Entscheidungsstichwort (Thema)

Ähnliche Bezüge. Berechnung der Höhe der Abfindung bei Rentenzahlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine vorzeitige Altersrente, die unabhängig von dem Eintritt eines bestimmten Lebensalters gewährt wird, ist kein ähnlicher Bezug iS des AFG § 118 Abs 1 S 1 Nr 4.

2. Hängt die Gewährung einer vorzeitigen Altersrente durch den Arbeitgeber von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab, ohne daß der Arbeitnehmer hierauf ohnehin einen Anspruch gehabt hätte, dann handelt es sich um eine ähnliche Leistung iS des AFG § 117 Abs 2, die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt wird.

 

Leitsatz (redaktionell)

Zu den ähnlichen Bezügen öffentlich-rechtlicher Art gehören nur solche Leistungen, die die gleichen gemeinsamen und typischen Merkmale aufweisen wie die in dieser Vorschrift aufgeführten Altersruhegelder aus den Rentenversicherungen der Arbeiter oder Angestellten, das Knappschaftsruhegeld oder die Knappschaftsausgleichsleistungen aus der knappschaftlichen Rentenversicherung für eine Zeit vor Vollendung des 65. Lebensjahrs. Hierunter fallen nur Leistungen öffentlich-rechtlicher Art, die als Lohnersatz gedacht und ihrer Gesamtkonzeption nach so bemessen sind, daß sie im allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellen. Außerdem müssen sie bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze gewährt werden.

 

Orientierungssatz

Hat der Arbeitslose einen Anspruch auf Abfindung in Form von wiederkehrenden Leistungen (hier: Alters- und Ausgleichsrente) bietet sich bei der Ermittlung des Wertes des Anspruchs, den der Arbeitslose durch die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses erworben hat, der Kapitalwert gemäß §§ 13, 14 Bewertungsgesetz an.

 

Normenkette

AFG § 118 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Fassung: 1979-07-23, § 117 Abs. 2 Fassung: 1977-12-12; BewG §§ 13-14

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 23.07.1982; Aktenzeichen L 1 Ar 72/81)

SG Itzehoe (Entscheidung vom 10.08.1981; Aktenzeichen S 2 Ar 59/80)

 

Tatbestand

In Streit ist, ob der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg) ruht.

Der am 27. Februar 1919 geborene Kläger war vom 1. Oktober 1947 bis 31. März 1980 beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) in Hamburg beschäftigt, zuletzt als Ton-Ingenieur. Sein Bruttogehalt betrug dort 5.931,-- DM im Monat. Der Kläger war - nach seinen Angaben aus gesundheitlichen Gründen - auf eigenen Antrag vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden. Aufgrund des zwischen dem NDR und drei Arbeitnehmerorganisationen vereinbarten Tarifvertrages (TV) vom 1. November 1973 erhält er vom NDR eine vorgezogene Altersrente (§ 6 Abs 4 der Versorgungsvereinbarung -VV dieses TV) nach Maßgabe der im Zeitpunkt der vorzeitigen Ruhestandsversetzung erworbenen Rechte aus der VV sowie eine Ausgleichsrente in Höhe von maximal 25 Hundertstel des ruhegehaltfähigen Einkommens. Nach dem Stand vom April 1980 beträgt die Altersrente monatlich 3.559,-- DM und die Ausgleichsrente 890,-- DM. Außerdem erhält der Kläger seit dem 1. März 1981 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von monatlich 293,-- DM aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem Stand vom Juli 1981, die ab 1. September 1981 laufend gezahlt wird.

Seinen am 1. April 1980 zugleich mit der Arbeitslosmeldung gestellten Antrag auf Alg lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger erhalte vom NDR ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art, die gemäß § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) das Ruhen des Anspruchs auf Alg zur Folge hätten (Bescheid vom 25. April 1980). Ohne den Eintritt des Ruhens hätte der Kläger nach den Berechnungen der Beklagten einen Alg-Anspruch von 369,-- DM wöchentlich oder 1.599,-- DM monatlich gehabt.

Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 1980), Klage (Urteil des Sozialgerichts -SG- Itzehoe vom 10. August 1981) und die Berufung des Klägers hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seines Urteils vom 23. Juli 1982 im wesentlichen folgendes ausgeführt: Nach § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG ruhe der Alg-Anspruch während der Zeit, für die dem Arbeitslosen ein Anspruch auf Altersruhegeld aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Rentenversicherung der Angestellten, Knappschaftsruhegeld oder Knappschaftsausgleichsrente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung oder ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art für eine Zeit vor Vollendung des 65. Lebensjahres zuerkannt seien. Um im Sinne dieser Vorschrift ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art handele es sich bei der dem Kläger gewährten vorgezogenen Altersrente. Wie das Bundessozialgericht (BSG) ausgeführt habe, lägen öffentlich-rechtliche Bezüge auch dann vor, wenn ihre Rechtsgrundlage in einem privatrechtlichen Tarifvertrag bestehe, sofern nur die Leistungen aus öffentlichen, dh für öffentliche Aufgaben vorgesehenen Mitteln erbracht würden. Mit der Regelung des § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG sollten gleichzeitige Leistungen mit Lohnersatzfunktion aus öffentlichen Kassen vermieden werden. Hierzu könne es entgegen der Auffassung des Klägers durch die NDR-Versorgung kommen, obwohl darauf nach § 14 VV ein etwaiger Alg-Anspruch angerechnet würde. Auch dann erhielte er nämlich beide Leistungen nebeneinander, diejenige des NDR lediglich in geringerem Umfange. Im übrigen stehe die in § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG gesetzlich geregelte Subsidiarität der Arbeitslosenversicherung nicht zur tarifvertraglichen Disposition. Die NDR-Versorgung werde aus dem Gebührenaufkommen dieser Anstalt finanziert und sei mithin öffentlich-rechtlich. Sie sei ihrer aus der VV ersichtlichen Gesamtkonzeption nach ferner ebenso wie die in § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG ausdrücklich genannten Leistungen so bemessen, daß dadurch im allgemeinen der Lebensunterhalt des Berechtigten sichergestellt werde. Diese Versorgung werde auch grundsätzlich wie jene Leistungen nach § 6 Abs 1 VV von einer bestimmten Altersgrenze an gewährt, nämlich bei männlichen Versicherten vom vollendeten 62., 63. oder 65. Lebensjahr an. Daß der Versorgungsfall beim Kläger bereits früher gemäß § 6 Abs 4 VV aufgrund vorzeitiger Versetzung in den Ruhestand eingetreten sei, lasse die Funktion dieser dementsprechend berechneten Bezüge unberührt. Mit Recht verweise die Beklagte dazu auch auf § 11 Nr 3 VV, wonach dem Kläger als über fünfzigjährigem NDR-Angehörigen mit mehr als 20 Jahren Beschäftigungsdauer die vorgezogene Altersrente wahlweise auch dann zugestanden hätte, wenn er aus dem NDR ausgeschieden wäre, ohne in den Ruhestand versetzt zu sein. Auf diese Weise sei die Leistung von der Lebensaltersschwelle her auch nach unten konkret abgegrenzt. Den in § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG aufgeführten Bezügen unähnlich wäre also allenfalls eine NDR-Versorgung für Berechtigte im Alter von unter 50 Jahren.

Der § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG unterliege mit dieser Auslegung auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, und zwar weder aus dem Eigentumsschutzgedanken des Art 14 Grundgesetz (GG) noch aus dem mit dem Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG verbundenen Willkürverbot, noch unter den Gesichtspunkten des Sozialstaatsprinzips, was näher ausgeführt wird.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 118 AFG. Er ist der Auffassung, nach dem klaren und insoweit auch eindeutigen Wortlaut des Gesetzes beziehe sich die Umschreibung "öffentlich-rechtlicher Art" auf das Tatbestandsmerkmal ähnlicher Bezüge. Das bedeute, die Leistung, die es zu beurteilen gelte, müsse öffentlich-rechtlicher Art sein; es müsse sich hierbei um eine Leistung des öffentlichen Rechts handeln. Das könnten aber nur Ansprüche sein, die gesetzlich verankert seien, was hier nicht der Fall sei. Die Versorgungsleistungen beruhten auf dem hier maßgeblichen TV und seien folglich privatrechtlicher Art.

Nach Wortlaut, Sinn und Zweck des Gesetzes solle das Ruhen des Anspruchs auf Alg nur dann eintreten, wenn die ähnlichen Bezüge genau so gesetzlich verankert seien wie das Altersruhegeld aus den gesetzlichen Rentenversicherungen. Das seien tarifliche Versorgungsleistungen nicht.

Die vorgezogene Altersrente gemäß § 6 Abs 4 VV sei nicht dem Altersruhegeld aus den gesetzlichen Rentenversicherungen ähnlich; für sie sei kein bestimmtes Lebensalter erforderlich. In der gesetzlichen Rentenversicherung werde der Anspruch auf vorzeitiges Altersruhegeld dagegen von der Erfüllung eines bestimmten Lebensalters abhängig gemacht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 23. Juli 1982, das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 10. August 1981 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. April 1980 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 1980 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab 1. April 1980 Arbeitslosengeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat mit der Maßgabe Erfolg, daß das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen wird.

Gegen die Zulässigkeit der Berufung des Klägers, die bei einer zulässigen Revision von Amts wegen zu prüfen ist, bestehen keine Bedenken. Die Berufung betrifft, wie das LSG zutreffend erkannt hat, nicht den Beginn der Leistung iS von § 147 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und auch nicht Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen oder 3 Monaten (§ 144 Abs 1 Nr 1 SGG).

In der Sache kann dem LSG nicht darin gefolgt werden, daß der Alg-Anspruch des Klägers gemäß § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG ruht. Die vorgezogene Altersrente und die Ausgleichsrente, die dem Kläger nach der VV vom 1. November 1973 gewährt werden, gehören nicht zu den ähnlichen Bezügen öffentlich-rechtlicher Art iS dieser Vorschrift. Dies sind, wie der Senat entschieden hat, nur solche Leistungen, die die gleichen gemeinsamen und typischen Merkmale aufweisen wie die in dieser Vorschrift aufgeführten Altersruhegelder aus den Rentenversicherungen der Arbeiter oder Angestellten, das Knappschaftsruhegeld oder die Knappschaftsausgleichsleistungen aus der knappschaftlichen Rentenversicherung für eine Zeit vor Vollendung des 65. Lebensjahres. Hierunter fallen nur Leistungen öffentlich-rechtlicher Art, die als Lohnersatz gedacht und ihrer Gesamtkonzeption nach so bemessen sind, daß sie im allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellen. Außerdem müssen sie bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze gewährt werden (BSG 41, 177, 179 = SozR 4100 § 118 Nr 2; BSGE 43, 26, 30 f = SozR 4100 § 118 Nr 3; SozR 4100 § 118 Nr 9; Urteil des Senats vom 9. November 1983 - 7 RAr 58/82 - zur Veröffentlichung vorgesehen). An der zuletzt genannten Voraussetzung fehlt es auf jeden Fall. Die dem Kläger gewährte vorgezogene Altersrente wird nicht von einer Altersgrenze ab gezahlt. Das ergibt sich aus den Bestimmungen der VV vom 1. November 1973.

Diese Bestimmungen kann der Senat in vollem Umfange gemäß § 162 SGG nachprüfen. Es handelt sich hierbei zwar nicht um Bundesrecht, jedoch um Tarifvertragsbestimmungen, die als sonstige Vorschriften gemäß § 162 SGG revisibel sind (vgl BSGE 6, 41, 43), wenn sich, was hier der Fall ist, ihr Geltungsbereich über den Bereich des Berufungsgerichts hinaus - hier des Landes Schleswig-Holstein - erstreckt. Nach ihrem § 1 Abs 1 gilt die VV für alle Arbeitnehmer des NDR, die in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen und bei ihrem letzten Eintritt in die Dienste des NDR das 55. Lebensjahr - bei weiblichen Arbeitnehmern das 50. Lebensjahr - noch nicht vollendet haben. Der NDR, den die Länder Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Freie und Hansestadt Hamburg aufgrund des Staatsvertrages vom 16. Februar 1955 (Nds GVBl 1955, 167; Schl.-H. GVBl 1955, 92; Hamb.GVBl 1955, 197) errichtet haben, hat nach Art 2 seiner Satzung (abgedruckt in Herrmann, Rundfunkgesetze, 2. Aufl, S 57 ff) seinen Sitz in Hamburg und unterhält Funkhäuser in Hamburg und Hannover, ein Landesstudio in Kiel sowie Studios in Berlin, Flensburg und Oldenburg i. O. Für die dort tätigen Arbeitnehmer gilt die VV. Ihr Geltungsbereich geht daher über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus.

Voraussetzung für die Gewährung der vorgezogenen Altersrente nach § 6 Abs 4 VV ist, daß ein Berechtigter mit seiner Zustimmung und im Einvernehmen mit dem Betriebsrat vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden ist. In diesem Falle erhält er eine vorgezogene Altersrente nach Maßgabe der im Zeitpunkt der vorzeitigen Ruhestandsversetzung erworbenen Rechte aus der VV sowie eine Ausgleichsrente von maximal 25 Hundertstel des ruhegeldfähigen Einkommens. Die vorgezogene Altersrente und die Ausgleichsrente dürfen zusammen 75 Hundertstel des ruhegehaltsfähigen Einkommens nicht überschreiten. Die Gewährung der vorgezogenen Altersrente hängt also nicht von einer Altersgrenze ab, sondern von der einvernehmlichen Versetzung in den Ruhestand und der Erfüllung der Wartezeit, die gemäß § 3 Abs 1 VV zehn Jahre beträgt. Im Hinblick darauf, daß Beschäftigungszeiten ab Vollendung des 18. Lebensjahres, soweit es sich nicht um Ausbildungs-, Lehr-, Volontär- oder Praktikantenzeiten handelt, auf die Wartezeit angerechnet werden (§ 3 Abs 5 VV), kann die vorgezogene Altersrente in der Zeit zwischen der Vollendung des 28. Lebensjahres und der Vollendung des 65. Lebensjahres gewährt werden. Das Vorliegen einer bestimmten Altersgrenze läßt sich entgegen der Auffassung des LSG nicht aus § 11 Nr 3 VV herleiten. Hiernach bleiben einem Berechtigten beim Ausscheiden aus den Diensten des NDR anstatt einer Abfindung, sofern er das 50. Lebensjahr überschritten und eine Beschäftigungszeit von mindestens 20 Jahren hat, die Ansprüche aus der VV - mit Ausnahme der Bestimmung des § 6 Ziff 1 Satz 2 - für den Zeitpunkt des Versorgungsfalles erhalten, wenn er dieses spätestens bis zum Tage seines Ausscheidens aus den Diensten des NDR schriftlich beantragt. Diese Bestimmung regelt hinsichtlich der Altersrente lediglich, unter welchen Voraussetzungen dem Berechtigten die Ansprüche auf Altersrente für die Zeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres bei Männern und nach Vollendung des 60. Lebensjahres bei Frauen im Falle eines Ausscheidens erhalten bleiben. Die Gewährung einer vorgezogenen Altersrente gemäß § 6 Abs 4 VV wird hiervon nicht erfaßt, denn sie setzt ja gerade das vorzeitige Ausscheiden aus dem Dienst voraus.

Schließlich ist es nicht gerechtfertigt, aus dem Umstand, daß die dem Kläger gewährte Leistung als vorgezogene Altersrente bezeichnet wird und die Altersrenten sonst gemäß § 6 Abs 1 VV von einer bestimmten Altersgrenze an gewährt werden, zu folgern, es handele sich bei den gemäß § 6 Abs 4 VV gewährten Leistungen um eine Altersrente, bei der nur der Versorgungsfall früher eintrete, die aber sonst die gleiche Funktion haben wie die Altersrenten gemäß § 6 Abs 1 VV und deshalb wie eine solche angesehen werden müßten. Dem steht schon entgegen, daß allein aus einer Bezeichnung nicht auf die Art der Leistung geschlossen werden kann. Entscheidend sind hierfür ihre Voraussetzungen und ihre Ausgestaltung. Von den Voraussetzungen her unterscheidet sich die vorgezogene Altersrente von den Altersrenten, die gemäß § 6 Abs 1 VV zu gewähren sind, dadurch, daß sie - abgesehen von dem Fehlen einer Altersgrenze - eine einvernehmliche Versetzung in den Ruhestand voraussetzt. Auf den Eintritt des Versorgungsfalles gemäß § 6 Abs 1 VV kann der Arbeitgeber dagegen rechtlich keinen Einfluß nehmen. Daneben wird bei der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand neben der vorgezogenen Altersrente eine Ausgleichsrente gewährt. Wenn die Gewährung von Altersrente nach § 6 Abs 1 Satz 1 VV zur Beendigung der Zahlung der vorgezogenen Altersrente und der Ausgleichsrente führt, dann zeigt dies gleichfalls, daß es sich hierbei um ihrer Rechtsnatur nach unterschiedliche Leistungen handelt. Dies wird auch dadurch unterstrichen, daß Zeiten eines Bezuges einer vorgezogenen Altersrente zur Hälfte als Beschäftigungszeit bei der Höhe der Altersrente gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 VV berücksichtigt werden (§ 4 Abs 4 Satz 3 Buchst d der VV).

Der Auffassung des LSG Hamburg in seinem Urteil vom 28. April 1982 (V ARBf 14/82), bei den vom NDR gewährten Bezügen handele es sich dennoch um ähnliche Bezüge im Sinne von § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG, vermag der Senat nicht zu folgen. Das LSG Hamburg meint, die Rechtsprechung des Senats sei dahin zu ergänzen, daß auch eine nur für den Einzelfall vereinbarte Altersgrenze zur Anwendung der Ruhensvorschrift führen könne, sofern die Vereinbarung nicht nur das Ausscheiden aus dem letzten Betrieb, sondern aus dem Erwerbsleben überhaupt ermögliche. Sie stehe dann der Erreichung einer gesetzlichen Altersrente gleich, wenn die Beschäftigung, die damit beendet werde, einen wesentlichen Teil des Arbeitslebens ausmache und der Arbeitgeber deshalb den Unterhalt für die Zukunft übernehme. Hierbei verkennt das LSG Hamburg, daß für den Fall der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand keine Altersgrenze vereinbart wird, sondern der Zeitpunkt, von dem ab der vorzeitige Eintritt in den Ruhestand wirksam werden soll. Das Lebensalter des Berechtigten spielt bei der vorgezogenen Altersrente nach § 6 Abs 4 VV keine Rolle. Der zur Leistung führende Versorgungsfall ist nicht das Alter, sondern die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand. Hierbei mag sicherlich in nicht wenigen Fällen das vorgerückte Alter des Berechtigten Anlaß oder Motiv sein für die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand. Dies ändert jedoch nichts daran, daß die darauf beruhende Leistung nach ihrer Voraussetzung nicht wegen des Alters gewährt wird. Wesentlich dafür, ob eine Leistung den in § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG genannten ähnelt, ist aber ua, ob der Versicherungsfall auf das Lebensalter abgestellt ist. Das folgt daraus, wie der Senat in seinen bisherigen oa Entscheidungen hervorgehoben hat, daß das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze allen in § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG genannten Leistungen eigen ist (s. § 1248 Reichsversicherungsordnung -RVO-, § 25 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG-, §§ 48, 98a Reichsknappschaftsgesetz -RKG-). Auch für die Frage, was eine dem Altersruhegeld entsprechende Leistung iS von § 19 Abs 3 Fremdrentengesetz (FRG) ist, wird ausdrücklich hierauf abgestellt (BSGE 27, 209, 211). Auf dieses Merkmal kann daher entgegen der Auffassung des LSG Hamburg nicht verzichtet werden. Das gilt auch dann, wenn der Berechtigte infolge der Versetzung in den Ruhestand so gestellt wird wie ein Altersrentner. Maßgebend sind nicht die Auswirkungen, die die Leistung hat, sondern die Voraussetzungen, derentwegen sie gewährt wird. Daß dies unter Umständen zu einer unerwünschten Doppelversorgung führt, mag sozialpolitisch nicht gerechtfertigt sein, läßt sich indes nach der derzeitigen Rechtslage nicht verhindern.

Scheidet hiernach ein Ruhen des Alg-Anspruchs des Klägers gemäß § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG aus, ist der Senat dennoch an einer abschließenden Entscheidung gehindert. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG läßt sich nicht entscheiden, ob dem Kläger der geltend gemachte Alg-Anspruch zusteht. Ihnen ist lediglich zu entnehmen, daß der Kläger über den 31. August 1981 hinaus keinen Anspruch auf Alg haben kann, da ihm von da ab laufend die für die Zeit ab 1. März 1981 bewilligte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der Rentenversicherung der Angestellten gezahlt wurde und sein Anspruch von diesem Zeitpunkt an gemäß § 118 Abs 1 S 1 Nr 3 und S 2 AFG (idF vom 23. Juli 1979 - BGBl I 1189) ruht.

Voraussetzung für die Gewährung von Alg ist gemäß § 100 Abs 1 AFG, daß die Anwartschaftszeit erfüllt ist, sich der Antragsteller beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat, daß er arbeitslos ist und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Den Feststellungen des LSG kann zwar entnommen werden, daß der Kläger sich arbeitslos gemeldet, daß er die Anwartschaftszeit erfüllt und Alg beantragt hat. Ob er in dem in Betracht kommenden Zeitraum arbeitslos war, läßt sich aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht beurteilen. Das gilt auch für die Frage, ob der Kläger gemäß § 103 AFG der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand. Das LSG wird die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nachzuholen haben. Bei seiner erneuten Entscheidung wird es bei der Prüfung der Frage, ob der Kläger bereit war, jede zumutbare Beschäftigung auszuüben, die er ausüben konnte, zu berücksichtigen haben, daß ihm die vorgezogene Altersrente ermöglichen sollte, aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Deshalb dürfte es angezeigt sein, an die Bereitschaft, eine zumutbare Beschäftigung anzunehmen, einen besonders strengen Maßstab anzulegen (vgl BSG SozR 2200 § 1248 Nr 28).

Es ist auch nicht auszuschließen, daß die angefochtenen Bescheide zumindest zum Teil rechtmäßig sind, weil der Anspruch des Klägers gemäß § 117 Abs 2 AFG ruht. Dem steht nicht entgegen, daß die Beklagte ihre Leistungsverweigerung lediglich auf § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG gestützt hat. Das Gericht hat bei einer Anfechtungsklage den Verwaltungsakt von Amts wegen zu überprüfen und hierbei alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, und zwar auch solche, die die Verwaltungsbehörde ihrer Entscheidung nicht zugrundegelegt hat. Eine nachträgliche Berücksichtigung von Gründen, die auch die Verwaltungsbehörde nachschieben kann, ist allerdings nur dann zulässig, wenn der Verwaltungsakt durch die neue Begründung nach Voraussetzungen, Inhalt und Wirkung nicht wesentlich verändert und die Rechtsverteidigung der Betroffenen nicht in unzulässiger Weise beeinträchtigt oder eingeschränkt wird (BSG SozR 3900 § 41 Nr 4; 4100 § 119 Nr 12). Es bestehen hier keine Bedenken, wenn die angefochtenen Bescheide auch darauf gestützt werden, daß der Anspruch gemäß § 117 Abs 2 AFG ruht, weil der Kläger wegen der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung erhalten hat. Die angefochtenen Bescheide werden insoweit nicht nach Inhalt und Wirkung zuungunsten des Klägers verändert. Ihr Ausspruch bleibt dem Grunde nach inhaltlich der gleiche. An den Anspruchsvoraussetzungen ändert sich nichts. Eine Verschlechterung der Rechtsposition des Klägers tritt gleichfalls nicht ein, sondern vielmehr eine Besserstellung. Während das Ruhen gemäß § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG praktisch zum Fortfall des Anspruchs auf Alg führt, ruht der Anspruch gemäß § 117 Abs 2 AFG längstens sechs Monate (§ 117 Abs 3 AFG in der hier maßgeblichen Fassung vom 12. Dezember 1977 - BGBl I 2557).

