Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsschadensausgleich. MdE-Bewertung

 

Orientierungssatz

1. Die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs 3 und 4 BVG ist nicht davon abhängig, daß vorher die MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nach § 30 Abs 2 BVG höher bewertet wurde (vgl BSG 1969-03-21 9 RV 730/67 = SozR Nr 36 zu § 30 BVG).

2. Soweit in Verbindung mit § 30 Abs 2 oder Abs 3 BVG über eine besondere berufliche Betroffenheit entschieden wird, handelt es sich um selbständige, ihrem Inhalt nach verschiedene Voraussetzungen, die nicht in der Weise miteinander verknüpft sind, daß mit der Verneinung einer besonderen beruflichen Betroffenheit iS des § 30 Abs 2 BVG der Entscheidung über den Berufsschadensausgleich nach Abs 3 von vornherein die Grundlage entzogen wäre.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 2-4

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 11.06.1968)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 11. Juni 1968 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Gründe

Der Kläger bezieht wegen verschiedener Schädigungsfolgen (Phantombeschwerden, Verlust des rechten Oberschenkels im mittleren Drittel, lähmungsartige Schwäche von Teilen der Stumpfmuskulatur nach Verletzung durch zahlreiche Stecksplitter, Neuromknoten und Teilverlust des 5. Fingers rechts und Gefühlsstörungen am 4. Finger rechts nach Granatsplitterverwundung) Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v. H.. Er ist von Beruf Seiler. Er hat dieses Handwerk von 1922 bis 1925 in Ostpreußen erlernt und weiter ausgeübt, dort 1934 die Gehilfenprüfung abgelegt und von 1936 bis zu seiner Einberufung selbständig als Seiler gearbeitet. Vom Sommer 1940 bis Januar 1944 war der Kläger zum militärischen Zollgrenzschutz notdienstverpflichtet und wurde 1943 in Rußland verwundet. Nach seiner Entlassung war er wiederum als selbständiger Seiler tätig, mußte dann aber aus seiner Heimat flüchten und gelangte in den Kreis W, wo er von 1946 bis 1948 bei einer Schwerbeschädigten-Genossenschaft beschäftigt war. Nachdem er 1947 die Meisterprüfung abgelegt hatte, übte er sein Handwerk von Mai 1948 bis Februar 1949 wieder selbständig aus, gab es dann aber auf, - nach einem Schreiben des Landeshauptmanns K an die Landesversicherungsanstalt H vom 5. Januar 1950 wegen der Wirtschaftslage. Anschließend war er bis 1959 Autogenschweißer. Seit dem 1. Januar 1959 bezieht er eine Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit, die vom 1. April 1965 an in eine solche wegen Erwerbsunfähigkeit umgewandelt wurde.

Seine Bemühungen um eine Erhöhung der MdE wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins waren vergeblich. Bereits in dem Bescheid vom 12. November 1953 hieß es, daß die MdE "auch unter Berücksichtigung des Berufs" festgesetzt worden sei. Die ausdrücklich auf die Anerkennung einer besonderen Berufsbetroffenheit gerichteten Anträge wurden durch Bescheide des Versorgungsamts (VersorgA) vom 16. Dezember 1958 und vom 30. August 1961 abgelehnt. Im ersten Falle wurde die Klage zurückgenommen; im zweiten Falle wurde sie durch Vorbescheid des Sozialgerichts (SG) Kassel vom 10. August 1962 abgewiesen und dann vom Kläger zurückgenommen.

Am 18. Juni 1964 beantragte der Kläger die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach dem Zweiten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (2. Neuordnungsgesetz - NOG -). Das VersorgA K lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 24. Juli 1964 ab, weil der Kläger nach dem bindenden Bescheid vom 30. August 1961 nicht im Sinne des § 30 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) beruflich besonders betroffen sei. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 1964). Nachdem der Beklagte sich in einem "Vergleich" vor dem SG Kassel am 26. Mai 1965 verpflichtet hatte, die angegriffenen Bescheide "wegen der fehlerhaften Begründung" zurückzunehmen und den Antrag vom 18. Juni 1964 erneut zu bescheiden, nahm der Kläger seine Klage zurück.

