Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 11.06.1968)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 1968 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die der Klägerin zu 2) entstandenen außergerichtlichen Kosten aller Rechtszüge zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin zu 2) ist die Witwe des am 1. März 1945 verstorbenen belgischen Staatsangehörigen Michael B. (B.). Dieser stand zu seinen Lebzeiten in einem Arbeitsverhältnis zu der belgischen Firma van der St. Aufgrund eines Vertragsverhältnisses zwischen dieser Firma und der R. Aktiengesellschaft … (RAG), war B. in der Zeit vom 17. Juli 1943 bis zum 26. Februar 1945 in der Brikettfabrik F. -Nord in Niederaußem als Einschaler beschäftigt. Er war in dem Fremdarbeiterlager Niederaußem untergebracht. Die Brikettfabrik F. -Nord stellte am 26. Februar 1945 wegen der herannahenden Kampfhandlungen den Betrieb ein. Die ausländischen Arbeitnehmer wurden evakuiert. B. nahm an der Evakuierung nicht teil, sondern beabsichtigte, selbständig in die Heimat zurückzukehren. Er traf am 28. Februar 1945 mittags im Hof der Gaststätte Sch. in dem etwa 5 km von Niederaußem in Richtung Aachen entfernt liegenen Bergheim ein. Wo er sich in der Zwischenzeit aufgehalten hat, ist nicht feststellbar. In dem Keller der Gaststätte Sch. in dem B. mit anderen Personen Schutz vor dem Artilleriebeschuß gesucht hatte, wurde er in den frühen Morgenstunden des 1. März 1945 von einem Granatsplitter so verletzt, daß er kurz danach starb. Die Klägerin zu 2) erhält durch das belgische Ministerium für Volksgesundheit und Familie, Abteilung Kriegsopfer, eine Rente.

Die Beklagte lehnte mit dem an die Klägerin zu 2) gerichteten Bescheid vom 28. Mai 1965 die Gewährung von Sterbegeld und Hinterbliebenenrenten ab, weil B. nicht an den Folgen eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls gestorben sei. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 14. Juli 1966 die Klage abgewiesen.

