Leitsatz (amtlich)

Der nach dem EFUG vom 1940-06-26 gezahlte Familienunterhalt kann zur Gewährung einer Hinterbliebenenrente an eine frühere Ehefrau nur führen, wenn diese ohne die Einberufung des Versicherten gegen ihn einen Unterhaltsanspruch  (RVO § 1265 Alternative 1) gehabt hätte, nicht aber dann, wenn aus anderen - etwa fürsorgerischen - Erwägungen Familienunterhalt geleistet worden ist.

 

Normenkette

RVO § 1265 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. November 1961 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes. Die Ehe war seit Juli 1943 aus Verschulden des Ehemannes geschieden. Ihre Ehemann - der Versicherte -, der als Tapezierer und Polsterer beschäftigt gewesen war, leistete von Januar bis September 1940 und von Januar 1941 an Wehrdienst. Er ist für tot erklärt worden. Als Todestag gilt der 31. Dezember 1945.

Während der Kriegsdienstzeit des Versicherten bezog die Klägerin fortlaufend bis Ende April 1945 Familienunterhalt nach dem Einsatz-Familienunterhaltsgesetz (EFUG) vom 26. Juni 1940 (RGBl. I 911). Daneben hatte sie Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit; im Jahre 1944 erzielte sie einen Bruttolohn von rund 1800,- RM und 1945 von rund 1000,- RM. Zur Todeszeit des Versicherten war sie gegen einen Wochenlohn von 30,- RM beschäftigt.

Den im April 1956 gestellten Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Klägerin habe gegen den Versicherten zur Zeit seines Todes wegen ihres eigenen Einkommens keinen Unterhaltsanspruch gehabt. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos, weil sich die Klägerin aus ihrem seit 1940 etwa gleichbleibenden Einkommen selbst hätte unterhalten können. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurück.

Das LSG hat für die Zeit seit der Scheidung eine Unterhaltspflicht des Versicherten nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) vom 6. Juli 1938 verneint, weil dieser als Soldat einkommenslos gewesen sei und hat daher einen Anspruch auf Rente aus der 1. Alternative des § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Zeit vom 1. Januar 1957 an und aus § 1256 Abs. 4 RVO alter Fassung (aF) für die Zeit vorher abgelehnt. Der Einsatz-Familienunterhalt sei eine Leistung des Staates und keine Zahlung auf Grund einer an sich bestehenden Unterhaltsverpflichtung des Versicherten. Er sei auch nicht im Rahmen der letzten Alternative des § 1265 RVO nF zu berücksichtigen. Hier könnten nur Unterhaltsleistungen des Versicherten, nicht aber solche von Dritten zur Rentengewährung führen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Mit der Revision beantragt die Klägerin,

das angefochtene Urteil und die Vorentscheidungen aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung der Geschiedenen-Witwenrente vom 1. Mai 1956 - hilfsweise vom 1. Januar 1957 - an zu verurteilen; weiter hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Sie rügt - unter Hinweis auf eine frühere Entscheidung des Senats (BSG 16, 21) -, das LSG habe die Vorschriften in den §§ 1265 RVO, 1256 Abs. 4 RVO aF verletzt. Bei der Anwendung dieser Vorschriften seien die Leistungen der öffentlichen Hand an eine geschiedene Frau nach dem EFUG wie Unterhaltszuwendungen des Versicherten zu behandeln. Sie seien ein Ersatz gewesen für die infolge des Wehrdienstes entfallene Unterhaltspflicht des Soldaten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Die Klägerin sei zur Todeszeit des Versicherten nach eherechtlichen Vorschriften nicht unterhaltsberechtigt gewesen, weil sie ihren Bedarf aus dem eigenen Arbeitseinkommen hätte bestreiten können. Der Einsatz-Familienunterhalt sei in solchen Fällen nicht zum Ausgleich einer Unterhaltsverpflichtung des Einberufenen nach dem Eherecht, sondern aus sonstigen, möglicherweise fürsorgerischen Erwägungen gewährt worden. Er könne nicht als Grundlage für die Gewährung einer Hinterbliebenenrente herangezogen werden.

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

Nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung die in der schriftlichen Revisionsbegründung geltend gemachten Verfahrensrügen hat fallenlassen, war nur noch darüber zu entscheiden, ob das LSG die §§ 1265 RVO, 1256 Abs. 4 RVO aF unrichtig angewendet hat. Das ist nicht der Fall. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente verneint.

Nach der 1. Alternative des § 1265 RVO wie auch nach dem bis zum 31. Dezember 1956 geltenden § 1256 Abs. 4 RVO aF setzt die Gewährung von Rente an die geschiedene Frau eines Versicherten voraus, daß dieser ihr zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte. Dabei ist unter "Zeit des Todes" der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten zu verstehen (BSG 14, 255, vgl. auch BSG 14, 129). Dieser letzte Dauerzustand rechnet von der letzten vor dem Tode des Versicherten eingetretenen wesentlichen Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Ehegatten mit Dauerwirkung an. Da als Todestag des Versicherten der 31. Dezember 1945 gilt, könnte der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode der Zeitraum seit Mai 1945 sein. Denn mit dem Zusammenbruch des Reiches trat in den finanziellen Verhältnissen der Klägerin eine wesentliche Änderung ein, weil ihr Einsatz-Familienunterhalt nicht mehr gezahlt wurde. Die Klägerin konnte damals von dem Versicherten schon wegen seiner Leistungsunfähigkeit Unterhaltszuwendungen nach eherechtlichen Vorschriften nicht mehr verlangen (§ 67 des zur Todeszeit geltenden EheG 38). Ein Anspruch auf Rente würde deshalb entfallen.

Der Senat hält jedoch im vorliegenden Fall eine Begrenzung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode auf die Zeit seit Kriegsende für zu eng. Bei dem Todestag des Versicherten handelt es sich um den für bestimmte Fälle der Kriegsverschollenheit gesetzlich festgelegten Todestag des 31. Dezember 1945 (Art. 2 § 2 Abs. 2 und 3 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Verschollenheitsrechts vom 15. Januar 1951 - BGBl. I 59). Es ist nicht auszuschließen, daß der Tod des Versicherten tatsächlich früher eingetreten ist. Der Senat hat daher auch die wirtschaftlichen Verhältnisse vor Kriegsende berücksichtigt. Das führt jedoch zu keinem für die Klägerin günstigeren Ergebnis.

Entgegen der Auffassung des LSG ist für diese Zeit ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegenüber dem Versicherten i. S. der 1. Alternative des § 1265 RVO und des § 1256 Abs. 4 RVO aF nicht schon deshalb zu verneinen, weil der Versicherte infolge seines Wehrdienstes einkommenslos und daher nicht unterhaltsfähig war. Vielmehr ist zu prüfen, ob der Versicherte ohne die Einberufung unterhaltspflichtig gewesen wäre. Trifft dies zu, kann der nach dem EFUG an die geschiedene Frau gezahlte Einsatz-Familienunterhalt zur Gewährung einer Witwenrente führen. Die Leistungen der öffentlichen Hand nach dem EFUG waren gedacht als Ersatz für die infolge des Wehrdienstes entfallenen Unterhaltsleistungen und -verpflichtungen des Einberufenen gegenüber seinen Angehörigen. Einer geschiedenen Frau standen sie zu, wenn der Einberufene ihr Unterhalt nach den Vorschriften des EheG 38 zu gewähren hatte (§ 2, II Nr. 1 EFUG). Sofern unter diesen Voraussetzungen der geschiedenen Frau Leistungen nach dem EFUG erbracht worden sind, können diese im Rahmen der 1. Alternative des § 1265 RVO (§ 1256 Abs. 4 RVO aF) nicht unberücksichtigt bleiben (BSG 16, 21, 25). Sonst bliebe einer geschiedenen Frau ein Anspruch auf Rente aus dem Grund versagt, daß der Einberufene vor seinem Tode infolge seines Wehrdienstes nicht unterhaltsfähig war.

