Leitsatz (amtlich)

Hatte die frühere Ehefrau des Versicherten unter einer auflösenden Bedingung auf Unterhaltsansprüche gegen ihn verzichtet und war diese Bedingung bis zum Tode des Versicherten nicht eingetreten, so steht ihr ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach der Alternative 1 des RVO § 1265 auch dann nicht zu, wenn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorauszusehen war, daß und wann die Bedingung - beim Weiterleben des Versicherten - eintreten werde.

 

Normenkette

RVO § 1265 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 18. Dezember 1964 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat der Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten; im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenrente nach § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Ihre Ehe mit dem Schlosser Fritz W der in der Invalidenversicherung versichert war, ist im Jahre 1952 aus dessen alleinigem Verschulden geschieden worden. Aus ihr sind vier Kinder hervorgegangen, von denen die beiden jüngsten - Peter und Heiner - in den Jahren 1945 bezw. 1949 geboren sind.

Im Verhandlungstermin vom 6. Dezember 1952 vor dem Landgericht Berlin als Ehescheidungsgericht hatten die damaligen Parteien für den Fall der Rechtskraft des Urteils einen Vergleich geschlossen, in dem es u. a. heißt:

Der Kläger verpflichtet sich, für die Beklagte den gesetzlichen Unterhalt zu gewähren, sobald drei Kinder aus seiner Unterhaltsverpflichtung ausgeschieden sind. Bis zu diesem Zeitpunkt verzichtet die Beklagte auf Unterhalt.

Der Kläger verzichtet für den Fall, daß er sich wiederverheiratet bezw. aus einer neuen Ehe Kinder hervorgehen, auf die Anwendung des § 323 der Zivilprozeßordnung.

In der Folgezeit zahlte der Versicherte monatlich 100,- DM Unterhalt für seine Kinder Peter und Heiner. Im Jahre 1962 heiratete er die Beigeladene; aus dieser Ehe ist ein Sohn hervorgegangen.

Am 14. März 1963 starb der Versicherte. Er hatte im Jahre 1962 ein Arbeitseinkommen von - abgerundet - 6700,- DM brutto gehabt und während der letzten zwölf Wochen vor seinem Tode Krankengeld bezogen. Die Klägerin stand damals in Arbeit. Ihr Einkommen belief sich von Januar 1963 an auf monatlich 370,- DM zuzüglich 80,- DM Kindergeld.

Den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 1./3. Juli 1963 ab, weil der Versicherte zur Zeit seines Todes noch für zwei Kinder aus seiner ersten Ehe zu sorgen gehabt habe und die Klägerin deshalb nicht unterhaltsberechtigt gewesen sei.

Die auf Aufhebung des Ablehnungsbescheides und auf Rentengewährung vom 1. April 1963 an gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 1963; Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Berlin vom 18. Dezember 1964). Das LSG hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Der Versicherte habe der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tode keinen Unterhalt geleistet. Er sei zur Zeit seines Todes auch weder nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) noch aus sonstigen Gründen zur Unterhaltsleistung verpflichtet gewesen. Es könne dahinstehen, ob der Versicherte nach § 58 Abs. 1 EheG im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse der Geschiedenen (560,- DM gegenüber 370,- DM monatlich) unterhaltspflichtig gegenüber der Klägerin gewesen wäre. Jedenfalls habe die Klägerin auf Grund des Vergleichs vom 6. Dezember 1952 zur Zeit des Todes des Versicherten - gegen die Wirksamkeit des Verzichts auf Unterhalt beständen keine Bedenken - noch keinen Unterhaltsanspruch gehabt. Der Vergleich sei so auszulegen, daß mit den "drei Kindern" die Kinder aus der ersten Ehe des Versicherten gemeint gewesen seien und demgemäß seine Unterhaltspflicht gegenüber der Klägerin habe entstehen sollen, wenn nur noch eins der vier Kinder gegenüber dem Vater unterhaltsberechtigt sei. An dieser Voraussetzung habe es am 14. März 1963 gefehlt. Es seien nur die beiden ältesten Kinder aus der Unterhaltsverpflichtung des Versicherten ausgeschieden gewesen. Die damals 17 bezw. 14 Jahre alten Söhne Peter und Heiner hätten nach §§ 1601 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) Anspruch auf Unterhalt gehabt, Peter jedenfalls noch bis zum 30. September 1964, dem Tage der Beendigung seiner Lehre als Mechaniker.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat das Rechtsmittel eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Das LSG habe § 1265 RVO verletzt. Bei der Auslegung des Begriffs "zur Zeit seines Todes" müsse, wenn Sinn und Zweck der Vorschrift es erforderten, auch auf die Zeit nach dem Tode des Versicherten abgestellt werden. Der Sinn des § 1265 RVO sei aber, daß nicht durch nachträglich auftretende Umstände ein Rentenanspruch entstehen solle. Im vorliegenden Streitfalle sei von vornherein bei der Ehescheidung festgelegt worden, daß die Klägerin von dem Zeitpunkt an, in dem der Versicherte nur noch gegenüber einem der gemeinsamen Kinder unterhaltspflichtig sein würde, Unterhalt erhalten solle. Dieser Zeitpunkt sei der 1. Oktober 1964 gewesen; bis dahin habe der Unterhaltsanspruch der Klägerin geruht. Es würde eine - nach der Rechtsprechung zu vermeidende - Zufälligkeit bedeuten, wenn man den Eintritt des genau bestimmten Ereignisses, zu dem das Ruhen des Unterhaltsanspruchs habe aufhören sollen, nicht gelten lassen wollte.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Bescheid der Beklagten vom 1./3. Juli 1963 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin vom 1. April 1963 an Hinterbliebenenrente zu gewähren.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das Berufungsurteil für richtig.

