Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld für Studenten. objektive Verfügbarkeit und Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme. objektive Verfügbarkeit. Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes als Ermessensakt. Nachschieben von Gründen

 

Orientierungssatz

1. Betreibt ein Student sein Studium derart, daß er nicht in der Lage ist, daneben eine maßstäbliche Arbeitnehmertätigkeit von mehr als kurzzeitigem Umfang auszuüben, steht er der Arbeitsvermittlung iS von § 103 AFG objektiv nicht zur Verfügung.

2. Der ordentlich immatrikulierte Student kann die ihm wegen seines Hochschulstudiums fehlende objektive Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung iS von § 103 AFG nicht dadurch herstellen, daß er bereit ist, das Studium im Falle eines zumutbaren Arbeitsangebotes abzubrechen.

3. Objektive Verfügbarkeit bedeutet, daß der Arbeitslose durch nichts gehindert sein darf, ohne Verzug eine gemäß § 103 AFG zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Er muß sich der Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamtes aktuell zur Verfügung halten (vgl BSG vom 21.7.1977 - 7 RAr 38/76 = BSGE 44, 188, 189 = SozR 4100 § 103 Nr 8).

4. Läßt sich die Rücknahme eines Bescheides für die Vergangenheit nur auf andere Gründe als die stützen, die die Verwaltung bisher angenommen hat, wird sich der Rücknahmebescheid häufig wegen nicht ausreichender Ermessensbetätigung als rechtswidrig erweisen; denn ein Nachschieben von Ermessensgründen ist nach Erlaß des Widerspruchsbescheides nicht mehr möglich (§§ 41 Abs 2, 35 Abs 1 SGB 10); dennoch ist es in Fällen der vorliegenden Art wegen der Rechtskraftwirkung aus prozeßökonomischen Gründen untunlich, den angefochtenen Rücknahmebescheid allein wegen unterbliebener Ermessensausübung aufzuheben, bevor abschließend geklärt ist, ob die Verwaltung die begünstigenden Verwaltungsakte für die Vergangenheit zurücknehmen darf (vgl BSG vom 24.2.1987 - 11b RAr 35/85 = SozR 1300 § 48 Nr 30).

 

Normenkette

AFG § 103 Abs 1 S 1 Nr 1 Fassung: 1981-12-22, § 103 Abs 1 S 1 Nr 2 Fassung: 1981-12-22, § 118a; SGB 10 § 45 Abs 1, § 45 Abs 2, § 45 Abs 4 S 1, § 41 Abs 2, § 35 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 23.01.1986; Aktenzeichen L 9 Ar 15/85)

SG Köln (Entscheidung vom 28.11.1984; Aktenzeichen S 9 Ar 87/83)

 

Tatbestand

Streitig ist die Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg).

Der 1948 geborene Kläger, ein promovierter Diplom-Biologe, war von 1979 bis zum 31. Dezember 1982 als wissenschaftlicher Angestellter an der Universität B. beschäftigt. Zum Wintersemester 1982/83 hatte er sich im Fach Pharmazie an der Universität immatrikulieren lassen. Dieses Studium brach der Kläger ohne Abschluß ab, als sich ihm die erstrebte Beschäftigung als Pharma-Berater bot, als der er seit dem 1. Oktober 1984 tätig ist.

Am 15. Dezember 1982 meldete sich der Kläger zum 1. Januar 1983 arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte Alg ab 1. Januar 1983 für 312 Wochentage in Höhe von 363,-- DM wöchentlich; der Bemessung liegt ein wöchentliches Arbeitsentgelt von 955,-- DM und die Leistungsgruppe A zugrunde (Verfügung vom 12./13. Januar 1983). Mit Verfügung vom 18./19. Januar 1983 veranlaßte die Beklagte die Beendigung der Leistung; ab wann die Beendigung verfügt und ob dem Kläger hierüber ein Bescheid erteilt worden ist, hat das Landessozialgericht (LSG) nicht festgestellt. Durch den hier angefochtenen Bescheid vom 15. Februar 1983, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 9. März 1983, hob die Beklagte die Bewilligung ab 13. Januar 1983 auf. Zur Begründung gab sie an, die Leistungsvoraussetzungen hätten nicht vorgelegen. Der Anspruch auf Alg ruhe, weil der Kläger als ordentlicher Studierender eine Hochschule besuche. Die Entscheidung beruhe auf § 118a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und § 45 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10).