In dem neuen Bescheid vom 4. Februar 1966 lehnte der Beklagte den Anspruch auf Berufsschadensausgleich wiederum ab, diesmal mit der Begründung, der Einkommensverlust des Klägers sei nicht auf die anerkannten Schädigungsfolgen, sondern auf die frühe Invalidisierung des Klägers wegen eines nicht als Schädigungsleiden anerkannten Herzleidens zurückzuführen. Der Widerspruch des Klägers wurde durch Bescheid vom 29. April 1966 zurückgewiesen.

Das SG sprach dem Kläger mit Urteil vom 19. Juli 1967 einen Berufsschadensausgleich entsprechend dem für selbständig Tätige mit Volksschulbildung und abgelegter Meisterprüfung geltenden Durchschnittseinkommen nach Gruppe A 9 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) zu. Es hielt den Kläger für beruflich besonders betroffen, weil er wegen seiner Schädigungsfolgen in dem Beruf als Seiler über das am allgemeinen Erwerbsleben gemessene Maß hinaus beeinträchtigt sei. Es komme weder darauf an, aus welchen Gründen er vorzeitig invalidisiert worden sei, noch darauf, daß der Beklagte die Anwendung des § 30 Abs. 2 BVG im Falle des Klägers bindend abgelehnt habe. Eine Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG müsse der Gewährung von Leistungen nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG nicht vorausgehen.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 11. Juni 1968 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat die Berufung für statthaft gehalten, weil sie nicht eine Neufeststellung i. S. des § 148 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), sondern die erstmalige Feststellung des Berufsschadensausgleichs nach dem 2. NOG betreffe. Die Berufung sei auch begründet. Das SG habe die §§ 30 Abs. 2, 3 und 4 BVG unrichtig angewandt. Die in früheren Bescheiden bindend ausgesprochene Feststellung, daß der Kläger nicht beruflich besonders betroffen i. S. von § 30 Abs. 2 BVG sei, habe das SG gehindert, einen Berufsschadensausgleich zuzusprechen. Der Berufsschadensausgleich dürfe nur "nach Anwendung des Abs. 2" zuerkannt werden; die Erfüllung der Voraussetzungen dieses Absatzes bilde infolgedessen die rechtliche Voraussetzung für die Ansprüche gemäß § 30 Abs. 3 und 4 BVG. Die gegenteilige Ansicht in Satz 2 der Verwaltungsvorschriften (VV) Nr. 7 zu § 30 BVG widerspreche dem Gesetz und sei daher unbeachtlich. Stehe aber bereits bindend fest, daß der Kläger beruflich nicht besonders betroffen im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG sei, so könne ein Berufsschadensausgleich grundsätzlich nicht gewährt werden.

Auch im Wege des Zugunstenbescheides gemäß § 40 Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) sei eine Erhöhung der MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins des Klägers nicht möglich gewesen. Der Beklagte habe sein Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt, wenn er an der Bindung der eine besondere berufliche Betroffenheit ablehnenden Bescheide festgehalten habe, die allein wegen der körperlichen Behinderung des Klägers nicht als unrichtig bezeichnet werden könnten. Der Kläger habe seinen Seilerbetrieb wegen der Wirtschaftslage und der zu geringen Rohmaterialzuteilung aufgegeben; außerdem habe nach der Ablegung der Meisterprüfung die Ausübung seiner Berufstätigkeit im wesentlichen in Planung, Leitung und kaufmännischer Tätigkeit bestanden, wobei er durch körperliche Behinderungen nicht entscheidend beeinträchtigt gewesen sei. Ein besonderes berufliches Betroffensein folge auch nicht aus der Gewährung der Versichertenrente, weil dafür nicht in erster Linie die Schädigungsfolgen, sondern das Magen- und Herzleiden des Klägers ausschlaggebend gewesen seien. Es habe daher kein Anlaß bestanden, den Beklagten zur Erteilung eines Bescheides über das besondere berufliche Betroffensein zu verpflichten. Sei der Kläger aber beruflich nicht besonders betroffen i. S. des § 30 Abs. 2 BVG und bilde die Bejahung dieser Frage eine Voraussetzung für den Berufsschadensausgleich, so könne die Klage nicht zum Erfolg führen. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen dieses am 31. Juli 1968 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 15. August 1968, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 16. August 1968, Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Er beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 11. Juni 1968 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Kassel vom 19. Juli 1967 zurückzuweisen;

hilfsweise:

das Urteil des LSG vom 11. Juni 1968 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

In der Begründung führt der Kläger aus, die früheren Bescheide hätten das SG an einer uneingeschränkten gerichtlichen Sachprüfung nicht gehindert, weil der Beklagte in dem Bescheid vom 4. Februar 1966 auf die Bindungswirkung der früheren Bescheide gemäß § 30 Abs. 2 BVG verzichtet und über den Anspruch des Klägers neu entschieden habe. Abgesehen davon sei die Gewährung des Berufsschadensausgleichs nicht von der Feststellung einer besonderen beruflichen Betroffenheit im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG abhängig. Weder die Gesetzesmaterialien noch der Wortlaut des Gesetzes rechtfertigen eine solche Auslegung. Wenn die Erfüllung der Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BVG auch für die Anwendung des § 30 Abs. 3 BVG erforderlich wäre, würde diese Vorschrift keine selbständige Anspruchsgrundlage mehr bilden. Dann hätte es nahe gelegen, den Berufsschadensausgleich als Unterfall des § 30 Abs. 2 BVG zu regeln. Das sei aber gerade nicht geschehen. Entsprechend dem Tatbestandsmerkmal "Einkommensverlust von monatlich mindestens 75,- DM" bezwecke § 30 Abs. 3 BVG idF des 2. NOG die Entschädigung bestimmter wirtschaftlicher Ausfälle infolge der anerkannten Versorgungsleiden. Der Hinweis auf § 30 Abs. 2 BVG begründe nur die Verpflichtung, gleichzeitig auch zu prüfen, ob neben einem Berufsschadensausgleich auch eine Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG in Betracht komme. Diese Rechtsauffassung werde durch die VV Nr. 7 zu § 30 BVG und durch die Neufassung des § 30 Abs. 3 BVG durch das 3. NOG bestätigt, in der die Worte "beruflich insoweit besonders betroffen ist, als er" nicht mehr enthalten sind. Das LSG hätte also trotz Ablehnung der Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG den Anspruch auf Berufsschadensausgleich prüfen müssen. Da das SG die Voraussetzungen für die Gewährung des Berufsschadensausgleichs zutreffend bejaht habe, stehe dem Kläger ein Berufsschadensausgleich zu.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er hat zu der Rechtsauffassung des LSG nicht näher Stellung genommen und ausgeführt, er halte sich an die VV Nr. 7 zu § 30 BVG gebunden. Im übrigen habe das LSG zutreffend festgestellt, daß nicht die Schädigungsfolgen, sondern die Erkrankung an Magen und Herz für die zu dem Einkommensverlust führende vorzeitige Invalidisierung des Klägers maßgebend gewesen sind.

Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Die Revision ist somit zulässig. Sie ist auch begründet.

Das LSG hat die Berufung zutreffend als statthaft angesehen. Obgleich ein Berufsschadensausgleich schon nach dem 1. NOG beantragt und abgelehnt worden war, betrifft die Berufung wegen der Ablehnung des gemäß § 30 Abs. 3 BVG idF des 2. NOG beanspruchten Berufsschadensausgleich nicht eine Neufeststellung i. S. des § 148 Nr. 3 SGG. Der Anspruch auf Berufsschadensausgleich nach dem 2. NOG beruht nämlich auf anderen Voraussetzungen als der nach dem 1. NOG; außerdem liegt eine Neufeststellung "wegen Änderung der Verhältnisse" i. S. des § 148 Nr. 3 SGG auch deshalb nicht vor, weil der Anspruch in dem neuen Bescheid vom 4. Februar 1966 wegen Fehlens einer anderen bei der früheren Feststellung nicht geprüften Voraussetzung abgelehnt worden ist (vgl. BSG in SozR SGG § 148 Nr. 25).

Das LSG ist jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, daß ein Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 BVG nicht gewährt werden könne, weil vorher die MdE nicht wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nach § 30 Abs. 2 BVG erhöht worden und eine solche Erhöhung auch nicht im Wege eines Zugunstenbescheides gemäß § 40 Abs. 1 VerwVG möglich sei. Der Kläger begehrt Berufsschadensausgleich für die Zeit vom 1. Januar 1964 an. Dieser Anspruch richtet sich nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG idF des 2. NOG und vom 1. Januar 1967 an idF des 3. NOG. Nach § 30 Abs. 3 BVG idF des 2. NOG erhält ein Schwerbeschädigter, der durch die Schädigungsfolgen beruflich insoweit besonders betroffen ist, als er einen Einkommensverlust von monatlich mindestens 75,- DM hat, nach Anwendung des Abs. 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 4/10 des Verlustes, jedoch höchstens 400,- DM monatlich. Die Meinung des LSG, daß nur solche Beschädigte einen Berufsschadensausgleich beanspruchen könnten, deren MdE vorher wegen besonderer beruflicher Betroffenheit i. S. des § 30 Abs. 2 BVG erhöht worden ist, trifft nicht zu. Wie bereits alle für die Kriegsopferversorgung zuständigen Senate entschieden haben, ist die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG nicht davon abhängig, daß vorher die MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nach § 30 Abs. 2 BVG höher bewertet wurde (vgl. Urteile des BSG vom 21. März 1969 - 9 RV 730/67 -, SozR BVG § 30 Nr. 36, vom 27. März 1969 - 8 RV 611/67 - und vom 23. Mai 1969 - 10 RV 558/68 -). In der zuletzt genannten Entscheidung hat der erkennende Senat mit ausführlicher Begründung unter Hinweis auf Wortlaut, Sinn und geschichtliche Entwicklung des § 30 Abs. 3 BVG dargelegt, der durch das 1. NOG eingeführte Berufsschadensausgleich bezwecke eine selbständige, von anderen Versorgungsleistungen unabhängige Entschädigung des durch die Schädigungsfolgen bedingten wirtschaftlichen Schadens, die unabhängig davon gewährt werde, ob die MdE eines Beschädigten wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach § 30 Abs. 2 BVG erhöht worden ist oder nicht. Mit den durch das 2. NOG in § 30 Abs. 3 BVG eingefügten Worten: "Nach Anwendung des Abs. 2" ist nicht ein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang zwischen den Abs. 2 und 3 des § 30 BVG in der Weise hergestellt worden, daß - wie das LSG meint - die Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG eine rechtliche Voraussetzung für die Entscheidung über den Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 BVG bildet und über die berufliche Betroffenheit daher in diesem Falle nicht anders entschieden werden kann als nach § 30 Abs. 2 BVG. Um die "Anwendung" einer bestimmten Vorschrift handelt es sich nicht nur dann, wenn der Anspruch oder eine andere an die anzuwendende Vorschrift geknüpfte Rechtsfolge bejaht wird, sondern auch dann, wenn die Prüfung des Sachverhalts zu einer Ablehnung führt, weil die in der Vorschrift bestimmten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Mit den Worten "nach Anwendung des Abs. 2" ist jede - positive oder negative - Anwendung des Abs. 2 gemeint. Die in der VV Nr. 7 zu § 30 BVG (Fassung vom 23. Januar 1965, BVBl 1965, 14, 16) zum Ausdruck gebrachte Auffassung, daß vor Anwendung von § 30 Abs. 3 BVG zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen für eine Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG gegeben sind, die Gewährung des Berufsschadensausgleichs aber nicht von der Erfüllung dieser Voraussetzungen abhängig ist, steht somit durchaus in Einklang mit dem Wortlaut des § 30 Abs. 3 BVG. Die aus der Anwendung des § 30 BVG sich ergebende - positive oder negative - Entscheidung hat daher keine bindende Wirkung für die Entscheidung über die Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 BVG. Auch eine negative Entscheidung schließt eine Entscheidung über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 BVG nicht von vornherein aus. Die Bestimmungen in § 30 Abs. 2 und 3 BVG sind weder inhaltsgleich noch besteht zwischen ihnen ein Abhängigkeitsverhältnis in der Weise, daß die Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG Voraussetzung des Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs. 3 BVG sein müßte. Soweit nach dieser Vorschrift der Berufsschadensausgleich demjenigen Schwerbeschädigten vorbehalten ist, der "durch die Schädigungsfolgen beruflich insoweit betroffen ist", als er den gesetzlich bestimmten Einkommensverlust erlitten hat, ist eine berufliche besondere Betroffenheit nicht allgemeine Voraussetzung des Berufsschadensausgleichs, sondern nur "insoweit", als sie mindestens zu dem im Gesetz vorgeschriebenen Einkommensverlust geführt hat. Im Falle des § 30 Abs. 2 BVG bezieht sich die besondere berufliche Betroffenheit auf körperliche Behinderungen, die den allein nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben beurteilten Grad der MdE wesentlich überschreiten und infolgedessen von erheblichen wirtschaftlichen Einbußen begleitet sind, im Falle des § 30 Abs. 3 BVG bezieht sie sich auf das Maß des wirtschaftlichen Schadens, dessen Mindesthöhe zuerst auf 100,- DM festgesetzt war, dann auf 75,- DM herabgesetzt wurde (2. NOG), und der vom 1. Januar 1967 an überhaupt keinen Mindestgrenzen unterliegt (3. NOG). Ist in früheren Bescheiden die Erhöhung der MdE gemäß § 30 Abs. 2 BVG rechtsverbindlich abgelehnt worden, weil der Beschädigte beruflich nicht besonders betroffen ist, so ist damit noch nicht darüber entschieden, daß er nicht insoweit betroffen ist, als er infolge der Schädigungsfolgen einen Einkommensverlust in der gesetzlich vorausgesetzten Höhe erleidet. Mit der Einführung des Berufsschadensausgleichs sollte den Beschädigten eine selbständige, von den übrigen Versorgungsleistungen unabhängige Entschädigung für einen durch die Schädigungsfolgen bedingten besonderen wirtschaftlichen Schaden geboten werden. Dieser Zweck würde aber vereitelt, wenn die Gewährung des Berufsschadensausgleichs unbedingt an die Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG gebunden wäre. Schon nach § 30 Abs. 3 BVG in der Fassung des 1. NOG, wonach nur erwerbsunfähige Beschädigte, die durch die Art der Schädigungsfolgen beruflich besonders betroffen waren und deshalb einen bestimmten Einkommensverlust hatten, einen Berufsschadensausgleich erhalten konnten, hat dieser Ausgleich nicht nur den Erwerbsunfähigen zugestanden, deren MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nach § 30 Abs. 2 BVG erhöht worden war, sondern gerade auch denjenigen, die wegen der Schwere ihrer Schädigung bereits ohne Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG allein aufgrund ihrer körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsunfähig waren. Diese Rechtslage hat durch die Neufassung des § 30 Abs. 3 BVG im 2. NOG keine Einschränkung in der Weise erfahren, daß vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an (1. Januar 1964) die Gewährung des Berufsschadensausgleichs von einer Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nach § 30 Abs. 2 BVG abhängig wäre; sie ist vielmehr noch dadurch verbessert worden, daß nunmehr auch schon Schwerbeschädigte einen Berufsschadensausgleich erhalten können, daß das Mindestmaß des Einkommensverlustes von monatlich 100,- DM auf 75,- DM herabgesetzt wurde, daß ferner der Ausgleich von 3/10 auf 4/10 des Einkommensverlustes und der Höchstbetrag von 300,- DM auf 400,- DM erhöht wurden.