Diese Prüfung führt im vorliegenden Fall auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des LSG, die nicht angefochten sind und daher gemäß § 163 SGG binden, zu dem Ergebnis, daß der Versicherte der Klägerin gegenüber zur Zeit seines Todes nach den Vorschriften des EheG nicht unterhaltspflichtig war. Nach § 66 EheG 38 hatte der schuldige Mann der geschiedenen Frau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt nur zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit, die von ihr den Umständen nach erwartet werden konnte, nicht ausreichten. Die Klägerin war nach der Scheidung als Arbeiterin beschäftigt. Diese Tätigkeit war ihr zuzumuten, weil ihr Ehemann ebenfalls Arbeiterkreisen angehörte. Das eigene Erwerbseinkommen, das durchschnittlich wöchentlich 30,- RM betrug, war daher bei der Prüfung einer etwaigen Unterhaltsberechtigung der Klägerin gegenüber dem Versicherten zu berücksichtigen. Dieser Betrag reichte für einen den Lebensverhältnissen der Eheleute angemessenen Unterhalt der Klägerin aus; jedenfalls hätte darüber hinaus kein Anspruch auf Zuwendungen gegenüber dem Versicherten bestanden, der zur Grundlage für eine Gewährung von Geschiedenen-Witwenrente an die Klägerin gemacht werden könnte. Wie der Senat bereits früher entschieden hat (Urteil vom 27. Oktober 1964 - 4 RJ 383/61), verbietet es die Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente an eine geschiedene Ehefrau, bei der Auslegung des Begriffs "Unterhalt leisten" (§ 1265 RVO, § 1256 Abs. 4 RVO aF), geringfügige Beträge zu beachten, die der Versicherte vielleicht zu erbringen gehabt hätte. Zur Gewährung der Rente vermögen vielmehr nur solche Beträge zu führen, von denen die frühere Frau des Versicherten zu einem nennenswerten Teil hätte leben können. In der Regel ist insoweit zu fordern, daß die Unterhaltsverpflichtung etwa 25 v. H. des Betrages ausmacht, den die Frau für ihren Unterhalt benötigt. Die Klägerin hätte deshalb einen im Rahmen der 1. Alternative des § 1265 RVO (§ 1256 Abs. 4 RVO aF) beachtlichen Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag gegen den Versicherten nur gehabt, wenn als angemessener Unterhalt für sie ein Betrag zu bestimmen wäre, der erheblich über ihrem eigenen Arbeitseinkommen gelegen hätte. Der angemessene Unterhalt einer geschiedenen Frau richtet sich nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten; er beträgt in der Regel ein Viertel bis ein Drittel des Gesamteinkommens des Ehemannes während der bestehenden Ehe (BSG SozR § 1265 RVO Bl. Aa Nr. 16; BSG 5, 179, 183). Bei Berücksichtigung dieser Auffassungen und der gegebenen tatsächlichen Verhältnisse bestand keine - beachtliche - Unterhaltspflicht des Versicherten. Daraus folgt, daß eine Rentengewährung aus der 1. Alternative des § 1265 RVO für die Zeit vom 1. Januar 1957 an ausgeschlossen ist. Für die Zeit vorher hat die Klägerin ebenfalls kein Recht zum Bezug einer Hinterbliebenenrente, weil auch dieses nach § 1256 Abs. 4 RVO aF abhängig ist von einer - hier nicht gegebenen - Unterhaltspflicht des Versicherten zur Zeit seines Todes gegenüber der Klägerin nach den Vorschriften des EheG 38. Es erübrigt sich daher, auf die sonstigen Voraussetzungen des § 1256 Abs. 4 RVO aF einzugehen.

Für die Zeit vom 1. Januar 1957 an steht der Klägerin auch keine Rente aus der letzten Alternative des § 1265 RVO zu. Nach dieser Vorschrift führen tatsächliche Unterhaltsleistungen eines Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode zur Gewährung einer Hinterbliebenenrente an die geschiedene Frau. Da der Versicherte der Klägerin zu seinen Lebzeiten zuletzt keinen Unterhalt gewährt, sie aber Familienunterhalt nach dem EFUG bezogen hat, kann allenfalls diese Leistung der öffentlichen Hand als Grundlage für eine Rentengewährung an die Klägerin in Betracht kommen. Die Frage, ob durch tatsächliche Unterhaltszuwendungen eines Dritten an die geschiedene Frau des Versicherten die Voraussetzungen der letzten Alternative des § 1265 RVO überhaupt erfüllt werden können - eine Frage, die das LSG verneint hat -, kann hier offen bleiben. Unterhaltszahlungen nach dem EFUG sind jedenfalls dann nicht tatsächlichen Leistungen des Versicherten gleichzusetzen, wenn die Voraussetzungen, die das EFUG für die Gewährung des Familienunterhalts aufstellte, nicht gegeben waren. Eine geschiedene Frau erhielt nach § 2, II Nr. 1 EFUG Familienunterhalt, sofern der Einberufene nach den Vorschriften des EheG 38 verpflichtet war, ihr Unterhalt zu gewähren. Wenn keine Unterhaltspflicht des Einberufenen bestand, der geschiedenen Frau aber gleichwohl Familienunterhalt gezahlt worden ist, so geschah dies nicht zum Ausgleich einer ohne die Einberufung möglicherweise durch Unterhaltszuwendungen des Mannes vorhandenen Beziehung der geschiedenen Eheleute, sondern aus sonstigen - vielleicht aus fürsorgerischen oder politischen oder aus beiden - Erwägungen. Leistungen nach dem EFUG, die aus Erwägungen dieser Art erbracht worden sind, können bei der Anwendung der letzten Alternative des § 1265 RVO nicht berücksichtigt werden, weil die Rente nur Ersatz für den Unterhalt sein soll, der der geschiedenen Frau durch den Tod des Versicherten entgangen ist. Die Klägerin war nun, wie bereits dargelegt, im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten wegen ihres ausreichenden eigenen Arbeitseinkommens nach den Vorschriften des EheG nicht unterhaltsberechtigt. Die Gewährung von Einsatz-Familienunterhalt erfolgte demnach nicht zum Ausgleich eines Unterhaltsanspruches, den die Klägerin ohne die Einberufung des geschiedenen Mannes gehabt hätte, sondern aus anderen Gründen. Da solche Leistungen im Rahmen der letzten Alternative des § 1265 RVO nF unbeachtlich sind, steht der Klägerin auch aus dieser Vorschrift keine Witwenrente zu.

Die Revision der Klägerin muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2380518

BSGE, 130

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