Entscheidungsstichwort (Thema)

Schädigungsunabhängiger "Nachschaden"

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Senat hält an seiner Auffassung fest (BSG 1974-01-25 10 RV 261/73), daß ein Berufsschadensausgleich gemäß BVG § 30 Abs 3 und 4 auch dann zu gewähren ist, wenn der Schwerbeschädigte erst durch das Zusammenwirken von Schädigungsfolgen mit nach der Schädigung aufgetretenen schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen einen Einkommensverlust erlitten hat und wenn hierfür die Schädigungsfolgen Ursache iS der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm sind.

2. Vergleichbar dem Anspruch auf Pflegezulage (vergleiche BSG 1960-08-25 BSGE 13, 40; BSG 1962-06-19 11 RV 1188/60 = BSGE 17, 114, 119), muß bei dem Berufsschadensausgleich zu den Voraussetzungen, die den Anspruch auf Rente begründen, als weitere Anspruchsvoraussetzung der besondere wirtschaftliche Schaden in Gestalt des Einkommensverlustes hinzutreten. Die Kausalkette wird also um ein weiteres Glied, nämlich den Einkommensverlust als weitere Folge der Schädigung verlängert.

Diese Anspruchsvoraussetzung muß gleichfalls ursächlich mit der wehrdienstbedingten Schädigungsfolge verknüpft sein. Auf den Zeitpunkt ihres Eintritts kommt es aber nicht an, sofern die Anspruchsvoraussetzung nur in dem Anspruchszeitraum noch besteht.

Diese Beurteilung gilt nur für die zusätzliche Anspruchsvoraussetzung der Einkommensminderung, nicht aber für die Bewertung der MdE nach BVG § 30 Abs 1 (vergleiche BSG 1974-01-25 10 RV 261/73 = BSGE 37, 80).

3. Das LSG kann die Zulassung der Revision nicht auf die Entscheidung bestimmter Rechtsfragen beschränken; eine solche Beschränkung der Zulassung ist unwirksam; das angefochtene Urteil ist alsdann in vollem Umfang nachprüfbar.

Die Zulassung der Revision kann jedoch auf einen von mehreren selbständigen Klageansprüchen beschränkt werden. Das gilt auch dann, wenn der Anspruch aus demselben Rechtsverhältnis (Versorgungsrechtsverhältnis) hergeleitet wird.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 3-4; SGG § 160

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. März 1973 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der im Jahre 1919 geborene Kläger ist von Beruf Vermessungstechniker. Er erhielt Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H., u. a. wegen "leichter Leber- und Gallenblasenfunktionsstörungen mit Magenschleimhautkatarrh und Reizzustand des Dickdarmes" (Bescheid vom 18. November 1960). Im Oktober 1963 mußte sich der Kläger wegen eines Mastdarm-Carzinoms einer Rektaloperation unterziehen, die zur Anlegung eines Anus praeter iliacus führte. Im August 1964 wurde dem Kläger von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) rückwirkend vom 1. Oktober 1963 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) gewährt. Der Kläger schied darauf zum 31. August 1964 aus seinem Arbeitsverhältnis bei dem Kulturamt Gießen aus.

Bereits im Oktober 1963 hatte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag gestellt und außerdem wegen der Rektaloperation Versorgung gemäß § 89 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) begehrt. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 26. August 1964/1. Februar 1965 abgelehnt. Durch einen weiteren Bescheid vom 26. August 1964 wurden die Schädigungsfolgen erweitert um "geringe Ausfälle nach rechtsseitiger Hirnschädigung". Eine Änderung der MdE ergab sich dadurch nicht. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage gegen den Ablehnungsbescheid vom 26. August 1964 ab. Im Berufungsverfahren erklärte der Kläger nach Einholung eines Gutachtens von Oberarzt Dr. D/Dr. Sch (Medizinische Universitätsklinik M), daß hinsichtlich der Carzinom-Erkrankung die Berufung sowohl im Rechtsanspruch als auch im Härteausgleich fallengelassen werde. Der Kläger beschränkte seinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente nach einer MdE um 60 v. H.. Mit Bescheid vom 7. Februar 1969 setzte die Versorgungsverwaltung die MdE auf 60 v. H. fest.

