Leitsatz (redaktionell)

Für die Frage, was die schuldlos geschiedene Frau als "angemessenen Unterhalt" (EheG § 58) zu beanspruchen hat, kommt es grundsätzlich auf die Lebensverhältnisse der Ehegatten zur Zeit der Scheidung an. Dabei ist jedoch dann, wenn zwischen der Scheidung und der "Zeit des Todes" (RVO § 1265) des Versicherten eine nicht unerhebliche Zeit verstrichen ist, eine inzwischen eingetretene allgemeine Erhöhung der Lebenshaltungskosten entsprechend zu berücksichtigen (vergleiche BSG 1963-11-28 12 RJ 98/62 = SozR Nr 16 zu § 1265 RVO). Es ist dann - nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vergleiche zB BSG 1966-06-30 4 RJ 93/65 = SozR Nr 35 zu § 1265 RVO) - der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten maßgebend.

Als Maßstab für die Bemessung des "angemessenen" Unterhalts der schuldlos geschiedenen Frau nach EheG § 58 hat das BSG bis vor kurzem in der Regel 1/3 bis 1/4 des Nettoeinkommens des Ehemannes angesehen, jedoch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des einzelnen Falles (vergleiche BSG 1963-11-28 12 RJ 98/62 und BSG 1964-12-02 4 RJ 23/62 = SozR Nr 16 und 28 zu § 1265 RVO). Der 1. Senat, (vergleiche BSG 1968-03-22 1 RA 35/67 = SozR Nr 42 zu § 1265 RVO) hat jedoch nunmehr auch auf die derzeitige Praxis der Zivilgerichte, nämlich das sogenannte "Drittelungsprinzip" (mit Modifikationen) hingewiesen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vergleiche BSG 1967-05-31 12 RJ 406/62 = BSGE 26, 293, 297; BSG 1968-03-22 1 RA 35/67 und BSG 1968-06-27 4 RJ 255/66 = SozR Nr 42 und 45 zu § 1265 RVO), der sich der erkennende Senat anschließt, ist die Zumutbarkeit der Erwerbstätigkeit für die geschiedene Frau zwar auch nach EheG § 58 Abs 1 zu berücksichtigen, eine Erwerbstätigkeit, der die geschiedene Frau zur Zeit des Todes des Ehemannes nachgegangen ist, hat ihr in der Regel auch zugemutet werden können; es sind aber Ausnahmefälle möglich, in denen die Verweisung der geschiedenen Frau auf tatsächlich erzieltes Einkommen grob unbillig wäre und deshalb ihr Arbeitsverdienst nicht anzurechnen ist.

 

Normenkette

RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23; EheG § 58 Abs. 1 Fassung: 1946-02-20

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. Juli 1967 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten im Revisionsverfahren darüber, ob der Klägerin für die Zeit vom 1. Juli 1965 an Rente aus der Versicherung ihres früheren Ehemanns ("Geschiedenenwitwen-Rente") nach § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht. Die Beklagte hatte den von der Klägerin im April 1963 erhobenen Anspruch abgelehnt (Bescheid vom 2. August 1963). Das Sozialgericht (SG) Nürnberg änderte den Bescheid der Beklagten ab und verurteilte sie, der Klägerin nach § 1265 Satz 2 RVO (i. d. F. durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz - RVÄndG - vom 9. Juni 1965) ab 1. Juli 1965 die Rente zu gewähren (Urteil vom 7. Juli 1965); im übrigen - also für die vorhergehende Zeit - wies es die Klage ab. Die Klägerin legte keine Berufung ein. Auf die Berufung der Beklagten wies das Landessozialgericht (LSG) die Klage in vollem Umfang ab (Urteil vom 4. Juli 1967). Es stützte sich dabei auf die folgenden - von der Revision nicht angegriffenen und deshalb für das Bundessozialgericht (BSG) bindenden - tatsächlichen Feststellungen:

