Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorbehaltene Arbeiten. Bauherr. Anschlußrevision

 

Orientierungssatz

1. Hat sich der Bauherr eines Mehrfamilienhauses vorbehalten, daß Arbeiten, "die man selber machen kann", aus dem Werkvertrag mit dem beauftragten Bauunternehmen wieder herausgenommen werden können, um sie selbst auszuführen, dann ist er bei der Erledigung dieser Arbeiten weder als Arbeitnehmer (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) für das Bauunternehmen tätig noch handelt er wie ein solcher (§ 539 Abs 2 RVO). Durch die Herausnahme von Arbeiten aus dem ursprünglich erteilten Auftrag wird er vielmehr mit den von ihm erwünschten und vereinbarten wirtschaftlichen Folgen in begrenztem Rahmen als Bauherr - und damit als Unternehmer - tätig.

2. Die Anschließung an die Revision setzt - im Gegensatz zur Berufung - eine Beschwer im Anspruch des Anschließungsklägers durch das angefochtene Urteil voraus (vgl BSG 11.12.1973 2 RU 114/71 = BSGE 37, 28, 33).

 

Normenkette

RVO § 539 Abs 1 Nr 1; RVO § 539 Abs 2; SGG § 160

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 14.09.1984; Aktenzeichen L 2 U 376/81)

SG Kassel (Entscheidung vom 12.02.1981; Aktenzeichen S 3 U 60/79)

 

Tatbestand

Der Kläger erstrebt Leistungen wegen der Folgen seines Unfalles am 9. September 1978. Er ist, ebenso wie das Sozialgericht -SG- (Urteil vom 12. Februar 1981), der Auffassung, daß er einen Arbeitsunfall erlitt. Das Landessozialgericht -LSG- (Urteil vom 14. September 1984) hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger als Bauherr verunglückt sei. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger errichtete im Jahre 1978 ein Mehrfamilienhaus. Die Rohbauarbeiten wurden an einen Bauunternehmer vergeben und dabei vereinbart, daß der Kläger und seine Angehörigen einfache Arbeiten, "die man selber machen konnte", als Eigenleistung erbringen durften. Dafür wurden Arbeitslohn zuzüglich Sozialabgaben von der Rechnung abgesetzt. Diese Arbeiten wurden aufgezeichnet bzw die nach Feierabend geleisteten Arbeitsstunden vom Polier notiert.

Der Kläger verunglückte beim Verschmieren von Heizungsschlitzen schwer. Diese Arbeiten führte er vereinbarungsgemäß aus, weil am Unfalltage - im Ort war Kirmes - Besucher auf der Baustelle erwartet wurden.

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung ab, der Kläger sei als nicht gewerbsmäßiger Bauunternehmer tätig gewesen. Selbsthilfearbeiten (§ 539 Abs 1 Nr 15 der Reichsversicherungsordnung -RVO-) habe er wegen der Größe des Bauvorhabens nicht verrichten können; er sei auch nicht wie ein Versicherter (§ 539 Abs 2 RVO) tätig geworden, sondern im "ureigensten Interessenbereich" (Bescheid vom 22. Januar 1979). Dem Widerspruch des Klägers half sie nicht ab (Widerspruchsbescheid vom 19. April 1979).

Im Urteil des SG heißt es, der Kläger sei "eindeutig" wie ein Arbeitnehmer für das Bauunternehmen tätig geworden, weil er den Lohn eines Maurers gutgeschrieben erhalten sollte. Demgegenüber ist das LSG zu der Überzeugung gelangt, daß der Kläger weder bei einer abhängigen Beschäftigung (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) noch bei einer arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit, sondern vielmehr als Bauherr und Unternehmer verunglückt sei. Dies ergebe sich vor allem aus den getroffenen Vereinbarungen, wonach der Kläger einfache Arbeiten gegen Abzug von der Unternehmerrechnung als Eigenleistung vorbehalten habe.

Die Revision meint, der Kläger sei nicht als Unternehmer anzusehen, der Eigenleistungen erbracht habe. Ihm hätten wesentliche Merkmale und Eigenschaften eines Unternehmers gefehlt. Vielmehr sei er, wie die Feststellungen im angefochtenen Urteil zeigten, unter der Aufsicht der Arbeiter bzw des Poliers des Bauunternehmers tätig geworden und habe entsprechenden Lohn vergütet erhalten, so daß er als Arbeitnehmer gearbeitet habe und verunglückt sei. Jedenfalls sei er wie ein Versicherter beschäftigt gewesen, zumal da er sich am Unfalltage verpflichtet habe, eine bestimmte Tätigkeit zu verrichten.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. September 1984 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 12. Februar 1981 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen und im Wege der Anschlußrevision hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Sie vertritt die Auffassung, daß der Kläger als Bauherr verunglückt und folglich nicht versichert gewesen sei. Seinem Meldebogen vom 20. Mai 1978, welchen das LSG verfahrenswidrig nicht mitverwertet habe, sei zu entnehmen, daß er sich ganze Gewerke zur Eigenleistung vorbehalten habe. Die Abrechnungsweise mit dem Bauunternehmer zeige ebenfalls die Merkmale einer Eigenleistung des Klägers.

Der Kläger beantragt, die Anschlußrevision zu verwerfen, da sie nur vorsorglich erhoben worden sei und das angefochtene Urteil sowie die darin enthaltenen Feststellungen die Beklagte nicht beschwerten. Im übrigen habe das LSG gegen § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verstoßen, weil es eine Erklärung des Bauunternehmers gegenüber einem Bediensteten der Beklagten nicht berücksichtigt habe.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet, die Anschlußrevision der Beklagten unzulässig.

Nach den Feststellungen des LSG, an welche der Senat gebunden ist, weil insoweit in Bezug auf sie zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht sind (§ 163 SGG), ist der Kläger weder als Arbeitnehmer (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) noch wie ein solcher Versicherter (§ 539 Abs 2) versichert gewesen. Die Annahme der Revision, der Kläger sei als Beschäftigter des Bauunternehmens anzusehen, scheitert aus denselben Gründen, welche hier dem Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO, der bisher allein Gegenstand ausführlicher Erörterung im sozialgerichtlichen Verfahren gewesen ist, entgegenstehen.

SG, LSG und die Verfahrensbeteiligten haben von Anfang an geprüft, ob der Kläger als Bauherr - und damit als Unternehmer - oder wie ein im Betriebe des Bauunternehmers Beschäftigter (§ 539 Abs 2 RVO) verunglückte. Verunglückte er nämlich bei der Erledigung von Angelegenheiten als Bauherr und Unternehmer (s § 658 Abs 2 Nr 1 RVO), war eine Versicherung nach § 539 Abs 2 RVO ausgeschlossen; denn eine nach § 539 Abs 2 RVO versicherte Tätigkeit erfordert, daß sie unter solchen Umständen geleistet wird, daß sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) ähnlich ist (vgl zB BSG SozR 2200 § 539 Nr 2; Urteil vom 31. Mai 1978 - 2 RU 27/67 -; Urteil vom 4. November 1981 - 2 RU 93/80 -; Urteile vom 19. Mai 1983 - 2 RU 55/82 - und vom 30. August 1984 - 2 RU 60/83 -).

Danach kommt das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses unter den Voraussetzungen des § 539 Abs 2 RVO nur in Betracht, wenn der Kläger wie ein Versicherter im fremden Unternehmen tätig geworden ist (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, S 476u). Hierzu genügt nicht, daß seine Tätigkeit dem Interesse des Bauunternehmers gedient hat, weil sie erforderlich oder nützlich war. Dieser Gesichtspunkt reicht nicht aus, um den notwendigen inneren Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Tätigkeit des Klägers und dem anderen Betrieb anzunehmen. Der Senat hat von Anfang an entschieden, daß nicht jede Arbeit, die zugleich den Zwecken eines anderen Unternehmens dient, auch in diesem Unternehmen verrichtet zu werden braucht (BSGE 5, 168, 174; 7, 195, 198; Urteil vom 4. November 1981 - 2 RU 53/81 -; Urteil vom 19. Mai 1983 - 2 RU 55/82 -). Vielmehr ist es, insbesondere beim Zusammenwirken mehrerer Unternehmer - wie hier des Klägers als Bauherrn mit dem Bauunternehmen -, sehr wohl möglich, daß eine für mehrere Unternehmen nützliche Tätigkeit nur im Rahmen eines der Betriebe geleistet wird (Brackmann aaO, S 475q, 476h). Dies gilt nicht nur, wenn ein Unternehmer tätig wird und dabei lediglich zwangsläufig gleichzeitig den Zweck eines anderen Unternehmens fördert. Der Senat hat entschieden, daß auch ein abhängig Beschäftigter, welcher die Interessen eines weiteren Unternehmens fördert, ausschließlich in seinem Stammbetrieb tätig sein kann (BSGE 43, 65, 67; Urteil vom 4. November 1981 - 2 RU 53/81 -).

