Entscheidungsstichwort (Thema)

Absetzungsfrist. Verwaltungsakt. Kollegialbehörde. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Kassenarztrecht. Beschwerdeverfahren. Aufhebung. Prüfungsbescheid. Beschwerdebescheid. Begründung. Frist

 

Leitsatz (amtlich)

  • Ein Bescheid des Beschwerdeausschusses in der kassenzahnärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung ist schon dann als nicht mit Gründen versehen anzusehen, wenn er den Beteiligten erst später als ein Jahr nach der Beschlußfassung zugestellt wird.
  • Bei einem Begründungsmangel des Bescheides des Beschwerdeausschusses ist im Regelfall nur dieser und nicht auch der Bescheid des Prüfungsausschusses aufzuheben.
 

Normenkette

RVO § 368n Abs. 5 S. 7; SGB V § 106 Abs. 5 S. 6; SGB X § 35 Abs. 1; ZPO §§ 516, 552; SGG §§ 78, 85 Abs. 3, § 95; GG Art. 19 Abs. 4

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 01.09.1992; Aktenzeichen L 6 Ka 3/91)

SG Kiel (Urteil vom 06.06.1990; Aktenzeichen S 8a Ka 4/88)

 

Tenor

  • Die Revisionen des Klägers und des Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 1. September 1992 werden zurückgewiesen.
  • Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers zur Hälfte.
 

Tatbestand

I

Der Kläger wendet sich gegen Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise in den Quartalen III/1985 bis I/1986. Streitig ist vor allem, ob der Beschwerdebescheid schon allein deswegen aufzuheben ist, weil er wegen verspäteter Bekanntgabe als nicht mit Gründen versehen anzusehen ist.

Bei dem seit April 1984 an der Kassenzahnärztlichen Versorgung teilnehmenden Kläger ermittelte der Prüfungsausschuß in den Abrechnungsquartalen III und IV/1985 sowie I/1986 Überschreitungen bei den durchschnittlichen Fallwerten zwischen 64,4 vH und 80,9 vH. Er kürzte den Fallwert auf den RVO-Landesdurchschnitt mit einem Zuschlag von 40 vH. Hieraus ergab sich ein Honorarkürzungsbetrag von 14.896,70 DM (Bescheid vom 11. September 1986). Der Beklagte beschloß in der Sitzung vom 5. November 1986, die Beschwerde des Klägers zurückzuweisen. Der vom Vorsitzenden und einem weiteren Mitglied des beklagten Beschwerdeausschusses unterschriebene Bescheid vom 13. Januar 1988 wurde dem Kläger am 14. Januar 1988 zugestellt.

Der Kläger hat bereits vor dem Sozialgericht (SG) geltend gemacht, der Bescheid des Beklagten sei in analoger Anwendung der §§ 134 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und 315 Abs 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) schon deshalb rechtswidrig, weil er erst ein Jahr und zwei Monate nach dem Beschluß des Beschwerdeausschusses begründet worden sei. Das SG hat die Klage auf Aufhebung des Bescheides des Beklagten und des Bescheides des Prüfungsausschusses durch Urteil vom 6. Juni 1990 abgewiesen. Die Entscheidung des Beklagten sei sachlich nicht zu beanstanden; die Rechtsprechung zur verspäteten Absetzung gerichtlicher Urteile könne auf Verwaltungsverfahren nicht übertragen werden. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG und den Bescheid des Beklagten aufgehoben (Urteil vom 1. September 1992). Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Der erst mehr als ein Jahr nach der Beschlußfassung zugestellte Beschwerdebescheid sei rechtswidrig, weil er als nicht mit Gründen versehen anzusehen sei. Der Fehler schlage allerdings nicht auf den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 11. September 1986 durch, da dort ein unheilbarer Verfahrensfehler nicht zu erkennen sei.

Gegen dieses Urteil haben Kläger und Beklagter die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Der Kläger macht geltend, das LSG habe auch den Bescheid des Prüfungsausschusses aufheben müssen, da beide Bescheide als Einheit anzusehen seien.

Der Kläger beantragt,

  • das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 1. September 1992 zu ändern und das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 6. Juni 1990 sowie den Bescheid des RVO-Prüfungsausschusses vom 11. September 1986 in der Gestalt des Bescheides des Beklagten vom 13. Januar 1988 aufzuheben;
  • die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 1. September 1992 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 6. Juni 1990 zurückzuweisen.

