen. Das in § 8a Abs. 1 BNatSchG normierte Erwägungs- und Kompensationskonzept soll dazu einen steuernden Einfluß auf die Bauleitplanung nehmen. Trägt die Gemeinde diesen Pflichten weder bei der Informationsgewinnung noch bei der Beachtung von Planungsalternativen hinreichend Rechnung, liegt hierin ein Ermittlungsdefizit.

Kommt die Gemeinde aufgrund der gebotenen Untersuchungen zu der Erkenntnis, daß sich die von der Planverwirklichung zu erwartenden Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen Gegebenheiten vermeiden oder durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen mindern oder kompensieren lassen, so hat sie diesen Umstand in ihre Abwägung einzustellen.

f) Läßt sich die Gemeinde nicht von der normativen Wertung des § 1 Abs. 5 Satz 1 BauGB in Verbindung mit § 8a Abs. 1 BNatSchG leiten, so verfehlt sie das Gebot, die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege unter Einschluß der in § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG genannten Kompensationsmaßnahmen mit dem Gewicht in die Abwägung einzustellen, das ihnen objektiv zukommt. Eine Zurückstellung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege kommt folglich nur zugunsten entsprechend gewichtiger anderer Belange in Betracht. Dies bedarf besonderer Rechtfertigung. Die Gemeinde muß die Belange, die sie für vorzugswürdig hält, präzise benennen. Sie hat, auch wenn sie diese gegenläufigen Belange zu Recht als gewichtig einschätzen darf, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen. Läßt die Verwirklichung ihrer Planung Eingriffe in Natur und Landschaft erwarten, so hat sie demgemäß zu prüfen, ob das planerische Ziel auf andere Weise mit geringerer Eingriffsintensität erreichbar ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Dezember 1978 – BVerwG 4 C 13.78 – Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 8 und vom 22. März 1985 – BVerwG 4 C 15.83 – BVerwGE 71, 166). Auch der in § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG genannte Belang darf gegenüber kollidierenden Belangen nicht weiter als erforderlich zurückgestellt werden.

III.

Eine Zurückverweisung der Sache nach § 47 Abs. 7 Satz 6 VwGO a.F. kommt nicht in Betracht, da das Normenkontrollgericht die Rechtsfrage nach der rechtlichen Qualität des § 8a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG im Ergebnis ebenso wie der Senat entschieden hat. Die vom Normenkontrollgericht getroffenen Feststellungen ergeben auch nichts dafür, daß die sich aus der Anwendung der Eingriffsregelung ergebende objektive Gewichtigkeit der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege von der Gemeinde verkannt worden ist und der in der Abwägung getroffene Ausgleich dazu außer Verhältnis steht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten hat der Antragsteller selbst zu tragen, da seiner Nichtvorlagebeschwerde ungeachtet der Zulässigkeit und Begründetheit letztlich der Erfolg versagt war (vgl. auch BVerwG, Beschluß vom 17. Mai 1995 – BVerwG 4 NB 30.94). Gerichtskosten werden nicht erhoben, da die Nichtvorlagebeschwerde weder verworfen noch zurückgewiesen worden ist (§ 11 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 2502 KV ≪Anlage 1≫).

 

Unterschriften

Gaentzsch, Hien, Heeren, Halama, Rojahn

 

Fundstellen

Haufe-Index 1440715

BVerwGE, 68

DÖV 1998, 128

BRS 1997, 30

BRS 1998, 30

DVBl. 1997, 1112

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