Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluß von Arzneimitteln. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Versorgung mit Arzneimitteln iS des § 182f Abs 2 RVO ist unabhängig von der Therapierichtung ausgeschlossen.

2. Die Ermessensentscheidung der Krankenkasse, ob sie ein über einen längeren Zeitraum benötigtes Arzneimittel wegen unzumutbarer Belastung gewährt, erfordert jedenfalls dann die Einzelfallprüfung der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten, wenn in einer Ermessensrichtlinie der Krankenkasse die Belastbarkeitsgrenze nicht so hoch angesetzt wird, daß in ihr bereits alle wesentlichen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten mindernden Belastungen berücksichtigt worden sind.

 

Orientierungssatz

Die Regelung des § 182f RVO verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG.

 

Normenkette

RVO § 182a S 3 Fassung: 1981-12-22, § 182f Abs 2 Nr 3 Fassung: 1982-12-20; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Abs 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 07.06.1984; Aktenzeichen L 16 Kr 166/83)

SG Köln (Entscheidung vom 14.11.1983; Aktenzeichen S 19 Kr 123/83)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem an chronischer Obstipation leidenden Kläger laufend Abführmittel als Arzneimittel zu gewähren hat.

Die Beklagte hat durch den Bescheid vom 28. April 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 1983 die Versorgung des Klägers mit Abführmitteln in der Zeit ab 1. April 1983 mit der Begründung abgelehnt, nach § 182f der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Haushaltsbegleitgesetzes vom 20. Dezember 1982 (BGBl I 1857) -nF- seien Abführmittel, gleich aus welcher medizinischen Indikation sie verordnet würden, keine vom Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährende Arzneimittel. Für den Kläger komme auch die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 182f Abs 1 Satz 3 RVO nF iVm § 182a Satz 3 RVO (idF durch Art 1 Nr 3 KVEG vom 22. Dezember 1981 -BGBl I S 1578-) nicht in Betracht, weil er im Hinblick darauf, daß sein monatliches Renteneinkommen 2.003,63 DM betrage, durch die Kosten der Selbstbeschaffung nicht unzumutbar belastet werde; nach der Härtefalltabelle der Beklagten zu § 182a Satz 3 RVO sei dies bei einem Verheirateten ohne Kinder nur der Fall, wenn das Einkommen des Versicherten 50 vH der monatlichen Bezugsgröße iS des § 18 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB 4) - 1.290,- DM - nicht überschreite.

Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Klage mit Urteil vom 14. November 1983 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen: Nach § 182f Abs 2 RVO nF habe der Kläger keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit Abführmitteln. Die Ausnahmevorschrift des § 182f Abs 1 Satz 3 RVO nF sei auf den Kläger nicht anwendbar. Es sei nicht ersichtlich, daß die von der Beklagten der Beurteilung der zumutbaren Eigenbelastung zugrunde gelegten Richtlinien unangemessen seien.

Der Kläger macht zur Begründung seiner - vom LSG zugelassenen - Revision geltend, das LSG habe die Vorschriften des § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b und Abs 2 RVO, § 182a Satz 3 und § 182f RVO fehlerhaft ausgelegt. Nach der vom LSG getroffene Inhaltsbestimmung würde die Vorschrift des § 182f RVO gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 des Grundgesetzes (GG) verstoßen, der die Bildung unterschiedlicher Klassen der Mitglieder bei der Gewährung bestimmter Arzneimittel verbiete. Bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung gelte diese Ausnahmeregelung zu § 182 Abs 2 RVO jedenfalls dann nicht, wenn - wie in seinem Falle - das Abführmittel nicht nur allgemein wegen Obstipationen, sondern wegen einer besonderen medizinischen Indikation dieser Gesundheitsstörung verordnet werde. Überdies habe das LSG nicht geprüft, ob die Beklagte bei ihrer Entscheidung gemäß § 182f Abs 1 Satz 3 RVO nF iVm § 182a Satz 3 RVO ihr Ermessen zutreffend ausgeübt habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. Juni 1984 sowie das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14. November 1983 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 23. April 1983 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 1983 zu verurteilen, den Kläger im Rahmen der Gewährung von Krankenhilfe mit den erforderlichen Abführ- mitteln zu versorgen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet, soweit der Kläger einen Rechtsanspruch auf Versorgung mit Abführmitteln geltend macht. Im übrigen ist sie begründet und führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und der angefochtenen Bescheide sowie zur Verurteilung der Beklagten, dem Kläger einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.

