Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsbeschränkung bei Hilfeleistung (Erntehilfe) für einen weiteren Unternehmer nach § 636 Abs 2 RVO

 

Orientierungssatz

1. Nicht jede Arbeit, die zugleich den Zwecken eines anderen Unternehmens dient, braucht auch in diesem Unternehmen verrichtet zu werden. Ein innerer ursächlicher Zusammenhang und damit auch Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO ist nicht schon immer dann gegeben, wenn eine Tätigkeit auch den Zwecken oder Interessen eines (weiteren) Unternehmens dient. Erforderlich ist vielmehr eine innere Beziehung zwischen der Tätigkeit und dem Unternehmen, die auch rechtlich wesentlich ist.

2. Erledigt ein Unternehmer oder sein Beschäftigter oder eine wie ein Beschäftigter tätige Person Arbeiten im Rahmen des Aufgabenkreises des eigenen Unternehmens, so wird er nicht dadurch gleichzeitig Beschäftigter eines weiteren Unternehmers, wenn dieser im eigenen oder fremden Interesse mit Anweisungen eingreift.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs 2 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 17.12.1980; Aktenzeichen L 4 U 36/78)

SG Schleswig (Entscheidung vom 08.11.1977; Aktenzeichen S 2 U 99/74)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger bei seinem Unfall am 21. September 1969 außer im Betrieb seines Vaters auch Beschäftigter eines weiteren Unternehmens (§ 636 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung -RVO-), nämlich des Beigeladenen, war.

Der Vater des Klägers und der Beigeladene waren Landwirte und Mitglieder der Beklagten. Am Tage vor dem Unfall begann der Beigeladene vereinbarungsgemäß mit der Ernte auf einem Möhrenfeld des väterlichen Unternehmens des Klägers. Dabei setzte er die von ihm bediente Erntemaschine und einen Trecker ein, den der Sohn des Beigeladenen steuerte. Infolge der Unsauberkeit des Feldes kam es an der Erntemaschine zu Verstopfungen. Um dadurch bedingte Unterbrechungen der Erntearbeiten zu vermeiden, half der Vater des Klägers an der Maschine. Als er seinen Trecker fahren mußte, erreichte er bei dem Beigeladenen, daß der damals 13jährige Kläger an seiner Stelle die Arbeiten an der Erntemaschine verrichten durfte. Hierbei kam es zu dem Unfall, bei dem der Kläger sich eine Querschnittslähmung ab C 5 zuzog. Er erhält von der Beklagten ua die Vollrente und Pflegegeld, weil der Unfall sich im Unternehmen des Vaters des Klägers ereignete.

In einem Zivilrechtsstreit nimmt der Kläger den Beigeladenen auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch.

Auf Antrag des Beigeladenen erteilte die Beklagte am 27. September 1974 den nunmehr angefochtenen Bescheid, mit welchem sie den Unfall am 21. September 1969 auch dem Unternehmen des Beigeladenen zuordnete. Diesen Bescheid hat das Sozialgericht (SG) aufgehoben (Urteil vom 8. November 1977), weil der Kläger weder ständig (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) noch wie ein Versicherter (§ 539 Abs 2 RVO) im Unternehmen des Beigeladenen gearbeitet habe. Eine Mitarbeit des Klägers im Unternehmen des Beigeladenen habe nicht dem Willen des Beigeladenen entsprochen. Der Kläger habe die Hilfeleistungen anstelle seines Vaters für dessen Unternehmen und auf dessen Weisung erbracht. Es sei auch gar nicht Sache des Beigeladenen gewesen, die störenden Kräuter zu entfernen. Dieses Urteil hat das Landessozialgericht (LSG) am 17. Dezember 1980 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 27. September 1974 abgewiesen. Die Hilfeleistung des Klägers an der Erntemaschine des Beigeladenen habe - zumindest auch - im Interesse des Beigeladenen gelegen und sei mit dessen Einverständnis erfolgt; der innere ursächliche Zusammenhang der Hilfstätigkeit des Klägers mit dem Unternehmen des Beigeladenen sei gegeben.

Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Aufhebung des Bescheides vom 27. September 1974 weiter. Eine Beschränkung der Haftpflicht gemäß § 636 Abs 2 iVm Abs 1 RVO zugunsten des Beigeladenen sei hier nicht gegeben, weil er am Unfalltage nicht auch Beschäftigter im Unternehmen des Beigeladenen gewesen sei.