Dieses Urteil haben die Kläger mit der Berufung angefochten. Der am 30. Juli 1944 geborene Sohn der Klägerin zu 2) Antoon B. der zunächst als Kläger und Berufungskläger am Verfahren beteiligt war, hat eine Berufung im Termin vom 11. Juni 1968 vor dem Landessozialgericht (LSG) zurückgenommen. Das LSG hat die Zeugen Johann H. und Elisabeth W. vernommen. Mit Urteil vom 11. Juni 1968 hat es auf die Berufung der Kläger das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 28. Mai 1965 verurteilt, für die Klägerin zu 2) Unfallwitwenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen und zwischenstaatlichen Vereinbarungen zu gewähren. Das LSG hat angenommen, Bedenken gegen die Aktivlegitimation des Klägers zu 1) beständen nicht. Nach Art. 7 Abs. 3 der Dritten Zusatzvereinbarung (3. ZV) zum Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 über die Zahlung von Renten für die Zeit vor Inkrafttreten des Abkommens (BGBl II 1963, 438) in der Fassung des Art. 5 des Zusatzprotokolls vom 10. November 1960 (abgedruckt bei Plöger/Wortmann, „Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten”, Teil X – Belgien – Seite 46, 48) sei der Anspruch der Witwe auf den Kläger zu 1) übergegangen, soweit er selbst Leistungen an die Witwe erbracht habe. Der verstorbene Ehemann der Klägerin zu 2) sei nach § 537 Nr. 1 RVO aF gegen Arbeitsunfall versichert gewesen. Die Vorschrift des § 541 Nr. 9 RVO aF habe keine Versicherungsfreiheit begründet, weil ihm als Ausländer Fürsorge und Versorgung nach den Wehrmachtsversorgungsgesetzen und den Vorschriften, die diese Gesetze für anwendbar erklärten, nicht gewährleistet gewesen sei. Das den Versicherungsschutz begründende Beschäftigungsverhältnis sei am 26. Februar 1945 spätestens aber in dem Augenblick beendet gewesen, als sich B. westwärts nach Bergheim auf die heranrückenden Amerikaner zu bewegt und in Bergheim Unterschlupf gesucht habe. B. habe nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses den Heimweg zu seiner Familienwohnung angetreten. Zwar lasse sich nicht klären, wo er sich in der Zeit vom 26. bis zum 28. Februar 1945 aufgehalten habe. Daraus ließen sich jedoch keine für die Kläger ungünstigen Schlüsse ziehen. Innerhalb des genannten Zeitraumes habe sich B. jedenfalls von der Umgebung des Betriebes gelöst und auf den Heimweg begeben. Sein weiteres Verweilen auf noch nicht von den Amerikanern eroberten deutschem Gebiet sei der erste, schwierigste und gefährlichste Teil seines Weges zurück in die Heimat gewesen. Unter diesen Umständen müsse in den Hintergrund treten, daß er für die Zurücklegung des Weges vom Betrieb bis nach Bergheim zwei Tage benötigt habe, daß er sich bis zu dem ihm für den Antritt seiner Reise günstig erscheinenden Zeitpunkt möglicherweise versteckt gehalten, zwischenzeitlich sicher auch eigenwirtschaftliche Verrichtungen (Schlafen, Essen, Trinken usw.) vorgenommen und schließlich im Keller der Gastwartschaft in Bergheim Schutz vor Granatfeuer gesucht habe. Dadurch sei die Betriebsbezogenheit des Weges nicht beseitigt worden. Insbesondere das Schutzsuchen im Keller sei nicht als unversicherte Unterbrechung des Heimweges zu werten, denn es habe unter den gegebenen Umständen dazu dienen sollen, den Heimweg überhaupt fortsetzen zu können.

Die Beklagte macht mit der – vom LSG zugelassenen – Revision geltend, das LSG habe die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten und auch den Begriff des Wegeunfalls verkannt. Das LSG habe nicht berücksichtigt, daß dem B. der Heimweg schon deshalb versperrt gewesen sei, weil Niederaußem und Bergheim damals zum Frontgebiet gehörten. Darin müsse eine Überschreitung des Rechts der freien Beweiswürdigung gesehen werden. Da die vorrückenden Amerikaner sich bereits in der näheren Umgebung von Niederaußem und Bergheim befunden hätten, habe B. objektiv keine Möglichkeit gehabt, den Heimweg anzutreten. Wenn er auch in der Zeit vom 26. Februar bis zum 10. März 1945 seinen Aufenthaltsort in der Weise gewechselt habe, daß er im Endergebnis Bergheim erreicht und sich damit auf die belgische Grenze zu bewegt habe, so könne darin doch keine zielstrebige Fortbewegung in Richtung seiner Familienwohnung gesehen werden. Eine wirklichkeitsnahe Betrachtung lasse nur den Schluß zu, daß B. sich bis zum Einmarsch der Amerikaner abwartend verhalten und den Bereich seines früheren Arbeitsortes noch nicht verlassen habe. Im übrigen sei ein versicherter Wegeunfall auch aus anderen Gründen abzulehnen. Da das Beschäftigungsverhältnis am 26. Februar 1945 beendet und der Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit spätestens in dem Zeitpunkt unterbrochen worden sei, als B. das Fremdarbeiterlager verlassen habe, um sich zu verstecken und vor den Kampfhandlungen Schutz zu suchen, sei die Ursache des Todes während dieser Unterbrechungen gesetzt worden. Selbst wenn man unterstelle, daß B. sich während der Zeit, in der er die Strecke von Niederaußem nach Bergheim zurückgelegt habe, auf dem Heimweg befunden habe, so könne doch die Zeit, in der er im Keller der Gaststätte in Bergheim Schutz gesucht habe, nicht als versicherter Heimweg angesehen werden. Spätestens in dem Augenblick, in dem er die Gaststätte betreten habe, sei der Heimweg unterbrochen worden, um einer Tätigkeit nachzugehen, die dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzuordnen sei.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 1965 wiederherzustellen;

hilfsweise,

die Streitsache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen,

  1. die Revision kostenpflichtig als unzulässig zu verwerfen,
  2. im Falle ihrer Zulässigkeit die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Kläger äußern Zweifel an der Rechtzeitigkeit der Revisionseinlegung. Im übrigen halten sie das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig.

Das beigeladene Landesversorgungsamt hat in der Revisionsinstanz keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beklagte hat die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision rechtzeitig und formgerecht eingelegt und begründet. Die zulässige Revision hat jedoch keinen Erfolg, denn das LSG hat die Beklagte mit Recht verurteilt, Unfallwitwenrente für die Klägerin zu 2) zu gewähren.

Da das Königreich Belgien der Klägerin zu 2) nach belgischen Rechtsvorschriften wegen der Folgen des unfallbedingten Todes des B. eine Rente zahlt, ergibt sich die Aktivlegitimation des Klägers zu 1) aus Art. 7 Abs. 3 der 3. ZV zum deutsch-belgischen Sozialversicherungsabkommen (vgl. Urteil des BSG vom 21. Januar 1972 – 2 RU 32/71 –).

In dem zitierten Urteil ist auch zutreffend ausgeführt worden, daß die Frage, ob die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch erfüllt sind, nach den deutschen Rechtsvorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung zu beurteilen ist. Sowohl nach der Verordnung Nr. 3 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (vgl. Art. 12 Abs. 1) als auch nach dem deutsch-belgischen Sozialversicherungsabkommen (vgl. Art. 5 Abs. 1) unterliegen die Arbeitnehmer den Rechtsvorschriften des Mitglieds- bzw. Vertragsstaates, in welchem sie beschäftigt sind oder waren. Weiter ist in dem zitierten Urteil zutreffend ausgeführt worden, daß für die Frage, ob B. zu dem in der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung gegen Arbeitsunfall versicherten Personenkreis gehört hat und die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls vorliegen, die Vorschriften maßgebend sind, die im Unfallzeitpunkt in Kraft waren.

Das LSG ist mit Recht davon ausgegangen, daß B. während, seiner Beschäftigung bei der RAG nach § 537 Nr. 1. RVO aF gegen Arbeitsunfall versichert war. Wenn B. auch keinen Arbeitsvertrag mit der RAG, sondern mit der Firma van der Straeten hatte, so bestand doch ein Arbeitsverhältnis zur RAG, für die er tätig wurde und deren Weisungsbefugnissen er unterlag. B. war nicht nach § 541 Nr. 9 RVO aF versicherungsfrei, denn für nichtdeutsche Zivilisten waren nach den dort genannten Vorschriften Fürsorge und Versorgung nicht gewährleistet. Allerdings handelte es sich nicht um einen Arbeitsunfall i. S. des § 542 Abs. 1 RVO aF, denn B. hat die tödliche Verletzung nicht bei seiner Beschäftigung als Einschaler bei der RAG erlitten. Nach § 543 Abs. 1 RVO aF gelten aber als Arbeitsunfälle auch Unfälle auf einem mit der Tätigkeit in dem unternehmen zusammenhängenden Weg nach und von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte. Dazu gehört nach Satz 2 dieser Vorschrift insbesondere der Weg von und nach der Familienwohnung, und zwar auch dann, wenn der Versicherte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung von der Arbeitsstätte auf dieser oder in der Nähe eine Unterkunft hat. Das den Versicherungsschutz vermittelnde Beschäftigungsverhältnis war zwar bereits beendet, als B. tödlich verletzt wurde. Das schließt jedoch den Versicherungsschutz nach § 543 Abs. 1 RVO aF nicht aus, wenn B. sich auf dem Heimweg befunden hat. Auch der letzte Heimweg nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses hängt noch mit der Tätigkeit in dem Unternehmen zusammen. Das gilt sowohl dann, wenn nur das einzelne Arbeitsverhältnis gelöst worden ist als auch dann, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf eine Betriebsstillegung zurückzuführen ist. Im übrigen stellt auch der Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 26. September 1942 (AN 1942, 512) den Rücktransport ausländischer Arbeitnehmer unter Versicherungsschutz. Dieser Erlaß ist für den individuellen Rückweg entsprechend anwendbar, wenn eine Rückbeförderung infolge der Kriegsereignisse nicht mehr möglich war (vgl. BSG Urteil vom 27. April 1972 – 2 RU 121/71).