Die auf Aufhebung des Bescheides vom 15. Februar 1983 sowie des Widerspruchsbescheides und der Verurteilung der Beklagten, Alg ab 1. Januar 1983 zu zahlen, gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Auf die Berufung des Klägers hat das LSG das klagabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 28. November 1984 geändert und den Bescheid der Beklagten vom 15. Februar 1983 idF des Widerspruchsbescheides vom 9. März 1983 aufgehoben (Urteil vom 23. Januar 1986). Das LSG hat eine Befugnis der Beklagten, die Bewilligung nach §§ 45 oder 48 SGB 10 aufzuheben, verneint, weil die Bewilligung nicht rechtswidrig sei. Der Kläger habe alle Anspruchsvoraussetzungen des § 100 Abs 1 AFG erfüllt; insbesondere habe der Kläger trotz seines Pharmazie-Studiums der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Seine Angaben, daß er das Studium sofort abgebrochen hätte, wenn ihm ein Arbeitsplatz angeboten worden wäre, seien glaubhaft. Er habe sich während des Studiums auf etwa zehn Stellenanzeigen beworben und auch einen Vorstellungstermin wahrgenommen. Er habe das Studium abgebrochen, nachdem er den jetzt innegehabten Arbeitsplatz gefunden habe. Der Kläger habe somit erhebliche Eigenanstrengungen unternommen, um auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zu erhalten. Damit habe er seine Verfügbarkeit nachgewiesen. Der Gewährung des Alg stehe auch die Vorschrift des § 118a AFG nicht entgegen, nach der der Anspruch auf Alg während der Zeit ruhe, in der der Arbeitslose Student einer Hochschule sei, wenn die Ausbildung die Arbeitskraft eines Studenten im allgemeinen voll in Anspruch nehme. Zwar nehme im allgemeinen ein Pharmazie-Studium die Arbeitskraft der Studenten voll in Anspruch. Das gelte indes nur für solche Studenten, die einen Studienabschluß zu erreichen suchten. Der Kläger gehöre dagegen einer Gruppe von Studenten an, die sich lediglich ergänzendes Wissen durch ihr Studium aneignen wollten, um eine bessere Wettbewerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erzielen und schon während ihrer Studienzeit bereit seien, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Das Studium der Gruppe, der der Kläger angehöre, sei eine besondere Art der Freizeitbeschäftigung, die allerdings insofern mehr als Freizeitwert besitze, als sie bei der Suche nach einer Arbeitsstelle vielfach nützlich sei. Die Arbeitskraft solcher Studenten werde durch das Studium nicht voll in Anspruch genommen.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 118a Abs 1 AFG. Sie macht geltend, entscheidendes Kriterium sei nach dieser Vorschrift für das Ruhen des Anspruchs, ob die Ausbildung die Arbeitskraft eines Schülers oder Studenten im allgemeinen voll in Anspruch nehme. Maßgeblich sei hierbei die Stundenzahl, die ein normaler Student ohne besondere Qualifikationen entsprechend der Ausgestaltung des jeweiligen Ausbildungsgangs in Ansatz bringen müsse. Es sei unerheblich, ob der Student aufgrund besonderer Qualifikationen (zB Vorstudium) den Vorlesungsbesuch einschränken könne, wie der Kläger geltend mache, oder ob er sich lediglich ergänzendes Wissen aneignen wolle, wie es das LSG im vorliegenden Falle unterstellt habe. Der Gesetzgeber habe nicht zwischen normalen und vorgebildeten Studenten, die ein Zweitstudium betreiben, differenziert, sondern für alle Studenten ein Ruhen des Anspruchs gewollt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verweist auf das angefochtene Urteil.

Die Beklagte hat nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18. November 1986 - 1 BvL 29/83 u. a. - mitgeteilt, daß eine Rücknahme der Revision nicht in Betracht komme, da die Frage der Verfügbarkeit des Klägers (Vollzeit- oder Teilzeitarbeit) nicht eindeutig geklärt sei. Sie hat dem Kläger jedoch eine vergleichsweise Regelung vorgeschlagen, derzufolge erneut über den Leistungsantrag mit der Maßgabe entschieden werden sollte, daß § 118a AFG keine Anwendung finde und der Hochschulbesuch des Klägers der Fähigkeit und Bereitschaft zu einer mehr als kurzzeitigen Beschäftigung nicht entgegenstehe. Der Kläger hat den Abschluß eines Vergleichs dieses Inhalts abgelehnt.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist, nachdem der Kläger vor dem Berufungsgericht seinen Klagantrag eingeschränkt und nicht mehr wie noch beim SG die Verurteilung der Beklagten beantragt hat, Alg ab 1. Januar 1983 zu zahlen, nur noch eine Anfechtungsklage. Bedenken gegen die Zulässigkeit dieser Klageart bestehen im vorliegenden Falle nicht. Da dem Kläger Alg bewilligt worden war, hätte schon die erfolgreiche Anfechtung des die Bewilligung aufhebenden Verwaltungsaktes zur Folge, daß die Beklagte nach Maßgabe des dann wiederhergestellten Bewilligungsbescheides Alg zahlen müßte. Der Kläger erreicht daher schon mit der Anfechtungsklage sein Prozeßziel; für andere Klagearten, insbesondere für eine Leistungsklage, besteht in Fällen dieser Art kein Rechtsschutzbedürfnis, worauf der Senat wiederholt hingewiesen hat (BSGE 48, 33, 34 = SozR 4100 § 44 Nr 19; SozR 4100 § 134 Nr 29).

Durch den angefochtenen Bescheid hat die Beklagte die Bewilligung des Alg ab 13. Januar 1983 beseitigt. Hiernach ist die Bewilligung nicht gänzlich beseitigt worden, sie hat vielmehr für die Zeit vom 1. bis 12. Januar 1983 Bestand. Mit dieser jüngeren Entscheidung hat die Beklagte ihre Verfügung vom 18./19. Januar 1983 berichtigt, falls diese von einem früheren Beendigungszeitpunkt ausgegangen und dem Kläger eröffnet worden sein sollte. Zu entscheiden ist daher nur, ob die Beklagte die Alg-Bewilligung mit Wirkung vom 13. Januar 1983 rechtmäßig beseitigt hat.

Auf die vom LSG erwähnte Vorschrift des § 48 SGB 10 kann der angefochtene Verwaltungsakt nicht gestützt werden. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Bei der ab 13. Januar 1983 beseitigten Bewilligung handelt es sich zwar um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, weil durch sie Alg als eine laufende und regelmäßig wiederkehrende Leistung bewilligt worden ist. Es ist jedoch nicht ersichtlich, daß in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei der Bewilligung des Alg, die am 12./13. Januar 1983 verfügt worden ist und daher erst danach dem Kläger bekanntgeworden sein kann, vorgelegen haben, nachträglich eine Änderung eingetreten ist. Der Kläger war schon Student, als er sich arbeitslos meldete und Antrag auf Alg stellte. Wenn dem Kläger infolge seines Studiums kein Alg zustand, hat ihm die Beklagte zu Unrecht Alg bewilligt. In derartigen Fällen kann der Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nicht nach § 48 SGB 10 aufgehoben, sondern nur nach Maßgabe des § 45 SGB 10 zurückgenommen werden.

Nach § 45 Abs 1 SGB 10 darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nach näherer Maßgabe der Abs 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Beklagte ist davon ausgegangen, daß die Bewilligung des Alg rechtswidrig gewesen sei, weil der Anspruch nach § 118a Abs 1 AFG, eingefügt durch Art 1 Nr 40 des Fünften Gesetzes zur Änderung des AFG (5. AFG-ÄndG) vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189), geruht habe. Daß der in dieser Vorschrift geregelte Ruhenstatbestand gegeben war, weil der Kläger in der hier streitigen Zeit Student der Universität B. war und das von ihm eingeschlagene Pharmazie-Studium im allgemeinen die Arbeitszeit eines Studenten voll in Anspruch nimmt, wie mit der Revision geltend gemacht worden ist, vermag die Rechtswidrigkeit der Bewilligung jedoch nicht zu begründen; denn wie das BVerfG durch Beschluß vom 18. November 1986 - 1 BvL 29/83 u.a. - (BGBl I 1987, 757) mit Gesetzeskraft festgestellt hat, ist § 118a Abs 1 AFG mit Art 3 Abs 1 Grundgesetz unvereinbar und nichtig, soweit diese Vorschrift für Studenten einer Hochschule oder sonstigen Ausbildungsstätte das Ruhen des Anspruchs auf Alg anordnet.

Indessen führt der Umstand, daß die zurückgenommene Alg-Bewilligung nicht aus dem vorgenannten Grunde rechtswidrig ist, nicht schon zur Begründetheit der Anfechtungsklage gegen den hier angefochtenen Rücknahmebescheid. Dieser ist nämlich rechtmäßig, wenn die Alg-Bewilligung aus anderen Gründen rechtswidrig war und die erfolgte Rücknahme sich hierauf stützen läßt. Allein der Umstand, daß sich die Beklagte auf einen Grund berufen hat, der sich als nicht zutreffend erweist, enthebt im Anfechtungsrechtsstreit das Gericht nicht von einer weitergehenden Prüfung. Wie der Senat wiederholt entschieden hat, ist bei einer Anfechtungsklage die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes grundsätzlich auch hinsichtlich solcher tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu untersuchen, auf die die Verwaltungsbehörde ihre Entscheidung nicht gestützt hat, wie umgekehrt nicht nur solchen Einwänden gegen die angefochtene Entscheidung nachzugehen ist, mit denen der Kläger seine Klage begründet hat. Der Verwaltungsakt darf allerdings dadurch, daß er nun auf andere Gründe gestützt wird, sich nach seinen Voraussetzungen, seinem Inhalt und seiner Wirkung nicht wesentlich verändern; außerdem darf die Rechtsverteidigung des Betroffenen nicht in unzulässiger Weise beeinträchtigt oder eingeschränkt werden (vgl BSG SozR 4100 § 119 Nr 12; SozR 4100 § 115 Nr 1; Urteil vom 17. März 1981 - 7 RAr 16/80 -, insoweit in SozR 1700 § 31 Nr 1 nicht abgedruckt; Urteil vom 22. Februar 1984 - 7 RAr 55/82 -, insoweit in SozR 4100 § 118 Nr 13 nur verkürzt abgedruckt). Einschränkungen dieser Art greifen hinsichtlich der noch zu erörternden Bedenken, die, weil ihretwegen die Alg-Bewilligung möglicherweise rechtswidrig war, deren Rücknehmbarkeit begründen können, nicht Platz; denn hinsichtlich seiner Auswirkungen macht es keinen Unterschied, ob die Aufhebung der Alg-Bewilligung erfolgt, weil der Anspruch geruht hat oder, was hier in Betracht kommt, weil es ganz oder teilweise an den Anspruchsvoraussetzungen gefehlt hat.

Anspruch auf Alg hat nach § 100 Abs 1 AFG, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat.

Nach den Feststellungen des LSG besteht kein Zweifel, daß der Kläger arbeitslos war und die Melde- und Antragserfordernisse erfüllt hat. Bedenken ergeben sich auch nicht hinsichtlich der Anwartschaft. Nach § 104 Abs 1 Satz 1 AFG in der seit dem 1. Januar 1982 geltenden Fassung des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat. Beschäftigungszeiten von insgesamt mindestens 720 Kalendertagen begründeten eine Anspruchsdauer von 312 Tagen (§ 106 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG). Innerhalb der dreijährigen Rahmenfrist, die dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar vorausgeht, hier also innerhalb der Zeit vom 1. Januar 1980 bis 31. Dezember 1982, stand der Kläger jedenfalls bis zu seiner neuen Immatrikulation im Wintersemester 1982/83 mehr als 720 Kalendertage in einer entgeltlichen Beschäftigung, die nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG die Beitragspflicht begründete. Er hatte daher die Anwartschaft für einen Anspruch auf Alg mit einer Dauer von 312 Wochentagen ungeachtet der Frage erworben, ob er infolge seiner Immatrikulation nach § 169 Nr 1 AFG iVm § 172 Abs 1 Nr 5 der Reichsversicherungsordnung beitragsfrei war, weil er während der Dauer seines neuen Studiums als ordentlicher Studierender einer Hochschule beschäftigt war.

Zweifelhaft ist indes, ob der Kläger der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand. Das LSG hat die Verfügbarkeit des Klägers bejaht und dies im wesentlichen damit begründet, daß der Kläger glaubhaft angegeben habe, sein Studium sofort abbrechen zu wollen, wenn ihm ein Arbeitsplatz angeboten worden wäre. Mit dieser Auffassung verkennt das LSG indes das Wesen des Anspruchsmerkmals der Verfügbarkeit. Der Arbeitsvermittlung steht iS des § 103 AFG nicht schon zur Verfügung, wer bereit ist, eine zumutbare Beschäftigung anzunehmen (subjektive Verfügbarkeit). Erforderlich ist vielmehr auch, daß der Arbeitslose eine längere als kurzzeitige zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG), das Arbeitsamt täglich aufzusuchen vermag und für das Arbeitsamt erreichbar ist (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG).

Neben der subjektiven Bereitschaft (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG) verlangt der Begriff der Verfügbarkeit, daß der Arbeitslose objektiv in der Lage ist, längere als kurzzeitige zumutbare Beschäftigungen unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Dies kommt nicht nur im Gesetz selbst klar zum Ausdruck, und zwar unabhängig von wechselnden Formulierungen (vgl die hier maßgebliche Fassung des § 103 Abs 1 Satz 1 AFG durch das AFKG), sondern ist seit jeher anerkannter Grundsatz (vgl dazu ua schon BSGE 2, 67, 70 ff). Alg soll nämlich nur derjenige Arbeitslose erhalten, der dem Arbeitsmarkt aktuell zur Verfügung steht und sich subjektiv zur Verfügung hält, weil nur auf diese Weise eine sofortige Vermittlung in Arbeit möglich ist, durch die in erster Linie die Arbeitslosigkeit beendet werden soll. Dem entspricht die Anordnung des § 5 AFG, daß ua die Vermittlung in Arbeit Vorrang vor der Gewährung von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit besitzt. Der Senat hat schon entschieden, daß diese Anspruchsvoraussetzung der freien Entwicklung dessen, der Alg in Anspruch nehmen will, nicht in einer sein Persönlichkeitsrecht gemäß Art 2 Abs 1 GG verletzenden Weise entgegensteht (Urteil vom 20. Oktober 1983 - 7 RAr 9/82 -).

Objektive Verfügbarkeit in diesem Sinne bedeutet deshalb, daß der Arbeitslose durch nichts gehindert sein darf, ohne Verzug eine gem § 103 AFG zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Er muß sich der Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamtes aktuell zur Verfügung halten (vgl BSGE 44, 188, 189 = SozR 4100 § 103 Nr 8). Beschrieben wird damit folglich ein Zustand der Verhältnisse des Arbeitslosen, wie er von vornherein täglich vorhanden sein muß. Nicht ausreichend ist deshalb eine Lage, die gegenwärtig berufliches Tätigsein ausschließt und auf die Herbeiführung der bislang fehlenden objektiven Vermittelbarkeit erst zu dem Zeitpunkt abstellt, an dem dem Arbeitslosen ein Arbeitsangebot unterbreitet wird. Vielmehr müssen alle Anspruchsvoraussetzungen an jedem Tag, für den Alg erbracht werden soll, in vollem Umfange vorliegen.

Dies kommt hinsichtlich der Verfügbarkeit übrigens nicht nur im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck, der auf das objektive Arbeitenkönnen abstellt und nicht auf die bloße Bereitschaft zur Annahme von Arbeitsangeboten, sondern auch in den Regelungen der Ausnahmen hiervon. So bestimmt § 103 Abs 4 AFG idF des 5. AFGÄndG ausdrücklich ua, daß die Teilnahme an Maßnahmen zur Verbesserung der Vermittlungsaussichten (vgl § 41a AFG) die Verfügbarkeit nicht ausschließt. Obwohl es sich hier um einen Sachverhalt handelt, der die jederzeitige Aufnahme einer Beschäftigung bei sich bietender Gelegenheit nicht nur nicht hindert, sondern diesen Erfolg sogar zum Ziel hat, zudem eine leistungsbegründende Bereitschaft des Arbeitslosen zur Beteiligung verlangt (vgl § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst b, § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG), hielt der Gesetzgeber die Regelung des § 103 Abs 4 AFG für erforderlich, um den Konflikt zwischen einem sachgerechten tatsächlichen Gebundensein des Arbeitslosen und den Anforderungen an seine objektive Verfügbarkeit zu lösen. Dessen hätte es nicht bedurft, wenn es lediglich auf die Absicht des Arbeitslosen ankommen würde, seine aktuelle Bindung gegebenenfalls aufzugeben.

Dasselbe gilt für die Regelungen der §§ 3, 4 der AufenthaltsAnordnung der Beklagten vom 3. Oktober 1979 (ANBA S 1388). Hiernach steht eine zeitlich begrenzte Ortsabwesenheit oder die entsprechende Teilnahme des Arbeitslosen an bestimmten Bildungsveranstaltungen, bzw an Veranstaltungen, die staatspolitischen, kirchlichen oder gewerkschaftlichen Zwecken dienen oder die sonst im öffentlichen Interesse liegen, der Verfügbarkeit nicht entgegen, wenn vom Arbeitsamt vorher festgestellt wird, daß dadurch in dieser Zeit ua die Vermittlung in Arbeit nicht beeinträchtigt wird. Für die Ortsabwesenheit (zB wegen Teilnahme an einem Familienurlaub) bedeutet dies im Ergebnis die Feststellung, daß eine Vermittlung dieses Arbeitslosen in der fraglichen Zeit (höchstens drei Wochen) faktisch nicht in Betracht kommen wird. Verfügbarkeit während der Teilnahme an einer der oa Veranstaltungen setzt die Bereitschaft der Arbeitslosen zum Abbruch für den Fall eines Arbeitsangebots voraus (vgl § 4 Sätze 2 und 3 der AufenthaltsAnordnung). Letzteres allein genügt für die Annahme auch der objektiven Verfügbarkeit jedoch ebensowenig, wie in Fällen der Ortsabwesenheit etwa die Bereitschaft (und Möglichkeit), im Bedarfsfalle täglich an den Wohnort zurückzukehren, um Arbeitsangebote wahrzunehmen; stets ist vielmehr eine entsprechende vorherige Zustimmung des Arbeitsamtes erforderlich. Auch an diesen Regelungen wird deshalb deutlich, daß objektive Verfügbarkeit grundsätzlich das Fehlen solcher Umstände verlangt, die eine gleichzeitige Ausübung abhängiger Beschäftigung ausschließen.

Eine andere Auffassung müßte im übrigen dazu führen, daß Alg auch für solche Zeiten zu gewähren ist, in denen der Arbeitslose nach seinem tatsächlichen Verhalten nicht in der Lage war, eine Beschäftigung auszuüben. Augenfällig wird dies gerade dann, wenn ein Student sein Studium derart betreibt, daß er daneben nicht einmal eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung ausüben kann; denn dann ist er erst recht nicht imstande, während der Wahrnehmung von Studienaktivitäten überhaupt zu arbeiten. Da das Alg für bestimmte Zahlungszeiträume nachträglich auszuzahlen ist (§ 122 AFG), müßte die Beklagte in einem solchen Falle diese Leistungen erbringen, obwohl im Zahlungszeitpunkt feststeht, daß der Student wegen seiner Studienaktivitäten im abgelaufenen Zahlungszeitraum tatsächlich nicht imstande gewesen ist, eine Beschäftigung auszuüben. Selbst die glaubhafte Erklärung des Arbeitslosen, sich bei einem Arbeitsangebot anders verhalten zu haben, könnte an den vorhandenen Tatsachen nichts ändern. Ihm für solche Zeiten Alg zu gewähren, wäre mit dem Prinzip der objektiven Verfügbarkeit nicht zu vereinbaren; denn Leistungen würden gewährt, obwohl feststeht, daß der Student eine Beschäftigung nicht hat ausüben können. Letztlich liefe die Zahlung von Alg auf die Finanzierung des Studiums hinaus. Schon in der bisherigen Rechtsprechung des Senats kommt zum Ausdruck, daß dies weder mit den Zwecken der Arbeitslosenversicherung noch mit System und Bedeutung der Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit zu vereinbaren ist. Daß diese Rechtsprechung über die Verfügbarkeit von Studenten aus Anlaß der Beurteilung von Ruhensvorschriften (§ 118 Abs 2 AFG aF) entstanden ist, ändert nichts daran, daß hiernach für Studenten hinsichtlich ihrer objektiven Verfügbarkeit grundsätzlich nichts anderes gilt als für sonstige Antragsteller (vgl BSGE 46, 89, 98 = SozR 4100 § 118 Nr 5; Urteile vom 10. Oktober 1978 - 7 RAr 6/78 -, vom 22. März 1979 - 7 RAr 35/78 und 36/78, vom 7. August 1979 - 7 RAr 28/78 - und vom 20. Oktober 1983 - 7 RAr 9/82 -). Soweit in der Literatur - zT allerdings im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Berechtigung zur Beschränkung auf Teilzeitarbeit iS von § 103 Abs 1 Satz 2 AFG vorliegt - die Ansicht vertreten wird, ein die Vermittlung in Arbeit schlechthin ausschließender Besuch von Bildungseinrichtungen hindere die Annahme von Verfügbarkeit (und damit das Recht zum Bezug von Alg in dieser Zeit) dann nicht, wenn der Arbeitslose bereit und in der Lage sei, den Besuch im Falle eines Arbeitsangebots abzubrechen (vgl Gagel, Komm. z. AFG, Stand Juli 1987, § 103 RdNrn 141, 142; Hennig/Kühl/Heuer, Komm. z. AFG, Stand: März 1986, § 103 Anm 5 - S 164a -; Schönefelder/Kranz/Wanka, Komm. z. AFG, August 1972, RdNr 9 zu § 103), vermag dem der Senat nicht zu folgen.

Gegen die Rechtsauffassung des Senats läßt sich nicht einwenden, sie zwinge den Arbeitslosen zu sinnlosem Nichtstun und hindere ihn, während der Zeit der Arbeitslosigkeit einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung nachzugehen. Das ist so nicht der Fall. Das Gebot der Verfügbarkeit verlangt von dem Arbeitslosen nicht, sich etwa den ganzen Tag über in seiner Wohnung aufzuhalten, um dort betätigungslos auf Arbeitsangebote zu warten. Er kann wie jeder andere, insbesondere wie jeder Berufstätige, zB Beschäftigungen aus Liebhaberei, aus kulturellen, caritativen, sportlichen oder gesundheitlichen Interessen und zum Zeitvertreib nachgehen. Es ist offenkundig, daß eine derartige Nutzung der "Freizeit" allein weder die Bereitschaft noch die Möglichkeit beeinträchtigt, anstelle dessen auch eine Beschäftigung im Arbeitsverhältnis auszuüben. Davon unabhängig unterliegt der Alg-Bezieher allerdings gewissen Beschränkungen seiner Betätigungsfreiheit, die von den dargestellten Anforderungen der Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung bestimmt werden. Die Grenzen lassen sich nur im Einzelfalle bestimmen. Eine Betätigung jedenfalls, die auf längere Dauer angelegt und planvoll gestaltet ist, sowie derart betrieben wird, daß sie die für eine Berufstätigkeit erforderliche Zeit vollständig in Anspruch nimmt, die mithin für jeden Tag, an dem sie stattfindet, die Möglichkeit ausschließt, berufstätig zu sein, steht im Gegensatz zu den Anforderungen der objektiven Verfügbarkeit. In solchen Fällen kommt es nicht darauf an, welchen Grad die Bindung und Absicht besitzt, diese Betätigung fortzusetzen; denn für die Zeit ihrer Vornahme hätte es auf die Unfähigkeit, eine Berufstätigkeit ausüben zu können, keinen Einfluß, wie rasch sich der Arbeitslose von ihr für die jeweilige Zukunft hätte lösen können und wie ernsthaft er dies beabsichtigte.

Nach Auffassung des Senats ist eine derartige Sachlage gegeben, wenn der Arbeitslose als ordentlich immatrikulierter Student ein reguläres Hochschulstudium so betreibt, daß dadurch jegliche marktübliche Berufstätigkeit von mehr als kurzzeitigem Umfange ausgeschlossen ist. Ein in dieser Weise aktives Studium steht im Gegensatz zu den Anforderungen der objektiven Verfügbarkeit iS des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG, und zwar auch dann, wenn es der beruflichen Bildung dient (vgl Urteil vom 20. Oktober 1983 - 7 RAr 9/82 -). Ob im vorliegenden Falle der Kläger sein Pharmazie-Studium so betrieben hat, daß dadurch eine Berufstätigkeit ausgeschlossen war, ist vom LSG weder festgestellt noch ermittelt worden. Das LSG hat zwar angenommen, der Kläger gehöre zu einer Gruppe von Studenten, deren Studien als eine besondere Art der Freizeitbeschäftigung anzusehen seien; indessen ist aus dieser Bemerkung nicht ersichtlich, in welchem zeitlichen Umfange sich der Kläger tatsächlich von seinem Studium hat in Anspruch nehmen lassen und inwieweit er daneben in der Lage war, eine längere als kurzzeitige zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben.

Die Alg-Bewilligung wäre schließlich auch dann, wenn der Kläger der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden hat, insoweit unrechtmäßig erfolgt, als der Bemessung des Alg der Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum zugrunde gelegt worden ist (§ 112 Abs 2 Satz 1 AFG), der Kläger aber infolge tatsächlicher oder rechtlicher Bindungen diese Zahl von Arbeitsstunden nicht leisten konnte. In einem solchen Falle ist nämlich bei der Feststellung des der Bemessung zugrundeliegenden Arbeitsentgelts für die Zeit, während der die Bindungen vorliegen, statt des Durchschnitts der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit die Zahl von Arbeitsstunden zugrunde zu legen, die der Arbeitslose wöchentlich zu leisten imstande ist (§ 112 Abs 8 Satz 1 AFG). Auch insoweit fehlt es an den erforderlichen Feststellungen.

An den erforderlichen Feststellungen fehlt es auch hinsichtlich der weiteren Rücknahmevoraussetzungen. Als begünstigende Verwaltungsakte dürfen Bewilligungen auch bei Rechtswidrigkeit nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand der Bewilligung vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit den öffentlichen Interessen an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs 2 Satz 1 SGB 10). Im vorliegenden Falle hat die Beklagte die Rücknahme auch für die Vergangenheit vorgenommen. Das ist darüber hinaus nur in bestimmten Fällen möglich, ua dann, wenn der Begünstigte sich aus den in § 45 Abs 2 Satz 3 SGB 10 genannten Gründen auf Vertrauensschutz nicht berufen kann (§ 45 Abs 4 Satz 1 SGB 10). Das LSG hat, von seiner Rechtsauffassung her zu Recht, hierzu keine Feststellungen getroffen. Nach dem Sachverhalt können die Voraussetzungen für eine Rücknahme, auch für die Vergangenheit, nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nämlich nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Ein solcher Fall könnte vorliegen, wenn es an der Verfügbarkeit gefehlt haben sollte und dies bei der Bewilligung deshalb übersehen worden ist, weil der Kläger vor der Bewilligung nicht angegeben hat, daß er sich im Fach Pharmazie hat immatrikulieren lassen und ihm deshalb der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu machen ist.

Allerdings dürfte die angefochtene Rücknahme, wenn sie aus anderen als den in den Bescheiden angeführten Gründen rechtlich möglich war, jedenfalls deshalb fehlerhaft sein, weil es an der Ausübung sachgerechten Ermessens fehlt. Wie aus dem Wortlaut des § 45 Abs 1 Satz 1 SGB 10 folgt, daß ein rechtswidriger Verwaltungsakt unter den Einschränkungen der Abs 2 bis 4 zurückgenommen werden darf, ist die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes eine Ermessensentscheidung. Das hat der Senat im Anschluß an die Rechtsprechung des 11. Senats des Bundessozialgerichts (vgl BSGE 55, 250, 251 = SozR 1300 § 50 Nr 3; SozR 1300 § 45 Nr 12; vgl auch das Urteil des 9a Senats SozR 1300 § 48 Nr 11) schon entschieden (BSGE 59, 157, 169 = SozR 1300 § 45 Nr 19). Hieran ist auch angesichts der die Entscheidung nicht tragenden Bedenken, die der 9a Senat jüngst erhoben hat (Urteil vom 25. Juni 1986 - 9a RVg 2/84 - SozR 1300 § 45 Nr 24), aus Gründen der Rechtseinheit festzuhalten; denn auch zu § 48 Abs 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes, dem § 45 SGB 10 nachgebildet worden ist, wird angenommen, daß die Rücknahme grundsätzlich im Ermessen der zuständigen Behörde steht und eine Ermessensentscheidung auch notwendig ist, wenn das Vertrauen nicht schutzwürdig ist (Stelkens/Bonk/Leonhardt, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl 1983. § 48 RdNr 11; Obermayer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 48 RdNr 22). Insbesondere, wenn die Rücknahme für die Vergangenheit in Betracht kommt, hat es einen guten Sinn, wenn der Leistungsträger bei Vorliegen der Rücknahmevoraussetzungen nicht gezwungen ist, in jedem Falle die Rücknahme auszusprechen.

Läßt sich nun ein Rücknahmebescheid nur auf andere Gründe als die stützen, die die Verwaltung bisher angenommen hat, wird es wegen des Wechsels der maßgeblichen Gesichtspunkte häufig selbst dann, wenn die Verwaltung Ermessenserwägungen angestellt hat, was hier nicht geschehen sein dürfte, an ausreichenden Erwägungen fehlen. Das ist zB der Fall, wenn der andere Rücknahmegrund zur Folge hat, daß auch beim Ermessen andere als die bisher erwogenen Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen. Letztlich wird sich der nur auf andere als die bisher angeführten Gründe zu stützende Rücknahmebescheid häufig wegen nicht ausreichender Ermessensbetätigung als rechtswidrig erweisen; denn ein Nachschieben von Ermessensgründen ist nach Erlaß des Widerspruchsbescheides nicht mehr möglich (§§ 41 Abs 2, 35 Abs 1 SGB 10); dennoch ist es in Fällen der vorliegenden Art wegen der Rechtskraftwirkung untunlich, den angefochtenen Rücknahmebescheid allein wegen unterbliebener Ermessensausübung aufzuheben, bevor abschließend geklärt ist, ob die Verwaltung die begünstigenden Verwaltungsakte für die Vergangenheit zurücknehmen darf (vgl dazu das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des 11b Senats vom 24. Februar 1987 - 11b RAr 35/85 -).

Nach § 141 Abs 1 SGG binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Bei einer Anfechtungsklage, wie sie hier vorliegt, ist Streitgegenstand die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Hat die Klage Erfolg, wird der Bescheid aufgehoben, weil er rechtswidrig ist. Die Rechtskraft eines solchen Urteils hat zur Folge, daß die Verwaltung den aufgehobenen Verwaltungsakt bei gleicher Sachlage nicht mit derselben Begründung wiederholen darf. Wird in Fällen vorliegender Art die angefochtene Rücknahme allein wegen Fehlens einer Ermessensentscheidung aufgehoben und offengelassen, ob die Verwaltung überhaupt berechtigt war, die ausgesprochene Bewilligung zurückzunehmen, muß damit gerechnet werden, daß nochmals ein Rücknahmebescheid erlassen wird. Ein Kläger müßte dann erneut Klage erheben, wenn er geltend machen will, daß ein Rücknahmerecht niemals gegeben war. Wird aber auch diese Frage im anhängigen Verfahren geklärt, hier also, ob die Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg gegeben waren und, falls dies nicht der Fall gewesen ist, ob die Beklagte wegen eines dem Kläger einzuräumenden Vertrauensschutzes gehindert war, die rechtswidrig erfolgte Bewilligung zurücknehmen, wird sich ein erneutes Verfahren vielfach erübrigen und, wenn das nicht der Fall ist, in seiner Durchführung jedenfalls vereinfachen. Wird nämlich ein Rücknahmerecht verneint, braucht der Kläger keinen weiteren Rücknahmebescheid mehr zu befürchten. Wird dagegen entschieden, daß die Beklagte die Bewilligung zurücknehmen durfte und die erfolgte Rücknahme nur mangels Ausübung bzw mangels zutreffender Ausübung des Ermessens rechtswidrig ist, und spricht die Beklagte anschließend die Rücknahme erneut aus, kann sich die rechtliche Prüfung in der Regel auf die Frage beschränken, ob die Ausübung des Ermessens zu beanstanden ist. Um einen neuen Rechtsstreit zu vermeiden, erscheint es im Interesse der schnellen Wiederherstellung des Rechtsfriedens daher geboten, im anhängigen Rechtsstreit nicht offen zu lassen, ob die Beklagte die Bewilligung, wie geschehen, für die Vergangenheit zurücknehmen darf.

Eine abschließende Entscheidung über den Rücknahmebescheid durch den Senat, die sich nur auf die fehlende Ermessensentscheidung stützen könnte, ist daher untunlich. Daher muß zur Prüfung, ob sich die erfolgte Rücknahme auf einen anderen Grund stützen läßt, die Sache insgesamt unter Aufhebung des ergangenen Urteils gemäß § 170 Abs 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das LSG zurückverwiesen werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663601

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