Er beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom

17. Dezember 1980 aufzuheben und die Berufung des

Beigeladenen gegen das Urteil des SG Schleswig vom

8. November 1977 zurückzuweisen.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Aus den den Hilfstätigkeiten des Klägers zugrundeliegenden Vereinbarungen und Weisungen sowie dem Arbeitsablauf ergibt sich nach ihrer Auffassung, daß der Kläger den Unfall auch im Unternehmen des Beigeladenen erlitten hat.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.

Nach der Rechtsprechung des BSG konnte die Beklagte in einem Bescheid darüber entscheiden, welchem Unternehmen die unfallbringende Tätigkeit gedient hat (BSGE 17, 153). Aufgrund der bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG ist dem Senat jedoch eine abschließende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht möglich.

Daß der Kläger am 20./21. September 1969 nicht als Arbeitnehmer im Betrieb des Beigeladenen tätig geworden ist, weil er nicht in einem Arbeitsverhältnis zu diesem Unternehmen gestanden hat, ist vom LSG zutreffend ausgeführt worden und auch unter den Beteiligten unstreitig. Daher ist das LSG mit Recht der Frage nachgegangen, ob der Kläger nach § 539 Abs 2 RVO wie ein Versicherter auch im Unternehmen des Beigeladenen tätig geworden ist. Es hat diese Vorschrift jedoch nicht richtig angewendet.

Für die Anwendung des § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO kommt es darauf an, daß es sich um eine ernstliche, dem in Frage stehenden Unternehmen dienende Tätigkeit handelt, die dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und durch diese Tätigkeit ein innerer ursächlicher Zusammenhang mit dem Unternehmen hergestellt wird (BSGE 5, 168; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 9. Aufl, S 475 m ff mwN). Ein persönliches oder wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis des Tätigwerdenden zu dem weiteren Unternehmer braucht nicht vorzuliegen.

Das LSG geht davon aus, daß die Tätigkeit des Klägers dem Interesse des Unternehmens des Beigeladenen gedient habe, weil sie hierfür wirtschaftlich nützlich war. Dieser Gesichtspunkt reicht hier allein nicht aus, um einen inneren ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers mit dem Betrieb des Beigeladenen anzunehmen. Der Senat hat bereits in seinen Urteilen vom 28. Mai 1957 (BSGE 5, 168, 174) und vom 20. Mai 1958 (BSGE 7, 195, 198) entschieden, daß nicht jede Arbeit, die zugleich den Zwecken eines anderen Unternehmens dient, auch in diesem Unternehmen verrichtet zu werden braucht. Vielmehr ist es, insbesondere beim Zusammenwirken mehrerer Unternehmer, sehr wohl möglich, daß eine für mehrere Unternehmen nützliche Tätigkeit nur im Rahmen eines der Betriebe geleistet wird (Brackmann aaO S 475q, 476h). Dies gilt nicht nur, wenn ein Unternehmer tätig wird und dabei gleichzeitig den Zweck eines anderen Unternehmens fördert. Der Senat hat auch entschieden (BSGE 43, 65, 67), daß ein abhängig Beschäftigter, welcher die Interessen eines weiteren Unternehmens fördert, ausschließlich in seinem Stammbetrieb tätig sein kann. Infolgedessen ist ein innerer ursächlicher Zusammenhang und damit auch Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO nicht schon immer dann gegeben, wenn eine Tätigkeit auch den Zwecken oder Interessen eines (weiteren) Unternehmens dient. Erforderlich ist vielmehr eine innere Beziehung zwischen der Tätigkeit und dem Unternehmen, die auch rechtlich wesentlich ist (Brackmann aaO S 476e). An diesem ursächlichen Zusammenhang kann es fehlen, weil die Tätigkeit des Unternehmers dem eigenen Unternehmen oder die Tätigkeit des Beschäftigten dem Stammunternehmen, in dem er beschäftigt ist, oder die Tätigkeit wie ein Beschäftigter dem Unternehmen, für das er wie ein Beschäftigter tätig wird, wesentlich dient und nicht dem fremden Unternehmen. Ob eine rechtlich wesentlich innere Beziehung gegeben ist, richtet sich, wenn vertragliche Vereinbarungen vorhanden sind, nach deren Inhalt (vgl BSGE 7, 195, 197; BSG SozR 2200 § 539 Nr 25 = SGb 1977 S 312, 313 mit zustimmender Anmerkung von Freitag; Brackmann aaO S 476h f). Vereinbaren beispielsweise zwei Unternehmer, daß ein Werk arbeitsteilig mit einem eigenen Aufgabenkreis für jeden von beiden gefertigt werden soll, so kann ein Beschäftigter, der ausschließlich in dem Bereich seines Stammunternehmens tätig wird, dabei nicht gleichzeitig "Beschäftigter eines weiteren Unternehmers" sein oder ein wie ein Beschäftigter für ein Unternehmen Tätiger mit dieser Beschäftigung nicht zugleich wie ein Beschäftigter für ein anderes Unternehmen tätig sein. Anders ist dies zu beurteilen, wenn ein Unternehmer entweder sich selbst oder einen Beschäftigten oder eine andere, wie ein Beschäftigter tätige Person zu einer Hilfeleistung zur Verfügung stellt, welche in dem Verantwortungsbereich eines anderen zu erledigen ist (BSG SozR 2200 § 539 Nr 25; BGH BG 1972, 31, 32 = LM § 636 RVO Nr 5 und LM aaO Nr 13 = VersR 1978, 150). Erledigt ein Unternehmer oder sein Beschäftigter oder eine wie ein Beschäftigter tätige Person Arbeiten im Rahmen des Aufgabenkreises des eigenen Unternehmens, so wird die beschriebene Rechtslage nicht dadurch verändert, daß ein weiterer Unternehmer im eigenen oder fremden Interesse mit Anweisungen eingreift. Dies ist beim zielgerichteten Zusammenwirken mehrerer Unternehmen ohnehin nicht immer zu vermeiden (vgl zB BGH LM § 898 RVO Nr 27 = VersR 1965, 457, 458) und kann sogar im Interesse vertragsgemäßen Verhaltens - zB der Schadensabwendung - geboten sein. Soweit das LSG für das von ihm gewonnene Ergebnis geltend macht, der Kläger hätte bei den mit dem Einsatz der Erntemaschine zusammenhängenden Arbeiten den Weisungen des Beigeladenen Folge leisten müssen, rechtfertigt dies somit keine andere rechtliche Beurteilung. Hätten nämlich die vom Kläger erledigten Arbeiten an der Erntemaschine ausschließlich im vereinbarten Aufgabenkreis des Vaters des Klägers gelegen, so wären die Anweisungen des Beigeladenen in dem beschriebenen Rahmen zu werten und nicht als Anzeichen für den inneren Zusammenhang der Arbeiten des Klägers mit dem Unternehmen des Beigeladenen.

