Entscheidungsstichwort (Thema)

Fahruntüchtigkeit. berauschend wirkende Medikamente. wesentliche Bedingung. Schutzzweck der Norm. "andere berauschende Mittel"

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes bei einer durch die Einnahme berauschend wirkender Medikamente herbeigeführten Fahruntüchtigkeit.

 

Orientierungssatz

1. Die zur Frage des Unfallversicherungsschutzes eines alkoholbedingt fahruntüchtigen Kraftfahrers entwickelten Grundsätze sind auch für die Beurteilung bei Einnahme berauschend wirkender Medikamente heranzuziehen.

2. Die bei wesentlich allein durch alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit verursachten Unfällen beachtete Schutzzweck der Norm betrifft nicht das bloße "Sichberauschen" oder die Umstände des Genusses legal erhältlicher berauschender Mittel, sei es Alkohol oder - bei entsprechender Dosierung - Medikamente, sondern die Folgen, dh hier das Fahren mit einem Kraftfahrzeug im durch das berauschend wirkende Mittel fahruntüchtigen Zustand.

3. Auf den Anlaß zur Einnahme und die Art des zur Fahruntüchtigkeit führenden berauschend wirkenden Mittels kommt es nicht an.

4. "Andere berauschende Mittel" iS der §§ 315c und 316 StGB sind nicht nur die klassischen Rauschgifte wie zB Heroin, Kokain etc, sondern auch Medikamente, wenn sie bei entsprechender Dosierung und Anwendungsform als Rauschdrogen wirken bzw wie Alkohol dieselben Funktionen im Zentralnervensystem angreifen und beeinträchtigen.

 

Normenkette

RVO § 548 Abs 1 S 1 Fassung: 1963-04-30; StGB §§ 315c, 316

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 11.04.1984; Aktenzeichen L 17 U 103/83)

SG Dortmund (Entscheidung vom 25.04.1983; Aktenzeichen S 17 U 48/79)

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem am 24. November 1977 tödlich verunglückten Ehemann der Klägerin H K .

K., der als Schlosser der Firma E B GmbH & Co. KG in deren Auftrag bei der Firma HAG Werk W in D (Firma H.) tätig war, verließ am Unfalltag seinen Arbeitsplatz, um außerhalb des Werksgeländes zu telefonieren. Auf dem Weg zum Tor W 4 fuhr er mit seinem Kraftfahrzeug (Kfz) innerhalb des Werksgeländes in einer Rechtskurve geradeaus gegen ein Gebäude und wurde dabei tödlich verletzt. Bei der Untersuchung der Leiche wurden die Arzneistoffe Valium sowie die ua in dem Schlafmittel Betadorm enthaltenen Carbromal und Diphenhydramin nachgewiesen (Gutachten Dr. S vom 28. November 1978); die außerdem entnommene Harnprobe ergab einen Alkoholwert von 0,31 o/oo (Bericht des Gerichtsmedizinischen Instituts D vom 13. Dezember 1977). Durch Bescheid vom 17. Januar 1979 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil die Fahrt des K. eigenwirtschaftlichen Zwecken gedient habe. Das als Zweck der Fahrt behauptete Telefongespräch mit seiner Arbeitgeberfirma habe K. ohne weiteres von einem Anschluß der Firma H. führen können. Im übrigen spreche nach der ganz überwiegenden Wahrscheinlichkeit sowohl der Unfallhergang als auch der bei der Obduktion der Leiche gesicherte Mageninhalt dafür, daß K. durch die Einnahme von Medikamenten (Valium) seine Fahrtüchtigkeit unmittelbar vor Antritt der Fahrt bewußt herabgesetzt habe.

Das Sozialgericht Dortmund (SG) hat ua nach Beiziehung von Akten des Landgerichts Dortmund (15 O 102/79 und 15 O 156/79) über Rechtsstreite der Klägerin gegen privatrechtliche Versicherer, der Einholung von technischen und medizinischen Sachverständigengutachten (Gutachten von Diplom-Ingenieur S vom 4. März 1982 und Gutachten von Prof. Dr. B vom 4. Januar 1983) sowie der Vernehmung von Zeugen die Beklagte verurteilt, mit einem neuen Bescheid anzuerkennen, daß K. am 24. November 1977 einen Arbeitsunfall erlitten hat, und an die Hinterbliebenen Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu erbringen (Urteil vom 26. April 1983). Die gegen die Gewährung von Witwenrente gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 11. April 1984). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: K. habe sich während der unfallbringenden Fahrt auf einem Betriebsweg befunden, da er von einer im Bereich des Tores 4 der W gelegenen Telefonzelle mit seiner Arbeitgeberfirma habe telefonieren wollen. Dies habe K. Zeugen gegenüber vor Antritt der Fahrt erklärt. Nach Auskunft des Arbeitgebers des K. sowie weiterer Zeugen habe dies einer üblichen Gepflogenheit entsprochen. Die Möglichkeit, ein Gespräch von dem im Meisterbüro befindlichen Fernsprecher zu führen, sei nicht gerne gesehen worden, da die Telefongespräche betriebliche Dinge betroffen hätten und bei Gesprächen von diesem Gerät die notwendige Vertraulichkeit nicht gesichert gewesen sei. K. sei zur Zeit des Unfalls infolge der Einnahme von Schlaf- bzw Beruhigungsmitteln (Valium 10, Betadorm), die den oberen Grenzbereich der therapeutischen Dosierung erreicht gehabt habe, zwar verkehrsuntüchtig gewesen. Wesentliche Mitursache für die Schwere des Unfalls sei jedoch die Benutzung einer gefährlichen Einrichtung, wie sie das von K. benutzte Kfz darstelle. Durch die von dem Kfz erreichte Geschwindigkeit seien bei dem Aufprall auf die Mauer die auf den Körper des K. einwirkenden Kräfte potenziert worden; letztlich hätten diese zu seinem Tode geführt. Diese Bedingung sei nicht nur Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, sondern, anders als bei alkoholbedingten Unfällen, die rechtlich wesentliche Mitursache. Bei der Wertentscheidung, ob die versicherte Tätigkeit neben dem Alkoholgenuß noch eine wesentliche Bedingung für den Unfall gebildet habe, sei der Schutzzweck der Norm zu berücksichtigen. Während die alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit immer durch einen nicht schutzwürdigen und rechtspolitisch unerwünschten Alkoholmißbrauch hervorgerufen werde, habe es sich vorliegend um einen Tablettenkonsum im therapeutischen Rahmen gehandelt. Da ein Mißbrauchstatbestand nicht gegeben sei, gehe die Wertentscheidung in einem solchen Fall dahin, daß neben der durch die Medikamenteneinnahme bedingten Verkehrsuntüchtigkeit die versicherte Tätigkeit als wesentliche Bedingung für den Unfall, wie auch bei Unfällen aus innerer Ursache, erhalten bleibe, wenn betriebsbedingte Umstände, nämlich die Gefährlichkeit des benutzten Kfz, am Eintritt des Unfalls wesentlich mitgewirkt hätten. Ein Selbstmord des K. sowie ein Unfall aus innerer Ursache, etwa als Folge einer Störung der Herz- und Kreislauftätigkeit, seien auszuschließen.

Auf die Beschwerde der Beklagten hat das Bundessozialgericht (BSG) die Revision zugelassen (Beschluß vom 18. Oktober 1984 - 2 BU 132/84 -).

Mit der von ihr eingelegten Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der Untersuchungsmaxime der §§ 103, 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch das LSG, da wesentliche Fragen der haftungsbegründenden Kausalität nicht hinreichend geklärt seien. Anlaß und Ziel des Weges seien nach dem bisherigen Ermittlungsstand unklar. Das LSG räume selbst ein, daß nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden könne, ob ein Anruf des K. bei dessen Arbeitgeber der Zweck des unfallbringenden Fahrtweges gewesen sei. Ebenso sei es möglich, daß K. das Werksgelände aus anderen Gründen habe verlassen wollen. Zudem habe ermittelt werden müssen, ob K. an Depressionen gelitten oder andere wesentliche Gründe gehabt habe, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, da dessen offensichtlich labiler Zustand für Selbstmordabsichten sprechen könnte. Es erscheine denkbar, daß K. erst unmittelbar vor Fahrtantritt Medikamente in hohen Dosen genommen habe, um bestehende Selbstmordabsichten eher verwirklichen zu können. Im übrigen widerspreche die unterschiedliche Behandlung der durch Alkohol und durch die Einnahme von Medikamenten verursachten Fahruntüchtigkeit den Grundsätzen, die das BSG im Zusammenhang mit der alkoholbedingten Verkehrsuntüchtigkeit aufgestellt habe. Ein Unterschied in der unfallversicherungsrechtlichen Beurteilung von Unfällen unter Alkoholeinfluß und solchen unter Medikamenteneinfluß bestehe nicht, da die Fahruntüchtigkeit den Straßenverkehr unabhängig davon gefährde, ob sie durch Alkohol oder Tabletten verursacht werde. Mit der vom LSG gegebenen Begründung bestehe Versicherungsschutz beim Führen von Kraftfahrzeugen nicht nur bei medikamentenbedingter, sondern auch in allen Fällen alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit.

Die Beklagte beantragt, die Urteile des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. April 1984 und des SG Dortmund vom 26. April 1983 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor, daß sich ihr Ehemann nach den Feststellungen des LSG zur Zeit des Unfalls auf einem Betriebsweg befunden habe. Auch hinsichtlich der Frage des ursächlichen Zusammenhangs des tödlichen Aufpralls an der Hausmauer mit der versicherten Tätigkeit seien die Feststellungen des LSG eindeutig. Ihr Ehemann sei zwar infolge Einwirkung von Medikamenten leicht fahruntüchtig gewesen, jedoch habe er diese Fahruntüchtigkeit nicht schuldhaft und schon gar nicht vorsätzlich herbeigeführt. Das LSG habe den Unterschied zwischen einer durch Alkohol begründeten Fahruntüchtigkeit und einer durch Medikamente begründeten Fahruntüchtigkeit in überzeugender Weise herausgestellt. Darin liege keine Bevorzugung von Verunglückten, deren Fahruntüchtigkeit durch Medikamenteneinnahme verursacht worden ist; denn es könne nicht nur auf den objektiven Tatbestand einer Fahruntüchtigkeit durch Medikamente abgestellt werden. Erforderlich wäre die Feststellung, daß den Verunglückten ein zurechenbares Verschulden an seiner Fahruntüchtigkeit treffe, insbesondere, daß er entweder vorsätzlich oder bewußt in Kauf genommen habe, daß die Medikamente zu einer nicht unerheblichen Fahruntüchtigkeit führen würden oder gar sollen. Die Wirkung von Medikamenten auf die Fahrtüchtigkeit eines Kraftfahrers sei, anders als bei Alkoholeinfluß, noch nicht in das Bewußtsein des einzelnen Menschen gedrungen. Man wisse auch noch zu wenig über die Wirksamkeit von Medikamenten und sei auch nicht in der Lage, die eingenommene Menge exakt zu bestimmen, wie aus den eingeholten Gutachten hervorgehe. Wie es im vorliegenden Fall überhaupt zu einer Bewußtseinsstörung bei ihrem Ehemann gekommen sei, sei nicht aufgeklärt und jetzt auch nicht mehr aufklärbar. Jedenfalls sei die Bewußtseinsstörung ihrem Ehemann nicht zuzurechnen; er habe sie nicht verschuldet und nicht zu vertreten. Die Einnahme von Medikamenten habe sich im therapeutischen Rahmen gehalten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, da der Tod ihres Ehemannes nicht infolge eines Arbeitsunfalls eingetreten ist. Die Beklagte hat daher durch ihren Bescheid vom 17. Januar 1979 die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu Recht abgelehnt, so daß das Urteil des LSG aufzuheben und das Urteil des SG zu ändern sind und die Klage hinsichtlich der Anerkennung eines Arbeitsunfalls und der Zahlung von Hinterbliebenenrente abzuweisen ist.

Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird gemäß § 589 Abs 1 Nr 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nur bei "Tod durch Arbeitsunfall" gewährt. Ein Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in §§ 539, 540, 543 bis 545 RVO genannten (versicherten) Tätigkeiten erleidet.

Nach den tatsächlichen, auf Zeugenaussagen beruhenden Feststellungen des LSG, die mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen nicht angegriffen und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), befand sich der Ehemann der Klägerin, als er verunglückte, auf einem Betriebsweg. Er wollte mit seinem Kfz von der wärmetechnischen Abteilung der Firma H. zu einer im Bereich des Tores 4 gelegenen öffentlichen Fernsprechzelle fahren, um von dort mit seinem Arbeitgeber zu telefonieren. Da ein Betriebsweg im Unterschied zu dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit in unmittelbarem Betriebsinteresse unternommen wird und somit Teil der versicherten Tätigkeit ist (s Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, S 481q mwN; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 548 Anm 65), besteht auf solchen Wegen grundsätzlich Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 1 iVm § 548 RVO.

Dennoch hat das LSG zu Unrecht einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall bejaht. Außer einem Ursachenzusammenhang im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis setzt das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nach der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung voraus, daß die versicherte Tätigkeit eine rechtlich wesentliche Ursache des Unfalls gewesen ist (vgl Brackmann, aaO, S 479h, 480 ff). Wie sich aus den weiteren tatsächlichen Feststellungen des LSG ergibt, gegen die durchgreifende Revisionsrügen ebenfalls nicht vorgebracht und die somit für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), war K. während der Zurücklegung des Betriebsweges, dh der unfallbringenden Fahrt mit seinem Kfz, infolge der nicht betriebsbedingten Einnahme der Medikamente Valium 10 und Betadorm verkehrsuntüchtig. Bei dieser Sachlage ist es für die Frage des Unfallversicherungsschutzes - wie das LSG zutreffend erkannt hat - entscheidungserheblich, ob diese Verkehrsuntüchtigkeit als rechtlich allein wesentliche Ursache mit der Folge der Verneinung des Unfallversicherungsschutzes anzusehen ist oder ob neben dieser Verkehrsuntüchtigkeit auch betriebsbezogene Umstände für den Unfall eine wesentliche (Mit-)Ursache gewesen sind, so daß Versicherungsschutz bejaht werden müßte.

Das BSG hat sich - soweit ersichtlich - bisher noch nicht mit der Frage befaßt, ob kein Unfallversicherungsschutz besteht, wenn der Unfall wesentlich allein durch eine auf Medikamenteneinnahme beruhende Fahruntüchtigkeit verursacht worden ist. Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung waren bisher die Auswirkungen alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers auf den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Hiernach führt die auf nicht betriebsbedingten Alkoholgenuß zurückzuführende (absolute oder relative) Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers zur Verneinung des Unfallversicherungsschutzes, wenn sie die unternehmensbedingten Umstände derart in den Hintergrund drängt, daß sie als die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls anzusehen ist (stRspr des erkennenden Senats seit seiner Entscheidung vom 30. Juni 1960, BSGE 12, 242; Brackmann, aaO, S 487m ff; Lauterbach/Watermann, aaO, § 548 RVO Anm 72 S 240). Bei der Beurteilung, welche Bedingungen in solchen Fällen als wesentlich und deshalb als Ursache bzw Mitursache anzusehen sind, handelt es sich um eine Wertentscheidung, bei der die einzelnen Bedingungen unter Berücksichtigung auch des Schutzzwecks der Norm qualitativ zu werten und gegeneinander abzuwägen sind (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 2. Mai 1979 - 2 RU 103/77 - in Blutalkohol 1979, 498, 500; Brackmann, aaO, S 480g I ff und 487o I). Die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit ist gegenüber den betriebsbedingten Umständen als rechtlich allein wesentliche Ursache zu werten, wenn nach der Erfahrung des täglichen Lebens davon ausgegangen werden kann, daß ein nicht unter Alkoholeinfluß stehender Verkehrsteilnehmer bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre. In einem solchen Fall ist der Versicherte nicht einer vom Schutz der Unfallversicherung erfaßten Gefahr erlegen, sondern nur bei Gelegenheit einer versicherten Tätigkeit verunglückt (BSGE 12, 242, 246).

Diese zur Frage des Unfallversicherungsschutzes eines alkoholbedingt fahruntüchtigen Kraftfahrers entwickelten Grundsätze sind auch für die Beurteilung des vorliegenden Falles heranzuziehen.

Das LSG ist zwar auf die vorliegend anzuwendenden Grundsätze zur Frage des Unfallversicherungsschutzes bei alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit eingegangen, hat dann aber nach Auffassung des erkennenden Senats eine hiervon abweichende unzutreffende Wertung und Abwägung der am Zustandekommen des Unfalls mitwirkenden Bedingungen vorgenommen. Es hat hinsichtlich der Ursächlichkeit des Unfalls, ausgehend von der Verkehrsuntüchtigkeit des K., zwar noch zutreffend geprüft, welches die rechtlich wesentliche Unfallursache gewesen ist. Unzutreffend hat es dann aber die Fahruntüchtigkeit unterschiedlich danach beurteilt, ob diese auf alkoholbedingten Einflüssen oder auf der Einnahme von ebenfalls berauschend wirkenden Medikamenten beruht und im Ergebnis zu Unrecht die versicherte Tätigkeit, dh die Zurücklegung des Betriebsweges, als eine wesentliche Mitursache des Unfalls bewertet, obwohl K. infolge der Einnahme von berauschend wirkenden Medikamenten verkehrsuntüchtig und der Unfall wesentlich allein durch diese Verkehrsuntüchtigkeit bedingt war. Insbesondere die hierzu gegebene Begründung überzeugt nicht. Danach bestehe bei einem - im Falle des K. gegebenen - Tablettenkonsum im therapeutischen Rahmen im Gegensatz zum nicht schutzwürdigen und rechtspolitisch unerwünschten Alkoholmißbrauch kein Mißbrauchstatbestand, so daß, wie bei den Unfällen aus innerer Ursache, der Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall gegeben sei, weil betriebsbedingte Umstände, nämlich die Gefährlichkeit des benutzten Kfz, an dem Eintritt des Unfallereignisses wesentlich mitgewirkt haben. Die besondere Gefährlichkeit begründet das LSG dann damit, daß durch die von dem Fahrzeug erreichte Geschwindigkeit die bei dem Aufprall auf die Mauer auf den Körper des K. einwirkenden Kräfte potenziert würden. Diesem Argument des LSG ist jedoch entgegenzuhalten, daß auch bei einem wesentlich allein auf alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zurückzuführenden Unfall die von dem Fahrzeug erreichte Geschwindigkeit die bei dem Aufprall auf die Mauer auf den Körper des K. einwirkenden Kräfte potenziert hätte. Die Auffassung des LSG geht vielmehr von unzutreffenden Grundpositionen aus. Sie verkennt insbesondere, daß der vom Senat bei wesentlich allein durch alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit verursachten Unfällen beachtete Schutzzweck der Norm nicht das bloße "Sichberauschen" oder die Umstände des Genusses legal erhältlicher berauschender Mittel, seien es Alkohol oder - bei entsprechender Dosierung - Medikamente, betrifft, sondern die Folgen, dh hier das Fahren mit einem Kfz im durch das berauschend wirkende Mittel fahruntüchtigen Zustand. Die gegenüber Unfällen aus innerer Ursache abweichende Wertung (s Brackmann aaO S 487o I) beruht in erster Linie auf der "Gefährlichkeit" des Alkohols als berauschendes Mittel in bezug auf die Fahruntüchtigkeit von Kraftfahrern und dessen möglichen Auswirkungen auf die Sicherheit des Straßenverkehrs. Auf den Anlaß zur Einnahme und die Art des zur Fahruntüchtigkeit führenden berauschend wirkenden Mittels kommt es nicht an. Das BSG hat deshalb im Zusammenhang mit Unfällen durch alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit nicht geprüft, aus welchem Anlaß der Kraftfahrer Alkohol getrunken hatte, zB - ähnlich wie bei Tabletten - zur Linderung von Schmerzen oder - wenn auch ebenfalls verfehlt - zur Minderung von Depressionen oder aus großem Leid oder großer Freude. Auch wenn für den Alkoholgenuß noch so "verständliche Gründe" im Einzelfall festzustellen wären, ist der Versicherungsschutz nicht gegeben, wenn die durch den Alkoholgenuß bedingte Fahruntüchtigkeit die allein wesentliche Ursache des Unfalles war. Das BSG hat deshalb selbst bei einem als Folge einer akuten progressiven Paralyse alkoholabhängigen Kraftfahrer, dem wegen des Verlustes der Selbstkontrolle im Zeitpunkt des zur Fahruntüchtigkeit führenden krankhaften Alkoholgenusses kein "Schuldvorwurf" gemacht werden konnte, den Versicherungsschutz bei einem wesentlich allein auf die - nicht schuldhafte - Fahruntüchtigkeit zurückzuführenden Unfall verneint (BSGE 38, 127). Ebenso wie eine durch Krankheit bedingte Fahruntüchtigkeit keine andere unfallversicherungsrechtliche Beurteilung rechtfertigt, ist dies auch bei einer zur Abwehr oder Linderung von Krankheiten gebotene oder wenigstens veranlaßte Einnahme von berauschend wirkenden Medikamenten der Fall, die zur Fahruntüchtigkeit führt.

Maßgebend für das Bestehen oder Nichtbestehen des Unfallversicherungsschutzes ist daher, wie sich die auf Alkohol oder andere berauschend wirkende Mittel beruhende Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers im zu entscheidenden Einzelfall ausgewirkt hat, dh, ob diese die allein wesentliche Bedingung des Unfalls gewesen ist. Prof. Dr. B hat hierzu in seinem vom SG eingeholten Gutachten vom 4. Januar 1983 ausgeführt, daß alle auf das zentrale Nervensystem wirkenden Substanzen potentielle "andere berauschende Mittel" sind, die einen dem Alkoholrausch gleichzusetzenden Zustand hervorrufen können. Dies trifft nach dem genannten Gutachten insbesondere auf die von K. eingenommenen Medikamente "Valium 10" und "Betadorm" zu, da die in diesen Medikamenten enthaltenen Wirkstoffe eine besonders hohe potentielle berauschende Wirkung haben, die sich schon bei relativ niedriger, therapeutischer Einnahmedosierung entfalten und zu einem Zustand der Fahruntüchtigkeit führen kann. Ob dies auch für die Einnahme anderer Medikamente (zB Schmerzmittel) gilt, die eine derartige berauschende Wirkung nicht zu erzeugen vermögen, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich und kann daher dahingestellt bleiben.

Die maßgeblichen Vorschriften der §§ 315c und 316 des Strafgesetzbuches (StGB) stellen ebenfalls lediglich auf die Tatsache der Fahruntüchtigkeit des Kraftfahrers ab, und zwar gleichgültig, ob diese infolge "Genusses alkoholischer Getränke" oder "anderer berauschender Mittel" hervorgerufen worden ist. "Andere berauschende Mittel" iS dieser Vorschriften sind jedoch nicht nur die klassischen Rauschgifte wie zB Heroin, Kokain, etc, sondern auch Medikamente, wenn sie bei entsprechender Dosierung und Anwendungsform als Rauschdrogen wirken bzw wie Alkohol dieselben Funktionen im Zentralnervensystem angreifen und beeinträchtigen (s ua Lackner, StGB, 15. Aufl 1983, § 315c Anm 4 Buchst a; StGB Leipziger-Kommentar, 10. Aufl, 10. Lfg 1978 § 64 RdNrn 56 ff und § 316 RdNrn 39, 47 bis 51, zur Einordnung von Psychopharmaka wie Valium und Librium vgl insbesondere Anm 49 mwN; Dreher/Tröndle, StGB, 41. Aufl 1983, § 64 RdNr 3a; in diesem Sinne auch OLG Köln, Blutalkohol 1977, 124 mwN; Händel NJW 1965, 1999, 2000; Schewe Blutalkohol 1976, 87, 91). Der 8a Senat hat im übrigen für einen Fall der Bewertung alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit in seinem Urteil vom 28. Juni 1979 (BSGE 48, 228, 230) zu Recht ausgeführt, daß im Interesse der Rechtsgleichheit keine Bedenken bestehen, neuere wissenschaftliche Erkenntnisse im Zusammenhang mit den Auswirkungen von genossenem Alkohol auf die Verkehrstüchtigkeit von Kraftfahrern ebenso wie der Bundesgerichtshof in Strafsachen auch im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zu verwerten, da es unabhängig von den Zielsetzungen des Strafrechts einerseits und des Unfallversicherungsrechts andererseits lediglich darum geht, in welchem Maß genossener Alkohol die Verkehrstüchtigkeit eines Kraftfahrers beeinflußt. Diese auf den Alkoholgenuß bezogenen Ausführungen des 8. Senats lassen sich ohne weiteres auf die Einnahme berauschend wirkender Medikamente übertragen, da es in einem solchen Fall ebenfalls nur um die Frage gehen kann, in welchem Maße das eingenommene Medikament die Verkehrstüchtigkeit des Kraftfahrers beeinflußt hat. Sie berührt nicht die Rechtsprechung des BSG, daß allein das strafbare Führen eines Kraftfahrzeuges trotz einer durch Alkohol oder andere berauschende Mittel bedingten Fahruntüchtigkeit in der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des maßgebenden Kausalzusammenhanges den Unfallversicherungsschutz nicht ausschließt.

Das LSG hat außer der Verkehrsuntüchtigkeit keine sonstigen in oder außerhalb der Person des K. liegenden rechtlich wesentlichen Bedingungen für den tödlichen Unfall des K., zB besonders schwierige Straßen- bzw Verkehrsverhältnisse, technische Mängel am Kraftfahrzeug usw, festzustellen vermocht. Die Feststellungen des LSG sind diesbezüglich nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden, so daß die Fahruntüchtigkeit die rechtlich allein wesentliche Ursache gewesen ist. Allein der vom LSG angelegte und vom Senat nicht für zutreffend erachtete Bewertungsmaßstab (vgl oben) führt zu einer vom Senat nicht gebilligten rechtlichen Bewertung des Unfalls und des zum Unfall führenden Geschehens. Da der Senat lediglich zu einer anderen rechtlichen Würdigung des Unfallgeschehens als das LSG kommt, konnte er in der Sache selbst entscheiden (§ 170 Abs 2 SGG). Der Tod des K. ist demnach nicht durch einen Arbeitsunfall (§ 589 Abs 1 Nr 3 RVO) eingetreten, da die auf der Einnahme berauschend wirkender Medikamente beruhende Fahruntüchtigkeit des K. mangels sonstiger feststellbarer Ursachen die rechtlich allein wesentliche Ursache des tödlichen Unfalls gewesen ist.

Bei der Fassung des Urteilstenors war zu beachten, daß das Urteil des SG hinsichtlich der nach § 589 Abs 1 Nrn 1, 2 und 4 RVO den Hinterbliebenen zu gewährenden Leistungen (Sterbegeld, Überführungskosten und Überbrückungshilfe) durch die Beschränkung der Berufung der Beklagten auf die Gewährung von Hinterbliebenenrenten (s BSG SozR 1500 § 144 Nrn 2 und 4) rechtskräftig geworden ist.

Die Kostenentscheidung nach § 193 SGG berücksichtigt, daß die Klägerin im Ergebnis nur in der ersten Instanz und auch nur zu einem insgesamt unbedeutenden Teil obsiegt hat.

 

Fundstellen

BSGE, 193

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