Die Klägerin, geboren am 11. Juli 1902, war von 1916 bis 1928 Hilfsarbeiterin. Sie verheiratete sich mit dem Versicherten im Jahre 1928, während der Ehe war sie nur zeitweilig berufstätig. Im Jahre 1949 wurde die Ehe aus Alleinverschulden des Versicherten geschieden. Der Versicherte verdiente damals als Hilfsarbeiter etwa 213 DM monatlich. Im November 1962 starb der Versicherte; er war seit Anfang September 1962 krank und bis zu seinem Tode in Krankenhausbehandlung. In der Zeit vom 1. Januar bis Ende August 1962 verdiente er (nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben) rd. 410 DM monatlich. Aufgrund eines Urteils von Januar 1960 war er verpflichtet, für zwei uneheliche, 1952 und 1957 geborene Kinder je 75 DM monatlich Unterhalt zu zahlen. Zahlungen, die als "Unterhalt" anzusehen wären, leistete er während des Jahres 1962 an die Klägerin nicht. Tatsachen, die eine Unterhaltspflicht des Versicherten "aus sonstigen Gründen" (§ 1265 Satz 1 RVO, 2. Alternative) ergeben könnten, waren nicht festzustellen. Die Klägerin war seit September 1967 wieder in Arbeit, zunächst als Küchenhilfe, sodann als Reinemachefrau; als solche verdiente sie in der Zeit vom 1. Januar bis Ende August 1962 monatlich (nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben) rd. 310 DM monatlich. Ihr Antrag auf Rente wegen Berufsunfähigkeit im Jahre 1962 blieb erfolglos; sie arbeitete darauf wieder bis Januar 1967. Seit 1. Juli 1967 erhält sie Altersruhegeld.

Das LSG verneinte auch für die Zeit ab 1. Juli 1965 - anders als das SG - einen Rentenanspruch der Klägerin. Es war der Meinung, eine Unterhaltspflicht des Versicherten gegenüber der Klägerin "zur Zeit seines Todes", d. h. während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode des Versicherten, habe nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) nicht bestanden, weil der Unterhalt der Klägerin in dieser Zeit durch ihr eigenes Arbeitseinkommen sichergestellt gewesen sei. Falls es - was das LSG verneinte - auf die Frage der Zumutbarkeit einer von der geschiedenen Frau tatsächlich verrichteten Erwerbstätigkeit überhaupt ankomme, so sei im vorliegenden Fall der Klägerin die Erwerbstätigkeit auch zuzumuten gewesen. Eine feste Altersgrenze, von der ab einer geschiedenen Frau eine Erwerbstätigkeit nicht mehr zuzumuten sei, gebe es nicht, es komme auf den Gesundheitszustand der Frau an. Ernsthaftere Erkrankungen oder körperliche Gebrechen, die die Erwerbsfähigkeit der Klägerin schwerwiegend beeinträchtigten, seien bei der Untersuchung im September 1962 (aufgrund des damaligen Rentenantrags der Klägerin) nicht festgestellt worden. Daß sie mit der im Jahre 1962 geleisteten Arbeit keinen Raubbau an ihrer Gesundheit getrieben habe, ergebe sich auch daraus, daß sie noch bis Januar 1967 als Reinemachefrau habe arbeiten können. Da ein Unterhaltsanspruch der Klägerin nicht wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten, sondern wegen fehlender "Unterhaltsbedürftigkeit" der Klägerin nicht bestanden habe, seien auch die Voraussetzungen des neu angefügten Satzes 2 des § 1265 RVO ab 1. Juli 1965 nicht gegeben. Das LSG ließ die Revision zu.

Die Klägerin legte frist- und formgerecht Revision ein.

Sie beantragte,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 7. Juli 1965 zurückzuweisen.