Nach den Feststellungen des LSG hat sich B. von Niederaußem in Richtung auf die belgische Grenze zu etwa 5 km weit bis Bergheim bewegt, um von dort aus seinen Heimweg nach Belgien fortzusetzen. Die Rüge der Beklagten, das LSG habe dabei die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten, indem es den Umstand nicht gewürdigt habe, daß dem Versicherten der Heimweg wegen der damals herrschenden Kriegsverhältnisse versperrt gewesen sei, geht fehl. Das LSG hat keineswegs außer Acht gelassen, daß das Gebiet um Niederaußem und Bergheim unmittelbares Frontgebiet war. Wenn es daraus den Schluß gezogen hat, daß dem Versicherten der Weg nach Belgien nicht völlig versperrt, sondern lediglich erschwert gewesen sei, so hält sich diese Überlegung im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung. Die damals herrschenden Frontverhältnisse zwingen keineswegs zu der Annahme, daß der Versicherte den Heimweg noch nicht begonnen, sondern sich abwartend verhalten und sich nur in der Umgebung von Niederaußem aufgehalten habe. Wenn B. sich in den ersten zwei Tagen nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses möglicherweise auch in Niederaußem oder in seiner Nähe aufgehalten und versteckt haben mag, so steht das der Annahme nicht entgegen, daß er sich zu einer – nicht näher festgestellten – Zeit auf dem Weg in Richtung Belgien gemacht hat. Selbst wenn B. sich nicht unmittelbar nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses auf den Weg nach Belgien gemacht haben sollte, so führte ein abwartendes Verhalten über ein bis zwei Tage doch nicht dazu, daß der Zusammenhang des dann angetretenen Heimwegs mit dem Unternehmen verloren ging. Bei vernünftiger Würdigung der damaligen Umstände muß man berücksichtigen, daß B. den Heimweg nicht sofort nach seinem freien Entschluß antreten konnte. Er mußte sich zunächst einmal der angeordneten Evakuierung entziehen und sich auch unter Umständen vor dem bereits einsetzenden Artilleriebeschuß schützen. Wenn er sich also tatsächlich in den zwei Tagen vor Eintreffen in Bergheim versteckt gehalten haben sollte, so hat es sich dabei doch nur um eine Vorbereitungshandlung für den Antritt der Heimreise gehandelt, die den Zusammenhang mit dem Unternehmen nicht gelöst hat. Es ist also mit dem LSG davon auszugehen, daß B. mit dem Weg von Niederaußem nach Bergheim den ersten und schwierigsten Teil seiner Heimreise zurückgelegt hat.