Der Beklagte rügt mit seiner Revision eine Verletzung der §§ 35 Abs 1 und 41 Abs 1 Nr 2, Abs 2 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) durch das Urteil des LSG.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der angefochtene Bescheid des Beklagten so zu behandeln ist, als enthielte er keine Begründung und schon aus diesem Grund der Aufhebung unterliegt.

Nach § 368n Abs 5 Satz 7 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ist für das Verfahren des Beschwerdeausschusses ua § 85 Abs 3 SGG anzuwenden. Das gilt auch nach dem hier noch nicht anzuwendenden § 106 Abs 5 Satz 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) idF des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung – Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) vom 21.12.1992 (BGBl I S 2266) –. Der Bescheid des Beschwerdeausschusses ist danach schriftlich zu erlassen, zu begründen und den Beteiligten zuzustellen. Wegen des Schriftformerfordernisses ergibt sich die Begründungspflicht auch aus § 35 Abs 1 SGB X; sie ist zudem in § 10 Abs 4 Satz 2 iVm § 9 Abs 6 Satz 2 der hier maßgebenden Verfahrensordnung für das Prüfwesen vorgeschrieben. Das LSG hat zutreffend dargelegt, daß eine fehlende Begründung bei einem die kassen(zahn)ärztliche Wirtschaftlichkeitsprüfung betreffenden Bescheid nicht nach § 42 SGB X unbeachtlich sein kann, soweit dieser – wie hier – eine Ermessensentscheidung und/oder eine Entscheidung enthält, die aufgrund eines gerichtlich nicht voll überprüfbaren Beurteilungsspielraums zu treffen ist. In einem solchen Fall kann nicht ausgeschlossen werden, daß ohne Verletzung der Verfahrensvorschrift in der Sache eine andere Entscheidung hätte getroffen werden können (vgl Laubinger, VerwArch 1981, 333, 346).

Die den Beteiligten erst ca 1 Jahr und zwei Monate nach der Beschlußfassung durch den Beschwerdeausschuß bekanntgegebene Begründung erfüllt die Anforderungen, die speziell an die Begründungspflicht eines Bescheides des Beschwerdeausschusses in der kassen(zahn)ärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung zu stellen sind, nicht.

Ein wesentliches Merkmal der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach der Methode des statistischen Vergleichs ist die Einräumung von Beurteilungs- und Ermessensspielräumen. Bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise des Kassen(zahn)arztes und insbesondere bei der Feststellung des Umfangs des unwirtschaftlichen Mehraufwandes steht dem Prüfungs- und dem Beschwerdeausschuß ein Beurteilungsspielraum und bei der Festsetzung der Höhe der Honorarkürzung oder des Schadensersatzes ein Ermessensspielraum zu (BSGE 46, 136 = SozR 2200 § 368n Nr 14; SozR 2200 § 368n Nrn 48 und 57; zum ganzen eingehend: Baader, SGb 1986, 309). Die Kontrolle der Gerichte beschränkt sich bei der Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen, denen ein Beurteilungsspielraum zugrunde liegt, darauf, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtiger und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Verwaltung die durch die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ermittelten Grenzen eingehalten und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, daß im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (vgl BSG SozR 2200 § 368n Nr 31). Eine Ermessensentscheidung der Verwaltung ist nur darauf zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten und vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG). Wegen der nur eingeschränkt möglichen gerichtlichen Überprüfung hat die Rechtsprechung, ausgehend von den allgemeinen Anforderungen an die Begründung von Ermessensentscheidungen (§ 35 Abs 1 Satz 3 SGB X), an die Begründung der die Wirtschaftlichkeitsprüfung abschließenden Entscheidung der Beschwerdeinstanz stets besondere Anforderungen gestellt (BSGE 11, 102, 116 = SozR Nr 16 zu § 144 SGG; BSGE 55, 110 ff = SozR 2200 § 368n Nr 27; BSG SozR 2200 § 368n Nrn 31 und 49). Hieraus ergeben sich auch zeitliche Grenzen für die Abfassung und Zustellung von Bescheiden des Beschwerdeausschusses. Denn die auf den Inhalt der Begründung konzentrierte gerichtliche Überprüfung setzt voraus, daß die dem Bescheid beigefügte Begründung mit dem Inhalt des von den Mitgliedern des Beschwerdeausschusses kollegial gefaßten Beschlusses übereinstimmt. Dem Bescheid kommt ebenso wie dem gerichtlichen Urteil in besonderer Weise eine Beurkundungsfunktion zu. Besteht die Gefahr, daß die Begründung des Bescheides nicht die den Beschluß tragende Meinung der Mehrheit der Ausschußmitglieder, sondern eher diejenige des Bescheidverfassers und – je nachdem ob die maßgebende Prüfungsvereinbarung dies vorschreibt – die Auffassung eines Gegenzeichners wiedergibt, so wird der Rechtsschutz der Beteiligten in einer mit Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) nicht mehr zu vereinbarenden Weise beschränkt. Die Begründung eines Bescheides, die keine Gewähr dafür bietet, daß sie das Abstimmungsergebnis im Beschwerdeausschuß und die hierfür maßgebenden Gründe verläßlich wiedergibt, ist für eine gerichtliche Überprüfung untauglich.

Eine erhebliche zeitliche Verzögerung bei der Bescheidabfassung begründet allein wegen des mit der Zeit schwindenden Erinnerungsvermögens in der Regel ernsthafte Zweifel, daß eine derartige Gewähr nicht besteht. Zwar trifft es zu, daß eine hierdurch begründete Gefährdung der Beurkundungsfunktion nicht notwendigerweise und immer durch bloßen Zeitablauf eintritt (BSG, Beschluß vom 8. Oktober 1992, 13 RJ 29/92, SozSich 1993, 30), sondern daß hierfür auch andere Faktoren maßgebend sind, wie etwa die individuellen Fähigkeiten der an der Beschlußfassung Beteiligten sowie der Schwierigkeitsgrad der Entscheidung und ihrer schriftlichen Abfassung und schließlich die Existenz schriftlicher Aufzeichnungen, die im Einzelfall eine verläßliche Wiedergabe eines auch längere Zeit zurückliegenden Beschlusses zulassen.

Die Rechtsprechung hat sich dennoch im Hinblick auf die vergleichbare Problematik bei der Frist zwischen der Verkündung und der schriftlichen Abfassung von Urteilen aus Gründen der Rechtssicherheit überwiegend für eine feste zeitliche Grenze ausgesprochen, bei deren Überschreiten von der Unzulänglichkeit des Erinnerungsvermögens auszugehen ist. Während der Bundesgerichtshof ≪BGH≫ (NJW 1987, 2446, 2447) und in neuerer Zeit das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 85, 273, 278 und NJW 1991, 310, 313) ausgehend von den Regelungen der Revisions- und der Berufungsfrist im zivilprozessualen Verfahren in den §§ 516, 552 ZPO diese Frist mit fünf Monaten bemessen, gehen das Bundessozialgericht ≪BSG≫ (BSG SozR 1750 § 551 Nr 8; BSGE 51, 122, 124; BSG NZA 1984, 332; BSG, Urteil vom 19. Dezember 1991, 12 RK 46/91; Urteil vom 19. März 1992, 12 RK 2/92 und Urteile vom 6. März 1991, 13/5 RJ 62 und 67/90), der Bundesfinanzhof ≪BFH≫ (BFHE 151, 328) und das Bundesarbeitsgericht ≪BAG≫ (BAGE 38, 55; Urteil vom 27. März 1984, 1 AZR 603/82 und Urteil vom 11. November 1992, 4 AZR 83/92) überwiegend von einer Jahresfrist aus.

Auf die unterschiedliche Bemessung der Frist kommt es hier nicht an, denn der angefochtene Bescheid ist erst mehr als 1 Jahr nach der Beschlußfassung ausgefertigt und den Beteiligten zugestellt worden. Bei einer derartigen Verspätung geht die Rechtsprechung ausnahmslos von einer Untauglichkeit des Urteils für eine revisionsgerichtliche Überprüfung aus.

Bei dem ebenfalls von einem Kollegialorgan getroffenen Beschluß im Beschwerdeverfahren der kassen(zahn)ärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung kann, ausgehend von der herausragenden Bedeutung der Beurkundungsfunktion des hier ergehenden Bescheides, nichts anderes gelten. Schon aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und der Rechtssicherheit kann die Unzulänglichkeit eines solchen Bescheides für eine nachfolgende gerichtliche Überprüfung nicht davon abhängig gemacht werden, ob im Einzelfall Anhaltspunkte erkennbar sind, die einen Rückschluß darauf zulassen, daß der Bescheid den von den Ausschußmitgliedern gefaßten Beschluß nicht zutreffend wiedergibt.

Der Notwendigkeit einer festen zeitlichen Grenze für die Absetzung des schriftlichen Bescheides des Beschwerdeausschusses kann auch nicht entgegengehalten werden, daß das SGB X – etwa bei einem nur auf Antrag des Betroffenen zu begründenden Verwaltungsakt (§ 35 Abs 3 SGB X) und bei der Heilung von Begründungsdefiziten bis zum Abschluß des Vorverfahrens (§ 41 Abs 1 Nr 2 SGB X) – davon ausgehe, daß Begründungen noch längere Zeit nach der Bescheiderteilung nachgeholt werden könnten. Diese Regelungen betreffen das Recht des Ausschusses, die zunächst beschlossene Entscheidung mit einer später beschlossenen Begründung oder Begründungsergänzung zu versehen. Sie betreffen nicht die Zeitspanne zwischen Beschlußfassung und Verlautbarung.

Der Einwand des Beklagten, daß das Verwaltungsverfahrensrecht allgemein eine derartige zeitliche Begrenzung nicht kenne, läßt die Besonderheiten des kassen(zahn)ärztlichen Prüfungsverfahrens und der hieraus resultierenden Anforderungen an die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens vor allem im Hinblick auf eine rechtsstaatlichen Grundsätzen Rechnung tragende Rechtsschutzgewährleistung außer acht.

Die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts gehen vom Regelfall des Verwaltungshandelns durch monokratisch organisierte Verwaltungsbehörden mit hierarchischer Willensbildung aus. Das Gesetz sieht nur in Teilbereichen spezielle Vorschriften für das Verwaltungsverfahren vor Kollegialbehörden vor (§§ 71, 88 ff VwVfG). Die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Regelungen werden den speziellen Anforderungen des kassen(zahn)ärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahrens, in dem Kollegialorgane mit quasijustiziellen Funktionen Verwaltungsentscheidungen treffen, nicht ohne weiteres gerecht. Das BSG (SozR Nr 5 zu § 368n RVO) hat im Hinblick auf die bei der kassenzahnärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehenden Bescheide bereits deutlich gemacht, daß an das Zustandekommen eines von einer Kollegialbehörde zu erlassenden Verwaltungsaktes besondere, vom üblichen Verwaltungsverfahren abweichende Anforderungen zu stellen sind. Die Wirksamkeit eines solchen Bescheides hängt ua von folgenden Voraussetzungen ab: der Willensbildung der Mitglieder des Kollegiums, der Beschlußfassung durch Abstimmung und der Verlautbarung des Beschlusses. Fehlt eines dieser essentiellen Elemente, so leidet der Verwaltungsakt an einem so schwerwiegenden Mangel, daß er uU nichtig ist (sa BGHZ 21, 294). Auch hieraus wird deutlich, daß die Anforderungen, die an einen von einem Kollegialorgan zu erlassenden Verwaltungsakt zu stellen sind, von den normierten Wirksamkeitsvoraussetzungen üblicher Verwaltungsakte abweichen können. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die besonderen Anforderungen wie hier aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art 19 Abs 4 GG) geboten sind.

Die an der kassen(zahn)ärztlichen Versorgung beteiligten Selbstverwaltungseinrichtungen haben in den das Prüfungsverfahren regelnden Verfahrensordnungen bzw Prüfvereinbarungen teilweise bereits eine Befristung des Zeitraums zwischen der Beschlußfassung durch den Beschwerdeausschuß und der Zustellung des Bescheides an die Beteiligten vereinbart. Die entsprechenden Regelungen haben jedoch größtenteils keinen verbindlichen Charakter. Nach § 15 Abs 1 iVm § 13 Abs 4 Satz 3 der Prüfvereinbarung zum Ersatzkassenvertrag-Zahnärzte (DÄ 87 vom 11. Oktober 1990, C – 1865) soll der Beschluß den Verfahrensbeteiligten innerhalb von zwei Monaten nach der Beschlußfassung bekanntgegeben werden; nach § 10 Abs 6 iVm § 9 Abs 6 Satz 3 der hier maßgebenden Verfahrensordnung (§ 22 Abs 6 Bundesmantelvertrag Zahnärzte ≪BMV-Zahnärzte≫ und Anlage 4 zum BMV-Zahnärzte) sind die Entscheidungen den Betroffenen möglichst innerhalb eines Monats nach der Entscheidung zuzusenden. Eine ähnliche Regelung trifft die von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Nordrhein mit den Landesverbänden der Krankenkassen vereinbarte Prüfverfahrensordnung: Nach § 28 Abs 3 ist der Beschluß des Beschwerdeausschusses den Beteiligten möglichst innerhalb von sechs Wochen nach der Beschlußfassung zuzustellen. Allein die zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Bayern und den Landesverbänden der Krankenkassen abgeschlossene Prüfvereinbarung enthält in § 10 Abs 1 Satz 2 eine zwingende Regelung. Danach ist der Bescheid spätestens drei Monate nach der Beschlußfassung auszufertigen. Soweit die gesamtvertraglichen Regelungen keinen verbindlichen Charakter haben und bei Fristüberschreitungen keine Folgen vorsehen, ist zu bedenken, daß die vereinbarten Fristen erheblich kürzer sind als die hier herangezogene Jahresfrist, die nur als äußerste zeitliche Grenze angesehen werden kann und Raum läßt für gesamtvertragliche Vereinbarungen, die kürzere Fristen vorsehen.

Die Jahresfrist leitet der Senat im übrigen nicht im Wege der Auslegung oder der Lückenfüllung aus der hier maßgebenden Verfahrensordnung des Beklagten ab. Er sieht in ihr vielmehr einen verfahrensrechtlichen Mindeststandard, der sich aus den oben dargelegten allgemeinen bundesrechtlichen Rechtsgrundsätzen ergibt. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die das Prüfungsverfahren regelnden Verfahrensordnungen oder Prüfvereinbarungen einer revisionsgerichtlichen Überprüfung zugänglich sind (vgl hierzu: BSGE 68, 93 = SozR 3-2500 § 106 Nr 3). Die Jahresfrist gilt in der Regel für die Zeit zwischen Beschlußfassung und Bekanntgabe des Beschwerdebescheides. Ob in Ausnahmefällen, etwa bei zunächst fehlgeschlagenem Versuch der schriftlichen Bekanntgabe, auf das Datum der ersten Absendung abgestellt werden kann, war hier nicht zu entscheiden. Einer nur mündlichen Verkündung des Beschwerdebescheides kann keine fristwahrende Bedeutung zukommen, weil diese den Inhalt der vom Beschwerdeausschuß gegebenen Begründung nicht verbindlich in einer gerichtlich nachprüfbaren Weise festlegt.

Die auf Aufhebung des Bescheides des Prüfungsausschusses gerichtete Revision des Klägers war zurückzuweisen. Das BSG geht in Angelegenheiten der kassenzahnärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß bei unzulänglich begründeten Bescheiden des Beschwerdeausschusses im Regelfall allein dessen Bescheid und nicht auch der vorangegangene Bescheid des Prüfungsausschusses aufzuheben ist (BSG SozR 2200 § 368n Nrn 36, 44 und 49; BSGE 62, 24, 31 = SozR 2200 § 368n Nr 48).

Die Revision begründet die Notwendigkeit der Aufhebung auch des Prüfungsbescheides im wesentlichen mit der Regelung in § 95 SGG, wonach in den Fällen, in denen ein Vorverfahren stattgefunden hat, der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, Gegenstand der Klage ist. Hieraus folge, daß der Bescheid des Prüfungsausschusses zwangsläufig Streitgegenstand sei und eine Fehlerhaftigkeit des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides auch zur Aufhebung des Erstbescheides führen müsse. Der Kläger verkennt hierbei, daß die kassenzahnärztliche Wirtschaftlichkeitsprüfung in einem besonderen Verwaltungsverfahren durchgeführt wird. Die das Vorverfahren regelnden Vorschriften des SGG sind auf das Verfahren vor den Beschwerdeausschüssen nur zu einem geringen Teil anwendbar. Zwar “gilt” das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuß nach § 368n Abs 5 Satz 8 RVO (nunmehr nach § 106 Abs 5 Satz 7 SGB V) im Hinblick auf das Vorverfahrenserfordernis des § 78 SGG als Vorverfahren und eröffnet damit den Zugang zu sozialgerichtlichem Rechtsschutz. Von den das Widerspruchsverfahren regelnden Vorschriften des SGG sind jedoch nur die §§ 84 Abs 1 und 85 Abs 3 SGG anzuwenden. Hieraus folgt zB, daß die Beschwerde zwar beim Prüfungsausschuß einzureichen ist (§ 84 Abs 1 SGG; aA Hess, in KassKom § 106 RdNr 57, der sich jedoch zu Unrecht auf die Regelung in § 368n Abs 5 Satz 5 RVO beruft), daß dieser jedoch nach § 106 Abs 5 Satz 6 SGB V nicht das Recht der Abhilfe hat, da § 85 Abs 1 SGG nicht anzuwenden ist. Schon hieraus wird deutlich, daß der Gesetzgeber von einer Eigenständigkeit des Beschwerdeverfahrens der Wirtschaftlichkeitsprüfung gegenüber dem allgemeinen Widerspruchsverfahren ausgegangen ist. Der hieraus abzuleitende Charakter des Verfahrens vor dem Beschwerdeausschuß als ein umfassendes Verwaltungsverfahren in einer zweiten Verwaltungsinstanz (BSGE 62, 24, 32) wird auch nicht dadurch in Zweifel gezogen, daß in den meisten Verfahrensordnungen zur Wirtschaftlichkeitsprüfung auf gesamtvertraglicher Grundlage ein Abhilferecht des Prüfungsausschusses vorgesehen ist. Die Kompetenz der Partner des Gesamtvertrages zu dieser von der gesetzlichen Lösung abweichenden Regelung erscheint seit dem Inkrafttreten des SGB V zweifelhaft, da ihnen seither nicht mehr das Recht zusteht, “das Verfahren vor den Ausschüssen” zu regeln. Der Senat hat bereits in anderem Zusammenhang (SozR 3-1300 § 63 Nr 4) deutlich gemacht, daß vom SGB X abweichende vertragliche Regelungen zu Lasten des Kassen(zahn)arztes nicht mehr zulässig sind. Wegen des Beschwerderechts der Krankenkassen (KKen) und der K(Z)ÄVen kann sich eine Abhilferegelung auch zu Ungunsten des Arztes auswirken.

Das Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung weist nach der Konzeption des Gesetzes damit deutliche Parallelen zum instanziellen Aufbau eines gerichtlichen Rechtsschutzverfahrens auf. Bei der revisionsgerichtlichen Entscheidung über ein Urteil der Berufungsinstanz ist zu prüfen, wie das Berufungsgericht hätte entscheiden müssen. Vergleichbar prüft das SG beim Streit über eine Wirtschaftlichkeitsprüfung, wie der Beschwerdeausschuß hätte entscheiden müssen. War der Beschwerdeausschuß ausnahmsweise rechtlich gehalten, den Prüfbescheid aufzuheben, etwa weil der nach dem SGB V erforderliche Prüfantrag fehlt, so hebt das Gericht auch den Bescheid des Prüfungsausschusses auf. Steht dem Beschwerdeausschuß ein Ermessen oder ein Beurteilungsspielraum zu, was der Regelfall ist, so darf das Gericht nicht anstelle des Beschwerdeausschusses entscheiden. Dieser hat vielmehr nach Aufhebung seiner ersten Entscheidung erneut über die Beschwerde zu entscheiden unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

Soweit das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuß mit dem Vorverfahren gleichgestellt wird, dient das in erster Linie der Eröffnung des gerichtlichen Rechtsschutzes (so auch: Hess, aaO, § 106 RdNr 57 aE). Aus § 95 SGG kann deshalb nicht abgeleitet werden, daß bei den aus der kassen(zahn)ärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung sich ergebenden Rechtsstreitigkeiten stets der Bescheid des Prüfungsausschusses in der Gestalt des Bescheides des Beschwerdeausschusses Gegenstand des Rechtsstreits ist.

Dem Kläger ist allerdings zuzugestehen, daß formal gesehen eine Einschränkung des Rechtsschutzes eintritt. Der von ihm mit der Beschwerde angefochtene, vermeintlich rechtswidrige und ihn in seinen Rechten beeinträchtigende Bescheid des Prüfungsausschusses wird nicht Gegenstand der Klage. Er unterliegt nur mittelbar im Rahmen der Klage gegen den Beschwerdebescheid der gerichtlichen Kontrolle. Das Verfahren verstößt dennoch nicht gegen Art 19 Abs 4 Satz 1 GG, denn der Prüfbescheid wird zwar nur mittelbar, aber dennoch in vollem Umfang vom Gericht überprüft. Der Kläger erfährt dadurch hinreichenden Rechtsschutz, daß er die nach der “Rückverweisung an den Beschwerdeausschuß” ergehende Verwaltungsentscheidung jederzeit erneut gerichtlich überprüfen lassen kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Dabei hat der Senat dessen Absatz 4 in der vor dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung angewandt (vgl hierzu Urteil vom 21. April 1993 – 14a RKa 6/92 –).

 

Fundstellen

NJW 1994, 3039

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge