Leitsatz (amtlich)

Die Unterhaltsbedürftigkeit der geschiedenen Frau - als Voraussetzung für ihren Unterhaltsanspruch gegen den allein oder überwiegend für schuldig erklärten Mann - besteht trotz eigenen, für ihren angemessenen Unterhalt an sich ausreichenden Erwerbseinkommen auch dann, wenn der auf Unterhaltsleistung in Anspruch genommene Mann sie billigerweise auf diese Einkünfte nicht verweisen könnte. Ob dies zutrifft, ist nach den gesamten Umständen des Falles zu beurteilen (Fortentwicklung von BSG 1967-05-31 12 RJ 406/62 = BSGE 26, 293 und SozR Nr 39 zu § 1265 RVO).

 

Normenkette

AVG § 42 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 Fassung: 1957-02-23; EheG § 58 Fassung: 1946-02-20

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. Dezember 1966 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Hinterbliebenenrente zusteht.

Die 1931 geborene Klägerin hatte im Juni 1955 den im April 1927 geborenen Vertreter L M geheiratet. Aus der Ehe ist ein im Mai 1956 geborenes Kind hervorgegangen. Außerdem hatte die Klägerin noch ein im April 1954 geborenes uneheliches Kind in die Ehe gebracht.

Am 17. April 1962 wurde die Ehe in Abwesenheit des Ehemannes - er hatte seine Familie mit unbekanntem Aufenthalt verlassen - aus dessen alleinigem Verschulden geschieden. Das Urteil ist am 3. Juli 1962 rechtskräftig geworden. Am 8. Juli 1963 ist er in Frankreich bei einem Arbeitsunfall tödlich verunglückt.

Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts (SG) Speyer vom 11. März 1965 und des ablehnenden Rentenbescheides vom 4. September 1964 die Beklagte verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente aus der Angestelltenversicherung des Verstorbenen vom 1. Juli 1963 an zu gewähren. Dieser hätte ihr nach § 58 des Ehegesetzes (EheG) vom 20. Februar 1946 als der für allein schuldig erklärte Teil zur Zeit seines Todes Unterhalt leisten müssen. Er habe nach den Angaben des französischen Versicherungsträgers zur Zeit seines Todes ein Jahreseinkommen von rund 7.200,- DM = 600,- DM monatlich gehabt. Den Umständen nach könne ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß sein Einkommen zur Zeit der Scheidung etwa die gleiche Höhe gehabt habe. Als angemessener Unterhalt der Ehefrau sei im allgemeinen ein Drittel bis ein Viertel des Nettoeinkommens des Mannes anzusehen, wobei allerdings zu berücksichtigen sei, daß der Versicherte auch noch für sein eheliches Kind Unterhalt hätte leisten müssen. Aber selbst wenn man dafür 100 bis 200 DM monatlich abziehen würde, wäre er bei seinem Einkommen immer noch in der Lage gewesen, mindestens 100,- DM monatlich Unterhalt zu zahlen (600,- ./. 200,- = 400,- : 4 = 100,- DM). Es komme daher entscheidend darauf an, ob die Klägerin auch bedürftig gewesen sei. Die Beklagte und das SG hätten das verneint, weil die Klägerin seit dem 1. November 1960 in den Abendstunden in der Schnellimbißstube ihrer Eltern arbeitet, wofür sie monatlich 334,- DM brutto sowie freie Kost während der Arbeitszeit erhält. Entgegen BSG 9, 86 seien aber die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit auf den Unterhalt der Ehefrau nur anzurechnen, wenn ihr die Arbeit auch zuzumuten sei. Hieran fehle es bei der Klägerin, da sie zwei schulpflichtige Kinder zu versorgen habe. Sie habe nur aus Not gearbeitet, weil ihr früherer Ehemann sie mit unbekanntem Aufenthalt verlassen hatte und überhaupt keinen Unterhalt zahlte. Damit sei der Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente nach § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) begründet.

Das LSG hat in seinem Urteil vom 14. Dezember 1966 die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrag,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 11. März 1965 zurückzuweisen.

Sie rügt einmal unrichtige Anwendung des § 42 AVG und des § 58 EheG. Hier vertrete das Bundessozialgericht (BSG) zu Recht in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß die geschiedene Ehefrau sich alle Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit anrechnen lassen müsse. Im übrigen habe das LSG die §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt. Die Frage, welcher Unterhalt nach den Lebensverhältnissen der geschiedenen Ehegatten als angemessen im Sinne des § 58 EheG anzusehen sei, beurteile sich, wovon auch das LSG ausgegangen sei, nach den beiderseitigen Lebensverhältnissen im Zeitpunkt der Scheidung. Hier hätte das LSG aber nicht ohne weiteres davon ausgehen dürfen, daß die Einkünfte des früheren Ehemannes zur Zeit der Scheidung ebenso hoch gewesen seien wie im Zeitpunkt seines Todes, sondern noch weitere Ermittlungen anstellen müssen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

da das angefochtene Urteil richtig sei.

II

Die im wesentlichen begründete Revision der Beklagten muß schon deshalb zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz führen, weil zulässige und begründete Revisionsgründe gegen die für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Versicherten maßgebenden tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil vorgebracht sind.

Die Beklagte hatte dem LSG mit Schriftsatz vom 6. Dezember 1966 mitgeteilt, die Höhe des Einkommens des Versicherten im Jahre 1962 (Jahr der Entscheidung) sei nicht bekannt. Die Beitragsleistung zur deutschen Rentenversicherung ende mit dem 31. August 1959. Nach Mitteilung des französischen Versicherungsträgers habe der Versicherte vom 28. März 1963 bis 8. Juli 1963 Beiträge zur französischen Sozialversicherung entrichtet. Für den Zeitraum von 1959 bis 1962 fehlten Angaben und Unterlagen über eine etwa ausgeübte Beschäftigung und das dabei erzielte Entgelt. Falls es darauf noch ankommen sollte- nach Ansicht der Beklagten entfiel eine Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Ehemannes bereits wegen fehlender Bedürftigkeit der Klägerin -, werde angeregt, die Frage des Einkommens des Versicherten im Jahre 1962 durch weitere Beweisaufnahme zu klären. Unter diesen Umständen war es nicht gerechtfertigt, von dem im Frühjahr 1963 erzielten Verdienst auf einen entsprechenden Jahresarbeitsverdienst zu schließen und weiter noch davon auszugehen, der Versicherte habe diesen auch zur Zeit der Scheidung gehabt und sei deshalb nachhaltig und für dauernd fähig gewesen, Unterhalt zu leisten. Mit Recht sieht die Beklagte hierin einen Verstoß gegen die §§ 103, 128 SGG. Ermittlungen zur weiteren Klärung des Sachverhalts, nämlich Einholung von Auskünften von französischen Behörden (Arbeitsamt, Sozialamt, Finanzamt) oder die Anhörung von Arbeitskollegen sind möglich und hätten jedenfalls versucht werden müssen. Sollten sie zu keinem Ergebnis führen, so würde die Nichtfeststellbarkeit zum Nachteil desjenigen Prozeßbeteiligten führen, der sich für seinen Anspruch auf die Leistungsfähigkeit des Mannes beruft, nämlich der Klägerin. Bereits dieser Fehler nötigte zur Aufhebung und zur Zurückverweisung nach § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG, weil es damit an ausreichenden Feststellungen über die finanzielle Leistungsfähigkeit des Versicherten fehlt.

Aber auch soweit das angefochtene Urteil die Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin anerkannt hat, weil sie sich ihren Arbeitsverdienst nicht anrechnen zu lassen brauche, gibt es zu Bedenken Anlaß. § 58 des vom Kontrollrat erlassenen Ehegesetzes vom 26. Februar 1946 (EheG 46) gibt der geschiedenen Frau einen Unterhaltsanspruch gegen den allein oder überwiegend für schuldig erklärten Mann nur, soweit die Einkünfte aus ihrem Vermögen und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen, die Frau also der Unterhaltsleistung durch den Mann bedarf. Dazu hat der 12. Senat des BSG entschieden, die geschiedene Frau müsse sich auf ihren Unterhaltsanspruch gegen den Mann alle Erträgnisse anrechnen lassen, die sie durch eine mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit erlangen könnte; ihre Unterhaltsbedürftigkeit entfalle, wenn sie eine sich ihr bietende Gelegenheit, durch zumutbare Arbeit den angemessenen Unterhalt selbst zu verdienen, ungenützt lasse (BSG 26, 293). Im vorliegenden Rechtsstreit handelt es sich indessen umgekehrt um die Frage, ob eine geschiedene Frau einen Arbeitsverdienst, den sie tatsächlich erzielt, sich in jedem Falle auf ihren Unterhaltsanspruch anrechnen lassen muß. Dazu hat das BSG in früheren Entscheidungen aus dem Wortlaut des § 58 EheG 46 im Vergleich mit dem Wortlaut des § 66 EheG 38 geschlossen, daß tatsächlich vorhandenes Erwerbseinkommen der Frau stets anzurechnen ist, also auch dann, wenn ihr an sich die Aufnahme einer Arbeit z. B. wegen Krankheit oder aus sonstigen Gründen nicht zuzumuten ist (BSG 9, 86). Diese Rechtsprechung, der sich auch der erkennende Senat angeschlossen hat (Urteil vom 5. Mai 1961 - 1 RA 49/59), betraf aber Versicherungsfälle aus der Zeit vor der Beendigung des Besatzungsregimes durch den sog. Überleitungsvertrag, der am 5. Mai 1955 in Kraft getreten ist. Da die Unterhaltsberechtigung der geschiedenen Frau nach dem Recht zu beurteilen ist, das im Zeitpunkt des Todes des Versicherten (Versicherungsfall) gegolten hat (BSG 5, 276), war für jene vor dem 5. Mai 1955 eingetretenen Versicherungsfälle von § 58 Abs. 1 EheG 46 auszugehen, wie er damals verstanden wurde. Dabei war indes einmal zu beachten, daß der Billigkeitserwägungen zugelassene Zusatz in § 66 des EheG 38:" die von ihr den Umständen nach erwartet werden kann" in der vom Kontrollrat erlassenen Fassung des Gesetzes gestrichen worden ist. Sodann war die Unterhaltspflicht für Mann und Frau sehr unterschiedlich geregelt und diese wesentlich günstiger gestellt als der Mann.

Zwar gilt das EheG 46 auch nach dem Wegfall des Besatzungsstatuts bis heute im wesentlichen unverändert weiter. Nach Teil I Art. 1 Abs. 2 des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen vom 26. Mai 1952 (BGBl II 1955, 405) darf Kontrollratsrecht nur nach Konsultation mit den "Drei Mächten" abgeändert oder aufgehoben werden, und nach Art. 142 a des Grundgesetzes (GG) gehen die Bestimmungen des Überleitungsvertrages dem GG vor. Deshalb ist das EheG von 1946 grundsätzlich weiterhin ohne Rücksicht auf seine Vereinbarkeit mit dem GG und dem am 1. April 1953 in Kraft getretenen Gleichberechtigungsgrundsatz anzuwenden. Auch kann das EheG 46 nicht von den deutschen Gerichten auf seine Vereinbarkeit mit dem GG hin überprüft werden. Insbesondere ist insoweit die Verwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 15, 337).

Gleichwohl ist damit das EheG 46 als Kontrollratsrecht dem Einfluß des GG und der späteren Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik nicht in jeder Hinsicht entzogen (ebenso Hoffmann/Stephan, EheG 2. Aufl. § 58 Note 6 sowie BVerfG, FamRZ 1966, 197). Soweit es der Auslegung fähig ist, nimmt es gleichfalls teil an den verbindlichen Wertentscheidungen des GG. Auch ist in diesem Zusammenhang das Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957 (BGBl I 609) zu beachten, das u. a. das eheliche Unterhaltsrecht neu geregelt hat (vgl. §§ 1360, 1360 a, 1360 b und 1361 BGB). Es leuchtet aber nicht ein, daß die Unterhaltsberechtigung der geschiedenen Frau nach § 59 EheG wesentlich anders oder gar günstiger sein soll als die der von ihrem Mann getrennt lebenden Ehefrau nach § 1361 BGB. Mit Rücksicht hierauf ist es zu vertreten, daß nunmehr, wie der Senat im Einvernehmen mit dem 8. Senat des BSG annimmt, im Rahmen einer zulässigen Auslegung die Unterhaltspflicht und die Unterhaltsberechtigung nach § 58 EheG für Mann und Frau einander angenähert werden. Dafür kann dann allerdings andererseits jetzt, wie das LSG an sich mit Recht angenommen hat, die Anrechnung eines tatsächlich erzielten Einkommens, möge es in einem Barverdienst oder in Sachleistungen bestehen, bei der Anwendung des § 58 EheG unter dem Gedanken der Zumutbarkeit dann unterbleiben, wenn z. B. der Unterhaltsberechtigte sich seiner Unterhaltspflicht entzogen und die Frau nur aus Not gearbeitet hat. Deshalb ist es insoweit durchaus denkbar, daß sich der Rechtszustand in mehrfacher Hinsicht geändert hat (ebenso Hoffmann/Stephan, Ehegesetz 2. Aufl. § 58 Note 7 sowie BVerfG in FamRZ 1966, 197).

Zwar werden die Versicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit im allgemeinen auch heute noch davon ausgehen können, daß eine Erwerbstätigkeit, der die geschiedene Frau zur Zeit des Todes des Mannes nachgegangen ist, von ihr auch "zumutbar" verrichtet worden ist. Es sind jedoch Fälle denkbar, in denen die Verweisung der geschiedenen Frau auf das von ihr erzielte Erwerbseinkommen - wie § 1361 Abs. 2 BGB in ähnlichem Zusammenhang sagt - grob unbillig wäre. Auf Fälle dieser Art, die verhältnismäßig selten sein werden, läßt sich aus den angeführten Gründen die frühere Rechtsprechung des Senats nicht mehr anwenden. Vielmehr ist auch im Rahmen von § 58 EheG 46 auf den Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau ein Arbeitsverdienst nicht anzurechnen, wenn und soweit der auf Unterhaltsleistung in Anspruch genommene Mann sie darauf zumutbar, d. h. billigerweise nicht verweisen kann. In solchen Fällen besteht eine Unterhaltsbedürftigkeit der geschiedenen Frau auch trotz eines für ihren angemessenen Unterhalt etwa ausreichenden eigenen Erwerbseinkommens.

Es kann sich jedoch nur um besondere Fälle handeln, in denen tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen nicht auf den Unterhaltsanspruch des Unterhaltsberechtigten anzurechnen ist. Selbst wenn eine Frau erwerbstätig ist, ohne dazu verpflichtet zu sein, berechtigt dies noch nicht dazu, ohne weiteres ihr Einkommen bei der Berechnung der Unterhaltsverpflichtung des Mannes nicht zu berücksichtigen (BGH, BB 1967, 694; Bursch, NJW 1968, 429, 431 mit weiteren Nachweisen). Vor allem trifft es nicht zu, daß jede Frau, die ein oder zwei schulpflichtige Kinder hat, ganz allgemein die Verrichtung einer Erwerbstätigkeit als unzumutbar bezeichnen darf, weil sie durch die Betreuung ihres Haushalts und ihrer Kinder voll und ganz in Anspruch genommen sei. Eine solche Betrachtung wird der Entwicklung, welche die Frauenarbeit in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg gemacht hat, nicht gerecht. Nach dem Bericht der Bundesregierung über die Situation der Frauen in Beruf, Familie und Gesellschaft - Frauenenquete = Bericht - (BT-Drucks. V/909 S. 65) waren 1962 von 100 Müttern mit Kindern unter 14 Jahren 34,9 erwerbstätig. Nach Specht, Materialien zur Soziologie der Frauenarbeit (Der Medizinische Sachverständige 1968, 25 ff), der die wirtschaftlichen, finanziellen und psychologischen Motive für die ständig zunehmende Erwerbstätigkeit der Frauen mit und ohne Kinder näher untersucht hat, waren damit 1962 etwa 2.3 Millionen Mütter mit Kindern unter 14 Jahren berufstätig. In dem neuesten Bericht der Bundesregierung über die Lage der Familien (BT-Drucks. V/2532) wird eine weitere starke Zunahme der weiblichen Erwerbstätigkeit bei den außerhäuslich berufstätigen Frauen mit Kindern unter 14 Jahren festgestellt. Das angefochtene Urteil läßt nicht erkennen, ob das LSG dieser Entwicklung, die zu einem neuen Bild der berufstätigen Frau geführt hat (vgl. hierzu Becker, Teilzeitarbeit von Frauen und Müttern, Zeitschrift für Fürsorgewesen 1968, 50), bei seiner Entscheidung genügend Rechnung getragen hat. Auch hängt die Beurteilung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen es unbillig erscheint, die geschiedene Frau auf ein tatsächlich erzieltes Einkommen zu verweisen, von den gesamten Umständen des Falles ab. Hierzu gehören außer dem Lebensalter der Frau z. B. ihre körperliche Leistungsfähigkeit, ihre Vorbildung, eine etwaige Erwerbstätigkeit vor und während der Ehe sowie die besonderen Arbeitsbedingungen, wie hier die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit in den Abendstunden und - wenn Kinder vorhanden sind - die für sie etwa bestehenden Betreuungsmöglichkeiten. Im vorliegenden Fall besteht außerdem die Besonderheit, daß eines der beiden Kinder der Klägerin nicht vom Versicherten stammt (vgl. hierzu FamRZ 1961, 314; 1966, 197). Die Begründung des LSG, mit der es die Anrechenbarkeit des Arbeitsverdienstes der Klägerin verneint, reicht somit nicht aus.

Entgegen der Meinung der Beklagten ist andererseits aber auch fraglich, ob ein Unterhaltsanspruch der Klägerin schon mit der Begründung verneint werden kann, daß sie im Hinblick auf ihr Einkommen nicht bedürftig gewesen sei. In den Rentenversicherungen wird für die Anspruchsberechtigung der geschiedenen Witwe nicht darauf abgestellt, ob sie bedürftig ist, sondern, von den anderen Alternativen des § 42 AVG (= § 1265 RVO) abgesehen, darauf, daß sie zur Zeit des Todes des Versicherten von ihm nach den Vorschriften des Ehegesetzes Unterhalt verlangen konnte. In diesem Zusammenhang wird sich das LSG einmal mit BSG, SozR § 1265 RVO Nr. 16, andererseits mit der derzeitigen Praxis der Zivilgerichte zur Ermittlung der Unterhaltsberechtigung dem Grunde und der Höhe nach befassen müssen. Dort wird grundsätzlich vom sog. Drittelungsprinzip ausgegangen (vgl. Millauer und Pabst in NJW 1967, 1061 und 2248; s. aber auch Staudinger/Hübner § 1361 BGB Note 14 sowie Hoffmann/Stephan § 58 EheG Note 35, die mit vielen anderen generelle Berechnungsmethoden grundsätzlich ablehnen). Dieses wird jedoch entgegen der Auffassung des LSG, wenn beide Ehegatten verdienen, im allgemeinen dahin verstanden, daß der Frau, die in der Regel der weniger verdienende Teil ist, ein Drittel, u. U. auch zwei Fünftel der Summe beider Einkommen (so - wenn auch mit gewissen Modifikationen - die Rechtsprechung der Berufungskammern des LSG Düsseldorf) bzw. des Mehrverdienstes des Mannes (so die sog. Hamburger Formel, vgl. LSG Hamburg, Breithaupt 1968, 134) zustehen. Die Ehefrau kann daher bei entsprechenden Einkommens- und Vermögensverhältnissen selbst dann noch Unterhaltsansprüche haben, wenn bei anderen Lebensverhältnissen ihre Bedürftigkeit zu verneinen wäre. Die Frage der Unterhaltsberechtigung eines Ehegatten beschränkt sich keineswegs allein darauf, ob der eine Teil leistungsfähig und der andere Teil bedürftig ist. Es ist vielmehr stets eine auf den Einzelfall abzustellende individuelle Betrachtung erforderlich (so bereits BSG 5, 276). Dabei sind ua Unterhaltsleistungen der geschiedenen Eheleute an bzw. Unterhaltsverpflichtungen gegenüber ihren unterhaltsberechtigten Kindern vor Anwendung der Teilungsregel anteilmäßig abzuziehen (vgl. Millauer aaO S. 1065), wobei indes der Anteil der Mutter zu kürzen ist, wenn sie das Kind betreut (vgl. Bursch, NJW 1968, 429).

Hiernach ist es durchaus denkbar, daß die Klägerin unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der Ehegatten zur Zeit der Scheidung (vgl. Hoffmann/Stephan, § 58 EheG Note 31 und 32) und bei entsprechendem Dauereinkommen ihres Mannes und beim Fehlen sonstiger Verpflichtungen (§ 59 EheG) zur Zeit seines Todes trotz ihrer eigenen Einkünfte gegen ihn mehr als einen nur geringfügigen Unterhaltsanspruch hatte (vgl. BSG 22, 44 und SozR § 1265 RVO Nr. 9 und 31 sowie 4 RJ 447/67 vom 31. Januar 1968). Das aber würde ausreichen, um für sie einen Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente nach § 42 AVG zu begründen. Auch in rechtlicher Hinsicht ist somit das angefochtene Urteil nicht zu halten.

Da noch nicht alle Fragen geklärt sind, von denen hiernach die Beurteilung des Streitfalls abhängt, muß somit auch aus diesem Grunde der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das L G zurückverwiesen werden.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

MDR 1968, 704

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