Nun ist zwar als versicherungsrechtlich geschützter Heimweg im allgemeinen nur die Fortbewegung von der Arbeitsstätte zur Wohnung zu verstehen. B. hat sich aber in, der Zeit, in der er tödlich verletzt wurde, nicht in Richtung auf seine Familienwohnung hin fortbewegt, sondern sich schon seit dem Nachmittag des Vortages in dem Keller der Gastwirtschaft aufgehalten. Wenn auch im allgemeinen der während einer Unterbrechung der Fortbewegung eingetretene Unfall versicherungsrechtlich nicht geschützt ist, so sind doch hier die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Der heftige Artilleriebeschuß machte B. die weitere Fortbewegung unmöglich und zwang ihn dazu, eine schützende Unterkunft aufzusuchen. Dabei hat es sich nicht um eine eigenwirtschaftlichen Zwecken dienende Unterbrechung gehandelt, sondern um eine Maßnahme, die die Fortsetzung der unmöglich gewordenen Fortbewegung erst ermöglichen sollte. Es kann versicherungsrechtlich keinen wesentlichen Unterschied machen, ob B. – wie geschehen – den Schutz des ihm sicherer erscheinenden Kellers oder aber den eines am Wege gelegenen Grabens suchte. In beiden Fällen wäre der Heimweg nicht unterbrochen, sondern nur gehemmt worden. Eine solche Hemmung der Fortbewegung bei fortbestehendem Willen zur Fortsetzung des Heimweges kann den Versicherungsschutz nicht aufheben. Daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn B. – was das LSG nicht festgestellt hat – in dem Keller der Gastwirtschaft gegessen und geschlafen haben sollte. Auch in einem solchen Fall wäre davon auszugehen, daß Ursache für die Hemmung der Fortbewegung nicht die eigenwirtschaftlichen Zwecke, sondern die Unmöglichkeit der Fortsetzung des Heimwegs war. Nicht jede Unterbrechung der Fortbewegung ist auch eine Unterbrechung des versicherungsrechtlich geschützten Heimweges. Das wird ohne weiteres klar, wenn man an den Fall des Anhaltens an Haltestellen, Ampeln oder Bahnschranken denkt (vgl. BSG Urteil vom 23. März 1972 – 2 RU 46/70 –). Wird der Versicherte bei fortbestehendem Willen zur Fortsetzung des Heimwegs durch äußere Umstände gezwungen, die Fortbewegung für kurze Zeit zu unterlassen, so wird der Heimweg nicht unterbrochen, sondern nur gehemmt. Das abwartende Verhalten ist in einem solchen Fall notwendig, die Entfernung zwischen der Arbeitsstätte und der Familienwohnung zu überbrücken und gehört daher mit zum versicherungsrechtlich geschützten Heimweg. Der Aufenthalt des B. in dem Keller der Gastwirtschaft war unter den besonderen Umständen des Einzelfalles ein solches notwendiges Verhalten, das mit zum versicherungsrechtlich geschützten Heimweg gehört.

Der Versicherungsschutz wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß es sich nicht um eine der üblichen Gefahren des Verkehrs, sondern um eine durch Kriegsereignisse bedingte Gefahr handelte. Solche kriegsbedingte Gefahren schließen im Gegensatz zu allgemein wirkenden Gefahren – wie z. B. Erdbeben, Überschwemmungen und sonstige Naturkatastrophen – den Zusammenhang mit dem Unternehmen nicht aus (vgl. BSG Urteil vom 21. Januar 1972 – 2 RU 32/71 –). Der § 54 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zeigt deutlich, daß eine Schädigung durch unmittelbare Kriegseinwirkung ein Arbeitsunfall oder ein einem Arbeitsunfall gleichzustellender Unfall sein kann. Zwar schließt in solchen Fällen der Anspruch nach dem BVG den Anspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus. Im vorliegenden Fall besteht aber kein Anspruch nach dem BVG, weil dieses Gesetz nach seinem § 7 auf die Klägerin zu 2) nicht angewendet wird.

Da das angefochtene Urteil im Ergebnis richtig ist, hat der Senat die unbegründete Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Unterschriften

Dr. Dapprich, Schröder, May

 

Fundstellen

Dokument-Index HI926684

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