Voraussetzung für das Ruhen des Anspruchs gemäß § 117 Abs 2 AFG ist, daß der Arbeitslose wegen der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung erhält oder zu beanspruchen hat und daß das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist. Ob letzteres der Fall ist, läßt sich den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht entnehmen. Es wird dies, sofern die Voraussetzungen für die Gewährung von Alg vorliegen, nachzuholen haben. Auszugehen ist jedoch davon, daß der Kläger Leistungen wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten hat.

Durch die vom Gesetz gewählte Formulierung "Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung" soll sichergestellt werden, daß alle im Zusammenhang mit einer vorzeitigen Entlassung gewährten Leistungen berücksichtigt werden. Hierbei spielt es keine Rolle, wie die Leistung bezeichnet wird, wegen welcher Rechtsgrundlage sie gewährt wird und ob sie auf Raten oder in einer Summe gezahlt wird. Entscheidend ist allein, daß sie wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt worden ist, dh, es muß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Gewährung der Leistung bestehen (BSG SozR 4100 § 117 Nr 5). Das ist hier zweifelsfrei der Fall. Die Gewährung der vorgezogenen Altersrente und der Ausgleichsrente hängt von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab, ohne daß der Kläger hierauf ohnehin einen Anspruch gehabt hätte. Der Anspruch ist gerade wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden.

Bei der Berechnung der Höhe der Abfindung ist zu berücksichtigen, daß der Kläger einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen (Alters- und Ausgleichsrente) bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 6 Abs 4 Satz 5 Buchst b VV) erworben hat. Er kann also nicht so behandelt werden, als ob er die Leistungen in einer Summe erhalten hätte. Außerdem ist zu beachten, daß die Zahlung der vorzeitigen Altersrente und der Ausgleichsrente mit Ablauf des Monats endet, in dem der Berechtigte stirbt (§ 6 Abs 4 Satz 5 Buchst c VV). Es bietet sich daher an, bei der Ermittlung des Wertes des Anspruchs, den der Kläger durch die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses erworben hat, den Kapitalwert gemäß §§ 13 und 14 Bewertungsgesetz zugrundezulegen.

Ob der Anspruch des Klägers auf Alg gemäß § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG in der hier maßgeblichen Fassung vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) ruht, weil eine Sperrzeit eingetreten ist, kann sich auf den Leistungsbeginn nur dann auswirken, wenn das Ruhen des Anspruchs nicht bereits nach § 117 Abs 2 und 3 AFG (idF vom 12. Dezember 1977) eingetreten ist. Sollte der Kläger sein Arbeitsverhältnis ohne wichtigen Grund gelöst haben, könnte dies allerdings insoweit Bedeutung haben, als Tage einer Sperrzeit gemäß § 110 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG die Dauer des Anspruchs auf Alg mindern. Dies wird das LSG bei seiner erneuten Entscheidung zu berücksichtigen haben, sofern die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung von Alg vorliegen.

Dem steht gleichfalls nicht entgegen, daß die Beklagte ihre Leistungsverweigerung lediglich auf § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG gestützt hat. Es bestehen hier ebenfalls keine Bedenken, wenn die angefochtenen Bescheide teilweise auch darauf gestützt werden, daß sich gegebenenfalls Beginn und Dauer des Anspruchs auf Alg gemäß §§ 110 Abs 1 Satz 1 Nr 2, 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG um die Tage einer Sperrzeit kürzen. Die angefochtenen Bescheide werden insoweit nicht nach Inhalt und Wirkung zu Ungunsten des Klägers verändert. Ihr Ausspruch bleibt für die in Betracht kommenden Tage der Sperrzeit der gleiche. An den Anspruchsvoraussetzungen ändert sich nichts. Eine Verschlechterung der Rechtsposition des Klägers tritt nicht ein, sondern statt dessen eine Verbesserung. Während das Ruhen gemäß § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG praktisch den Fortfall des Anspruchs zur Folge hat, führt die Berücksichtigung der Sperrzeit lediglich zu einer Verkürzung der Anspruchsdauer. Auch die Rechtsverteidigung des Klägers wird hierdurch nicht unangemessen erschwert. Es handelt sich bei beiden Rechtsfolgen um Fragen, die sich aus seinem vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand ergeben.

Das angefochtene Urteil ist nach allem aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung gemäß § 170 Abs 2 SGG an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659430

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