Das LSG hat - wenn auch ohne Begründung - die Berufung zutreffend als zulässig angesehen. Dieses Rechtsmittel ist insbesondere nicht nach § 144 SGG ausgeschlossen. Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden nicht nur die Versorgung des Klägers mit einer einmal ärztlich verordneten Menge eines Abführmittels abgelehnt, sondern einen Anspruch des Klägers auf laufende Versorgung mit Abführmitteln verneint. Damit begehrt der Kläger nicht eine einmalige Leistung im Sinne des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG, sondern eine Leistung für einen im Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels auch mehr als dreizehn Wochen betragenden Zeitraum, so daß die Berufung auch nicht nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGG ausgeschlossen ist (vgl BSG, Urteil vom 29. Januar 1981 - 11 RK 7/80 -, SozR 2200 § 182a Nr 4 mwN).

Das Klagebegehren ist in erster Linie auf die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Leistung, auf die der Kläger einen Rechtsanspruch zu haben meint, gerichtet.

Das LSG hat jedoch zutreffend einen Rechtsanspruch des Klägers gemäß § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b) RVO auf Versorgung mit Abführmitteln verneint. Nach den im Revisionsverfahren nicht angegriffenen und daher für den erkennenden Senat bindenden Tatsachenfeststellungen des LSG benötigt der Kläger wegen einer chronischen Verstopfung ständig Abführmittel. Da die Abführmittel Arzneimittel im Sinne des § 182f Abs 2 Nr 3 RVO nF sind, kann die Beklagte sie nur unter den Voraussetzungen des § 182f Abs 1 Satz 3 gewähren, denn die in § 182f Abs 1 Satz 1 RVO weiter genannten Ausnahmefälle der §§ 368g Satz 5 und 525c Abs 2a RVO sind hier von vornherein nicht entscheidungserheblich.

Zutreffend hat das LSG auch nicht als entscheidungserheblich angesehen, ob der Kläger die Abführmittel wegen einer speziellen medizinischen Indikation benötigt. Nach der Begründung zum Entwurf des § 182f RVO (BT-Drucks 9/2074, S 98) hat der Gesetzgeber durch § 182f nF den in § 182 Abs 2 RVO normierten Grundsatz der Notwendigkeit aus Kostenersparnisgründen einschränkend modifiziert. Die Vorschrift des § 182f Abs 2 RVO nF schließt die Versorgung mit den in ihr genannten Arzneimitteln zu Lasten der Krankenkassen schlechthin allein deshalb aus, weil sie üblicherweise nur bei geringfügigen Gesundheitsstörungen verordnet werden. Der Ausschluß erfaßt mithin die Abführmittel unabhängig von ihrer stofflichen Zusammensetzung nach dem Anwendungsgebiet und ohne Bezug auf bestimmte Erkrankungen oder medizinische Indikationen. Deshalb werden von dieser Regelung auch Arzneimittel besonderer Therapierichtungen erfaßt (Begründung zum Entwurf des § 182f aaO). Auf den Grad der medizinischen Notwendigkeit kommt es nicht an.

Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung verstößt diese Regelung des einfachen Gesetzes nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG. Im Rahmen der gewährenden Staatsverwaltung hat der Gesetzgeber des einfachen Rechts eine weitgehende Gestaltungsfreiheit (BVerfGE 6, 77; 11, 60; 12, 166; 17, 216). Gesetze sind in Hinsicht auf die vorgenannten Grundrechte nicht darauf zu überprüfen, ob der Gesetzgeber im einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat (BVerfGE 3, 24, 135, 182; 14, 177, 238; 15, 201; 18, 124; 19, 367; BSG SozR 5870 § 2 Nr 11). Diese Gestaltungsfreiheit erlaubt es dem Gesetzgeber auch, Anspruchsvoraussetzungen zu ändern oder Ansprüche ganz wegfallen zu lassen (BSG SozR 5870 § 2 Nr 21). Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet dem Gesetzgeber des einfachen Gesetzes nur, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders zu behandeln, wenn zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede bestehen, die die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfG, SozR 4460 § 8 Nr 9 mwN). Eine derartige Ungleichbehandlung enthält die in § 182f RVO nF getroffene Regelung nicht. Sie gilt für alle Versicherten in gleicher Weise, so daß eine ungleiche Gruppenbildung nicht erfolgt ist. Soweit der Gesetzgeber mit der Ausnahmeregelung in § 182f Abs 1 Satz 3 RVO nF iVm § 182a Satz 3 RVO den Krankenkassen die Möglichkeit eröffnet, dem Versicherten Arzneimittel in Fällen, in denen diese über einen längeren Zeitraum benötigt werden, zu gewähren, wenn er andernfalls unzumutbar belastet würde, hat der Gesetzgeber nicht eine Gruppe von Versicherten sachwidrig anders behandelt, sondern nur dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG) Rechnung getragen, das den Gesetzgeber verpflichtet, auch soziale Belange zu berücksichtigen und insbesondere soziale Härten nach Möglichkeit zu vermeiden. Von daher ist die Besserstellung der dauernd behandlungsbedürftigen Versicherten mit geringerer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit gerechtfertigt.