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

Nach den von der Klägerin nicht angegriffenen und deshalb für das Bundessozialgericht (BSG) bindenden Feststellungen des LSG hat der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode keinen Unterhalt an die Klägerin geleistet. Der auf § 1265 RVO gestützte Klageanspruch könnte somit nur dann begründet sein, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes gegenüber seiner früheren Ehefrau nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen unterhaltspflichtig gewesen wäre. Mit den Worten "zur Zeit seines Todes" macht es das Gesetz deutlich, daß nicht etwa auch oder nur auf die voraussichtliche Entwicklung nach dem Tode - wie zB bei dem Anspruch auf Elternrente nach § 50 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes aF -, sondern auf die Zeit unmittelbar vor dem Tode, und zwar - nach der ständigen Rechtsprechung des BSG - auf den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten abzustellen ist (BSG 14, 255; SozR RVO § 1265 Nrn. 8, 22 und 26; SozR RKG § 65 Nr. 1). Als der Versicherte starb, hatte die Klägerin keinen Unterhaltsanspruch gegen ihn, auch keinen ruhenden - wie die Revision meint - oder einen befristeten. Der Versicherte hatte sich im Vergleich vom 6. Dezember 1952 gegenüber der Klägerin zu nichts verpflichtet, was über die gesetzliche Unterhaltsregelung zwischen geschiedenen Ehegatten hinausging; dagegen hatte die Klägerin unter einer auflösenden Bedingung, nämlich derjenigen des Wegfalls eines Teiles der dem Versicherten gegenüber seinen Kindern obliegenden Unterhaltspflicht, auf Unterhaltsansprüche gegen ihn rechtswirksam verzichtet. Da diese Bedingung bis zum Tode des Versicherten nicht eingetreten war, ist der Klägerin - schon aus diesem Grunde - kein Unterhaltsanspruch gegen ihren früheren Ehemann erwachsen. Allerdings bestand für sie zur Zeit des Todes des Versicherten eine gewisse Aussicht, daß die ihrem Verzicht zugrunde liegende auflösende Bedingung in absehbarer Zeit eintreten werde. Unter der Voraussetzung, daß der Sohn Peter der geschiedenen Ehegatten nicht aus gesundheitlichen Gründen unfähig gewesen wäre, sich selbst zu unterhalten, konnte nämlich die Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten damit rechnen, daß dieses und damit das dritte gemeinsame Kind in eineinhalb Jahren mit der Beendigung der Mechanikerlehrzeit aus der Unterhaltspflicht des Vaters ausscheiden werde. Damit wäre ihr aber noch nicht ohne weiteres ein Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten erwachsen. Vielmehr wäre der Anspruch darüber hinaus noch davon abhängig gewesen, daß der Versicherte bis zum 1. Oktober 1964 leistungspflichtig geblieben oder wieder geworden wäre und außerdem die Klägerin sich nicht selbst aus den Erträgnissen einer ihr zumutbaren Erwerbstätigkeit hätte unterhalten können (§§ 58, 59 EheG). Als der Versicherte starb, fehlte es demnach noch an so vielen Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch der Klägerin, daß die Rechtsfolge des § 1265 RVO nicht eintreten konnte.

Das BSG hat allerdings in zwei Entscheidungen die Beurteilung, ob der Versicherte seiner früheren Ehefrau zur Zeit seines Todes Unterhalt zu leisten hatte, nicht nur auf die Zeit vor dem Tode abgestellt, sondern auch aus der späteren Entwicklung der Verhältnisse darauf geschlossen, wie sich die wirtschaftliche Lage der früheren Eheleute im Falle des Weiterlebens des Versicherten gestaltet hätte (BSG 14, 255, 260; SozR RVO § 1265 Nr. 32). Dabei hat es sich jedoch um besonders gestaltete Ausnahmefälle gehandelt, nämlich um solche, in denen der Zeitraum zwischen der Scheidung und dem Tod des Versicherten so kurz war, daß ein "wirtschaftlicher Dauerzustand" in den Verhältnissen der geschiedenen Eheleute noch nicht feststellbar war. Ob diesen Entscheidungen uneingeschränkt zu folgen ist, kann dahinstehen. Der hier zu entscheidende Fall ist mit jenen nicht vergleichbar; zwischen der Scheidung und dem Tode des früheren Ehemannes der Klägerin waren mehr als zehn Jahre vergangen. Es besteht daher keine Veranlassung, von dem im Gesetz verankerten Grundsatz abzuweichen, daß es für die Beurteilung des Rechts der früheren Ehefrau auf Unterhalt allein auf die Verhältnisse vor dem Tode des Versicherten ankommt.

Nach alledem muß die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1983326

NJW 1966, 2138

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