Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruchsübergang (Krankengeld. Rente)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. RVO § 183 Abs 3 soll nicht nur Doppelleistungen verhindern, sondern auch einen Lastenausgleich zwischen Krankenkasse und Rentenversicherungsträger ermöglichen. Aus diesem Grunde ist ein Rentenfeststellungsverfahren auch dann nach dem Tode des Rentenantragstellers fortzusetzen, wenn die Krankenkasse dadurch in den Genuß des kraft Gesetzes auf sie übergehenden Rententeils gelangt.

2. Unter "Zubilligung der Rente" iS des RVO § 183 Abs 3 und 5 ist grundsätzlich die Bescheidung des Rentenbewerbers oder seiner Rechtsnachfolger, nicht ohne weiteres aber die Benachrichtigung desjenigen zu verstehen, auf den die Rente übergeht; die Zubilligung kann jedoch dem Ersatzberechtigten gegenüber dann erfolgen, wenn dieser anstelle des Berechtigten zu handeln befugt ist, wie dies zB insoweit für die Krankenkasse zutrifft.

 

Orientierungssatz

Der Senat hält an seiner in seinen Urteilen vom 1967-08-23 3 RK 66/65 = SozR Nr 26 zu § 183 RVO und 3 RK 16/67 = Praxis 1967, 560 vertretenen und später (Urteil vom 1967-10-31 3 RK 56/66 in SozR Nr 28 zu § 183 RVO) bestätigten Rechtsauffassung fest, daß die Fortsetzung des Rentenfestsetzungsverfahrens im Interesse der nach § 183 Abs 3 RVO ersatzberechtigten Krankenkassen nach dem Tod des Rentenantragstellers geboten ist und nicht von der Mitwirkung der Bezugsberechtigten nach § 1288 Abs 2 RVO abhängt. Die Fortsetzung ist auch dann geboten, wenn - wie hier - keine der in § 1288 Abs 2 RVO genannten Personen vorhanden ist, aber ein Erbe als Bezugsberechtigter in Betracht kommt, der nicht mitwirkt (vgl zu dieser Bezugsberechtigung BSG 1961-10-18 4 RJ 325/60 = BSGE 15, 159 und BSG 1971-12-01 12 RJ 186/71 = SozR Nr 11 zu § 1288).

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 3, § 1288 Abs. 2, § 183 Abs. 5 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. April 1971 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 8. April 1970 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob die klagende Krankenkasse von dem beklagten Rentenversicherungsträger Ersatz aus rückwirkend bewilligter Erwerbsunfähigkeitsrente verlangen kann, obwohl die Versicherte vor Zugang des Rentenbewilligungsbescheides gestorben ist.

Die Versicherte erhielt von der Klägerin in der Zeit vom 23. Oktober 1964 bis zu ihrem Tod am 25. Januar 1965 Krankengeld. Auf ihren am 4. November 1964 gestellten Antrag bewilligte die Beklagte der Versicherten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit rückwirkend vom 1. September 1964 an. Der Bescheid vom 5. Februar 1965 konnte nicht zugestellt werden, weil Bezugsberechtigte nach § 1288 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht vorhanden sind und ein als Erbe in Betracht kommender Verwandter der Versicherten trotz Aufforderung keine Erklärung abgab, insbesondere auch keinen Erbschein vorlegte.

Die Beklagte lehnte den auf § 183 Abs. 3 RVO gestützten Ersatzanspruch der Klägerin mit der Begründung ab, ein Rentenanspruch sei nicht entstanden, weil der Rentenbewilligungsbescheid keinem Bezugsberechtigten habe zugestellt werden können. Die Bekanntgabe an die Klägerin, die in Unkenntnis des Todes der Versicherten erfolgt sei, ersetze nicht die Zustellung an Bezugsberechtigte nach § 1288 Abs. 2 RVO oder an die Erben. Die Beklagte änderte ihre Rechtsauffassung auch dann nicht, als der erkennende Senat in mehreren Fällen die Rechtsauffassung der Klägerin gebilligt hatte (vgl. Urteile vom 23. August 1967 - 3 RK 66/65 - in SozR Nr. 26 zu § 183 RVO, - 3 RK 16/67 - in Praxis 1967, 560 und vom 31. Oktober 1967 - 3 RK 56/66 - in SozR Nr. 28 zu § 183 RVO).

Das Sozialgericht (SG) Freiburg (Urteil vom 8. April 1970) hat der Klage unter Hinweis auf die vorgenannte Rechtsprechung des Senats stattgegeben und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (Urteil vom 30. April 1971) hat dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es ist der Auffassung, die in den vorgenannten Entscheidungen vertretene Meinung des Senats müsse an dem klaren Wortlaut der §§ 183 Abs. 3 und 1631 RVO scheitern, wonach ein Forderungsübergang auf die Klägerin erst nach Erteilung des Rentenbewilligungsbescheides an den Versicherten oder seine Rechtsnachfolger stattfinden könne. Die Klägerin sei nicht Beteiligte des Rentenfeststellungsverfahrens. Es sei nicht einzusehen, daß der Krankenkasse nach dem Tod des Versicherten mehr Rechte zustehen sollten als vorher. Auch sei zu bedenken, daß die Feststellung der Rente nur gegenüber der Klägerin keine Wirkung gegenüber den Rechtsnachfolgern des Versicherten habe. Die Klägerin könne entweder die Berechtigten ermitteln oder die Anordnung einer Nachlaßpflegschaft nach § 1960 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) anregen. Dann stünde der Zustellung des Bescheides nichts mehr im Weg.

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt unter Hinweis auf die vorgenannte Rechtsprechung des Senats die Verletzung des § 183 Abs. 3 RVO. Sie beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. April 1971 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 8. April 1970 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie legt dar, daß ihr die Rechtsprechung des Senats in den Urteilen vom 23. August und 31. Oktober 1967 nicht zweifelsfrei erscheine.

Die Beteiligten haben sich mit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist begründet.

Der Senat hält an seiner in seinen Urteilen vom 23. August 1967 (3 RK 66/65 in SozR Nr. 26 zu § 183 RVO, 3 RK 16/67 in Praxis 1967, 560) vertretenen und später (Urteil vom 30. November 1967 in SozR Nr. 28 zu § 183 RVO) bestätigten Rechtsauffassung fest, daß die Fortsetzung des Rentenfestsetzungsverfahrens im Interesse der nach § 183 Abs. 3 RVO ersatzberechtigten Krankenkassen nach dem Tod des Rentenantragstellers geboten ist und nicht von der Mitwirkung der Bezugsberechtigten nach § 1288 Abs. 2 RVO abhängt. Die Fortsetzung ist auch dann geboten, wenn - wie hier - keine der in § 1288 Abs. 2 RVO genannten Personen vorhanden ist, aber ein Erbe als Bezugsberechtigter in Betracht kommt, der nicht mitwirkt (vgl. zu dieser Bezugsberechtigung BSG 15, 157, 159 und BSG in SozR Nr. 11 zu § 1288). Die Einwände, die die Beklagte und das LSG gegenüber dieser Meinung vorbringen, überzeugen nicht.

Richtig ist, daß der Forderungsübergang, auf den sich die Klägerin beruft, voraussetzt, daß die Rente "zugebilligt" wird und daß unter Zubilligung wohl die Bescheidung des Rentenbewerbers oder seiner Rechtsnachfolger, nicht ohne weiteres aber die Benachrichtigung desjenigen verstanden werden kann, auf den die Rente übergeht. Die Zubilligung kann indessen dem Ersatzberechtigten gegenüber dann erfolgen, wenn dieser anstelle des Berechtigten zu handeln befugt ist. Eine solche Befugnis, wie sie der Krankenkasse gegenüber dem Unfallversicherungsträger (vgl. § 1511 RVO) oder dem Sozialhilfeträger gegenüber dem Rentenversicherungsträger (§§ 1537, 1538) eingeräumt ist, ist der Krankenkasse im Verhältnis zu dem Rentenversicherungsträger zwar nicht gesetzlich ausdrücklich gewährt; die gesetzlich geregelte Rechtsstellung der Krankenkasse im Verhältnis zu dem Rentenversicherungsträger und dem Versicherten und seiner Rechtsnachfolger zeigt aber, daß eine solche Befugnis für die Fälle der vorliegenden Art nicht versagt werden kann, sondern dem Sinn der gesetzlichen Regelungen entspricht.

Diese Rechtsauffassung des Senats geht von der auch von der Beklagten und dem LSG eingeräumten Voraussetzung aus, daß § 183 Abs. 3 RVO nicht nur zur Vermeidung von Doppelleistungen, sondern auch zum Zwecke eines gerechten Lastenausgleichs zwischen der Krankenkasse und dem Rentenversicherungsträger geschaffen worden ist. Die Krankenkasse soll Ersatz für die Krankengeldleistungen erlangen, die sie in einer Zeit geleistet hat, für die - wie sich durch die rückwirkende Rentenbewilligung herausgestellt hat - nicht mehr sie, sondern der Rentenversicherungsträger leistungspflichtig war. Da Krankengeld und Rente im Grunde denselben Zweck - Lohnersatz - verfolgen, das Krankengeld als Schnellhilfe (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 183 Anm. 6 c), die Rente als Dauerleistung, soll der Lastenausgleich in möglichst einfacher Form vonstatten gehen: Das Befriedigungsobjekt für die Krankenkasse ist nur die Rente für die Zeit, in der andernfalls Doppelleistungen einträten; der Versicherte wird nicht rückwirkend belastet. Dieser Teil des Anspruchs auf Rente geht kraft Gesetzes auf die Krankenkasse über; eines Zutuns der Krankenkasse bedarf es regelmäßig nicht.

Der Forderungsübergang kraft Gesetzes gibt der Krankenkasse die denkbar sicherste Rechtsstellung gegenüber dem Versicherten und dem Rentenversicherungsträger und die beste Aussicht auf Befriedigung des Ersatzanspruchs (vgl. BSG 25, 6, 7). Bei dieser besonders sicheren materiell-rechtlichen Stellung der Krankenkasse ist es im allgemeinen überflüssig, ihr noch eine verfahrensrechtliche Stellung einzuräumen. Eine solche ist im allgemeinen nur da erforderlich, wo zur Befriedigung eines Ersatzanspruchs auf ein fremdes Recht erst zugegriffen werden muß. Für den Zahlungsanspruch, der sich aus dem übergegangenen Rentenanspruch ergibt, ist ohnehin keine verfahrensrechtliche Regelung nötig, weil die Krankenkasse insofern ein eigenes Recht geltend macht.

Da für die Krankenkasse somit regelmäßig ein eigenes Recht im Rentenfeststellungsverfahren entbehrlich ist, hat der Gesetzgeber nur dafür Sorge zu tragen brauchen, daß sie nicht von der Bereitschaft des Versicherten abhängig ist, ein Rentenfeststellungsverfahren zu betreiben. Deshalb hat sie nach § 183 Abs. 7 RVO die Möglichkeit erhalten, mit Zwangsmitteln - Entzug des Krankengeldes - den Versicherten zu veranlassen, den Antrag auf Bewilligung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu stellen. Diese Befugnis schließt auch - obwohl nicht ausdrücklich geregelt - das Recht ein, auf die aktive Durchführung des Rentenbewilligungsverfahrens hinzuwirken.

Angesichts der Tatsache, daß das Gesetz den Ausgleichsinteressen der Krankenkasse für die Normalfälle einen lückenlosen Schutz gewährt, spricht nichts dafür, daß sie in den Fällen der vorliegenden Art auf die Mitwirkung der Rechtsnachfolger des Rentenbewerbers angewiesen sein soll. Gegen eine solche Abhängigkeit spricht auch die Tatsache, daß es für die Fälle dieser Art typisch ist, daß nur die Krankenkasse, nicht aber die Rechtsnachfolger Interesse an der Fortsetzung des Rentenbewilligungsverfahrens haben. Da durch die Rentenbewilligung der Nachlaß regelmäßig nicht in seinem Wert vergrößert wird, erscheint es auch ausgeschlossen, daß die Krankenkasse erreichen könnte, daß eine Nachlaßpflegschaft nach § 1960 BGB - wie das LSG meint - zum Zwecke der Zustellung des Rentenbewilligungsbescheides angeordnet wird. Es ist nämlich in diesen Fällen nicht nachzuweisen, daß die Pflegschaft für die "Sicherung des Nachlasses", wie dies § 1960 BGB verlangt, geboten sein könnte. Auch eine Nachlaßpflegschaft nach § 1961 BGB scheidet aus, weil sich der Anspruch der Krankenkasse nicht gegen den Nachlaß richtet. Es ist schließlich nicht ersichtlich, daß der Beendigung des Rentenfestsetzungsverfahrens gegenüber der Krankenkasse beachtliche Interessen des Rentenversicherungsträgers entgegenstehen könnten. Ein beachtliches Interesse ist insbesondere nicht die - in jedem Fall der Inanspruchnahme einer Forderung des Versicherten bestehende-Gefahr, daß die Rechtsnachfolger des Versicherten den Erstattungsanspruch der Krankenkasse oder den Rechtsübergang bestreiten.

Die Klägerin nimmt für sich somit zu Recht die Befugnis in Anspruch, anstelle der zur Zeit nicht mitwirkungsbereiten materiell Berechtigten als Zustellungsempfänger aufzutreten. In dieser der Prozeßstandschaft vergleichbaren Stellung hat sie tatsächlich mehr Rechte, als ihr zu Lebzeiten des Versicherten zustanden. Da diese Stellung aber nur der Erlangung der Rechtsposition dient, die sie andernfalls - wenn der Versicherte nicht vorher gestorben wäre - kraft Gesetzes - entweder ganz ohne ihr Zutun oder unter Anwendung des Zwangsmittels des § 183 Abs. 7 RVO - erlangt hätte, bestehen nicht die vom LSG insoweit erhobenen Bedenken.

Obwohl der Klägerin der Rentenbewilligungsbescheid nur irrtümlich - der Beklagten war der Tod der Versicherten nicht bekannt - zugesandt worden ist, bedarf es keiner nochmaligen "Erteilung" (vgl. § 1631 RVO) des Bescheids. Die Klägerin muß daher nicht auf Fortsetzung des Verfahrens - Verpflichtungsklage - klagen. Sie kann - wie dies geschehen ist - den Leistungsanspruch als eigenes Recht geltend machen.

Das auf die Leistungsklage ergangene Urteil des SG ist somit richtig und war wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648665

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