Das LSG hat schließlich zutreffend angenommen, daß der Gesetzgeber mit der Neuregelung in § 182f RVO nF auch nicht gegen den vom Bundesverfassungsgericht -BVerfG- (SozR 2200 § 205 Nr 4; ständige Rechtsprechung) als Ausprägung des Sozialstaatsprinzips angesehenen Vertrauensschutz in eine bestehende gesetzliche Regelung verstoßen hat. Das BVerfG hat diesem Grundsatz zwar im Bereich des Sozialversicherungsrechts besondere Bedeutung zugemessen, andererseits jedoch stets anerkannt, daß der Gesetzgeber gerade auch in diesem Bereich aus Gründen des Allgemeinwohls Neuregelungen treffen können muß, die sich den jeweiligen Erfordernissen anpassen. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Neuregelung des § 182f nF RVO überhaupt ein Gesetz mit unechter Rückwirkung ist. Selbst wenn dies der Fall wäre, sind hier die aus dem Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip gegebenen verfassungsrechtlichen Grenzen gewahrt. Für den Bürger bedeutet Rechtssicherheit in erster Linie Vertrauensschutz. Auch bei einer Beschneidung der Rechtsposition des Berechtigten, insbesondere bei unechter Rückwirkung, ist das Vertrauen des Staatsbürgers nur dann in unzulässiger Weise enttäuscht, wenn das Gesetz einen einschränkenden Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen brauchte, den er also bei seiner Disposition nicht berücksichtigen konnte (BVerfGE 14, 288, 299). Der einzelne kann sich aber dann nicht auf den Schutz seines Vertrauens berufen, wenn sein Vertrauen auf den Fortbestand einer ihm günstigen Regelung eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber billigerweise nicht beanspruchen darf (BVerfGE 63, 152, 175 mwN). Geboten ist daher bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung eines die Position des Betroffenen verschlechternden Gesetzes - insbesondere mit unechter Rückwirkung - die Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für die Allgemeinheit (BSGE 51, 356, 362, 363). Die hier in Frage stehende Änderung erfolgte zur Kostendämpfung, um die Krankenkassen und damit die Versichertengemeinschaft von der Pflicht zur Gewährung von Heilmitteln bei geringfügigen Erkrankungen zu entlasten (BT-Drucks 9/2074, S 94, 98). Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß in gewissem Umfange Härten hinzunehmen sind (BVerfG, Beschluß vom 11. Oktober 1983 - 1 BvR 1316/82 -, SozR 5800 § 4 Nr 3) läßt die Auswahl der von der Versorgung ausgenommenen Arzneimittelgruppen in § 182f Abs 2 RVO nF eine willkürliche Differenzierung nicht erkennen.

Demgemäß kommt die Versorgung des Klägers mit Abführmitteln nur nach § 182f Abs 1 Satz 3 RVO nF iVm § 182a Satz 3 RVO in Betracht. Zumal im Hinblick auf den Regelungsgehalt der angefochtenen Bescheide hat der Senat keine Bedenken, das Klagebegehren des Klägers auch dahin zu verstehen, daß er, falls er einen Rechtsanspruch auf die Leistung nicht hat, hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten begehrt, ihm bezüglich der dann in Betracht kommenden Ermessensleistung einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen (§ 131 Abs 3 SGG).

Nach § 182f Abs 1 Satz 3 RVO iVm § 182a Satz 3 RVO kann die Krankenkasse das Abführmittel in Fällen, in denen es über einen längeren Zeitraum benötigt wird, gewähren, wenn der Kläger durch die dafür erforderlichen Aufwendungen unzumutbar belastet wird. Der Kasse ist damit ein Ermessen eingeräumt, das mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der unzumutbaren Belastung gekoppelt ist.

Die Entscheidung der Krankenkasse erfordert daher die gerichtliche Prüfung (und begrenzt sie zugleich hierauf), ob die von der Krankenkasse vorgenommene Subsumtion des Einzelfalles unter diesen unbestimmten Rechtsbegriff noch im Rahmen des rechtlich Vertretbaren liegt (BSG, Urteil vom 28. März 1979 - 3 RK 29/78 -, SozR 2200 § 182a Nr 1; Urteil vom 21. Oktober 1980 - 3 RK 21/80 -, BSGE 50, 250 = SozR 2200 § 182a Nr 2; Urteil vom 29. Januar 1981 - 11 RK 7/80 -, SozR 2200 § 182a Nr 4). Nach den Feststellungen des LSG hat die Beklagte ihrer Entscheidung ausschließlich eine an der monatlichen Bezugsgröße iS des § 18 SGB 4 anknüpfende Einkommensgrenze zugrunde gelegt und diese für den seiner Ehefrau unterhaltspflichtigen Kläger mit der Hälfte des durchschnittlichen Arbeitsentgelts aller Versicherten in der Rentenversicherung angesetzt. Grundsätzlich ist das der Beklagten eingeräumte Ermessen in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände auszuüben. Richtlinien für die Ermessensausübung sind nicht nur zulässig, sondern zur gleichmäßigen Ausübung des Ermessens durchaus zweckmäßig. Als alleiniges Abgrenzungskriterium für den der Beklagten eingeräumten Entscheidungsspielraum kommen sie jedoch nur dann in Betracht, wenn von ihnen alle denkbaren Fälle der unzumutbaren Belastung erfaßt sind, so daß die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles überflüssig ist. Das ist jedoch nur dann der Fall, wenn die Belastbarkeitsgrenze so hoch angesetzt ist, daß in ihr bereits alle die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mindernden Belastungen berücksichtigt worden sind. Das ist bei der von der Beklagten festgelegten Einkommensgrenze nicht der Fall, denn es sind durchaus Fälle denkbar, in denen auch oberhalb dieser Grenze eine unzumutbare Belastung vorliegen kann. Der Beklagten war es deshalb nicht gestattet, ohne Prüfung der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers und ohne Berücksichtigung des krankheitsbedingten Aufwandes die Kostentragung für das benötigte Abführmittel als zumutbar anzusehen.

Nach den Feststellungen des LSG hat die Beklagte die erforderliche Einzelfallprüfung nicht vorgenommen. Sie hat vielmehr, wie auch die Begründung der angefochtenen Bescheide ergibt, gemeint, sich auf die Prüfung beschränken zu können, ob das verfügbare Einkommen des Klägers die Hälfte des durchschnittlichen Arbeitsentgelts aller Versicherten in der Rentenversicherung übersteigt. Hierbei hat die Beklagte nach den Feststellungen des LSG eine zu § 182a RVO ergangene Richtlinie zugrunde gelegt, die im Hinblick auf die unterschiedlichen Merkmale in §§ 182a und 182f RVO möglicherweise allein deshalb dem Ermessensrahmen des § 182f RVO nicht zutreffend auszufüllen vermag.

Da die Beklagte damit die erforderlichen Ermessenserwägungen nicht angestellt hat und diese nach dem Erlaß des Widerspruchsbescheides im gerichtlichen Verfahren auch nicht mehr nachgeholt werden dürfen (BSG, Urteil vom 14. Juni 1984 - 10 RAr 9/83 -, nicht veröffentlicht), sind die angefochtenen Bescheide in diesem Umfange aufzuheben; zugleich ist die Beklagte gemäß § 131 Abs 3 SGG zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der vorstehend dargelegten Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG. Obwohl der Kläger mit seinem Hauptbegehren nicht durchgedrungen ist, hat die Beklagte ihm die für alle Rechtszüge entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661154

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