Entscheidungsstichwort (Thema)

Fahrgemeinschaft. Reparatur (Inspektion) des Pkw auf dem Weg von der Arbeitsstätte. Umweg. Unterbrechung

 

Orientierungssatz

1. Hat der Beschäftigte den kürzesten Heimweg wesentlich allein geändert, um seinen Pkw von der Inspektion abzuholen und anschließend von der Werkstatt aus mit dem Pkw nach Hause zu fahren, befand er sich auf einem Umweg, der wesentlich allein privaten, eigenwirtschaftlichen Interessen diente. Die Inspektion - oder Reparatur - eines für die Fahrt nach und von der Arbeitsstätte benutzten Kraftfahrzeugs gehört zu den vorbereitenden Tätigkeiten, welche der Betriebstätigkeit zu fern stehen, als daß sie schon dem persönlichen Lebensbereich des Beschäftigten entzogen und der betrieblichen Sphäre zuzurechnen wären (vgl BSG 20.12.1961 2 RU 206/58 = BSGE 16, 77).

2. Hat sich der Beschäftigte einer Fahrgemeinschaft angeschlossen, weil er mit dieser den aus eigenwirtschaftlichen Gründen gewählten Umweg zurücklegen konnte, liegen die Voraussetzungen des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO nicht vor.

 

Normenkette

RVO § 550 Abs 1 Fassung: 1974-04-01, § 550 Abs 2 Nr 2 Fassung: 1974-04-01, § 549

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 11.05.1983; Aktenzeichen L 3 U 613/82)

SG Darmstadt (Entscheidung vom 25.02.1982; Aktenzeichen S 3 U 129/80)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Unfall des Klägers am 3. Dezember 1979 ein Arbeitsunfall war und ihm deshalb wegen der Unfallfolgen, durch die er nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit vom 12. Mai 1980 an bis auf weiteres um 20 vH in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert ist, eine Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung gegen die Beklagte zusteht.

Der Kläger wohnte in H/N und war in Sch/ O (südöstlich von H) beschäftigt. Für die Zurücklegung des 16 km langen Weges nach und von der Arbeitsstätte benutzte er regelmäßig seinen Pkw. Am Unfalltag hatte er vor Arbeitsbeginn seinen Pkw bei der Vertragswerkstatt in N (südwestlich von H) zur Inspektion abgeliefert und war von dort aus von drei Arbeitskollegen in deren Pkw zur Arbeitsstätte mitgenommen worden. Die Wegstrecke von H über N nach Sch ist etwa 35 km lang. Nach Arbeitsende fuhr er wieder mit den Arbeitskollegen nach N und durch den Ort am Bahnhof vorbei bis zur 200 m entfernt gelegenen Werkstatt. Beim Überqueren der Straße, um seinen Pkw abzuholen, wurde er gegen 17.15 Uhr von einem Pkw angefahren und dabei verletzt.

Die Beklagte lehnte eine Entschädigung ab, da der Kläger im Unfallzeitpunkt nicht unter Versicherungsschutz gestanden, vielmehr aus eigenwirtschaftlichen Gründen einen erheblichen Umweg zurückgelegt habe (Bescheid vom 25. September 1980).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, dem Kläger Entschädigung zu leisten (Urteil vom 25. Februar 1982): Der Pkw des Klägers sei zwar kein Arbeitsgerät iS des § 549 der Reichsversicherungsordnung (RVO), und die Instandhaltungsmaßnahme gehöre zum eigenwirtschaftlichen Bereich. Da aber der Kläger am Unfalltag den üblichen direkten Heimweg nicht habe zurücklegen können, habe es ihm freigestanden, den Heimweg (§ 550 Abs 1 RVO) zunächst mit der Fahrgemeinschaft seiner Arbeitskollegen und von N aus mit seinem eigenen Pkw zurückzulegen, zumal da die öffentliche Verkehrsverbindung sehr ungünstig gewesen sei. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. Mai 1983). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Der Pkw des Klägers sei ungeachtet der regelmäßigen Benutzung für die Wege nach und von der Arbeitsstätte kein Arbeitsgerät gewesen (§ 549 RVO). Der Kläger habe auch nicht nach § 550 Abs 1 RVO unter Versicherungsschutz gestanden, weil er sich zum Abholen des Pkw aus der Inspektion - einem dem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzurechnenden Grund - auf einem erheblichen Umweg befunden habe. Die Ausnutzung der Fahrgemeinschaft habe keinen Versicherungsschutz begründet, weil der Weg dem Abholen des Pkw gedient habe. Dies zeige sich darin, daß der Kläger nicht am Bahnhof N ausgestiegen sei, von wo er um 17.27 Uhr den Zug nach H hätte benutzen können, sondern 200 m weiter bis zur Werkstatt gefahren sei. Selbst wenn ein Versicherungsschutz bis zum Bahnhof N bestanden hätte, wäre er jedenfalls spätestens von dort aus unterbrochen gewesen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision trägt der Kläger ua vor: Ein Pkw sei als Arbeitsgerät anzusehen, wenn der Beschäftigte - wie hier - wegen außergewöhnlich ungünstiger Verkehrsbedingungen nicht anders als mit seinem Pkw die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zurücklegen könne; mit dem Pkw habe er eine halbe Stunde, mit öffentlichen Verkehrsmitteln über vier Stunden für den Hin- und Rückweg gebraucht. Jedenfalls aber habe Versicherungsschutz nach § 550 Abs 1 RVO bestanden. Er - der Kläger - habe für den Heimweg am Unfalltag die günstigsten Verkehrsmittel gewählt, alle sonstigen Verkehrsmittel - ausgenommen der unzumutbare Fußweg - hätten einen großen Umweg und höheren Zeitaufwand erfordert. Das beabsichtigte Umsteigen von der Fahrgemeinschaft in seinen Pkw wäre nur mit geringem Zeitaufwand verbunden gewesen und habe keine Unterbrechung bewirkt. Da es auf die Motive für den Anschluß an eine Fahrgemeinschaft nicht ankomme, habe er im Unfallzeitpunkt jedenfalls nach § 550 Abs 2 Nr 2 RVO unter Versicherungsschutz gestanden.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 25. Februar 1982 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Kläger im Unfallzeitpunkt nicht unter Versicherungsschutz gestanden hat.

