Leitsatz (amtlich)

1. Die auf Alkoholgenuß zurückzuführende Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers schließt den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung aus, wenn sie die unternehmungsbedingten Umstände derart in den Hintergrund drängt, daß sie als die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls anzusehen ist. Dies ist in der Regel der Fall, wenn nach der Erfahrung des täglichen Lebens ein nicht unter Alkoholeinfluß stehender Kraftfahrer bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre (Abweichung 1956-05-30 2 RU 311/55 = BSGE 3, 416).

2. Ein Kraftradfahrer ist schon bei einem Blutalkoholgehalt von 1,3 Promille absolut, das heißt unabhängig von sonstigen Beweisanzeichen, fahruntüchtig (Anschluß BGH 1959-03-06 4 StR 517/58 = NJW 1959, 1046)

 

Orientierungssatz

Der Beweis des ersten Anscheins ist in der Sozialgerichtsbarkeit eine erlaubte Beweisart.

 

Normenkette

RVO § 542 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. Januar 1956 mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der im Jahre 1931 geborene Kläger erlitt am 21. Juli 1952 gegen 5.45 Uhr auf der Fahrt von seiner elterlichen Wohnung nach seiner Arbeitsstätte in N mit dem Kraftrad einen Unfall. Er fuhr einem entgegenkommenden Kraftradfahrer in voller Fahrt in die Seite und stürzte. Möglicherweise ist der Unfall darauf zurückzuführen, daß ein Koffer in der Größe von 40 x 25 cm, den der Kläger mit einem Bindfaden um den Körper gebunden und auf den Oberschenkeln und dem Benzintank liegen hatte, verrutschte und die Lenkung blockierte. Der Koffer enthielt Mundvorrat und Wäsche, nach einer nachträglich aufgestellten Behauptung des Klägers außerdem Handwerkszeug. Durch den Sturz zog sich der Kläger einen komplizierten Oberschenkelbruch zu. Der angefahrene Verkehrsteilnehmer starb drei Tage nach dem Unfall an seinen Verletzungen.

Die Untersuchung einer Blutprobe des Klägers, der am Abend vorher Alkohol getrunken hatte, ergab, auf den Unfallzeitpunkt zurückgerechnet, nach einem Gutachten des Instituts für gerichtliche Medizin und Kriminalistik der Universität G einen Blutalkoholwert von 1,36 0 / 00 .

Durch Urteil des Schöffengerichts Meppen vom 21. Mai 1953 wurde der Kläger wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 210.- DM anstelle von sechs Wochen Gefängnis verurteilt. Zur Begründung ist ausgeführt: Durch die unsachgemäße Beförderung des Koffers auf dem glatten Tank habe der Kläger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen und fahrlässig den Tod des anderen Verkehrsteilnehmers verursacht; ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Alkoholgenuß sei nicht festzustellen, daß der Kläger in der Zwischenzeit etwa sechs Stunden geschlafen und dann gefrühstückt habe.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 6. Juli 1954 den Entschädigungsanspruch mit der Begründung ab, die Ursache des Unfalls habe wesentlich in persönlichen Umständen des Klägers, nämlich der nicht ordnungsgemäßen Befestigung des Koffers, gelegen; außerdem sei der innere Zusammenhang mit dem Betrieb durch die Trunkenheit des Klägers gelöst gewesen.

Die Klage gegen diesen Bescheid ist erfolglos geblieben. Das Sozialgericht (SG.) hat in seinem klagabweisenden Urteil vom 17. März 1955 die Frage unbeantwortet gelassen, ob die Alkoholbeeinflussung des Klägers den Versicherungsschutz ausschloß; es hat in dem unsachgemäßen Transport des Koffers einen besonderen, mit der betrieblichen Tätigkeit nicht zusammenhängenden Gefahrenbereich gesehen.

Die Berufung des Klägers ist durch Urteil des Landessozialgerichts (LSG.) Celle vom 24. Januar 1956 zurückgewiesen worden. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG. im wesentlichen ausgeführt: Aus einem von Prof. P erstatteten Gutachten ergebe sich überzeugend, daß ein Kraftradfahrer bei einer Blutalkoholkonzentration (BAK.) von 1,3 0 / 00 absolut und unwiderlegbar fahruntüchtig sei. Der Kläger habe zur Zeit des Unfalls wenigstens 1,43 0 / 00 Alkohol im Blut gehabt und sei daher fahruntüchtig gewesen. Es sei rechtlich unerheblich, ob der vom Kläger genossene Alkohol im Augenblick des Unfalls zu einem unrichtigen Verhalten und damit zum Unfall geführt habe; entscheidend sei vielmehr, daß der Kläger sich durch absolute Fahruntüchtigkeit vom Betriebe gelöst habe, als er sein Kraftrad zur Fahrt nach der Arbeitsstätte bestiegen habe.

Das LSG. hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 12. März 1956 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. März 1956 Revision eingelegt und sie am 25. April 1956 begründet. Die Revision rügt Verletzung der §§ 542, 543 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Zur Frage der Fahruntüchtigkeit hatte die Revision schriftsätzlich vorgebracht, das LSG. hätte allein aus dem Blutalkoholwert von 1,43 0 / 00 nicht auf absolute Fahruntüchtigkeit des Klägers schließen dürfen; denn dieser sei trinkfest und trinkgewohnt, wiege über 90 Kilo, habe nach dem Genuß des Alkohols sechs Stunden geschlafen und bis zum Unfall bereits eine Strecke von 40 km einwandfrei zurückgelegt gehabt. Demgegenüber hat die Revision in der mündlichen Verhandlung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH.) beigepflichtet, nach der ein Kraftradfahrer schon bei einem Blutalkoholgehalt von 1,3 0 / 00 unbedingt fahruntüchtig ist (BGH., NJW. 1959 S. 1046). Sie ist demgemäß von der Fahruntüchtigkeit des Klägers ausgegangen und hat weiter ausgeführt: In der Regel werde man allerdings annehmen können, daß ein Unfall, den ein Kraftfahrer im Zustand der Alkoholbeeinflussung erleide, auf diese zurückzuführen sei. Im vorliegenden Falle sei jedoch die unsachgemäße Befestigung des Koffers die alleinige Ursache des Unfalls gewesen. Das Mitführen des Koffers sei der versicherten Tätigkeit des Klägers zuzurechnen. Der Koffer möge zwar fahrlässigerweise unsachgemäß befestigt gewesen sein; durch fahrlässiges Verhalten werde aber der Versicherungsschutz nicht ausgeschlossen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Urteile und des Bescheides der Beklagten diese zu verurteilen, Unfallrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

II

Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, also zulässig. Sie ist auch begründet.

Nach den Feststellungen des LSG. war der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls mit einer BAK. von mehr als 1,3 0 / 00 infolge Alkoholeinwirkung fahruntüchtig, d.h. nicht in der Lage, sein Fahrzeug verkehrssicher zu führen. Das schriftsätzliche Revisionsvorbringen, das LSG. hätte nicht allein aus dem festgestellten Blutalkoholgehalt von 1,43 0 / 00 auf Fahruntüchtigkeit des Klägers schließen dürfen, vielmehr auch dessen Alkoholverträglichkeit, Körpergewicht und Fahrweise berücksichtigen müssen, könnte die Rüge der Verletzung eines Erfahrungssatzes zum Inhalt haben. Diese Rüge ist jedoch nicht begründet. Das LSG. hat mit Recht angenommen, daß ein Motorradfahrer mit einer BAK. von 1,43 0 / 00 unter allen Umständen, d.h. unabhängig von sonstigen Beweisanzeichen, fahruntüchtig ist. Von einem bestimmten Grade der BAK. an aufwärts ist der Lenker eines Kraftfahrzeugs ohne Rücksicht auf seine körperlichen Anlagen nicht mehr in der Lage, sein Fahrzeug verkehrssicher zu führen. In Übereinstimmung mit der weitaus herrschenden Lehre, der Rechtsprechung des BGH. und dem Ergebnis des Gutachtens des Bundesgesundheitsamtes vom 1. März 1955 (abgedruckt und erläutert von Borgmann, Blutalkohol bei Verkehrsstraftaten 1955, Kirschbaumverlag, Bielefeld) hat der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 30. Mai 1956 (BSG. 3 S. 116 ff.) Fahruntüchtigkeit von Kraftwagenfahrern bei einer BAK. von 1,5 0 / 00 oder mehr angenommen. Kraftradfahrer hat das LSG. im Anschluß an das Gutachten des Prof. Dr. P vom Institut für gerichtliche Medizin der Universität M mit Recht bereits bei einer BAK. von 1,3 0 / 00 als absolut fahruntüchtig angesehen. Für Kraftradfahrer erweist sich die Herabsetzung des sonst angewendeten Grenzwertes unbedingter Fahruntüchtigkeit auf 1,3 0 / 00 nach den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschungen wegen der erheblich höheren Anforderungen, die an diese Verkehrsteilnehmer im Vergleich zu Kraftwagenfahrern gestellt werden, als notwendig. Zutreffend bewertet das LSG. in diesem Zusammenhang u.a. das höhere Beschleunigungsvermögen eines Kraftrades bei verlängertem Bremsweg gegenüber einem Kraftwagen, die Notwendigkeit, durch Körperhaltung und leichteste Lenkbewegungen das Kraftrad im Gleichgewicht zu halten, sowie die Schwierigkeit, wegen der um 10 bis 25 mal empfindlicheren Lenkung die Fahrtrichtung einzuhalten, als Umstände, die bei einem unter Alkoholeinfluß stehenden Kraftradfahrer früher als bei einem Kraftwagenfahrer zu Fehlleistungen führen. Die Auffassung, daß ein Motorradfahrer mit Sicherheit bei einer erheblich geringeren BAK. als ein Kraftwagenfahrer fahruntüchtig sei, wird im Schrifttum allgemein vertreten (vgl. Nachweisungen in NJW. 1959 S. 1047, linke Sp.). Sie wird auch vom BGH. geteilt (NJW. 1959 S. 1046 und 1047), der zugunsten der Kraftfahrer den nach naturwissenschaftlichen Erkenntnissen noch vertretbaren höchsten Grenzwert von 1,3 0 / 00 annimmt, um vor allem den etwaigen Ungenauigkeiten bei der Ermittlung des Blutalkohols Rechnung zu tragen. Bei der Erreichung des Grenzwertes von 1,3 0 / 00 ist ein Kraftradfahrer - unabhängig von sonstigen Beweisanzeichen - unbedingt fahruntüchtig. Ein Gegenbeweis ist nicht zugelassen. Daher hat das LSG. insoweit mit Recht keine weiteren Ermittlungen über die Alkoholverträglichkeit und die Fahrweise des Klägers angestellt.

Trotzdem mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückverwiesen werden. Das LSG. hat keine Feststellungen darüber getroffen, inwieweit die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers für den Eintritt des Unfalls ursächlich war. Der erkennende Senat hat allerdings in seinem Urteil vom 30. Mai 1956 (BSG. 3 S. 116 ff.) im Anschluß an die neuere Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA.) ausgesprochen, der ursächliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit sei bei einem Versicherten, dessen Tätigkeit im Lenken eines Kraftfahrzeugs besteht, nicht mehr vorhanden, wenn er die hierzu erforderlichen Fähigkeiten durch Alkoholeinwirkung verloren habe. Diese Rechtsmeinung des RVA. hatte zuvor schon in der Rechtsprechung und im Schrifttum der Nachkriegszeit weitgehend Zustimmung gefunden (vgl. die Nachweisungen in BSG. 3 S. 118). In neuerer Zeit ist sie in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte nahezu einhellig übernommen bzw. beibehalten worden (vgl. u.a. Bayer. LSG., Amtsbl. des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziale Fürsorge 1955 S. B 128 Nr. 171; Hess. LSG., Breith. 1957 S. 609 = SGb. 1958 S. 101; LSG. Celle, Nds.MinBl. 1958 Rechtspr. Beilage Nr. 3 S. 15, Nr. 13 S. 68 und Nr. 15 S 85; LSG. Nordrh.-Westf., Breith. 1957 S. 1003 und BG. 1957 S. 538; a.A.: LSG. Baden-Württemb., Breith. 1957 S. 904; LSG. Rheinl.-Pfalz, Breith. 1956 S. 25 und 1957 S. 803).

Im Schrifttum überwiegen jedoch die kritischen Stimmen gegen diese Rechtsauffassung, die zwar klare Entscheidungen ermöglicht, aber in Einzelfällen, in denen die Trunkenheit keinen Einfluß auf das Unfallgeschehen hat, zu unbilligen Ergebnissen führen kann (vgl. Dähne, Soz.Sich. 1960 S. 117; Drefahl, SGb. 1957 S. 294; Gumpert, BB. 1958 S. 122; Klink, ZfS. 1957 S. 260, WzS. 1957 S. 244 und 1958 S. 227; Knoll, SGb. 1959 S. 277; Maisch, SGb. 1957 S. 292; Niedermeier, BB. 1957 S. 82; zweifelnd: Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl. Stand: Sept. 1959 S. 72 a, 73; a.A.: Sperling, BB. 1958 S. 121).

Bei nochmaliger Prüfung der Rechtsfrage ist der erkennende Senat zu dem Ergebnis gelangt, daß die Auffassung, der durch Alkoholeinfluß fahruntüchtige Kraftfahrer habe ohne Rücksicht auf sein Verhalten im einzelnen den ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit verloren, eine Überbewertung der bei Fahruntüchtigkeit bestehenden Alkoholbeeinflussung bedeutet. Ein Kraftfahrer, der infolge Alkoholbeeinflussung sein Fahrzeug nicht mehr verkehrssicher führen, aber immerhin noch fahren kann, ist einem im Zustand des Vollrausches befindlichen und deshalb arbeitsunfähigen Versicherten rechtlich nicht gleichzustellen; denn bei jenem ist - im Unterschied zum Volltrunkenen - die Durchführung einer vernünftigen und zweckgerichteten Arbeit nach der Erfahrung des täglichen Lebens nicht ausgeschlossen. Die Fahruntüchtigkeit infolge Alkoholgenusses ist ein Zustand, der eine bestimmte, vor allem auf der Beeinträchtigung der Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit beruhende Gefahr in sich birgt, die jedoch nicht notwendig zur Auswirkung kommen muß (vgl. BGHSt. 5 S. 168 (171)). Bei einer solchen Alkoholbeeinflussung kann der Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und dem Unternehmen noch hergestellt und aufrechterhalten werden, während dies bei einem Vollrausch, der eine zweckgerichtete Arbeit nicht mehr ermöglicht, ausgeschlossen ist. Die rechtliche Gleichstellung eines infolge Alkoholgenusses lediglich Fahruntüchtigen mit einem Volltrunkenen erscheint danach nicht gerechtfertigt. Vielmehr muß in einem solchen Falle die Verhaltensweise des Kraftfahrers noch der versicherten Tätigkeit zugerechnet werden.

Der als Voraussetzung für die Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung außerdem erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis fehlt jedoch, wenn die Fahruntüchtigkeit infolge Alkoholbeeinflussung, die mit dem Unternehmen bzw. der versicherten Tätigkeit nicht zusammenhängt, für den Eintritt des Unfalls die einzige rechtlich erhebliche Ursache im Sinne der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung herrschenden Kausallehre gewesen ist. Die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit ist die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls, wenn sie die unternehmensbedingten Umstände derart in den Hintergrund drängt, daß diese als rechtlich nicht wesentliche Mitursachen für die Frage der Verursachung unberücksichtigt bleiben müssen. Der Begriff der rechtlich wesentlichen Ursache ist ein Wertbegriff; die Frage, ob eine Mitursache für den Erfolg wesentlich ist, beurteilt sich nach dem Wert, den ihr die Auffassung des täglichen Lebens gibt (vgl. BSG. 1 S. 72 (76); Pesch, NJW. 1958 S. 1074 (1076) und SGb. 1959 S. 183 ff.). Danach ist die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit, die bei der Entstehung des Unfalls mitgewirkt hat, gegenüber den betriebsbedingten Umständen als rechtlich allein wesentliche Ursache zu werten, wenn nach der Erfahrung des täglichen Lebens davon auszugehen ist, daß ein nicht unter Alkoholeinfluß stehender Verkehrsteilnehmer bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre. In einem solchen Falle ist der Versicherte nicht einer vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erfaßten Gefahr erlegen, sondern nur "bei Gelegenheit" einer versicherten Tätigkeit verunglückt.

Läßt sich ein klares Beweisergebnis über die Ursache eines Unfalls, der einen unter Alkoholeinfluß stehenden Verkehrsteilnehmer betroffen hat, nicht erzielen, sind also sonstige Unfallursachen nicht erwiesen, so spricht nach der Auffassung des Senats, die sich mit den Ausführungen des BGH. in NJW. 1956 S. 21 (23) deckt, die Lebenserfahrung dafür, daß die auf Alkoholbeeinflussung beruhende Fahruntüchtigkeit den Unfall verursacht hat (Beweis des ersten Anscheins - vgl. BSG. 8 S. 245 und 10 S. 46 (50); LSG. Baden-Württemberg, Breith. 1957 S. 904). Darüber hinaus wird man in solchen Fällen jedenfalls bei absoluter Fahruntüchtigkeit annehmen können, daß die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit nach der Auffassung des täglichen Lebens auch die rechtlich allein wesentliche Ursache in dem angeführten Sinne gewesen ist.

Die vom LSG. festgestellte Fahruntüchtigkeit des Klägers vermag danach für sich allein den Ausschluß des Unfallversicherungsschutzes nicht zu rechtfertigen. Das LSG. hat es für die Entscheidung unerheblich bezeichnet, ob der vom Kläger genossene Alkohol im Augenblick des Unfalls zu einem unrichtigen Verhalten und damit zu dem Unfall geführt hat. Ausreichende tatsächliche Feststellungen, die dem Bundessozialgericht (BSG.) die Beurteilung der Unfallursache, vor allem des Einflusses der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit, ermöglichen könnten, hat das LSG. nicht getroffen. Die aus den polizeilichen Ermittlungen in den Tatbestand übernommene Annahme, daß sich der Unfall "wahrscheinlich" durch plötzliche Lageveränderung des Koffers und eine dadurch hervorgerufene Blockierung des Lenkers ereignet habe, kann, wenn das LSG. diese Annahme zu seiner richterlichen Überzeugung macht, bedeuten, daß der Unfall auch von einem nüchternen Fahrer nicht hätte vermieden werden können, mithin der Alkoholeinfluß die betriebliche Ursachenreihe nicht als unwesentlich zurückgedrängt hat. Die unsachgemäße Befestigung des Koffers kann, für sich allein betrachtet, nicht als ein Umstand gewertet werden, der - etwa unter dem Gesichtspunkt des "selbstgeschaffenen Gefahrenbereiches" - den Unfallversicherungsschutz ausschlösse. Eine solche Wertung würde entgegen den gesetzlichen Bestimmungen des Unfallversicherungsrechts ein schuldhaftes, nicht auf Vorsatz beruhendes Verhalten des Verletzten bei der Herbeiführung des Unfalls zu seinem Nachteil berücksichtigen (vgl. § 556 RVO). In Fällen der "selbstgeschaffenen Gefahrerhöhung" kommt es entscheidend darauf an, ob der zusätzliche Gefahrenbereich der versicherten Tätigkeit wesentlich zuzurechnen ist (vgl. BSG. 6 S. 164 (169)). Die Handlungsweise des Klägers hätte allenfalls dann zum Ausschluß des Versicherungsschutzes führen können, wenn sie völlig unvernünftig gewesen wäre und somit den Zusammenhang des Unfalls mit der versicherten Tätigkeit derart in den Hintergrund hätte treten lassen, daß sie die rechtlich allein wesentliche Ursache der Schädigung gewesen wäre (BSG. a.a.O., RVA. in EuM. 44 S. 9). Solche Merkmale sind nach den bisher getroffenen Feststellungen hier jedoch nicht ersichtlich.

Da noch tatsächliche Feststellungen zu treffen sind, konnte das BSG. in der Sache nicht selbst entscheiden. Es bedurfte daher der Zurückverweisung an die Vorinstanz (§ 170 Abs. 2 SGG).

Über die Kosten des Verfahrens wird im abschließenden Urteil zu entscheiden sein.

 

Fundstellen

BSGE, 242

NJW 1960, 1636

MDR 1960, 959

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