Eine Abhängigkeit der Entscheidung über den Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 BVG von einer vorherigen Erhöhung der MdE gemäß § 30 Abs. 2 BVG ergibt sich entgegen der Auffassung des LSG auch nicht aus § 30 Abs. 3 BVG idF des 3. NOG, die am 1. Januar 1967 in Kraft getreten ist. Danach erhalten Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen gemindert ist (Einkommensverlust), nach Anwendung des Abs. 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 4/10 des auf volle Deutsche Mark aufgerundeten Einkommensverlustes, jedoch höchstens 500,- DM monatlich. In dieser Fassung sind gleichzeitig mit der Aufhebung der Mindestgrenze von 75,- DM monatlich und der Erhöhung des Höchstbetrages des Berufsschadensausgleichs auch die Worte "beruflich insoweit betroffen ist" gestrichen worden. Der Wegfall dieser Worte stellt jedoch nur klar, daß der Berufsschadensausgleich wie bisher unabhängig davon zu gewähren ist, ob die MdE des Beschädigten wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach § 30 Abs. 2 BVG erhöht worden ist oder nicht. Die in dieser Fassung wie vorher in der Fassung des 2. NOG verwandten Worte "nach Anwendung des Abs. 2" haben die gleiche Bedeutung wie vorher und lassen, wie bereits dargelegt, nicht den Schluß zu, daß die Entscheidung über den Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 BVG die Erhöhung der MdE wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach § 30 Abs. 2 BVG voraussetzt.

Die gegenteilige Rechtsauffassung des LSG kann auch nicht auf die Entscheidung des BSG vom 27. Juni 1967 - 9 RV 188/66 - (vgl. BSG in SozR SGG § 77 Nr. 22) gestützt werden, die sachlich und rechtlich völlig anders liegt und Bescheide mit mehreren Verfügungen betrifft, von denen die eine die Grundlage für die andere bildet. Soweit in Verbindung mit § 30 Abs. 2 oder Abs. 3 BVG über eine besondere berufliche Betroffenheit entschieden wird, handelt es sich um selbständige, ihrem Inhalt nach verschiedene Voraussetzungen, die nicht in der Weise miteinander verknüpft sind, daß mit der Verneinung einer besonderen beruflichen Betroffenheit i. S. des § 30 Abs. 2 BVG der Entscheidung über den Berufsschadensausgleich nach Abs. 3 von vornherein die Grundlage entzogen wäre.

Ist die Entscheidung über den Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 BVG aber nicht von der vorherigen Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 abhängig, so durfte das LSG den Anspruch auf Berufsschadensausgleich nicht mit der Begründung versagen, daß die rechtsverbindliche Ablehnung der Erhöhung der MdE mangels besonderer beruflicher Betroffenheit i. S. des § 30 Abs. 2 BVG die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs grundsätzlich ausschließe.

Unter diesen Umständen erübrigen sich Erörterungen darüber, daß auch im Wege eines Zugunstenbescheides gemäß § 40 Abs. 1 VerwVG die MdE nicht gemäß § 30 Abs. 2 BVG habe erhöht werden können, weil der Beklagte sein Ermessen insoweit nicht fehlerhaft ausgeübt habe. Zu einer Nachprüfung dieser Möglichkeit hat im übrigen auch nach dem Sachverhalt kein Anlaß bestanden. Der Kläger hatte in seinem Antrag vom 18. Juni 1964 ausdrücklich nur die neue Berechnung seiner Rente "nach § 30 Abs. 3 und Abs. 4 BVG (Berufsschadensausgleich für Beschädigte)" und im Verfahren vor dem SG die Zahlung eines Berufsschadensausgleichs unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 9 BBesG beansprucht. Demgemäß hatte sich der Beklagte in seinem Bescheid nicht mit der Erhöhung der Rente wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit, sondern nur mit dem Anspruch auf Berufsschadensausgleich befaßt, über den nach seiner auf VV Nr. 7 zu § 30 BVG gestützten Rechtsauffassung auch ohne vorherige Erhöhung der MdE gemäß § 30 Abs. 2 BVG entschieden werden konnte. Damit entfällt auch insoweit die Begründung für die Behauptung der Revision, in dem Bescheid vom 4. Februar 1966 sei auf die bindende Wirkung der früheren Bescheide nach § 30 Abs. 2 BVG verzichtet und über den Anspruch des Klägers von neuem entschieden worden.

Das LSG hat somit § 30 Abs. 3 idF des 2. und 3. NOG nicht richtig angewandt, so daß die Revision des Klägers begründet ist. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. Das LSG hat Feststellungen jedoch nur im Zusammenhang mit der Frage einer Erhöhung der MdE gemäß § 30 Abs. 2 BVG getroffen. Auch die Feststellung, daß vor allem wirtschaftliche Umstände - Rückgang des Seilergewerbes und zu geringe Zuteilung von Rohmaterial - zur Aufgabe des Seilerhandwerks im Jahre 1949 geführt hätten, und daß für die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit nicht die Schädigungsfolgen ausschlaggebend gewesen seien, bezieht sich ausdrücklich nur auf die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BVG. Diese Feststellung kann für die Entscheidung über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich auch deshalb nicht verwertet werden, weil der dafür vorausgesetzte Einkommensverlust nicht allein nach den zur Aufgabe des ursprünglich erlernten Berufs im Jahre 1949 führenden Gründen, sondern vor allem nach den Verhältnissen nach Einführung des Berufsschadensausgleichs zu beurteilen ist, und weil die vornehmlich auf nicht schädigungsbedingten Gesundheitsstörungen beruhende Berufsunfähigkeit einen Einkommensverlust wegen der Schädigungsfolgen nicht ohne weiteres ausschließt. Infolgedessen fehlen Feststellungen über die für die Entscheidung über den Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 BVG erheblichen Tatsachen. Da das LSG wegen seiner anderweitigen Rechtsauffassung in dieser Hinsicht keine Feststellungen getroffen hat, vor allem nicht darüber, ob und in welchem Umfang der Kläger durch die anerkannten Schädigungsfolgen einen Einkommensverlust erlitten hat, der unter der Herrschaft des § 30 Abs. 3 BVG idF des 2. NOG monatlich mindestens 75,- DM betragen müßte, konnte der Senat nicht abschließend entscheiden. Die Sache war daher an das LSG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2285030

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge