Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz bei Fahrgemeinschaft. Umweg

 

Leitsatz (amtlich)

Die Versicherung ist gemäß § 550 Abs 2 Nr 2 RVO nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte auf dem unmittelbaren Weg von oder nach der Familienwohnung (§ 550 Abs 3 RVO) abweicht, weil er mit anderen berufstätigen oder versicherten Personen ein Fahrzeug für den Weg von oder nach der Familienwohnung benutzt.

 

Leitsatz (redaktionell)

Für den Versicherungsschutz auf Fahrten zwischen der Familienwohnung und dem Ort der Tätigkeit (§ 550 Abs 3 RVO) ist es unerheblich, ob der Versicherte für diese Fahrten ein arbeitsfreies Wochenende benutzt oder Tarifurlaub oder unbezahlten Urlaub genommen hat.

 

Orientierungssatz

1. Der Begriff der "Wohnung" in § 550 Abs 2 Nr 2 RVO umfaßt ebenfalls die in § 550 Abs 3 RVO genannte Familienwohnung.

2. Bei Fahrgemeinschaften ist eine Grenze für das Verhältnis zwischen Abweg und Gesamtwegstrecke nicht zu ziehen (Festhaltung BSG 1982-07-28 2 RU 49/81 = BSGE 54, 46 = SozR 2200 § 550 Nr 51).

 

Normenkette

RVO § 550 Abs. 2 Nr. 2 Fassung: 1974-04-01, Abs. 3 Fassung: 1974-04-01

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 30.11.1982; Aktenzeichen L 5 U 123/80)

SG Detmold (Entscheidung vom 05.11.1980; Aktenzeichen S 8 U 287/79)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten Entschädigungsleistungen aus Anlaß eines am 30. Januar 1979 in der Türkei erlittenen Unfalls, durch welchen er ua das rechte Auge verloren hat.

Der bei der Spedition G. M. GmbH & Co in . beschäftigt und dort in einem möblierten Zimmer wohnhaft gewesene Kläger war am 26. Dezember 1978 von . aus mit dem Kraftwagen zu seiner Familie (Ehefrau und vier minderjährige Kinder) nach T. (europäische Türkei) gefahren. Er hatte bis zum 25. Januar 1979 bezahlten und bis zum 31. Januar 1979 unbezahlten Urlaub. Am 30. Januar 1979 fuhr der Kläger mit seinem Kraftwagen von T. in Richtung H. , um dort seine Arbeitskollegen F. A. , V.A. und A. K. abzuholen und mit ihnen zurück nach B. zu fahren. Dabei kam es, bevor er H. erreichte, zu dem erwähnten Unfall. Die Beklagte lehnte Entschädigungsansprüche des Klägers ab, weil sich der Unfall des Klägers nicht auf dem unmittelbaren Rückweg von T. nach B. , sondern auf einem Abweg in entgegengesetzter Richtung ereignet habe (Bescheid vom 27. September 1979).

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die Klage auf Gewährung von Entschädigungsleistungen abgewiesen (Urteil vom 5. November 1980). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen das erstinstanzliche Urteil geändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Verletztenrente zu gewähren (Urteil vom 30. November 1982). Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Unfall am 30. Januar 1979 sei ein Arbeitsunfall gewesen. Der Kläger habe an seinem Beschäftigungsort in . lediglich ein möbliertes Zimmer als Unterkunft bewohnt; seine Familie habe sich in T. befunden. Mit dem am Unfalltag zurückgelegten Weg habe er bezweckt, die Arbeit in B. wieder aufzunehmen. Auf diesem Weg sei er nach § 550 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versichert gewesen. Die Versicherung sei gemäß § 550 Abs 2 Nr 2 RVO nicht ausgeschlossen gewesen, weil er nicht unmittelbar von T. nach B. gefahren sei, sondern einen Abweg nach H. eingeschoben habe, um seine Arbeitskollegen abzuholen und mit nach B. zu nehmen. Zumindest für F.A. sei erwiesen, daß es sich auch für ihn um eine Fahrt von der Familienwohnung zum Ort der Beschäftigung gehandelt haben würde. Nach Auskunft der Firma M. und Angaben des Klägers sei F.A. in derselben Firma wie der Kläger beschäftigt gewesen und habe seine Tätigkeit ebenfalls am 1. Februar 1979 dort wieder aufnehmen sollen. Seine Ehefrau habe am Unfalltag in H. gewohnt. Die Länge des Abweges spiele bei einer Fahrgemeinschaft keine Rolle. Entscheidend sei, daß alleiniger Grund der zum Unfall führenden Fahrt die Absicht des Klägers gewesen sei, seinen Arbeitskollegen F.A. zur Wiederaufnahme der Arbeit nach B. zu bringen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Der Versicherungsschutz sei für den Kläger schon deshalb nicht gegeben gewesen, weil er im Anschluß an den Tarifurlaub noch eine Woche unbezahlten Urlaub genommen, praktisch also Erholungsurlaub gehabt habe. Die Rückfahrt von T. nach B. sei deshalb nicht als Rückweg von der Familienheimfahrt geschützt gewesen, sondern habe der Rückfahrt von einem unversicherten Erholungsurlaub entsprochen. In rechtlicher Hinsicht sei eine Kumulierung zwischen § 550 Abs 3 RVO und § 550 Abs 2 Nr 2 RVO nicht zulässig. Die erste Vorschrift schütze Familienheimfahrten und ihre Anwendung müsse auf diese beschränkt bleiben. Die zweite Vorschrift schütze die tägliche Fahrt zum Betrieb oder zurück, wobei Umwege bzw Abwege in Kauf genommen werden müssten. Zudem habe es sich bei dem Abweg, den der Kläger zurückzulegen beabsichtigte, um eine Strecke von 550 bis 600 km gehandelt, die im Hinblick auf die gesamte Wegstrecke von 2.300 bis 2.400 km unvertretbar gewesen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei schon ein Umweg von 100 km bei einer Fahrt in die Türkei keine nur unbedeutende Abweichung. Die Tatsachenfeststellungen des LSG seien unzureichend und fehlerhaft. Bei der Feststellung, daß die Ehefrau des F.A. in H. wohnte, habe das LSG übersehen, daß nach der Auskunft der Firma R. vom 28. April 1982 F.A. mit seiner Ehefrau in B. wohnte und lediglich ihre vier erwachsenen Kinder in der Türkei lebten. Für F.A. habe es sich somit um keine Familienheimfahrt gehandelt. Auffallend sei auch, daß .A. in der Zeit des unbezahlten Urlaubs des Klägers bis 31. Januar 1979 krank gewesen sei. Das LSG hätte prüfen müssen, ob und welche Krankheit vorgelegen habe. Möglicherweise habe F.A. seinen Urlaub ebenso wie der Kläger aus privaten Gründen verlängert. Dann hätte auch für ihn auf der Rückfahrt von seinem Erholungsurlaub kein Versicherungsschutz bestanden.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. November 1982 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Detmold vom 5. November 1980 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er trägt vor, daß auch bei der Fahrt nach und von der Familienwohnung (§ 550 Abs 3 RVO) Versicherungsschutz für Fahrgemeinschaften auf Um- und Abwegen (§ 550 Abs 2 Nr 2 RVO) gegeben sei. In diesem Zusammenhang komme es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht darauf an, ob sich die Versicherten der Familienheimfahrt im Rahmen eines bezahlten oder unbezahlten Urlaubs bei ihren Familien aufhalten. Das LSG habe festgestellt, daß alle Personen, die der Kläger von . aus nach B. habe mitnehmen wollen, ihre Familien in der Türkei hatten. Genaue Feststellungen über die Verhältnisse zwischen Weg und Umweg habe das LSG nicht zu treffen brauchen. Eine Fahrt von B. in die Türkei sei mindestens 2.500 km lang. Der Abweg sei demnach als vertretbar anzusehen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.

Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen nicht aus für die Entscheidung, daß der Kläger zur Zeit des Unfalls am 30. Januar 1979 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die auch von der Beklagten nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen sind, befand sich die ständige Familienwohnung des Klägers bei seiner in T. wohnenden Familie (Ehefrau und vier minderjährige Kinder). Am Beschäftigungsort in B. bewohnte der Kläger ein möbliertes Zimmer als Unterkunft. Auf der am 26. Dezember 1978 angetretenen Fahrt von B. zu seiner Familie nach . stand der Kläger daher unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Versicherungsschutz besteht nicht nur nach § 550 Abs 1 RVO auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit, sondern nach § 550 Abs 3 RVO auch auf dem Weg von und nach der Familienwohnung, selbst wenn der Versicherte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat. Mit dieser Vorschrift, die ursprünglich als § 545a Abs 2 durch Art 1 Nr 3 des Fünften Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung - 5. ÄndG - vom 17. Februar 1939 (RGBl I 267) in die RVO eingefügt worden war, hat der Gesetzgeber einen Versicherungsschutz geschaffen, der über den Versicherungsschutz auf dem Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit hinausgeht und es ermöglicht, rechtlich die dem persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Beweggründe für die Fahrt unberücksichtigt zu lassen (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl S 485 t mit Rechtsprechungsnachweisen). Für den Versicherungsschutz auf einer Familienheimfahrt ist es daher unerheblich, ob der Versicherte für diese Fahrt ein arbeitsfreies Wochenende benutzt oder Tarifurlaub oder unbezahlten Urlaub genommen hat; die Familienheimfahrt kann sogar noch nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses durchgeführt werden (BSG Urteil vom 25. Mai 1972 - 5 RKnU 28/68 - Praxis 1972, 376). In allen diesen Fällen ist der für den Versicherungsschutz erforderliche ursächliche Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis gegeben. Die Fahrt nach und von der Familienwohnung des Versicherten während eines unbezahlten Urlaubs ist daher entgegen der Meinung der Beklagten nicht einer eigenwirtschaftlichen und daher unversicherten Urlaubsfahrt gleichzusetzen (zB BSG Urteil vom 19. Oktober 1982 - 2 RU 67/81 -; vgl auch Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl § 550 Anm 30). Der Kläger wäre daher jedenfalls versichert gewesen, wenn er am 30. Januar 1979 anstatt nach H. zu fahren, den direkten Weg von . in Richtung B. genommen hätte.

Der Senat stimmt dem LSG darüber hinaus auch darin zu, daß der Versicherungsschutz des Klägers nicht grundsätzlich schon deshalb ausgeschlossen war, weil er in den direkten Weg von T. nach B. einen Abweg in Richtung . eingeschoben hatte, sofern er beabsichtigte, dort Versicherte oder Berufstätige abzuholen und sie auf seinem Weg nach B. mitzunehmen.

Nach § 550 Abs 2 Nr 2 RVO, der durch § 15 Nr 1 des Siebzehnten Rentenanpassungsgesetzes - 17. RAG - vom 1. April 1974 (BGBl I 821) in die RVO eingefügt wurde, ist die Versicherung nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte von dem unmittelbaren Weg zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit abweicht, weil er mit anderen berufstätigen oder versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit benutzt. Die Anwendung dieser Vorschrift ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf die täglichen Fahrten zum Betrieb und zurück beschränkt. Daß bei der Fahrgemeinschaft die Wohnung als Ausgangs- und Endpunkt des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit bezeichnet ist, besagt nicht, daß damit ausschließlich die Wohnung (oder Unterkunft) am Beschäftigungsort oder in dessen Nähe gemeint ist (s auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl, S 486 t). Wohnung iS des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO ist auch die ständige Familienwohnung des Versicherten oder einer mitzunehmenden berufstätigen oder versicherten Person. Der Senat hat bereits im Zusammenhang mit dem Versicherungsschutz von Arbeitslosen bei Erfüllung ihrer Meldepflicht nach § 537a Nr 3 iVm § 543a RVO in der bis zum Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes -UVNG- vom 30. April 1963 (BGBl I 241) am 1. Juli 1963 (Art 4 § 16 Abs 1 UVNG) geltenden Fassung (RVO aF) entschieden, daß der Unfallversicherungsschutz für Arbeitslose grundsätzlich in dem Umfang anerkannt werden muß, der sich sonst bei Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses ergeben würde. Diese Erwägung hat es nicht erlaubt, dem Begriff der "Wohnung" des Arbeitslosen eine andere rechtliche Bedeutung beizulegen als ihm bei den in § 543 RVO aF geregelten Unfällen von Beschäftigten auf den Wegen nach und von der Arbeitsstätte zukommt (BSG SozR Nr 1 zu § 543a RVO aF). Da § 543 Abs 1 RVO aF - ebenso wie schon zuvor § 545a Abs 1 und 2 RVO idF des 5. ÄndG - den Versicherungsschutz bei Unfällen nicht nur auf den Wegen nach und von der Arbeitsstätte, sondern auch von und nach der Familienwohnung betraf, waren Arbeitslose auch auf Wegen geschützt, die sie zur Erfüllung ihrer Meldepflicht beim zuständigen Arbeitsamt von der Familienwohnung aus antraten. Der Senat ist der Auffassung, daß auch der Begriff der "Wohnung" in § 550 Abs 2 Nr 2 RVO ebenfalls die in § 550 Abs 3 RVO genannte Familienwohnung umfaßt.

Die Stellung, die die Vorschriften über den Versicherungsschutz einerseits bei Fahrgemeinschaften (§ 550 Abs 2 Nr 2 RVO) und andererseits bei Familienheimfahrten (§ 550 Abs 3 RVO) in § 550 RVO einnehmen, erachtet der Senat nicht als ein Anzeichen dafür, daß bei einer von mehreren Personen gemeinsam in einem Fahrzeug durchgeführten Familienheimfahrt der Versicherungsschutz nicht auch unter dem Gesichtspunkt einer Fahrgemeinschaft beurteilt werden darf. Die Aufteilung der den Versicherungsschutz bei Zurücklegung von Wegen regelnden Vorschriften des § 550 RVO in drei Absätze erfolgte, nachdem § 550 RVO in seiner ursprünglichen Fassung, die in zwei Sätzen den Versicherungsschutz auf Wegen nach oder von dem Ort der Tätigkeit sowie von und nach der Familienwohnung regelte, durch eine Vorschrift über den Versicherungsschutz beim Verbringen eines Kindes des Versicherten in fremde Obhut auf dem Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit (§ 2 Nr 1 des Gesetzes über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18. März 1971 - BGBl I 237) sowie bei Fahrgemeinschaften auf diesen Wegen (§ 15 Nr 1 des 17. RAG aaO) ergänzt worden war. Gründe dafür, daß die Vorschriften über Familienheimfahrten einen "eigenen Tatbestand" regeln und nicht mit den Vorschriften über die Fahrgemeinschaft "vermengt" werden dürften, wie die Beklagte meint, sind den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen. Die Aufteilung des bislang einzigen Absatzes des § 550 RVO in drei Absätze sollte lediglich der Übersichtlichkeit der Vorschrift dienen, ohne daß damit eine inhaltliche Änderung über die eingefügte Ergänzung hinaus beabsichtigt war (vgl Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Bundestages vom 29. Januar 1974 - BT-Drucks 7/1642).

Für eine Anwendung der Vorschriften über den Versicherungsschutz bei Fahrgemeinschaften auch bei Fahrten von und nach der Familienwohnung spricht nach Ansicht des Senats, daß der Gesetzgeber mit Vorschriften, die mit dem Wegeunfallrecht der RVO vergleichbar sind, den Dienstunfallschutz für Beamte (§ 31 Abs 2 Nr 1 des Beamtenversorgungsgesetzes -BeamtVG- vom 24. August 1976 - BGBl I 2485) in einem einzigen Satz in der Weise regelt, daß der 1. Halbsatz die Wege nach und von der Dienststelle, der 2. Halbsatz die Wege von und nach der Familienwohnung und der 3. Halbsatz das Verbringen eines Kindes in fremde Obhut auf den Wegen nach und von der Dienststelle sowie Fahrgemeinschaften auf diesen Wegen betrifft. Auf gleiche Art und Weise ist der Dienstunfallschutz für Soldaten geregelt (§ 27 Abs 3 Nr 1 des Soldatenversorgungsgesetzes -SVG- idF der Bekanntmachung vom 5. März 1976 - BGBl I 457). Daß deshalb für Beamte und Soldaten bei Dienstunfällen aufgrund des gegenüber § 550 RVO anderen Aufbaus der Vorschriften über Dienstunfälle auf Wegen insoweit etwas anderes gelten soll als für Versicherte im Rahmen des § 550 RVO, ist nicht ersichtlich. Unter den Voraussetzungen des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO besteht daher Versicherungsschutz auch beim Abweichen vom unmittelbaren Weg von und nach der Familienwohnung (§ 550 Abs 3 RVO).

Nach den von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen, war die Fahrt des Klägers von T. in Richtung H. , auf der er verunglückte, im Verhältnis zu seinem direkten Weg von T. nach B. ein Abweg. Auch ohne daß das LSG festgestellt hat, wie lang die Wegstrecke von T. nach B. und der Weg über . war, was die Beklagte im Revisionsverfahren ausdrücklich nicht mehr rügt, konnte das LSG insoweit über den Versicherungsschutz des Klägers auf dem Abweg entscheiden. Es hat die auf das Urteil des erkennenden Senats vom 28. Juli 1982 (- 2 RU 49/81 - BSGE 54, 46 = SozR 2200 § 550 Nr 51) gestützte Rechtsauffassung vertreten, daß es auf die Länge des Abweges nicht ankommt, wenn nur die Zurücklegung des Weges mit der versicherten Tätigkeit des Verletzten im ursächlichen Zusammenhang stand. Zum anderen sind die hier maßgebenden Entfernungen allgemeinkundig und den Beteiligten, wie aus ihrem Revisionsvorbringen zu entnehmen ist, auch gegenwärtig. Durch den Abweg nach H. hätte sich der Weg des Klägers von seiner Familienwohnung nach B. um rd 600 km verlängert. Anstatt rd 2.400 km für den Weg von T. nach B. hätte er infolge des Abweges insgesamt rd. 3.000 km bis B. zurückzulegen gehabt. Die von der Beklagten unter Berufung auf die Urteile des erkennenden Senats vom 30. März 1982 (2 RU 5/81) und vom 19. Oktober 1982 (2 RU 67/81) vertretene Ansicht, daß gerade bei längeren Strecken schon ein Umweg von 100 km nicht mehr als eine nur unbedeutende Abweichung von dem Weg zur Familienwohnung anzusehen sei, ist unzutreffend. Beide Urteile des Senats betreffen nicht Umwege, die aus Anlaß einer Fahrgemeinschaft zurückgelegt wurden. Bei Fahrgemeinschaften hat der Senat es im Urteil vom 28. Juli 1982 (aaO) abgelehnt, eine Grenze für das Verhältnis zwischen Abweg und Gesamtwegstrecke zu ziehen; er hält daran fest. Dem steht das Urteil des 9. Senats des BSG vom 15. Juni 1983 (SozR 2200 § 550 Nr 56) nicht entgegen. Der 9. Senat meint zwar, daß ein Abweg im Verhältnis zur Gesamtwegstrecke nicht "unvertretbar" lang sein dürfe, er hat aber einen Abweg, der den kürzesten Weg um das 6,5-fache verlängerte, noch für vertretbar gehalten. Die Länge des vom Kläger beabsichtigten Abweges von rd 600 km steht somit der Annahme des Versicherungsschutzes auf der zum Unfall führenden Fahrt nicht entgegen.

Für den Versicherungsschutz des Klägers nach § 550 Abs 2 Nr 2 iVm Abs 3 RVO ist ferner Voraussetzung, daß mindestens ein Arbeitskollege, den er in H. zur Fahrt nach . abholen wollte, sich dabei seinerseits auf dem Rückweg von der Familienwohnung zu seiner Unterkunft oder zum Ort der Tätigkeit befunden haben würde. Die Feststellungen des LSG hinsichtlich einer Familienwohnung des F.A. in H. sind jedoch unzureichend, wie die Beklagte zutreffend rügt. Einer vom Kläger dem LSG mit Schriftsatz vom 31. August 1982 vorgelegten Meldebestätigung (Original und deutsche Übersetzung) hat das LSG entnommen, daß die Ehefrau des F.A. am 29. Januar 1979 in H. gewohnt habe. In der deutschen Übersetzung der Meldebescheinigung heißt es jedoch, daß sie sich an jenem Tage dort "befunden" habe. Das reicht zu der Annahme, daß die ständige Familienwohnung des F.A. in . war, nicht aus. Hinzu kommt, daß die Firma R. in B. dem LSG am 28. April 1982 die Auskunft erteilt hat, daß F.A. mit seiner Ehefrau in B. wohnhaft ist; das LSG hätte ermitteln müssen, ob dies auch für den 30. Januar 1979, dem Tag des Unfalls des Klägers, zutraf. Stattdessen hat das LSG diese Auskunft im Urteil ungewürdigt gelassen. Da auch bezüglich der sonstigen vom Kläger in H. abzuholenden Personen -V.A. und A. K. - keine Feststellungen darüber getroffen worden sind, ob diese die Voraussetzungen zur Annahme eines Versicherungsschutzes für den Kläger nach § 550 Abs 2 Nr 2 iVm Abs 3 RVO erfüllt haben, rechtfertigt sich nicht die Verurteilung der Beklagten.

Wegen der noch fehlenden tatsächlichen Feststellungen war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

BSGE, 84

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge