Leitsatz (redaktionell)

Beiträge, die ein Versicherter während des Bezugs der Altersrente zur sowjetzonalen Rentenversicherung geleistet hat, können nicht auf das gemäß AVG § 25 (= RVO § 1248) zu gewährende Altersruhegeld angerechnet werden.

 

Normenkette

AVG § 25 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1248 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. September 1962 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin setzt das von ihrem Ehemann eingeleitete, durch seinen Tod unterbrochene Revisionsverfahren fort.

Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) ist der Versicherte (geboren 1888) in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) selbständiger Graveurmeister gewesen. Er hat dort vom 1. Februar 1953 an eine Altersrente bezogen. Während der Bezugszeit hat er als Handwerker weiterhin Pflichtbeiträge zur sowjetzonalen Rentenversicherung geleistet. Im August 1957 ist er in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) gekommen.

Die Beklagte gewährte dem Versicherten aus den bis Januar 1953 zurückgelegten Versicherungszeiten vom 1. Oktober 1957 an das Altersruhegeld aus der Versicherung der Handwerker. Die Rente betrug 126,10 DM monatlich und vom 1. Januar 1959 an 190,90 DM monatlich (Bescheide vom 20. August 1958 und vom 19. Dezember 1960).

Mit der Klage wollte der Versicherte erreichen, daß bei der Berechnung des Altersruhegeldes auch die Beitragsleistung in der SBZ vom Februar 1953 bis September 1957 berücksichtigt werde. Das Sozialgericht (SG) Hannover wies jedoch die Klage ab. Das LSG Niedersachsen wies die Berufung des Versicherten zurück: Der Monat September 1957 entfalle von vornherein als sowjetzonale Beitragszeit, weil der Versicherte schon am 8. August 1957 in die BRD gekommen sei. Die Beitragszeiten von Februar 1953 bis August 1957 deckten sich mit den entsprechenden Zeiten des Bezugs der sowjetzonalen Altersrente und seien vom 1. Januar 1959 an nach § 19 Abs. 3 des Fremdrentengesetzes (FRG) für die künftige Hinterbliebenenrente zusätzlich anzurechnen. Für die Zeit vor dem 1. Januar 1959 fehle aber eine entsprechende gesetzliche Vorschrift; insoweit müsse es bei den allgemeinen Vorschriften verbleiben. Danach sei das Versicherungsverhältnis mit Eintritt des Versicherungsfalls der Vollendung des 65. Lebensjahres abgeschlossen. Spätere Beiträge könnten bei der Berechnung des Altersruhegeldes nicht berücksichtigt werden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 4 Abs. 1 Satz 2 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FAG) vom 7. August 1953 (Urteil des LSG vom 28. September 1962).

Der Versicherte legte die - vom LSG zugelassene - Revision ein mit dem Antrag,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihrer Bescheide zu verurteilen, bei der Rentenberechnung die Beiträge des Versicherten zur sowjetzonalen Handwerkerversicherung in der Zeit von November 1945 (muß richtig heißen: Februar 1953) bis 30. September 1957 zu berücksichtigen.

Zur Begründung der Revision führte er aus: Die Auffassung des LSG, daß für die Zeit vor dem 1. Januar 1959 die allgemeinen bundesdeutschen Vorschriften anzuwenden seien, sei nicht überzeugend. Unbegründet sei auch die Annahme des LSG, die nach der Vollendung des 65. Lebensjahres in der SBZ geleisteten Beiträge seien nicht für das Altersruhegeld bestimmt gewesen. In der SBZ sei eine Handwerkssteuer erhoben worden, die gleichzeitig Grundbetrag für die Sozialversicherung gewesen sei. Im Jahre 1952 habe er 918,- DM gezahlt. Nachdem er Rentner geworden sei, habe er bis zu seinem Weggang aus der SBZ 459,- DM jährlich zahlen müssen. Im Sozialversicherungsausweis seien diese Beträge nicht eingetragen, sondern der sechsfache und ab 1951 der fünffache Betrag der Handwerkssteuer. Diese Beträge hätten jedoch mit dem Einkommen nichts zu tun; dieses sei überhaupt nicht ermittelt worden. Das Berufungsgericht sei auf das Vorbringen des Versicherten in der mündlichen Verhandlung nicht eingegangen; es habe seine Aufklärungspflicht verletzt und den Sachverhalt nicht ausreichend erforscht.

Die Beklagte nahm während des Revisionsverfahrens eine Neuberechnung der Rente vor. Dabei berücksichtigte sie das Urteil des Senats vom 6. September 1962 - 1 RA 115/58 - (SozR 1. DVO zum FremdRG vom 31. Juli 1954, Allg. Bl. Aa 1 Nr. 3). Im übrigen beantragte sie

die Zurückweisung der Revision.

Die vom LSG zugelassene Revision ist statthaft. Zwar sind in der Revisionsbegründung entgegen § 164 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht ausdrücklich die Gesetzesvorschriften bezeichnet, deren Verletzung durch das LSG die Revision rügen will. Deshalb entsprechen die Verfahrensrügen, die gegen das Urteil des LSG erhoben worden sind und zu denen die Revision weder Tatsachen noch Beweismittel angibt, nicht der Form des § 164 Abs. 2 SGG (BSG 1, 227, 231). Dagegen ist aus dem Revisionsvorbringen zu erkennen, welche sachlich-rechtlichen Vorschriften als verletzt angesehen werden. Die Revision bemängelt die Nichtberücksichtigung der während des Bezugs der Altersrente in der SBZ zurückgelegten Beitragszeiten des Versicherten nach dem Recht vor dem 1. Januar 1959. Danach macht sie eine Verletzung der Vorschriften in §§ 2 und 4 FAG in Verbindung mit Art. 6 § 11 Satz 1 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) geltend.

Die Revision ist jedoch unbegründet. Soweit es sich um den (im Revisionsantrag mitgenannten) Beitrag für den Monat September 1957 handelt, hat das LSG angenommen, dieser Monat könne schon deshalb nicht als Versicherungszeit angerechnet werden, weil der Versicherte bereits im August 1957 in die BRD gekommen sei. Es kann für die Entscheidung des Rechtsstreits dahinstehen, ob diese Auffassung zutrifft oder nicht (vgl. BSG 17, 231); denn der genannte Beitrag muß aus anderen Gründen - ebenso wie die sonstigen Beitragszeiten, die der Versicherte seit dem Beginn des Altersruhegeldes (Februar 1953) zur Rentenversicherung in der SBZ zurückgelegt hat - bei der Berechnung des von der Beklagten gewährten Altersruhegeldes außer Betracht bleiben.

Beim Versicherten ist der Versicherungsfall mit der Vollendung des 65. Lebensjahres im Februar 1953 eingetreten. Seit dieser Zeit hat er die Altersrente in der SBZ bezogen. Durch seine Flucht in die BRD ist kein neuer Versicherungsfall des Alters entstanden (vgl. BSG 15, 93). Für die Leistungen, die der Versicherte von der Beklagten seit 1. Oktober 1957 erhält, sind nach § 2 FAG grundsätzlich die im Bundesgebiet geltenden Vorschriften der Sozialversicherung maßgebend; dabei sind die Besonderheiten der Regelungen in den §§ 3 bis 7 FAG zu berücksichtigen. Das im Bundesgebiet seit 1957 geltende Recht bestimmte zwar in § 113 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), der Arbeitgeber habe auch für Versicherte, die wegen des Bezugs eines Altersruhegeldes aus der Angestelltenversicherung (AnV) versicherungsfrei sind, den Beitragsanteil zu entrichten, den er entrichten müßte, wenn der Versicherte versicherungspflichtig wäre (Arbeitgeberanteil). Aus einer Beitragsleistung nach dieser Vorschrift, die seit dem 1. Juli 1965 aufgehoben ist (Art. 1 § 2 Nr. 36 des Rentenversicherungsänderungsgesetzes - RVÄndG - vom 9. Juli 1965 - BGBl I 476 -), erwarb aber der Versicherte keinen Leistungsanspruch; die Vorschrift diente nur arbeitsmarktpolitischen Zielen (vgl. Beschluß des BVerfG vom 16. Oktober 1962 - 2 BvL 27/60 -, abgedr. im SozR Bl. Ab 1 Nr. 1 zu Art. 108 des Grundgesetzes - GG -). Auch sonst kennt das AVG weder in der vor noch seit 1957 geltenden Fassung eine Möglichkeit, für das Altersruhegeld Beiträge zu berücksichtigen, die für Zeiten nach dessen Beginn entrichtet wurden. Es gilt vielmehr in der gesetzlichen Rentenversicherung ein allgemeiner Grundsatz des Inhalts, daß Beiträge, die während des Bezugs einer Rente geleistet werden, deren Höhe nicht beeinflussen, d.h. nicht zu einer durch Anrechnung dieser Beiträge höheren Rente der gleichen Art führen können. Von diesem Grundsatz hat der Senat nur im Falle der Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen durch vertriebene und evakuierte frühere Selbständige nach Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG eine Ausnahme, nämlich die Berücksichtigung der Beiträge bei der laufenden Rente schon vom Monat der Nachentrichtung an zugelassen, weil der in dieser Vorschrift zum Ausdruck gekommene Entschädigungsgedanke und der mit ihr verfolgte Zweck des Lastenausgleichs eine alsbaldige Anrechnung der nachentrichteten Beiträge geboten erscheinen ließen (BSG 21, 193). Hiervon abgesehen gilt aber in der gesetzlichen Rentenversicherung die Regel, daß eine während des Rentenbezugs zulässige Weiterversicherung zu Leistungen nur für einen späteren Versicherungsfall führen kann (vgl. §§ 10 Abs. 2, 30 Abs. 2 Satz 4, 31 Abs. 2 Satz 2 AVG = §§ 1233 Abs. 2, 1253 Abs. 2 Satz 4, 1254 Abs. 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -; Art. 2 § 37 Abs. 3 Satz 4 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG - = Art. 2 § 38 Abs. 3 Satz 4 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG -; § 19 Abs. 3 FRG). Dies muß auch für die Beiträge gelten, um deren Anrechnung der vorliegende Rechtsstreit geführt wird; sie können - wie das LSG zutreffend entschieden hat - das Altersruhegeld des Versicherten nicht erhöhen.

Eine andere Betrachtung ergibt sich auch nicht aus § 4 Abs. 1 FAG; hier ist allerdings bestimmt, daß Versicherungszeiten, die bei einem der dort genannten Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (dazu gehört auch der sowjetzonale Versicherungsträger) zurückgelegt worden oder von ihm zu berücksichtigen sind, u.a. für die Wartezeit und die Rentenberechnung wie die in den Rentenversicherungen im Bundesgebiet zurückgelegten Versicherungszeiten angerechnet werden; dies gilt nach Satz 2 für Beitragszeiten ohne Rücksicht darauf, ob sie nach Bundesrecht anrechenbar wären. Infolgedessen sind auch z.B. im Bundesgebiet ungültige Beiträge anzurechnen. Dies kann aber nur gelten, soweit es sich um Beiträge handelt, die - wie es in § 4 Abs. 1 Satz 1 FAG heißt - von dem fremden Versicherungsträger nach dem für ihn geltenden Recht zu berücksichtigen, d.h. auf das Altersruhegeld anzurechnen sind. Dies folgt aus dem das FAG beherrschenden Entschädigungsprinzip, das die Versicherungsträger der BRD grundsätzlich nur in dem Umfang haften läßt, in dem der fremde Versicherungsträger zu leisten gehabt hätte. Aus den Beiträgen, die der Versicherte in der Zeit vom Rentenbezug an zum sowjetzonalen Rentenversicherungsträger geleistet hat, hätte dieser aber keine Leistung an den Versicherten erbringen müssen. Wie die Revision selbst vorträgt und wie sich aus den Eintragungen im Versichertenausweis ergibt, ist die Beitragspflicht des Versicherten vom Rentenbeginn an auf die Hälfte der bis dahin zu leistenden Beiträge herabgesetzt worden. Dies entsprach, worauf die Beklagte in ihrer Revisionserwiderung mit Recht hinweist, der damals in der SBZ maßgeblichen Bestimmung in § 9 der 3. Durchführungsbestimmung zum Gesetz zur Förderung des Handwerks vom 16. August 1952 (GBl S. 737). Nach Abs. 6 dieser Bestimmung wirkten die ermäßigten (halben) Handwerkerbeiträge in der Rentenversicherung "weder wartezeiterfüllend noch rentensteigernd". Sie haben - ähnlich wie die früher nach § 113 AVG zu entrichtenden Arbeitgeberanteile in der BRD - auch in der SBZ die Höhe der zuvor festgesetzten Altersrente nicht beeinflußt. Es besteht daher auch für die Beklagte kein Grund, sie bei der von ihr zu erbringenden Leistung im Rahmen des § 4 FAG zugunsten des Versicherten zu berücksichtigen und danach mehr zu leisten, als der fremde Versicherungsträger, dem die Beiträge zugeflossen sind.

Die fraglichen Beitragszeiten könnten auch dann nicht bei dem von der Beklagten gewährten Altersruhegeld angerechnet werden, wenn es zuträfe, daß in der SBZ - wie der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ohne jede nähere Angabe behauptet hat - die einschränkende Bestimmung des Gesetzes vom 16. August 1952 später aufgehoben worden wäre. Denn auch dann stünde dem Klagebegehren immer noch der allgemeine Grundsatz entgegen, daß Beitragsleistungen jeweils nur für den späteren Versicherungsfall berücksichtigt werden können. Dieser Grundsatz muß auch im Rahmen des Fremdrentenrechts von 1953 berücksichtigt werden; § 4 Abs. 1 Satz 2 FAG steht dem nicht entgegen. Das vom 1. Januar 1959 an geltende neue Fremdrentengesetz hat diesen Gedanken deutlicher zum Ausdruck gebracht als das frühere Recht. Nach § 15 FRG werden Beitragszeiten, die während des Bezugs einer Rente gleich welcher Art zurückgelegt sind, den Beitragszeiten im Bundesgebiet gleichgestellt. Diese Gleichstellung bedeutet aber auch, daß solche Beitragszeiten entsprechend den oben angegebenen Vorschriften des AVG jeweils bei Eintritt des nächstfolgenden Versicherungsfalls berücksichtigt werden. Darüber hinaus bestimmt § 19 Abs. 3 FRG ausdrücklich, daß Beiträge, die während des Bezugs einer dem Altersruhegeld entsprechenden Leistung zurückgelegt sind, nur für die Hinterbliebenenrente zusätzlich angerechnet werden.

Danach ist aber die Beklagte weder für die Zeit vor noch nach dem 1. Januar 1959 befugt, die Beitragszeiten, die der Versicherte nach den Feststellungen des LSG in der Rentenversicherung der SBZ während des Bezugs einer Altersrente zurückgelegt hat, auf das Altersruhegeld nach dem AVG anzurechnen und die Rentenleistung dadurch zu erhöhen. Die Revision erweist sich deshalb als unbegründet (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2351525

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