Die Voraussetzungen des § 549 RVO sind nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall, den ein Versicherter bei einer mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgerätes erleidet, auch wenn es vom Versicherten gestellt wird. Der Versicherungsschutz erfaßt auch die dabei zurückzulegenden Wege (vgl BSG SozR Nr 1 zu § 549; BSG SozR 2200 § 549 Nr 6 und 7). Auch ein Beförderungsmittel, zB ein Personenkraftwagen, kann ein Arbeitsgerät iS des § 549 RVO sein; dies setzt aber im Regelfall voraus, daß es seiner Zweckbestimmung nach hauptsächlich für die Tätigkeit im Unternehmen gebraucht wird (ständige Rechtsprechung des Senats - s ua BSGE 24, 243, 246; SozR 2200 § 549 Nr 7 mwN -, der sich der 8., 5. und 9. Senat des Bundessozialgerichts angeschlossen haben - s ua SozR 2200 § 549 Nr 1 und 2; Urteil vom 28. November 1979 - 5 RKn 11/78; Urteil vom 27. Juni 1984 - 9b RU 46/82). Daran hat es hier gefehlt. Daß der Kläger wegen der verkehrstechnisch ungünstigen Lage seiner Wohnung im Verhältnis zu seiner Arbeitsstätte bei dem Zurücklegen der Wege zwischen beiden Orten praktisch auf die Benutzung seines Pkw angewiesen sein mag, macht den Pkw nicht zu einem Arbeitsgerät iS des § 549 RVO. Maßgebend ist vielmehr, ob das Gerät hauptsächlich für die Tätigkeit in dem Unternehmen gebraucht wird (s ua BSGE aaO; BSG Urteil vom 23. März 1972 - 2 RU 133/70 = USK 7256; BSG Urteil vom 27. Juni 1984 aaO). Einer solchen Tätigkeit ist das Zurücklegen des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit iS des § 550 RVO nicht gleichzuerachten (BSG aaO).

Gemäß § 550 Abs 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der Kläger erlitt den Unfall nach dem Verlassen des Pkw, mit dem er von seiner Arbeitsstätte aus gefahren worden war. Versicherungsschutz besteht aber nicht schlechthin auf jedem Weg, der zum Ort der Tätigkeit hinführt oder von ihm aus begonnen wird. Dadurch, daß der Gesetzgeber einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und dem Weg nach (und von) der Arbeitsstätte verlangt, erfordert er eine innere Verknüpfung, die dem Weg ein rechtlich wesentliches Gepräge gibt. Fehlt es an einem solchen Zusammenhang, scheidet der Versicherungsschutz selbst dann aus, wenn sich der Unfall auf derselben Strecke ereignet, die der Versicherte auf dem Weg nach und von der Arbeitsstätte zurücklegen muß (s BSG SozR 2200 § 550 Nr 60; s auch BSG aaO Nr 57 - jeweils mwN). Wege, die wesentlich eigenwirtschaftlichen Zwecken dienen und mit der versicherten Tätigkeit nur in losem Zusammenhang stehen, sind danach vom Versicherungsschutz nicht erfaßt.

Der Unfall hat sich nicht auf dem direkten Weg ereignet, den der Kläger zwischen Arbeitsstätte und Wohnung regelmäßig mit seinem Pkw fuhr (zur sog. gemischten Tätigkeit für einen solchen Fall s ua BSG Urteil vom 29. Februar 1984 - 2 RU 73/82 -, zur Veröffentlichung vorgesehen; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung 1. - 9. Aufl, S 486 e mwN). Der ursächliche Zusammenhang iS des § 550 Abs 1 RVO besteht auf einem - wie hier - nicht nur unbedeutenden Umweg jedoch nur, wenn der Umweg wesentlich der Zurücklegung des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit dient und für die Wahl des weiteren Weges keine Gründe maßgebend waren, die allein oder überwiegend dem privaten Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen sind (s BSGE 4, 219, 222 und ständige Rechtsprechung des BSG; s Brackmann aa0 S 486n mwN).

Hat der Kläger den kürzesten Heimweg wesentlich allein geändert, um seinen Pkw von der Inspektion abzuholen und anschließend von der Werkstatt aus mit dem Pkw nach Hause zu fahren, befand er sich auf einem Umweg, der wesentlich allein privaten, eigenwirtschaftlichen Interessen diente. Die Inspektion - oder Reparatur - eines für die Fahrt nach und von der Arbeitsstätte benutzten Kraftfahrzeugs gehört zu den vorbereitenden Tätigkeiten, welche der Betriebstätigkeit zu fern stehen, als daß sie schon dem persönlichen Lebensbereich des Beschäftigten entzogen und der betrieblichen Sphäre zuzurechnen wären (s BSGE 16, 77, 78 und ständige Rechtsprechung des BSG; s auch Brackmann aa0 S 486h und h I mN aus Rechtsprechung und Schrifttum). Der Ausnahmefall, daß die Maßnahme unvorhergesehen während des Zurücklegens des Weges notwendig wird (s Brackmann aa0 S 486h I und h II mN), lag hier nicht vor. Der vom Kläger bis zum Unfall zurückgelegte Weg war sonach durch eigenwirtschaftliche Zwecke wesentlich geprägt. Entgegen der Auffassung des Klägers läßt sich in diesem Fall der Versicherungsschutz auch nicht aus § 550 Abs 2 Nr 2 RVO herleiten. Nach dieser Vorschrift ist die Versicherung nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte von dem unmittelbaren Weg zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit abweicht, weil er mit anderen berufstätigen oder versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit benutzt. Das Vorhandensein einer Fahrgemeinschaft begründet aus sich heraus keinen neuen Versicherungsschutz. Der durch § 550 Abs 1 RVO begründete Versicherungsschutz wird vielmehr über diese Norm hinaus durch § 550 Abs 2 Nr 2 RVO auf bestimmten Um- oder Abwegen gewährt. Die aus Gründen des gemeinsamen Fahrens gewählte Erweiterung der Wegstrecke beseitigt danach den Versicherungsschutz nicht. Die sonstigen Voraussetzungen des § 550 Abs 1 RVO müssen infolgedessen auch bei dem verunglückten Teilnehmer einer Fahrgemeinschaft gegeben sein. Dazu genügt nicht, daß andere Versicherte mitfahren (s zu Vorstehendem BSGE 54, 46, 49; BSG SozR 2200 § 550 Nr 60). Diente der Weg wesentlich allein dem Abholen des Pkw und damit eigenwirtschaftlichen Zwecken ist der Kläger von dem unmittelbaren Weg iS des § 550 Abs 1 und 2 Nr 2 RVO nicht abgewichen, weil er sich einer Fahrgemeinschaft angeschlossen hat, er hat sich vielmehr - umgekehrt - einer Fahrgemeinschaft angeschlossen, weil er mit dieser den aus eigenwirtschaftlichen Gründen gewählten Umweg zurücklegen konnte. Der Fall ist insoweit nicht anders zu beurteilen als bei Benutzung irgendeines anderen Verkehrsmittels. Die Voraussetzungen des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO liegen demnach nicht vor.

Selbst wenn aber die Fahrt mit dem Pkw der Arbeitskollegen nach N und von dort mit dem Zug nach H wesentlich auch einer insgesamt verkehrsgünstigeren Zurücklegung des Weges gedient hätte und damit einer der ohne eigenen Pkw in Betracht kommenden Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit iS des § 550 Abs 1 RVO gewesen wäre, würde dies - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - im Ergebnis ebenfalls keine andere Entscheidung rechtfertigen. Der Unfall des Klägers hätte sich dann auf einer Unterbrechung des für ihn zum Bahnhof in N führenden Weges von dem Ort der Tätigkeit ereignet. Diese Unterbrechung begann schon mit dem Vorbeifahren am Bahnhof und war für den Kläger nicht durch die Mitnahme im Pkw, der am Bahnhof vorbeifuhr, bedingt, sondern diente dem Abholen des Pkw von der Inspektion und damit, wie bereits dargelegt, privaten Interessen des Klägers. Die Unterbrechung war auch sowohl im Hinblick auf die Wegstrecke als auch die damit geplante Verrichtung keine nur unbedeutende Unterbrechung, die sich nach der Rechtsprechung des Senats auf Verrichtungen "so im Vorbeigehen" beschränkt (s Brackmann aa0 S 486o).

Die Revision ist danach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664524

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge