Leitsatz (redaktionell)

1. Es besteht kein Anspruch auf die Gewährung der Pflegezulage, wenn bei einem Zusammentreffen von Schädigungsfolgen mit Nichtschädigungsfolgen die anerkannten Schädigungsfolgen weder allein noch wesentlich ursächlich für die eingetretene Hilflosigkeit sind und diese auch nicht erhöhen.

2. Auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung ist die Gewährung oder Ablehnung von Leistungen niemals voraussetzungslos in das Ermessen der Verwaltungsbehörde gestellt.

In KOVVfG § 40 Abs 1 ist zwar eine besondere Voraussetzung für die Ausübung des der Verwaltungsbehörde eingeräumten Handlungsermessens im Wortlaut der Vorschrift nicht zum Ausdruck gekommen, jedoch sind dieser Vorschrift - sinngemäß zu den in KOVVfG § 41 gebrauchten Worten - die Worte ergänzend hinzuzufügen: "wenn die frühere Entscheidung tatsächlich und rechtlich unrichtig ist" (Vergleiche BSG 1969-06-24 10 RV 282/66 = BSG 29, 278).

3. In Fällen einer erstrebten Zugunstenregelung richtet sich die Zulässigkeit der Berufung nach der Art der früher zugesprochenen oder abgelehnten Leistung oder des nach KOVVfG § 40 erneut zu prüfenden Streitgegenstandes.

 

Normenkette

BVG § 35 Fassung: 1970-07-10; KOVVfG § 40 Abs. 1, § 41

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. Juni 1973 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Bei dem im Jahre 1923 geborenen Kläger sind als Schädigungsfolgen anerkannt: "Teilverlust des linken Beines im Oberschenkel, Bewegungseinschränkungen im linken Hüftgelenk; Knochennarbe rechte Speiche, Weichteilstecksplitter und Weichteilnarbe rechter Ober- und Unterarm; Minderdurchblutung des rechten Armes nach Gefäßsackoperation; Hautempfindungsstörungen am rechten Daumen und Zeigefinger". Er bezieht Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v. H. (Neufeststellungsbescheid vom 16. September 1970).

Der Kläger ist aufgrund eines am 13. Juni 1954 erlittenen privaten Autounfalls erblindet und bezieht Landesblindengeld, das der Höhe nach in etwa der Pflegezulage der Stufe III entspricht. Außerdem erhält er von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Einen im Januar 1961 gestellten Antrag auf Gewährung einer Pflegezulage nach dem BVG lehnte das Versorgungsamt Braunschweig mit Bescheid vom 14. November 1961 ab, weil die Hilflosigkeit des Klägers auf die durch den Autounfall verursachte Erblindung und nicht auf die anerkannten Schädigungsfolgen zurückzuführen sei. Dieser Bescheid wurde nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 1962) bindend.

Im März 1971 wiederholte der Kläger den Antrag auf Gewährung einer Pflegezulage. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B wurde dieser Antrag durch Bescheid vom 26. Mai 1971 abgelehnt; an der Bindung des Bescheides vom 14.11.1961 wurde festgehalten. Im Widerspruchsverfahren wurden weitere versorgungsärztliche Stellungnahmen von Dr. B, Dr. K und Dr. H eingeholt. Der Widerspruch wurde durch Bescheid vom 31. Mai 1972 zurückgewiesen: Es habe sich kein Anhaltspunkt dafür ergeben, daß der bindend gewordene Bescheid vom 14. November 1961 unrichtig sei; die mit Bescheid vom 16. September 1970 anerkannte Verschlimmerung der Schädigungsfolgen habe nicht zur Hilflosigkeit geführt; eine weitere Verschlimmerung sei inzwischen nicht eingetreten.

Das Sozialgericht (SG) Braunschweig hat Dr. H als Sachverständigen gehört und die Klage durch Urteil vom 14. Februar 1973 abgewiesen. Im Berufungsverfahren begehrte der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Pflegezulage der Stufe I, hilfsweise zur Erteilung eines neuen Bescheides unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Durch Urteil vom 22. Juni 1973 hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen die Berufung als unzulässig verworfen, soweit sie den Anspruch auf Pflegezulage wegen geänderter Verhältnisse betraf; im übrigen hat es sie als unbegründet zurückgewiesen.

In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, die Berufung sei, soweit sie den Hauptantrag betreffe, nach § 148 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht zulässig; insoweit handele es sich um die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse. Dagegen sei die Berufung hinsichtlich des auf Erlaß eines Zugunstenbescheides gemäß § 40 Verwaltungsverfahrensgesetz (VerwVG) gestützten Hilfsantrags statthaft, weil die Ausschlußtatbestände der §§ 144 ff SGG hier nicht zum Tragen kämen. In den Fällen einer Zugunstenregelung richte sich die Zulässigkeit der Berufung nach der Art der früher zugesprochenen oder abgelehnten Leistung oder des nach § 40 VerwVG erneut zu prüfenden Streitgegenstandes. Die Berufung sei jedoch hinsichtlich des Hilfsantrags unbegründet. Die Entscheidung des Beklagten, die von dem Kläger begehrte Zugunstenregelung abzulehnen, sei nicht zu beanstanden. Der bindend gewordene Bescheid vom 14. November 1961 - in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 1962 - sei weder tatsächlich noch rechtlich unrichtig. Nach den diesen Bescheiden zugrunde liegenden gutachterlichen Feststellungen werde die Hilflosigkeit des Klägers allein durch die nicht schädigungsbedingte Erblindung verursacht. Der Ursachenbegriff des § 35 BVG sei derselbe, der auch sonst im Versorgungsrecht gelte. Demnach komme es allein darauf an, ob eine Schädigungsfolge wesentliche Bedingung für den Eintritt der Hilflosigkeit gewesen sei. Das sei im Falle des Klägers zu verneinen. Der Zustand seiner Schädigungsfolgen bedinge für sich allein keinesfalls Hilflosigkeit und rücke ihn auch nicht in die Nähe der Hilflosigkeit. Die Schädigungsfolgen hätten auch keine negative Auswirkung auf den durch die Blindheit des Klägers bedingten Leidenszustand. Bei Abwägung aller einzelnen Faktoren könne nicht angenommen werden, daß die Schädigungsfolgen gegenüber den Nichtschädigungsfolgen für die Hilflosigkeit von überwiegender oder gleichwertiger Bedeutung seien. Dabei sei zu berücksichtigen, daß der Kläger vor seiner Erblindung im Jahre 1954 als Buchhalter und kaufmännischer Angestellter im Arbeitseinsatz gestanden habe, ohne dabei durch die Schädigungsfolgen in einem den haftungsbegründeten Tatbestand des § 35 BVG erfüllenden Ausmaß beeinträchtigt gewesen zu sein. Es sei auch nicht ersichtlich, daß er diese Tätigkeit nur aufgrund außergewöhnlicher Energie und unzumutbarer Anstrengungen habe ausüben können. Seine Hilflosigkeit sei durch die Schädigungsfolgen auch nicht dadurch wenigstens mitverursacht worden, daß er sich wegen des fehlenden Beines während des Unfallgeschehens nicht schadensmindernd habe verhalten können.

Das LSG hat die Revision in bezug auf den Anspruch auf Erteilung eines Zugunstenbescheides zugelassen.

Der Kläger hat gegen dieses Urteil am 14. August 1973 Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist rechtzeitig begründet.

Er beantragt,

1.)

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. Juni 1973, das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 14. Februar 1973 sowie den Bescheid des Versorgungsamts Braunschweig vom 26. Mai 1971 idF des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 1972 aufzuheben;

2.)

den Beklagten zu verurteilen, durch Zugunstenbescheid dem Kläger ab 1. März 1971 nach § 35 BVG Pflegezulage der Stufe I zu gewähren;

3.)

hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen zurückzuverweisen;

4.)

dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

Zur Begründung führt er aus, bei der Versorgungsangelegenheit des Klägers ergebe sich die Fragwürdigkeit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hinsichtlich der Gewährung von Pflegezulage beim Zusammentreffen von Schädigungsfolgen mit Nichtschädigungsfolgen. Danach sei in diesen Fällen eine Pflegezulage nach dem BVG nicht zu gewähren, wenn durch das Zusammentreffen von Schädigungsfolgen mit Nichtschädigungsfolgen die Hilflosigkeit zwar herbeigeführt werde, als wesentliche Bedingung der Hilflosigkeit aber die Nichtschädigungsfolgen verantwortlich zu machen seien. Diese Auffassung begegne erheblichen Bedenken. Sei bei einem Versorgungsberechtigten der Teilverlust eines Beines im Oberschenkel anerkannt, trete ein schädigungsunabhängiges Augenleiden später hinzu, das nach Ablauf einer längeren Zeit zu einer hochgradigen Sehschwäche führe, und ergebe sich dann aus dem Zusammentreffen beider Leiden eine Hilflosigkeit, so sei eine Pflegezulage der Stufe I zu gewähren. Diese könne auch dann nicht aberkannt werden, wenn später aufgrund einer Verschlimmerung des Augenleidens völlige Blindheit eingetreten sei. Trete dagegen zu dem anerkannten Schädigungsleiden plötzlich völlige Blindheit als Nichtschädigungsleiden hinzu, so daß sich eine Hilflosigkeit ergebe, die einer Pflegezulage der Stufe IV entspreche, dann müsse nach der Rechtsprechung des BSG die Pflegezulage nach Stufe I versagt werden, weil die Blindheit ganz ohne Zweifel als wesentliche Bedingung des bestehenden Gesamtleidenszustandes anzusehen sei. Diese Rechtsfolge sei unbefriedigend, weil dann, wenn die Blindheit nicht sofort, sondern innerhalb weniger Stunden oder Tage oder Wochen eintrete, nicht gesagt werden könne, wann die Pflegezulage der Stufe I gerade noch gewährt werden könne und wann sie schon abgelehnt werden müsse. Der Fall des Klägers zeige, daß eine nach materiellen Grundsätzen gerechte Entscheidung nur dann möglich sei, wenn auch bei plötzlichem Auftreten einer schädigungsunabhängigen Blindheit die Pflegezulage der Stufe I gewährt werde. Wenn bei dem eingangs geschilderten Sachverhalt die später eingetretene schädigungsunabhängige Blindheit durch einen operativen Eingriff beseitigt werde, müßte wahrscheinlich dem Beschädigten die Pflegezulage der Stufe I belassen werden, weil sich die anerkannten Schädigungsfolgen nicht wesentlich geändert hätten und somit ein Fall des § 62 BVG nicht vorliege. Hierin zeige sich die Problematik der Rechtsprechung des BSG, die sich vor allem an formalrechtlichen Vorschriften des BVG orientiere. Sie bedürfe daher einer grundsätzlichen Überprüfung. Es sei notwendig, i. S. einer "Ganzheitsbetrachtung" die Auswirkungen aller Gesundheitsstörungen im Bereich der Hilflosigkeit zu berücksichtigen; formale Bedenken müßten zurücktreten.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 164, 166 SGG). Die Revision ist sonach zulässig, in der Sache aber nicht begründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß die Versorgungsverwaltung zur Erteilung eines Zugunstenbescheides nicht verpflichtet ist.

Das LSG hat die Revision zulässigerweise nur in bezug auf den Anspruch auf Erteilung eines Zugunstenbescheides zugelassen (vgl. BSG 3, 135). Zwar kann das Berufungsgericht die Zulassung der Revision nicht auf die Entscheidung bestimmter Rechtsfragen beschränken; eine solche Beschränkung der Zulassung ist unwirksam; das angefochtene Urteil ist alsdann in vollem Umfang nachprüfbar (vgl. BSG in SozR SGG Nr. 170 zu § 162). Die Zulassung der Revision kann jedoch auf einen von mehreren selbständigen Klageansprüchen beschränkt werden. Das gilt auch dann, wenn die Ansprüche - wie hier - aus demselben Rechtsverhältnis (Versorgungsrechtsverhältnis) hergeleitet werden (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, § 162 Anm. 1 S. VII 80-36-; Urteil des erkennenden Senats vom 27. März 1974 - 10 RV 405/73 -). Der Kläger hatte im Berufungsverfahren mit seinem Hauptantrag die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung einer Pflegezulage nach Stufe I und mit seinem Hilfsantrag die Verurteilung des Beklagten zum Erlaß eines Zugunstenbescheides begehrt. Dabei handelt es sich um zwei selbständige Ansprüche, die jeweils an verschiedene Voraussetzungen geknüpft sind. Entsprechend der vom LSG ausgesprochenen Zulassung hat der Kläger seine Revision auf die Verurteilung des Beklagten zur Erteilung eines Zugunstenbescheides mit einem bestimmten Regelungsinhalt beschränkt. Nur über diesen Anspruch und die dabei maßgebenden Rechtsfragen hatte der Senat zu entscheiden. Im übrigen aber steht rechtskräftig fest, daß der Kläger keinen Rechtsanspruch auf die Gewährung einer Pflegezulage wegen geänderter Verhältnisse hat.

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG hat das LSG zutreffend die Berufung des Klägers in bezug auf den Hilfsantrag als zulässig angesehen (vgl. BSG in SozR SGG Nr. 34 zu § 148). Der Kläger hat die Unrichtigkeit des bindend gewordenen Bescheides vom 14. November 1961 geltend gemacht. Gegen diesen Bescheid, mit dem der Antrag des Klägers auf Gewährung einer Pflegezulage - erstmalig - abgelehnt worden war, wäre die Berufung zulässig gewesen. In Fällen einer erstrebten Zugunstenregelung richtet sich die Zulässigkeit der Berufung nach der Art der früher zugesprochenen oder abgelehnten Leistung oder des nach § 40 VerwVG erneut zu prüfenden Streitgegenstandes. Die Zulassung der Revision ist auch nicht offensichtlich unbegründet erfolgt. Die vom LSG für die Zulassung der Revision gegebene Begründung hindert das BSG nicht daran, das angefochtene Urteil in vollem Umfang nachzuprüfen (vgl. BSG in SozR SGG Nr. 170 zu § 162); sie zwingt aber auch nicht dazu, zu der vom LSG aufgeworfenen Rechtsfrage unter allen Umständen Stellung zu nehmen.

Das LSG ist weiter zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei dem strittigen Bescheid vom 26. Mai 1971 um einen - abgelehnten - Zugunstenbescheid handelt (vgl. zur Abgrenzung zwischen Zugunstenbescheid und Zweitbescheid BSG 29, 278). Nach § 40 Abs. 1 VerwVG kann die Versorgungsbehörde zugunsten des Berechtigten jederzeit einen neuen Bescheid erteilen. Sowohl nach dem Wortlaut ("kann") als auch nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift handelt es sich bei der Entscheidung über die Erteilung oder Versagung eines Zugunstenbescheides um eine Ermessensentscheidung i. S. des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (vgl. BSG aaO), ist jedoch - jedenfalls auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung - die Gewährung oder Ablehnung von Leistungen niemals voraussetzungslos in das Ermessen der Verwaltungsbehörde gestellt. Im gerichtlichen Verfahren ist vielmehr bei der Nachprüfung der Rechtmäßigkeit solcher "Ermessensentscheidungen" das Vorliegen der Voraussetzungen für das Ermessenshandeln in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht in gleicher Weise zu überprüfen wie sonst bei anderen Vorschriften das Vorliegen von Tatbestandsmerkmalen auch (vgl. Urteil BSG vom 26.11.1968 - 9 RV 610/66 -). In § 40 Abs. 1 VerwVG ist allerdings eine besondere Voraussetzung für die Ausübung des der Verwaltungsbehörde eingeräumten Handlungsermessens im Wortlaut der Vorschrift nicht zum Ausdruck gekommen. Dieser Vorschrift sind jedoch - sinngemäß zu den in § 41 VerwVG gebrauchten Worten - die Worte ergänzend hinzuzufügen: "wenn die frühere Entscheidung tatsächlich und rechtlich unrichtig ist" (vgl. BSG 29, 278, 282). Seiner Verpflichtung, den früheren Bescheid auf seine tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit nachzuprüfen, ist das LSG nachgekommen. Dabei ist das LSG zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß eine solche Unrichtigkeit nicht vorliegt.

Nach den Feststellungen des LSG sind die Erblindung und die dadurch bedingte Hilflosigkeit des Klägers allein auf den privaten Autounfall im Juni 1954 zurückzuführen. Der Zustand der Schädigungsfolgen ist weder die ausschließliche noch die überwiegende Ursache für die Hilflosigkeit des Klägers. Die Schädigungsfolgen haben die Hilflosigkeit auch nicht wenigstens mittelbar in dem Sinne mitverursacht, daß der Kläger sich wegen der Beinamputation bei dem Unfallgeschehen nicht schadensmindernd verhalten konnte. Das LSG hat weiter festgestellt, daß der Zustand der Schädigungsfolgen für sich allein keinesfalls Hilflosigkeit bedingt, daß der Kläger durch die Schädigungsfolgen auch nicht "in die Nähe der Hilflosigkeit" gerückt ist und daß sich auch keine negativen Auswirkungen der Schädigungsfolgen auf den durch die Blindheit des Klägers bedingten Leidenszustand ergeben. Diese Feststellungen hat der Kläger mit Revisionsrügen nicht angegriffen; sie sind daher für das Revisionsgericht gem. § 163 SGG bindend. Bei dem Vorbringen des Klägers, "unstreitig" sei auch, daß bei dem bestehenden Gesamtleidenszustand eine Pflegezulage der Stufe IV gewährt würde, handelt es sich um eine bloße Behauptung des Klägers, nicht aber um eine substantiierte Verfahrensrüge i. S. des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG. Das LSG hat zwar im Tatbestand seines Urteils (auf Seite 3) die Stellungnahme des Leitenden Arztes des Versorgungsamts Braunschweig (Dr. B) referiert, wonach der Gesamtzustand des Klägers in seinem pflegerischen Ausmaß der Einstufung in eine Pflegezulage nach Stufe IV entspreche und die anerkannten Schädigungsfolgen allein die Ursache dafür seien, daß der Gesamtzustand des Klägers statt mit einer Pflegezulage nach Stufe III mit der Stufe IV zu bewerten sei. Abgesehen davon aber, daß Dr. B seine Ansicht später eingeschränkt hat, hat das LSG unter Verwertung der übrigen ärztlichen Beurteilungen eine entsprechende Feststellung gerade nicht getroffen. Maßgebend für das Revisionsgericht sind aber nicht die im Tatbestand des Urteils wiedergegebenen Äußerungen eines Sachverständigen, sondern die vom LSG aufgrund einer Würdigung des gesamten Prozeßstoffes festgestellten Tatsachen (vgl. § 163 iVm § 128 SGG). Nach den Anträgen und dem gesamten Prozeßvorbringen des Klägers hatte das LSG auch keine Veranlassung zur Überprüfung, ob der Gesamtleidenszustand des Klägers eine Pflegezulage nach Stufe IV rechtfertigen würde. Der Kläger hat stets die Gewährung einer Pflegezulage nach Stufe I begehrt. Diese Leistung ist aber nicht nur der Art, sondern auch der Höhe nach etwas anderes als die Zahlung des Differenzbetrages zwischen der Pflegezulage nach Stufe III (Landesblindengeld) und nach Stufe IV.

Nach § 35 Abs. 1 BVG wird eine Pflegezulage gewährt, solange der Beschädigte "infolge der Schädigung" so hilflos ist, daß er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf. Die gesetzliche Formulierung "infolge der Schädigung" läßt deutlich erkennen, daß die Schädigung und ihre Folgen ursächlich für den Zustand der Hilflosigkeit sein müssen. Das BSG hat bereits entschieden (vgl. BSG 13, 40), daß der Ursachenbegriff in § 35 BVG der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm (s. hierzu BSG 1, 150, 156 und insbesondere 1, 268) entspricht und daß es demnach allein darauf ankommt, ob die Schädigungsfolgen die wesentliche Bedingung oder eine der wesentlichen Bedingungen für den Eintritt der Hilflosigkeit und damit alleinige Ursache oder Mitursache der Hilflosigkeit sind. Das BSG hat weiter entschieden (vgl. BSG 13, 40; 17, 114, 119; s. auch 25, 49), daß es nicht darauf ankommt, ob die Schädigungsfolge zeitlich die letzte, die Hilflosigkeit "auslösende" Ursache ist. Daher spielt das vom Kläger angesprochene und bei der Anwendung des § 30 Abs. 1 (vgl. BSG 17, 114, 117) und Abs. 2 BVG (vgl. BSG 23, 188; Urteil des erkennenden Senats vom 29.11.1973 in SozR BVG Nr. 69 zu § 30) umstrittene Problem des "Nachschadens" bei der Anwendung des § 35 BVG keine Rolle. Für die Prüfung der Frage, ob ein Beschädigter infolge der Schädigung hilflos ist und deshalb ein Anspruch auf Pflegezulage besteht, ist nicht - wie bei der Feststellung des Anspruchs auf Rente nach § 30 Abs. 1 BVG - der Eintritt der wehrdienstbedingten Schädigungsfolge das letzte Glied der versorgungsrechtlich erheblichen Ursachenkette; hier kommt vielmehr zu den Voraussetzungen, die den Anspruch auf Rente nach § 30 Abs. 1 BVG begründen, eine weitere Anspruchsvoraussetzung - nämlich die Hilflosigkeit - hinzu; die Ursachenkette ist hier um ein weiteres Glied verlängert. Auch die Anspruchsvoraussetzung "Hilflosigkeit" muß aber ursächlich mit der wehrdienstbedingten Schädigungsfolge verknüpft sein (vgl. BSG 17, 114, 119). Ist die Hilflosigkeit durch das Zusammenwirken mehrerer Bedingungen verursacht, dann besteht ein Anspruch auf Pflegezulage, wenn die Schädigungsfolge eine rechtlich-wesentliche Mitursache für den Eintritt der Hilflosigkeit ist (vgl. BSG aaO; 25, 49). Die Anwendung der Kausalitätsnorm führt in der überwiegenden Zahl der Fälle dazu, daß die Pflegezulage zu gewähren ist, die dem Gesamtleidenszustand - also nicht nur dem auf den Schädigungsfolgen beruhenden - entspricht. Diese Versorgungsleistung ist somit nur dann ausgeschlossen, wenn den schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen die alleinige oder eine so überragende Bedeutung zukommt, daß die Schädigungsfolgen nicht mehr als wesentlich angesehen werden können und deshalb unberücksichtigt bleiben müssen.

Die Angriffe, die der Kläger gegen diese "formale" Rechtsprechung des BSG richten will, weil nach seiner Auffassung eine "Ganzheitsbetrachtung" die Auswirkungen aller Gesundheitsstörungen im Bereich der Hilflosigkeit berücksichtigen müsse, halten einer Nachprüfung nicht stand. Der Kläger übersieht insoweit, daß die Anwendung der Kausalitätsnorm im Versorgungsrecht beim Zusammentreffen von Schädigungsfolgen und Nichtschädigungsfolgen zu durchaus positiven Ergebnissen für die Beschädigten führt, weil die Schädigungsfolgen nicht die alleinige oder überragende Ursache - und bei der Pflegezulage auch nicht die "letzte" Ursache - für die Begründung eines Versorgungsanspruchs sein müssen. Haben nämlich mehrere voneinander unabhängige Bedingungen den Erfolg gemeinsam herbeigeführt ("verursacht"), ohne daß eine Bedingung als die überragende und damit allein wesentliche Bedingung anzusehen ist, so können diese mehreren Bedingungen - also auch die Schädigungsfolgen - nach der Kausalitätsnorm rechtlich bereits dann wesentlich sein, wenn sie für den Eintritt des Erfolges "annähernd gleichwertig" sind (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 25.1.1974 - 10 RV 261/73 - und vom 27.3.1974 - 10 RV 405/73 -). Der Kläger kann aber nicht verlangen, daß versorgungsrechtlich sämtliche Gesundheitsstörungen entschädigt werden, ohne Rücksicht darauf, ob sie auf eine Schädigung zurückzuführen oder schädigungsunabhängig entstanden sind. Das Versorgungsrecht wird von dem Grundsatz beherrscht, daß Versorgung nur wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Schädigung i. S. des § 1 Abs. 1 BVG gewährt wird (vgl. auch §§ 30 Abs. 2 und 3, 38 BVG). Wenn Ausnahmen von diesem Grundsatz gelten sollen, so hat der Gesetzgeber eine ausdrückliche gesetzliche Regelung getroffen (vgl. z. B. § 10 Abs. 2 BVG). Eine solche Ausnahmeregelung ist jedoch in § 35 BVG nicht vorgesehen.

Nach den oben erwähnten Feststellungen des LSG sind die Erblindung des Klägers und die dadurch bedingte Hilflosigkeit (vgl. § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG) allein auf den - privaten - Autounfall zurückzuführen. Die anerkannten Schädigungsfolgen sind weder allein noch zu einem wesentlichen Anteil ursächlich ("annähernd gleichwertig") für die Hilflosigkeit des Klägers und haben diese auch nicht erhöht. Die Voraussetzungen des § 35 BVG sind demnach nicht erfüllt; dem Kläger steht eine Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 BVG nicht zu. Damit zeigt sich, daß die Bescheide, deren Abänderung im Zugunstenwege begehrt wird, nicht unrichtig sind. Der Beklagte ist daher zur Erteilung eines neuen (Zugunsten-) Bescheides nicht verpflichtet (BSG in SozR VerwVG Nr. 3, 10 und 12 zu § 40). Das Urteil des LSG war daher zu bestätigen und die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650838

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