Das Urteil des LSG enthält nicht genügend Feststellungen, um eine abschließende Entscheidung zu treffen. Dem Urteil ist insbesondere nicht zu entnehmen, in wessen Aufgabenkreis die Tätigkeiten des Klägers fielen. War die Vereinbarung zwischen den Unternehmern dahin zu verstehen, daß der Beigeladene nur die von ihm selbst mit der Erntemaschine und von seinem Sohn mit dem Trecker zu erledigenden Arbeiten im eigenen Verantwortungsbereich verrichten sollte, so hätte der Kläger Hilfstätigkeiten im Aufgabenbereich des väterlichen Unternehmens ausgeführt. Hätte es der Beigeladene dagegen zB im Rahmen des Werkvertrages übernommen, das Feld, "wie es liegt und steht", abzuernten, so fiel auch das Beseitigen arbeitshemmenden Unkrauts in seinen alleinigen Aufgabenkreis. In diesem Fall wäre der Kläger auch in seinem Unternehmen beschäftigt gewesen.

Es ist ferner denkbar, daß der Kläger zwar die Beseitigung des Unkrautes im väterlichen Betrieb vornahm, dennoch aber im Zeitpunkt des Unfalles gemäß § 539 Abs 2 RVO wie ein Versicherter für den Beigeladenen tätig war. Das wäre der Fall, wenn er bei einer Verrichtung verunglückt wäre, welche über den im väterlichen Betrieb liegenden Aufgabenkreis hinausging, wenn der Unfall sich also nicht beim Beseitigen des Unkrautes ereignete, sondern vielmehr bei einer Hilfstätigkeit für den Beigeladenen. Zu dieser Vermutung gibt das Vorbringen des Beigeladenen in seiner gegenüber dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht (OLG) am 30. Mai 1974 gegebenen Unfalldarstellung Anlaß. Danach soll der Unfall sich etwa 1,5 m entfernt von dem Arbeitsplatz des Klägers an der Erntemaschine ereignet haben. Sollte sich herausstellen, daß der Kläger im Aufgabenbereich des Beigeladenen unter den sonstigen Voraussetzungen des § 539 Abs 2 RVO tätig geworden ist, so könnte er wie ein Beschäftigter eines weiteren Unternehmers tätig gewesen sein.

Das LSG wird die fehlenden Feststellungen nachholen müssen. Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückverwiesen werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661263

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