Leitsatz (amtlich)

Die Altersrente einer versicherten Frau in der SBZ (VSV vom 1947-01-28 § 55 Abs 1) ist auch bei verkürzter Wartezeit (VSV § 51 Abs 3) eine "dem Altersruhegeld entsprechende Leistung" iS des FRG § 19 Abs 3.

 

Normenkette

FRG § 19 Abs. 3 Fassung: 1960-02-25; SVPflV SZ § 55 Abs. 1 Fassung: 1947-01-28, § 51 Abs. 3 Fassung: 1947-01-28

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. Januar 1963 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Frankfurt/Main vom 19. Juni 1962 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufsungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob bei der Berechnung der Erwerbsunfähigkeits- (EU) Rente der Klägerin Sozialversicherungsbeiträge anzurechnen sind, die für sie in der sowjetisch-besetzten Zone (SBZ) aufgrund einer Beschäftigung während des Bezugs von "Altersrente" entrichtet wurden (§§ 15, 19 Abs. 3 des Fremdrentengesetzes (FRG).

Die Klägerin (geb. 1885) ist im Dezember 1960 von der SBZ in die Bundesrepublik (BR) übersiedelt. Sie bezog in der SBZ eine Altersrente von September 1955 bis November 1960. Die Rente wurde ihr bei "verkürzter Wartezeit" aufgrund einer Beitragsleistung von 1950 bis 1955 (263 Wochen) gewährt. Die Klägerin war weiter beschäftigt, und es wurden Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung für sie entrichtet.

Die Beklagte gewährt der Klägerin seit 1. Dezember 1960 Rente wegen EU. Sie berechnete sie gemäß Art. 2 § 42 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) nach altem Recht auf monatlich 76.- DM. Dabei rechnete sie die von 1950 bis 1955 entrichteten Beiträge an, jedoch nicht die nach der Gewährung der Altersrente geleisteten Beiträge (Bescheid vom 22. August 1961). Sie bezieht sich auf § 19 Abs. 3 FRG. Die Klägerin meint, sie müsse eine höhere Rente erhalten.

Das Sozialgericht (SG) Frankfurt/Main hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19. Juni 1962). Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat der Berufung der Klägerin stattgegeben und die Beklagte verurteilt, noch Beitragszeiten vom 1. September 1955 bis 31. Dezember 1956 zu berücksichtigen. Die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 17. Januar 1963). Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt, § 19 Abs. 3 FRG sei nicht anzuwenden. Die Altersrente, die die Klägerin in der SBZ aufgrund der zu einem Versicherungsträger der SBZ geleisteten Beiträge erhalten habe, stelle keine dem Altersruhegeld in der BR entsprechende Leistung dar. Dies treffe nur bei Leistungen zu, die die typischen Voraussetzungen eines Altersruhegeldes erfüllten. Insbesondere müßte u. a. eine wesentlich längere Wartezeit als bei den übrigen Rentenarten zurückgelegt sein. Die Klägerin habe diesen erhöhten Anforderungen zum Bezug der Altersrente nicht genügen müssen. Die Beklagte habe die seit 1955 zurückgelegten Beitragszeiten bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen, aber nur bis 31. Dezember 1956, da die Klägerin eine Rente gemäß Art. 2 § 42 ArVNG erhalte.

Die Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Sie rügt die unrichtige Anwendung des § 19 FRG und die Außerachtlassung der §§ 15, 17 FRG. Die Klägerin habe mit der Altersrente eine dem Altersruhegeld entsprechende Leistung bezogen. Es komme nach Sinn und Zweck der genannten Vorschriften des FRG entscheidend nur darauf an, ob es sich um eine auf den Versicherungsfall des Alters abgestellte Leistung handele. Diese Voraussetzung sei erfüllt.

Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Beide Beteiligte sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 SGG).

II

Die Revision ist begründet.

Das LSG hat die Beklagte zu Unrecht zur Anrechnung weiterer Beitragszeiten verurteilt; denn die "Altersrente", die die Klägerin in der SBZ bezogen hat, entspricht dem "Altersruhegeld" in der RVO (§ 19 Abs. 3 FRG); auch können die Zeiten ihrer Beschäftigung während des Bezugs der Altersrente nicht als "Beschäftigungszeiten" nach § 16 FRG angerechnet werden.

§ 19 Abs. 3 FRG bestimmt in Ergänzung von § 1253 Abs. 2 Satz 4 und § 1254 Abs. 2 Satz 2 RVO, daß Beitragszeiten, die während des Bezuges einer dem Altersruhegeld entsprechenden Leistung zurückgelegt sind, für die Hinterbliebenenrenten zusätzlich angerechnet werden. Beitragszeiten im Sinne dieser Vorschrift sind die nach § 15 Abs. 1 FRG gleichgestellten Zeiten, d. h. die in einer gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten (vgl. § 15 Abs. 2 FRG).

Die Beklagte bezweifelt im Hinblick auf die vom LSG nicht aufgeführten Eintragungen in den Versicherungsausweisen der SBZ, ob die Klägerin Beitragszeiten in der Rentenversicherung zurückgelegt hat. Aus dem Sozialversicherungsrecht der SBZ, das in der hier maßgeblichen Zeit der Beschäftigung der Klägerin gegolten hat, ergeben sich tatsächlich solche Zweifel.

In der SBZ besteht eine Einheitsversicherung in der Sozialversicherung. Nach § 2 der Verordnung über Sozialpflichtversicherung vom 28. Januar 1947 (VSV, Arbeit- und Sozialfürsorge - AuS - 1947, 92) bezeichnet "Sozialversicherung" die Pflichtversicherung für den Fall von Unfällen und Berufserkrankungen, von Krankheit, Mutterschaft, Invalidität und Alter sowie zugunsten der Hinterbliebenen. Nach § 3 VSV unterliegen der Sozialversicherungspflicht alle in unselbständiger Arbeit stehenden ständig und unständig Beschäftigten ... Nach § 18 Abs. 1 Buchst. a VSV werden die Versicherungsbeiträge für Beschäftigte auf 20 % des Grundbetrages festgesetzt. Der Versicherte und der Unternehmer zahlen je die Hälfte der Beiträge. Nach § 18 Abs. 1 Buchst. e VSV zahlen im Fall der Arbeitsfortsetzung oder der Arbeitsaufnahme von Arbeitern und Angestellten, die Vollrente beziehen, solche Personen keine Versicherungsbeiträge; die Unternehmer sind verpflichtet, für solche Personen ihren Beitragsanteil zu zahlen. Vollrentner im Sinne dieser Bestimmung sind Personen, die eine Vollrente aufgrund der §§ 54 und 55 VSV erhalten (Erste DVO zur VSV vom 9.4.1947, AuS 1947, 195). Nach § 55 Abs. 1 VSV erhalten Altersrente ... versicherte Frauen nach Erreichung des 60. Lebensjahres.

Die Altersrente, die die Klägerin nach den Feststellungen des LSG bezogen hat, war demnach eine Vollrente im Sinne der Beitragsvorschriften der VSV. Dem steht nicht entgegen, daß die Rente aufgrund "verkürzter Wartezeit" gewährt wurde. Nach § 51 Abs. 1 VSV darf der Versicherte nicht weniger als zwei Drittel der Zeit versichert gewesen sein, gerechnet vom Tage der erstmaligen Versicherung an, jedoch nicht weniger als 5 Jahre bei Invalidenrente, 15 Jahre bei Altersrente und 5 Jahre bei Bezug von Hinterbliebenenrente. § 51 Abs. 3 VSV bestimmt: "Für Personen, die im Zeitpunkt der erstmaligen Versicherung das 50. Lebensjahr erreicht haben, verringert sich die Wartezeit bei Altersrente um die Anzahl der Jahre, die das 50. Lebensjahr übersteigen. Die Wartezeit beträgt nicht weniger als 5 Jahre". Diese erleichterte Voraussetzung der Altersrente durch die Verkürzung der Wartezeit bei spätem Beginn der Versicherung ändert nicht den Charakter der Rente als Altersrente - Vollrente - i. S. des § 55 VSV; denn sie wird ohne ärztliche Untersuchung und ohne Prüfung der Erwerbsfähigkeit aufgrund eines bestimmten Lebensalters gewährt.

Die Klägerin war also in der SBZ Vollrentnerin. Deshalb hatte sie als Arbeitnehmer keine Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Nur der Arbeitgeber hatte seinen Beitragsanteil zu leisten. Der Beitragsanteil, den der Arbeitgeber bei beschäftigten Vollrentnern zu zahlen hat, wirkt nicht rentensteigernd. In AuS 1953, 410, 412 wird dargelegt, dieser Arbeitgeberanteil diene zur Deckung der Ausgaben der Sozialversicherung bei Krankheit einschließlich Unfallfolgen (Berufskrankheiten), Mutterschaft und Tod. Daß der für Bezieher von Vollrente gezahlte Beitragsanteil des Arbeitgebers nicht rentensteigernd wirkt, entspricht insofern dem weggefallenen § 1386 RVO. Jedoch könnte der Beitragsanteil des Arbeitgebers nach den Ausführungen in AuS aaO Bedeutung für die Hinterbliebenenrente haben. Es braucht indes nicht näher geprüft zu werden, ob infolge dieser Bedeutung mit dem Arbeitgeberanteil Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet und deshalb "Beitragszeiten" im Sinn des § 15 Abs. 1 FRG zurückgelegt sind; denn Beitragszeiten, die während des Bezuges einer dem Altersruhegeld entsprechenden Leistung zurückgelegt sind, können in der BR ohnehin erst für Hinterbliebenenrenten zusätzlich angerechnet werden (§ 19 Abs. 3 FRG). Dieser Fall liegt hier nicht vor.

Die Altersrente der Klägerin in der SBZ entspricht entgegen der Ansicht des LSG dem Altersruhegeld der RVO im Sinne des § 19 Abs. 3 FRG. Wesentlich dafür, ob eine Leistung dem Altersruhegeld der RVO entspricht, ist in erster Linie, daß der zur Leistung führende Versicherungsfall auf das Lebensalter und nicht auf eine gesundheitliche Minderung der Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit (MdE) abgestellt ist, sowie ferner, daß die Leistungen anläßlich des Alters an strengere Voraussetzungen hinsichtlich des Versicherungsverhältnisses geknüpft sind als die Leistungen bei einer gesundheitlich bedingten MdE, zB Dauer des Versicherungsverhältnisses, Höhe der Beiträge u. ä.. Für die Gleichstellung genügt, daß unterschiedliche Voraussetzungen für eine Rente wegen MdE und für die Altersrente im Gesetz grundsätzlich vorgesehen sind. Erleichterte Voraussetzungen für besondere Fälle als Ausnahme von der Regel berühren nicht die Rechtsnatur der Leistungen anläßlich des Alters als Altersrente. Eine solche Erleichterung ist die verkürzte Wartezeit für die Altersrente in der SBZ. Auch das Bundesrecht erleichtert die Erfüllung der Wartezeit für das Altersruhegeld bei Eintritt in die Versicherung erst nach Vollendung des 50.

Lebensjahres für einen bestimmten Personenkreis (Art. 2 § 52 Abs. 2 ArVNG). Sowohl § 51 Abs. 3 VSV als auch Art. 2 § 52 Abs. 2 ArVNG will Personen, die spät in die Versicherung eingetreten sind, noch den Bezug der für den Versicherungsfall des Alters vorgesehenen Leistungen ermöglichen. Die Leistungen in der SBZ verlieren diese Rechtsnatur nicht dadurch, daß der Zweck der gesetzlich geschaffenen, erleichterten Voraussetzungen in der RVO und in der VSV auf verschiedene Weise erreicht wird, nämlich einmal durch Anrechnung einer fiktiven Wartezeit nach Bundesrecht und zum anderen durch Verkürzung der allgemeinen Wartezeit nach der VSV. Die Altersrente nach "verkürzter Wartezeit" kann nicht einer BU- oder EU-Rente der RVO gleichgestellt werden, weil sie nicht auf Grund einer MdE gewährt wird. Die Altersrente der Klägerin entspricht damit dem in der RVO vorgesehenen Altersruhegeld mit der Wirkung, daß "Beiträge" während des Bezugs von Altersrente nur bei Hinterbliebenenrenten angerechnet werden können.

Zwar erhält die Klägerin in der BR nicht Altersruhegeld - sie hat die Wartezeit von 15 Jahren nicht erfüllt - sondern Rente wegen EU. Doch hat dies nicht zur Folge, daß Beitragszeiten, die sie etwa in der SBZ während des Bezuges der Altersrente zurückgelegt haben könnte, bei ihrer EU-Rente aus dem Grunde anzurechnen wären, weil diese Rente kein Altersruhegeld ist, also auf einem anderen Versicherungsfall als dem des Alters beruht (vgl. § 1258 Abs. 4 RVO, wonach für die Rente wegen EU die vor Eintritt der EU zurückgelegten Versicherungs- und Ausfallzeiten berücksichtigt werden). § 19 Abs. 3 FRG muß insofern als eine Sondervorschrift gegenüber § 1258 Abs. 4 RVO angesehen werden. § 19 Abs. 3 FRG stimmt mit der Systematik der RVO überein, wonach der Versicherungsfall des Alters grundsätzlich der das Versicherungsleben des Versicherten abschließende Versicherungsfall ist (vgl. § 1248 Abs. 1 und 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 RVO) und daß der Versicherte während des Bezuges von Altersruhegeld nichts mehr zur Erhöhung einer ihm zu gewährenden Rente tun kann; denn als Beschäftigter ist er versicherungsfrei (§ 1229 Abs. 1 Nr. 1 RVO) und freiwillige Beiträge kann er nicht mehr entrichten (§ 1233 Abs. 1 Satz 2 RVO). Dem entspricht, daß § 19 Abs. 3 FRG die Anrechnung der während des Bezuges einer dem Altersruhegeld entsprechenden Leistung zurückgelegten Beitragszeiten erst bei dem dem Versicherungsfall des Alters folgenden Versicherungsfall zuläßt d. h. beim Versicherungsfall des Todes mit Wirkung für die Hinterbliebenen. § 19 Abs. 3 FRG sieht keine Ausnahme vor, wenn nach dem Bezug einer Altersrente im Herkunftsland in der BR eine andere Versichertenrente als das Altersruhegeld gewährt wird. Es entspricht auch dem in § 15 Abs. 1 FRG noch berücksichtigten Entschädigungsgedanken, wonach Beitragszeiten im Gegensatz zu Beschäftigungszeiten (§ 16 Satz 2 FRG) auch dann gleichgestellt sind, wenn die ihnen zugrunde liegende Beschäftigung im Bundesgebiet nicht versicherungspflichtig gewesen wäre, daß gleichgestellte Beitragszeiten in der BR keine stärkere Wirkung auf die Rentengewährung haben können, als sie im Herkunftsland selbst gehabt hätten, wo sie nicht rentensteigernd für eine Rente des weiterbeschäftigten Beziehers einer "Altersrente" als "Vollrente" gewesen wären.

Die Zeiten der Beschäftigung während des Bezuges der Altersrente können auch nicht als Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG rentensteigernd angerechnet werden. Zeiten der Beschäftigung sind nach § 16 Satz 2 FRG bundesrechtlichen Versicherungszeiten nur dann gleichgestellt, wenn die Beschäftigung bei Verrichtung im Bundesgebiet Versicherungspflicht nach dem vom 1. März 1957 an geltenden Bundesrecht begründet hätte. Gegen Entgelt beschäftigte Empfänger von Altersruhegeld, dem die Altersrente in der SBZ entspricht, sind nach Bundesrecht versicherungsfrei (§ 1229 Abs. 1 Nr. 1 RVO). Die Klägerin wäre sonach als Altersruhegeldempfängerin in der BR versicherungsfrei gewesen.

Der vom LSG festgestellte Sachverhalt genügt in Verbindung mit dem Recht der SBZ für die sachliche Entscheidung durch den Senat. Auf weitere Feststellungen über die Eintragungen in den Versicherungsausweisen der Klägerin kommt es daher nicht an.

Das Urteil des LSG ist aus diesen Gründen aufzuheben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG ist in vollem Umfang zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 209

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