Infolgedessen ist der auch im Rahmen von § 539 Abs 2 RVO erforderliche innere Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Tätigkeit und dem betreffenden Betrieb nicht schon dadurch gegeben, daß die Tätigkeit auch den Zwecken oder Interessen des anderen Unternehmens dient. Vielmehr muß diese Beziehung - darüber hinaus - rechtlich wesentlich sein (Brackmann aaO, S 476e). Ob dies der Fall ist, richtet sich, wenn vertragliche Beziehungen vorhanden sind, grundsätzlich nach deren Inhalt (BSGE 7, 195, 197; BSG SozR 2200 § 539 Nr 25 = SGb 1977, 312, 313 mit zustimmender Anmerkung von Freitag; Urteile des BSG vom 4. November 1981, 19. Mai 1982 und 30. August 1984 aaO; Brackmann aaO, S 476h f). Hiervon ist das LSG zutreffend ausgegangen. Es hat die Vertragsbeziehungen der beiden Unternehmer - des Klägers als Bauherren und des Bauunternehmers - untersucht und danach die Frage - richtig - beantwortet, ob der Kläger versichert war.

Das LSG hat aus wohlerwogenen Gründen angenommen, Sinn der Vereinbarungen betreffend die Arbeiten des Klägers an seinem Bau sei es gewesen, "die in Rede stehenden Arbeiten nachträglich wieder aus der Auftragserteilung" auszuklammern (Seite 9, s auch Seite 11). Diese Gestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen dem Kläger und dem Bauunternehmen hat das LSG folgerichtig und rechtlich zwingend gedeutet. Sie bedeutet auf der einen Seite, daß Arbeiten, "die man selber machen konnte", aus dem Werkvertrag wieder herausgenommen werden konnten, wenn der Klägers sie selbst ausführen wollte. Auf der anderen Seite ist damit klargestellt, daß der Kläger gerade nicht für das Bauunternehmen tätig wurde, wenn er solche Arbeiten erledigte; denn insoweit fehlte es dem Bauunternehmen infolge der Herausnahme aus dem ursprünglich erteilten Auftrag an einer rechtlichen Verpflichtung und Berechtigung, die Arbeiten durchzuführen. Vielmehr wurden die Tätigkeiten im alleinigen Verantwortungsbereich des Klägers vorgenommen. Damit steht ferner fest, daß der Kläger weder als Arbeitnehmer (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) für das Bauunternehmen tätig geworden ist noch wie ein solcher gehandelt hat (§ 539 Abs 2 RVO). Vielmehr erlaubte die Herausnahme von Arbeiten aus dem ursprünglich erteilten Auftrag, daß der Kläger mit den von ihm erwünschten und vereinbarten wirtschaftlichen Folgen in begrenztem Rahmen als Bauherr - und damit als Unternehmer - selbst Hand anlegte. Die von der Revision zitierten Ausführungen des Bauunternehmers beinhalten eine abweichende Rechtsauffassung, an die auch das LSG nicht gebunden war, so daß die erhobene Sachaufklärungsrüge unbegründet ist. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt von dem, der dem von der Revision zitierten Urteil des 9b Senats vom 24. Juli 1985 - 9b RU 6/85 - zugrunde gelegen hat.

Die Revision des Klägers war zurückzuweisen.

Die - im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich mögliche - Anschlußrevision der Beklagten mußte verworfen werden. Die Anschließung an die Revision setzt - im Gegensatz zur Berufung - eine Beschwer im Anspruch des Anschließungsklägers durch das angefochtene Urteil voraus (BSGE 37, 28, 33). Hieran fehlt es; denn das LSG hat die Klage ohne Einschränkung abgewiesen. Daher fehlte es an den Voraussetzungen für eine zulässige selbständige Revision der Beklagten. Die Anschlußrevision ist ebenfalls nur unter dieser Voraussetzung zugelassen (BSG wie zuvor). Die Beklagte hätte den behaupteten Mangel bei der Überzeugungsbildung des LSG innerhalb ihres Gegenvorbringens geltend machen können und müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665241

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