Die Anträge des Klägers auf Erteilung eines Zugunstenbescheides hinsichtlich der Höherbewertung der MdE wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG und auf Gewährung eines Berufsschadensausgleichs wurden durch die Bescheide vom 3. Juli und 4. Juli 1967 abgelehnt (Widerspruchsbescheide vom 6. Mai und 7. Mai 1969). Das SG hat die beiden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und ein Gutachten von Prof. Dr. M/Prof. Dr. B (Medizinische Universitätsklinik M) vom 1. Februar 1972 eingeholt. Die Gutachter kamen zu dem Ergebnis, das Anlegen eines Kunstafters bewirke im allgemeinen keine EU. Die Operationsfolgen allein hätten mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zur Aufgabe des Berufes als Vermessungstechniker geführt. Vielmehr seien die anerkannten Schädigungsfolgen als Mitursache dafür anzusehen, daß der Kläger den Beruf des Vermessungstechnikers nicht mehr ausüben könne bzw. erwerbsunfähig sei. Es sei wahrscheinlich, daß für die Berufsaufgabe bzw. EU die Schädigungsfolgen neben den schädigungsunabhängigen Leiden (Dickdarm-Carzinom) annähernd gleichwertige Bedeutung hätten; dem schädigungsunabhängigen Leiden komme keine überragende Bedeutung dafür zu.

Das SG hat den Beklagten durch Urteil vom 13. April 1972 verurteilt, dem Kläger ab 1. Juli 1964 Rente nach einer MdE um 70 v. H. und ferner ab 1. Januar 1965 Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Vergütungsgruppe (VergGr) IV b für Angestellte zu gewähren: Für die Berufsaufgabe hätten Schädigungsfolgen und Folgen der Carzinom-Operation nach den Gutachtern gleichwertige Bedeutung. Der Auffassung des Beklagten, daß der Nachschaden unberücksichtigt bleiben müsse, und auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 30 Abs. 2 BVG könne nicht gefolgt werden.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. In den Gründen wird ausgeführt, eine Verurteilung des Beklagten zur Gewährung einer höheren Rente habe nicht erfolgen dürfen. Das SG habe verkannt, daß es sich insoweit um die Erteilung eines Zugunstenbescheides handele, der in das Ermessen der Versorgungsverwaltung gestellt sei. Zur Erteilung eines solchen Bescheides sei der Beklagte nicht verpflichtet. Dem Kläger stehe aber auch kein Berufsschadensausgleich zu. Im Gegensatz zu der Auffassung des SG seien auch für diese Verursachungsprüfung die von der Rechtsprechung für § 30 Abs. 1 und 2 BVG herausgearbeiteten Grundsätze maßgebend. Danach sei der Bezugspunkt in die Zeit der Schädigung und Ausbildung ihrer Folgen zu verlegen und nicht an einen späteren Zeitpunkt, in dem ein schädigungsunabhängiger Nachschaden eingetreten sei. Demnach sei auch nicht von Belang, ob Schädigungsfolgen und schädigungsunabhängige Erkrankungen sich etwa gleichwertig gegenüberständen. Im übrigen könnten die Ausführungen der Sachverständigen gegenüber der tatsächlichen Entwicklung nicht überzeugen. Mit der Schädigungsfolge habe der Kläger bis zur Carzinom-Erkrankung noch den Beruf ausüben können. Die Schädigungsfolge selbst habe also nicht zur Berufsaufgabe wesentlich mitgewirkt. Diese sei erst durch den Nachschaden herbeigeführt worden, so daß ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich durch sie nicht begründet werden könne.

Das LSG hat die Revision nur hinsichtlich der Entscheidung über die Frage des Berufsschadensausgleichs zugelassen.

Der Kläger hat in diesem Rahmen Revision eingelegt. Er beantragt,

1.

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. März 1973 aufzuheben, soweit es auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 13. April 1972 hinsichtlich der darin ausgesprochenen Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Berufsschadensausgleich an den Kläger ab 1. Januar 1965 aufgehoben hat, und in diesem Umfange die Berufung des Beklagten zurückzuweisen;

2.

den Beklagten ferner zu verurteilen, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

In seiner Revisionsbegründung rügt er insbesondere eine Verletzung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG und trägt dazu vor, das LSG habe zunächst zutreffend festgestellt, daß für den Kläger in der fraglichen Zeit ein Einkommensverlust bestehe. Die Gewährung von Berufsschadensausgleich erfordere bei Erfüllung der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen jedoch nicht, daß der Einkommensverlust allein oder ausschließlich durch die Schädigungsfolgen bedingt werde. Vielmehr genüge es, wenn der festgestellte Einkommensverlust durch die anerkannten Schädigungsfolgen wesentlich mitverursacht werde. Nach dem überzeugenden und schlüssigen Gutachten der Medizinischen Universitätsklinik M vom 1. Februar 1972 könne kein begründeter Zweifel daran bestehen, daß die beim Kläger anerkannten Schädigungsfolgen neben dem schädigungsunabhängigen Dickdarm-Carzinom eine gleichwertige Bedingung und damit eine wesentliche Mitursache für die Berufsaufgabe und den daraus resultierenden Einkommensverlust des Klägers gewesen seien. Diese Prüfung könne erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Berufsaufgabe erfolgen, wobei dann selbstverständlich bezüglich dieses Ereignisses alle für die Berufsaufgabe in diesem Moment maßgebenden Ursachen zu beachten und auf ihre versorgungsrechtliche Bedeutung hin zu prüfen seien. Demnach müsse auch ein späterer schädigungsunabhängiger Nachschaden berücksichtigt werden. Zur Berufsaufgabe sei der Kläger erst gezwungen gewesen, als zu der schweren gesundheitlichen Belastung, die bereits allein eine MdE um 60 v. H. bedingt habe, noch die Krebserkrankung hinzugetreten sei. Soweit in dem Urteil des LSG tatsächliche Feststellungen enthalten seien, seien diese verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Ohne Zweifel wäre der Kläger allein wegen der Folgen der Krebsoperation nicht zur Berufsaufgabe gezwungen gewesen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er enthält sich hinsichtlich der aufgeworfenen Rechtsfrage einer eigenen Stellungnahme und trägt weiter vor, selbst bei Anwendung der Kausalitätsnorm dürfte die Revision unbegründet sein. Das angefochtene Urteil führe in seinen hilfsweisen Erwägungen zutreffend aus, daß der Kläger bis zu seiner schädigungsunabhängigen Carzinom-Erkrankung seinen Beruf trotz der Schädigungsfolgen ausgeübt habe und erst danach den Beruf aufgeben mußte. Allein diese Tatsache spreche schon dafür, daß die Schädigungsfolgen keine wesentliche Bedingung des Einkommensverlustes gewesen seien. Eventuell sei aber insoweit noch eine weitere Sachaufklärung erforderlich.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist vom Kläger frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Die Revision ist daher zulässig (§ 169 SGG); sie ist auch insoweit begründet, als sie hinsichtlich des Anspruchs auf Berufsschadensausgleich zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung führt.

Die Entscheidung des LSG, daß die Revision nur hinsichtlich der Entscheidung über die Frage des Berufsschadensausgleichs zugelassen wird, ist zulässig. Zwar kann das LSG die Zulassung der Revision nicht auf die Entscheidung bestimmter Rechtsfragen beschränken; eine solche Beschränkung der Zulassung ist unwirksam; das angefochtene Urteil ist alsdann in vollem Umfang nachprüfbar (vgl. BSG in SozR SGG Nr. 170 zu § 162). Die Zulassung der Revision kann jedoch auf einen von mehreren selbständigen Klageansprüchen beschränkt werden. Das gilt auch dann, wenn der Anspruch - wie hier - aus demselben Rechtsverhältnis (Versorgungsrechtsverhältnis) hergeleitet wird (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 162 Anm. 1 S. VII 80-36-). Der Kläger hatte im Berufungsverfahren einen Anspruch auf Erhöhung der MdE gemäß § 30 Abs. 2 BVG und einen Anspruch auf Gewährung eines Berufsschadensausgleichs geltend gemacht. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich dabei um zwei selbständige Ansprüche; die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG ist nicht davon abhängig, daß die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BVG erfüllt sind (vgl. BSG 29, 208 = SozR BVG Nr. 36 zu § 30; Urteile vom 24. Juni 1969 - 10 RV 573/68 - und vom 6. Mai 1971 - 10 RV 207/69 -). Entsprechend der vom LSG ausgesprochenen Zulassung hat der Kläger seine Revision auf die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs beschränkt. Nur über diesen Anspruch und die dabei maßgebenden Rechtsfragen hatte der Senat zu entscheiden.

Das LSG hat im Gegensatz zum SG die Auffassung vertreten, daß "Nachschäden", d. h. erst nach der Schädigung aufgetretene schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen, bei der Gewährung eines Berufsschadensausgleichs unberücksichtigt bleiben müßten. Das LSG hat geglaubt, sich insoweit auf die Rechtsprechung des BSG, insbesondere die Entscheidung des erkennenden Senats vom 27. Juli 1965 zu § 30 Abs. 2 BVG (vgl. BSG 23, 188), stützen zu können. Der Auffassung des LSG kann jedoch schon deshalb nicht gefolgt werden, weil der Senat diese Rechtsprechung -allerdings erst nach dem Erlaß des hier angefochtenen Urteils des LSG vom 20. März 1973 - ausdrücklich aufgegeben hat. In dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 29. November 1973 (10 RV 617/72) hat der Senat entschieden, daß die MdE auch dann nach § 30 Abs. 2 BVG höher zu bewerten ist, wenn der Beschädigte erst durch das Zusammenwirken von Schädigungsfolgen mit später aufgetretenen schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen in seinem Beruf besonders betroffen ist und hierfür die Schädigungsfolgen Ursache im Sinne der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm sind. Der Senat hat sich dabei von der Erwägung leiten lassen, daß zwar nach § 1 Abs. 1 i. V. m. § 30 Abs. 1 und 2 BVG nach wie vor nur eine einheitliche MdE festgesetzt werden kann, daß sich diese einheitliche MdE aber aus verschiedenen Faktoren zusammensetzen kann und daß diese einzelnen Faktoren auch an verschiedene rechtliche und tatsächliche Voraussetzungen geknüpft sein können. Für den Bereich des § 30 Abs. 2 BVG hat der Senat dies daraus gefolgert, daß dem Ausgleich der wirtschaftlichen Folgen der Schädigung in Gestalt eines besonderen beruflichen Betroffenseins eine besondere, selbständige Bedeutung neben § 30 Abs. 1 BVG zukommt. Die gesetzliche Entwicklung, die durch das Erste Neuordnungsgesetz (1. NOG) eingeleitet ist, läßt erkennen, daß es für die Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG nicht mehr allein auf den vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen oder nachweislich angestrebten Beruf ankommt (vgl. § 30 Abs. 1 Halbsatz 2 BVG in der ursprünglichen Fassung), sondern daß nunmehr auch der "derzeitige" (so 1. NOG) bzw. der " nach Eintritt der Schädigung ausgeübte" Beruf (so 3. NOG) zu berücksichtigen ist. Muß aber bei der Prüfung eines besonderen beruflichen Betroffenseins auch ein Beruf herangezogen werden, den der Beschädigte, mitunter lange Zeit, nach der Schädigung erstmalig ergriffen hat, dann kann die Frage des beruflichen Betroffenseins im Zeitpunkt der Schädigung noch nicht stets abschließend beurteilt werden. Vielmehr wird dieser besondere wirtschaftliche Schaden maßgeblich durch Ereignisse beeinflußt, die erst nach der Schädigung entstanden sind. Dabei kann es sich um berufliche, wirtschaftliche, aber auch gesundheitliche Ereignisse handeln, denn eine Differenzierung wäre insoweit nicht gerechtfertigt, zumal § 30 Abs. 2 BVG als eigenständiger Erhöhungstatbestand losgelöst von § 30 Abs. 1 BVG betrachtet werden muß. Das hat auch in § 30 Abs. 5 bzw. Abs. 6 BVG (Anrechnung nur des gemäß § 30 Abs. 2 BVG erzielten Mehrbetrages der Grundrente auf den Berufsschadensausgleich) und in § 1 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 31 Abs. 5 BVG (EU allein aufgrund der Beurteilung nach § 30 Abs. 1 BVG) seinen gesetzlichen Niederschlag gefunden. Diese nachträglichen Ereignisse sind mit den gesundheitlichen Schädigungsfolgen in Beziehung zu setzen und alsdann ist nach der im Kriegsopferrecht (KOV) geltenden Kausalitätsnorm zu prüfen, ob - unter Berücksichtigung auch der nachträglich eingetretenen Bedingung - die Schädigungsfolgen von wesentlicher Bedeutung für den beruflichen Schaden gewesen sind.

In Ergänzung dieser Rechtsprechung hat der Senat in einem weiteren, zur Veröffentlichung bestimmten Urteil (vom 25. Januar 1974 - 10 RV 261/73) entschieden, daß ein Berufsschadensausgleich gemäß § 30 Abs. 3 und 4 BVG auch dann zu gewähren ist, wenn der Schwerbeschädigte erst durch das Zusammenwirken von Schädigungsfolgen mit nach der Schädigung aufgetretenen schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen einen Einkommensverlust erlitten hat und wenn hierfür die Schädigungsfolgen Ursache im Sinne der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm sind. Der Senat hält auch bei einer erneuten Nachprüfung an dieser Rechtsauffassung fest. Nach § 30 Abs. 3 BVG in seinen verschiedenen Fassungen ist Voraussetzung für die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs, daß der Beschädigte einen wirtschaftlichen Schaden erlitten hat, der "durch die Schädigungsfolgen" verursacht worden ist. Das bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung sämtlicher Kriegsopfersenate des BSG, daß zwischen dem wirtschaftlichen Schaden und den Schädigungsfolgen ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muß (s. dazu BSG 29, 208; Urteile des erkennenden Senats vom 23. Juli 1969 - 10 RV 711/67 - und vom 2. Juni 1970 - 10 RV 186/67 - ; BSG in SozR Nr. 44 und 58 zu § 30; Urteil des 9. Senats vom 17. März 1970 - 9 RV 88/69 -), d. h., daß die Schädigungsfolge eine wesentliche Bedingung für den wirtschaftlichen Schaden - also den Einkommensverlust - ist (vgl. BSG in SozR Nr. 44 zu § 30; s. grundlegend zur Anwendung und Bedeutung der Kausalitätsnorm in der KOV BSG 1, 150, 156 und insbesondere 1, 268; ferner BSG 6, 120; 7, 180; vgl. für das Dienstunfallrecht der Beamten BVerwG 7, 48; 10, 258; Plog/Bidow, Bundesbeamtengesetz § 135 Anm. 10). Der Kausalzusammenhang zwischen Schädigungsfolge und Einkommensverlust ist für den Anspruch auf Berufsschadensausgleich erforderlich, aber auch genügend (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 23. Juli 1969, aaO, sowie des 9. Senats vom 17. März 1970, aaO; SozR BVG Nr. 44 zu § 30). Im vorliegenden Falle kommt es also entscheidend darauf an, ob die Schädigungsfolgen bei Anwendung der im Recht der KOV geltenden Kausalitätsnorm von wesentlicher Bedeutung für das vorzeitige Ausscheiden des Klägers aus seinem Arbeitsverhältnis und damit für den wirtschaftlichen Schaden des Klägers - Unterschiedsbetrag zwischen der EU-Rente und dem vollen Gehalt nach der für den Kläger maßgebenden VergGr - gewesen sind (vgl. Urteil vom 25. Januar 1974, aaO).

Die Auffassung des LSG, daß die Ca-Erkrankung - deren Schädigungseigenschaft vom LSG ausdrücklich verneint worden ist - als schädigungsunabhängiger "Nachschaden" angesehen werden muß und deshalb bei Anwendung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG keine Berücksichtigung finden kann, findet im Gesetz keine Stütze. Sie läuft im Ergebnis darauf hinaus, daß die Anwendung der Kausalitätsnorm in unzulässiger Weise eingeschränkt wird. Vergleichbar dem Anspruch auf Pflegezulage (vgl. BSG 13, 40; 17, 114, 119) muß bei dem Berufsschadensausgleich zu den Voraussetzungen, die den Anspruch auf Rente begründen, eine weitere Anspruchsvoraussetzung - eben der besondere wirtschaftliche Schaden in Gestalt des Einkommensverlustes - hinzutreten. Die Kausalkette wird also um ein weiteres Glied, nämlich den Einkommensverlust als weitere Folge der Schädigung verlängert. Diese Anspruchsvoraussetzung muß gleichfalls ursächlich mit der wehrdienstbedingten Schädigungsfolge verknüpft sein. Auf den Zeitpunkt ihres Eintritts kommt es aber nicht an, sofern die Anspruchsvoraussetzung nur in dem Anspruchszeitraum noch besteht. Diese Folgerung ergibt sich aus der Gesetzessystematik und dem Sinn und Zweck des Anspruchs auf Berufsschadensausgleich.

Der Berufsschadensausgleich ist erst durch das 1. NOG in das Gesetz eingeführt worden, und zwar zunächst nur für "Erwerbsunfähige", d. h. für Beschädigte, die in ihrer Erwerbsfähigkeit um mehr als 90 v. H. beeinträchtigt sind (vgl. §§ 30 Abs. 3,31 Abs. 3 BVG i. d. F. des 1. NOG). Dadurch sollte denjenigen Beschädigten, deren MdE nach § 30 Abs. 2 BVG a. F. nicht mehr erhöht werden konnte, ein teilweiser Ausgleich ihres beruflichen Schadens gewährt werden, zumal die Praxis gezeigt hatte, daß gerade sie häufig in ihrer beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Position besonders hart betroffen sind (vgl. BSG 29, 208 mit weiteren Hinweisen). Das 2. NOG hat hieran grundsätzlich nichts geändert, jedoch wurde - neben gewissen Verbesserungen materieller Art - der Personenkreis auf alle Schwerbeschädigten erweitert. In dieser erweiterten Form besteht der Berufsschadensausgleich auch heute noch (vgl. §§ 30 Abs. 3 und 4 BVG i. d. F. des 3. NOG und der Anpassungsgesetze). Die Kriegsopfersenate des BSG sind von Anfang an davon ausgegangen, daß es für die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nicht auf einen wirtschaftlichen Schaden ankommt, der irgendwann einmal, z. B. im Zeitpunkt der Schädigung oder später, bestanden hat, sondern daß dieser Schaden noch im Zeitpunkt der Antragstellung und weiterhin für die Zeit bestehen muß, für die der Berufsschadensausgleich begehrt wird (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 27. März 1973 - 10 RV 412/72 -; BSG in SozR BVG Nr. 58 zu § 30). Im Zeitpunkt der Schädigung konnte aber in den meisten Fällen - anders als bei den gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die nach § 30 Abs. 1 BVG zu entschädigen sind - noch gar nicht übersehen werden, ob der Schwerbeschädigte vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden oder wirtschaftliche Einbußen als Arbeitnehmer oder Selbständiger erleiden würde, oder ob er trotz seiner schweren Beschädigung von wirtschaftlichen Nachteilen verschont bleiben würde. Kommt es aber für den Eintritt und die Beurteilung des wirtschaftlichen Schadens nicht auf den Zeitpunkt der Schädigung, sondern auf einen in der Gegenwart liegenden Zeitpunkt und die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Umstände an, dann dürfen auch nachträglich eingetretene Bedingungen für den wirtschaftlichen Schaden nicht außer Betracht bleiben. Das bedeutet nicht etwa, daß nachträglich eingetretene, schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen berentet oder entschädigt werden, sondern es wird lediglich geprüft, ob ein im Zeitpunkt der Antragstellung bestehender Einkommensverlust ursächlich im Sinne der Kausalitätsnorm auf die Schädigungsfolgen zurückzuführen ist. Nach der im Recht der KOV geltenden Kausalitätsnorm besteht dieser ursächliche Zusammenhang im Rechtsinne dann, wenn die Schädigungsfolgen für den wirtschaftlichen Schaden, der nach § 30 Abs. 3 BVG in einem Einkommensverlust besteht, eine wesentliche Bedingung sind (vgl. Urteile BSG vom 17. März 1970, aaO; vom 15. Dezember 1970 in BVBl 1971 S. 95). Haben mehrere, voneinander unabhängige Bedingungen den Erfolg gemeinsam herbeigeführt ("verursacht"), ohne daß eine Bedingung als die überragende und damit allein maßgebende Bedingung anzusehen ist, so können diese mehreren Bedingungen nach der Kausalitätsnorm rechtlich dann wesentlich sein, wenn sie für den Eintritt des Erfolges "annähernd gleichwertig" sind (vgl. BSG 1, 150, 157; 17, 114, 119; s. auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung S. 480 diff).

Die vom Beklagten und vom LSG aufgeworfenen und für die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs allgemein geltenden Fragen sind also dahin zu beantworten, daß zunächst geprüft werden muß, ob der Schwerbeschädigte einen wirtschaftlichen Schaden (Einkommensverlust) erlitten hat. Bei Bejahung dieser Frage ist weiter zu prüfen, ob dieser Einkommensverlust "durch die Schädigungsfolgen" (vgl. § 30 Abs. 3 BVG i. d. F. seit dem 2. NOG) verursacht worden ist. Dabei kommt es unter Anwendung der im Recht der KOV geltenden Kausalitätsnorm darauf an, ob die Schädigungsfolgen eine wesentliche Bedingung für den Eintritt des Erfolges, d. h. für den Einkommensverlust, darstellen. Bei der Anwendung der Kausalitätsnorm sind auch nachträglich, d. h. nach der Schädigung eingetretene Ereignisse beruflicher, wirtschaftlicher und gesundheitlicher Art (Nachschäden) mit zu berücksichtigen, sofern sie erst im Zusammenwirken mit den Schädigungsfolgen den Erfolg herbeigeführt haben. Eine Einschränkung bei der Anwendung der Kausalitätsnorm mit der Folge, daß nachträglich aufgetretene schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen grundsätzlich außer Betracht bleiben müssen, findet insoweit nicht statt. Diese Beurteilung gilt allerdings nur für die zusätzliche Anspruchsvoraussetzung der Einkommensminderung, nicht aber für die Bewertung der MdE nach § 30 Abs. 1 BVG (vgl. Urteil des Senats vom 25. Januar 1974, aaO).

Den Ausführungen des LSG - das von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist (vgl. Bl. 13 unten und insbesondere Bl. 15 unten des Urteils) - ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob das LSG bei seinen tatsächlichen Feststellungen und den daraus gezogenen Folgerungen das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt hat. Wenn das LSG die Auffassung vertreten hat, daß "die Ausführungen der Sachverständigen gegenüber der tatsächlichen Entwicklung nicht überzeugen können", so ist nicht recht erkennbar, aufgrund welcher Tatsachen oder sonstiger Beweisunterlagen das LSG zu dieser Auffassung gekommen ist. Auch die Folgerung des LSG, daß die Schädigungsfolge selbst zur Berufsaufgabe nicht wesentlich mitgewirkt hat, weil der Kläger mit der Schädigungsfolge bis zu der Ca-Erkrankung noch seinen Beruf ausüben konnte, scheint auf ungenügenden tatsächlichen Feststellungen zu beruhen. Die medizinischen Sachverständigen haben nämlich deutlich hervorgehoben, daß die Operationsfolgen allein mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zur Aufgabe des Berufes als Vermessungstechniker geführt hätten. Das LSG scheint auch das bei den Akten der BfA befindliche Gutachten des Facharztes für innere Medizin Dr. U vom 24. Juli 1967 (Bl. 149 der BfA-Akten) übersehen zu haben, wonach chirurgischerseits (vgl. Zusatzgutachten Dr. G) wegen des Anus praeter mit zeitweisen Rückenschmerzen eine MdE von (nur 20 v. H. anzunehmen ist. Demnach fehlt es an eindeutigen Feststellungen, die unter das Gesetz (§ 30 Abs. 3 und 4 BVG) subsumiert werden könnten und eine gesetzesgemäße Anwendung der Kausalitätsnorm gestatten würden. Das angefochtene Urteil war daher - auch ohne besondere Revisionsrüge - aufzuheben (vgl. BSG in SozR Nr. 143 zu § 162). Daher kann dahinstehen, ob auch die Rüge des Klägers durchgreift, daß ein Verstoß gegen die Denkgesetze vorliegt.

Da das Revisionsgericht die notwendigen Tatsachenfeststellungen nicht selbst treffen kann, war der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen, soweit er im Revisionsverfahren anhängig geworden ist. Bei der erneuten Verhandlung über den Anspruch des Klägers auf Berufsschadensausgleich wird das LSG zunächst zu prüfen (festzustellen) haben, inwieweit der Kläger durch die Schädigungsfolgen und inwieweit er durch die Operationsfolgen in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird. Alsdann wird das LSG zu prüfen haben, ob die Berufsaufgabe und der dadurch bedingte Einkommensverlust allein (oder überwiegend) durch die Schädigungsfolgen oder allein (oder überwiegend) durch die Operationsfolgen herbeigeführt worden ist. Kommt das LSG dabei zu dem Ergebnis, daß beide Bedingungen zu der Berufsaufgabe beigetragen haben, dann wird das LSG die rechtliche Wertung dahin vorzunehmen haben, ob etwa beide Bedingungen wesentlich bzw. "annähernd gleichwertig" für die Berufsaufgabe gewesen sind. Bei Bejahung dieser Frage wird das LSG auch zu klären haben, ob die vom SG angenommene VergGr IV b Bundes-Angestellten-Tarifvertrag richtig ist.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647217

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