Nach Bewilligung des Armenrechts durch Beschluß des Senats vom 8. November 1967 begründete sie die Revision am 13. Dezember 1967 und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist. Sie trug im wesentlichen vor: Im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten sei sie als 59- bzw. 60jährige Frau gesundheitlich vor allem durch die Folgen der Wechseljahre beeinträchtigt gewesen, eine Arbeitsleistung habe ihr daher nicht zugemutet werden können. Wenn sie trotzdem gearbeitet und verdient habe, so sei dieser Arbeitsverdienst bei der Prüfung ihrer Unterhaltsbedürftigkeit nicht zu berücksichtigen. Das entspreche der in Rechtsprechung und Schrifttum zu § 58 EheG vertretenen herrschenden Meinung; der gegenteiligen Auffassung des BSG in dem Urteil vom 22. Januar 1959 (BSG 9, 86), an dem heftige Kritik geübt worden sei, könne nicht gefolgt werden. Aber selbst wenn das von ihr erzielte Arbeitseinkommen zu berücksichtigen wäre, so habe sie nach den damaligen Einkommensverhältnissen der beiden früheren Ehegatten noch einen Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten gehabt. Als angemessener Unterhalt für die geschiedene Frau komme nicht nur ein Drittel bis ein Viertel des Einkommens des Ehemannes in Betracht, das widerspreche dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Da der Versicherte auch bei Berücksichtigung seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinen unehelichen Kindern monatlich um mindestens 100 DM mehr verdient habe als sie selbst, habe sie von ihm als Unterhalt noch 50 DM beanspruchen können.

Die Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1; 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 SGG). Die Revision ist jedoch nicht begründet.

Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Rente ("Geschiedenenwitwen-Rente") für die Zeit ab 1. Juli 1965. Von diesem Zeitpunkt an war § 1265 RVO i. d. F. maßgebend, die er durch Art. 1 § 1 Nr. 27 RVÄndG erhalten hat (vgl. Art. 5 § 10 Buchst. e RVÄndG), also mit dem neu angefügten Satz 2. Die Neufassung gilt auch für Versicherungsfälle, die - wie hier - vor dem 1. Juli 1965, aber nach dem 31. Dezember 1956 eingetreten sind, Leistungen oder höhere Leistungen sind jedoch frühestens ab 1. Juli 1965 zu gewähren (§ 4 Abs. 2 Buchst. a, § 6 RVÄndG).

Von den in § 1265 Satz 1 RVO alternativ aufgezählten Tatbestandsmerkmalen kommen die 2. und die 3. Alternative hier nicht in Betracht. Die Klägerin hat hierzu mit der Revision auch nichts mehr vorgetragen. Zu prüfen ist allein, ob die Voraussetzungen der 1. Alternative - Unterhaltspflicht des Versicherten zur Zeit seines Todes nach den Vorschriften des EheG - gegeben sind. Da eine Witwenrente, d. h. Rente an eine zweite Frau, hier nicht zu gewähren ist - der Versicherte hat nach der Scheidung nicht wieder geheiratet - kommt es auch auf den neu angefügten Satz 2 an. Dabei ist zu beachten, daß § 1265 Satz 2 RVO nach seinem Wortlaut und Sinn nur den Fall betrifft, in dem eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten "wegen der Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten nicht bestanden hat"; die Vorschrift gilt nicht, wenn eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten deshalb nicht bestanden hat, weil für den angemessenen Unterhalt der geschiedenen Frau ihre "Einkünfte aus dem Vermögen ... und die Erträgnisse eigener Erwerbstätigkeit" ausgereicht haben (§ 58 Abs. 1 EheG; vgl. Urteil des BSG vom 19. November 1965, SozR Nr. 31 zu § 1265 RVO).

Für die Frage, was die schuldlos geschiedene Frau als "angemessenen Unterhalt" zu beanspruchen hat, kommt es grundsätzlich auf die Lebensverhältnisse der Ehegatten zur Zeit der Scheidung an. Dabei ist jedoch dann, wenn zwischen der Scheidung und der "Zeit des Todes" des Versicherten eine nicht unerhebliche Zeit verstrichen ist, eine inzwischen eingetretene allgemeine Erhöhung der Lebenshaltungskosten entsprechend zu berücksichtigen (Urteil des BSG vom 28. November 1963, SozR Nr. 16 zu § 1265 RVO). Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn das LSG hier bei der Prüfung des Unterhaltsanspruchs der Klägerin nicht von dem Einkommen des Versicherten zur Zeit der Scheidung im Jahre 1949 ausgegangen ist, sondern von den Verhältnissen "zur Zeit des Todes" des Versicherten, die Tatbestandsmerkmal für den Rentenanspruch nach der 1. Alternative des § 1265 Satz 1 RVO sind. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BSG hat das LSG dabei für die Unterhaltsverpflichtung des Versicherten und den Unterhaltsanspruch der Klägerin den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten als maßgebend angesehen (vgl. u. a. Urteil des BSG vom 30. Juni 1966, SozR Nr. 35 zu § 1265 RVO mit weiteren Hinweisen); es hat insoweit zutreffend auf die Zeit vom 1. Januar bis Ende August 1962 (Beginn der zum Tode führenden Erkrankung des Versicherten) abgehoben. Als Maßstab für die Bemessung des "angemessenen" Unterhalts der schuldlos geschiedenen Frau nach § 58 Abs. 1 EheG gegenüber dem früheren Ehemann hat das BSG bis vor kurzem in der Regel - wie hier auch das LSG - ein Drittel bis ein Viertel des Nettoeinkommens des Ehemannes angesehen, jedoch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des einzelnen Falles (vgl. Urteile des BSG, SozR Nr. 16 zu § 1265 RVO - 12. Senat -; vom 2. Dezember 1964, SozR Nr. 28 zu § 1265 RVO - 4. Senat -). In dem Urteil vom 22. März 1968 (SozR Nr. 42 zu § 1265 RVO) hat der 1. Senat des BSG jedoch nunmehr auch auf die derzeitige Praxis der Zivilgerichte, nämlich das sogenannte "Drittelungsprinzip" (mit Modifikationen) und die hierzu im Schrifttum vertretenen Auffassungen hingewiesen; dieses Prinzip wird teils in der Weise angewandt, daß - wenn beide Ehegatten verdienen - der Frau als dem in der Regel weniger verdienenden Teil ein Drittel, unter Umständen auch zwei Fünftel der Summe beider Einkommen zustehen, teils wird der Bruchteil von einem Drittel aus dem Mehrverdienst des Mannes genommen. Es wird aber auch im Schrifttum vielfach die Auffassung vertreten, daß generelle Berechnungsmethoden überhaupt abzulehnen seien (vgl. die Hinweise in dem zitierten Urteil). Ob überhaupt von einheitlichen "Berechnungsrichtlinien" ausgegangen werden kann und gegebenenfalls welche Richtlinien zugrunde zu legen sind, kann im vorliegenden Fall offenbleiben. Zwar würde sich bei der Anwendung des sogenannten Drittelungsprinzips - angewandt auf das gemeinsame Erwerbseinkommen der früheren Ehegatten, das hier im maßgebenden Zeitraum 720 DM betragen hat (410 DM als Einkommen des Versicherten plus 310 DM als Einkommen der Klägerin) - als angemessener Unterhalt der Klägerin ein Betrag von (ein Drittel aus 720 DM) 240 DM ergeben, bei Anwendung dieses Prinzips auf den Mehrverdienst des Versicherten (100 DM) sogar ein Betrag von etwa 340 DM (310 DM plus rd. 30 DM), während das LSG nur den Betrag von 120 DM (Durchschnitt aus einem Drittel bis ein Viertel des Einkommens des Versicherten) angenommen hat. Im vorliegenden Fall würde aber der günstigenfalls für den angemessenen Unterhalt der Klägerin in Betracht kommende Betrag von 340 DM schon deshalb ausscheiden, weil dabei die Unterhaltspflicht des Versicherten gegenüber seinen beiden unehelichen (minderjährigen) Kindern nicht berücksichtigt wäre. Unter den gegebenen bescheidenen Einkommensverhältnissen der früheren Ehegatten hätte der Versicherte sich gegenüber der Klägerin nämlich auf diese "sonstigen Verpflichtungen" und damit auf die Regelung des Unterhaltsanspruchs in § 59 Abs. 1 Satz 1 EheG berufen und geltend machen können, daß er an die Klägerin als Unterhalt nur soviel zu leisten habe, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspreche (vgl. auch Urteil des BSG vom 28. November 1963, SozR Nr. 15 zu § 1265 RVO). Als "billig" könnte hier aber nur ein Ergebnis angesehen werden, das dem Versicherten auch bei nur teilweiser Berücksichtigung seiner Unterhaltspflicht gegenüber den beiden unehelichen Kindern noch einen Betrag beließe, der dem von der Klägerin selbst erzielten Arbeitseinkommen in etwa gleichkäme. Unter den gegebenen Verhältnissen bedeute dies, daß auch eine Unterhaltspflicht des Versicherten nach § 59 Abs. 1 Satz 1 EheG nicht bestanden hat; die Klägerin hat ihren Unterhalt aus ihrem eigenen Arbeitseinkommen bestreiten können.

Die Klägerin macht nun allerdings geltend, ihr erzieltes Arbeitseinkommen dürfe bei der Beurteilung der Unterhaltspflicht des Versicherten nicht berücksichtigt werden, weil ihr die von ihr verrichtete Arbeit wegen ihres Gesundheitszustandes und ihres Alters ("zur Zeit des Todes des Versicherten" war sie zwischen 59 und 60 Jahren alt) nicht zuzumuten gewesen sei. Sie wendet sich insbesondere gegen das Urteil des 8. Senats des BSG vom 22. Januar 1959 (BSG 9, 86, 90 zu § 42 BVG iVm § 58 EheG; ebenso zu § 42 AVG = § 1265 RVO das Urteil des 1. Senats vom 5. Mai 1961 - 1 RA 49/59 -), wonach tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen der geschiedenen Frau stets anzurechnen sei. Das BSG hat sich seither mehrfach mit der grundsätzlichen Frage befaßt, wieweit auch nach § 58 EheG - ebenso wie nach § 66 EheG vom 8. Juli 1938 (RGBl I 867) - die Frage der Zumutbarkeit der Erwerbstätigkeit für die geschiedene Frau zu prüfen ist, obwohl in § 58 Abs. 1 der in § 66 Abs. 1 des früheren EheG von 1938 enthaltene Zusatz (zu dem Wort Erwerbstätigkeit) "die von ihr den Umständen nach erwartet werden kann" fehlt (vgl. Urteile des BSG vom 31. Mai 1967 - 12. Senat - in BSG 26, 293, 297; vom 22. März 1968 - 1. Senat - in SozR Nr. 42 zu § 1265 RVO; des 4. Senats vom 27. Juni 1968 - 4 RJ 255/66 -). Diese Entscheidungen, durch die die frühere Rechtsauffassung des 8. Senats - mit dessen Zustimmung - und auch des 1. Senats eine Einschränkung erfahren hat, stimmen darin überein, daß die "Zumutbarkeit" zwar auch nach § 58 Abs. 1 EheG zu berücksichtigen ist, daß eine Erwerbstätigkeit, der die geschiedene Frau zur Zeit des Todes des Ehemannes nachgegangen ist, in der Regel ihr auch hat "zugemutet" werden können, daß aber Ausnahmefälle möglich sind, in denen die Verweisung der geschiedenen Frau auf tatsächlich erzieltes Einkommen grob unbillig wäre und deshalb ein Arbeitsverdienst der geschiedenen Frau nicht anzurechnen ist. Der erkennende Senat hält diese Auffassung nach eigener Prüfung für zutreffend und schließt sich ihr an. Diese Erwägungen gelten um so mehr, wenn - wie hier - nicht der Anspruch auf "angemessenen" Unterhalt nach § 58 Abs. 1 EheG, sondern ohnehin nur der "Billigkeitsanspruch" nach § 59 Abs. 1 EheG in Betracht kommt. Im vorliegenden Falle liegen keine Tatsachen vor, die eine Verweisung der Klägerin auf den Ertrag ihrer Erwerbstätigkeit als "grob unbillig" erscheinen lassen. Dem Urteil des LSG ist nicht zu entnehmen, daß die Klägerin etwa noch Kinder zu betreuen gehabt hätte, Die Verrichtung einer Erwerbstätigkeit durch die Ehefrau ist nach den wirtschaftlichen Verhältnissen, in denen die früheren Ehegatten im maßgebenden Zeitraum gelebt haben, nicht unüblich; die Klägerin hat auch während der bestehenden Ehe gelegentlich noch eine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Es hat sich ferner bei der von ihr verrichteten Erwerbstätigkeit - als Küchenhilfe und Reinemachefrau - um Arbeiten gehandelt, die ihr aus ihrer Hausfrauentätigkeit geläufig gewesen sind und eine besondere Einarbeitung oder Umstellungsschwierigkeiten nicht zur Folge gehabt haben. In der sozialen Bewertung haben sich diese Arbeiten nicht von dem früheren Beruf der Klägerin (Hilfsarbeiterin) unterschieden. Nach den Feststellungen des LSG lassen auch die damaligen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin diese Erwerbstätigkeit nicht unzumutbar erscheinen; die Verfahrensrügen der Klägerin sind insoweit nicht substantiiert im Sinne von § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG. Auch auf ihr damaliges Alter kann sich die Klägerin nicht berufen. Es entspricht zwar der Erfahrung, daß mit zunehmendem Alter die Arbeitsfähigkeit nachläßt. Aus dem Bericht der Bundesregierung über die Situation der Frauen im Beruf, Familie und Gesellschaft - "Frauen-Enquete" - (Bundestags-Drucks. V/909, S. 63/64 und S. 358) ist auch ersichtlich, daß die "Erwerbsquote", d. h. der Anteil der weiblichen Selbständigen, Mithelfenden und unselbständig Beschäftigten an der jeweiligen Altersgruppe der weiblichen Gesamtbevölkerung mit zunehmendem Alter erheblich sinkt, bei Verheirateten vom 50. Lebensjahr an, bei verwitweten und geschiedenen Frauen schon vom 45. Lebensjahr an. Immerhin sind jedoch im Jahre 1962 von jeweils 100 Frauen im Alter von 55 bis 60 Jahren noch über ein Viertel der Verheirateten (27,1) im Erwerbsleben tätig gewesen, bei Verwitweten und Geschiedenen sind es mehr als ein Drittel gewesen (35). Auch verheiratete Frauen nehmen übrigens nicht selten in vorgerücktem Alter außerhäusliche Arbeit der von der Klägerin verrichteten Art auf, weil ihre häuslichen Verpflichtungen z. B. durch das Selbständigwerden der Kinder kleiner geworden sind. Schließlich hat die Klägerin mit der Revision auch keine Tatsachen und Beweismittel bezeichnet, die den Schluß zulassen, sie habe nur deshalb, weil sie von dem Versicherten keinen Unterhalt erhalten habe, also "aus Not", eine Erwerbstätigkeit verrichtet; sie hat insbesondere nicht geltend gemacht, sie habe, was bei einer Notlage doch nahe gelegen hätte, schon zu Lebezeiten des Versicherten von diesem Unterhalt beansprucht.

Das LSG ist sonach zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß nach den Vorschriften des EheG "zur Zeit des Todes" des Versicherten ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen den Versicherten nicht bestanden hat. Da die Unterhaltspflicht des Versicherten nicht wegen seiner Vermögens- und Erwerbsverhältnisse, sondern wegen des eigenen Erwerbseinkommens der Klägerin entfallen ist, liegen für die Zeit vom 1. Juli 1965 an auch die Voraussetzungen des § 1265 Satz 2 RVO nicht vor. Die Revision der Klägerin ist daher unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1982588

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