Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatzkasse. Satzung. Anspruch auf Krankengeld. Beitragspflicht. Solidaritätsprinzip

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Ersatzkasse darf in ihrer Satzung bestimmen, daß für nichtversicherungspflichtige Mitglieder Beiträge zur Krankenversicherung auch während des Anspruchs auf Krankengeld zu zahlen sind.

 

Orientierungssatz

1. Paragraph 383 RVO gilt nicht für Ersatzkassen.

2. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, daß eine Belastung von Krankengeld mit Beiträgen ausgeschlossen ist. Die angefochtene Satzungsbestimmung einer Ersatzkasse verletzt nicht den Solidaritätsgrundsatz. Das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung knüpft an eine - im Vergleich zur Versicherungspflicht - geringere Schutzbedürftigkeit an.

 

Normenkette

SVAufbauV 12 Art 2 § 4 Abs 2; RVO § 383 S 1 Fassung: 1974-08-07, § 507 Fassung: 1977-06-27, § 508 Fassung: 1970-12-21

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 04.07.1984; Aktenzeichen L 9 Kr 34/83)

SG Berlin (Entscheidung vom 07.04.1983; Aktenzeichen S 75 Kr 149/81)

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu Krankenversicherungsbeiträgen für die Zeit des Krankengeldbezuges.

Der 1926 geborene und als Rechtsbeistand selbständig erwerbstätige Kläger ist seit 1958 Mitglied der Beklagten. In der Zeit vom 3. August 1978 bis zum 30. September 1979 war er arbeitsunfähig erkrankt und bezog ab 24. August 1978 satzungsgemäß Krankengeld von der Beklagten. Diese Leistungen belastete die Beklagte mit monatlichen Beiträgen zur Krankenversicherung. Noch während des Leistungsbezuges wandte sich der Kläger gegen die Beitragsentrichtung und begehrte die Erstattung unter Bezugnahme auf § 383 der Reichsversicherungsordnung -RVO- (Schreiben vom 9. September 1980). Mit Bescheid vom 17. November 1980 und Widerspruchsbescheid vom 11. März 1981 lehnte die Beklagte das Begehren unter Berufung auf § 9 Abs 12 ihrer Versicherungsbedingungen ab. Auch Klage und Berufung des Klägers blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. April 1983; Urteil des Landessozialgerichts Berlin -LSG- vom 4. Juli 1984). Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt, die Bestimmung des § 9 Abs 12 iVm § 7 Abs 7 der Versicherungsbedingungen, wonach bei versicherungsberechtigten Selbständigen und Angehörigen freier Berufe für die Dauer eines Krankengeldbezuges (richtig: des Anspruchs auf Krankengeld) keine Beitragsfreiheit besteht, sei nicht zu beanstanden. Die Satzungsautonomie der Beklagten sei nicht durch § 383 RVO begrenzt. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes liege nicht bereits vor, wenn der Kläger anders als versicherungspflichtige Selbständige behandelt werde. Für die Differenzierung gegenüber Arbeitnehmern sprächen sachliche Gründe, denn beim Selbständigen bestehe kein derart unmittelbares Verhältnis zwischen Einsatz der Arbeitskraft und Erzielung von Einkünften aus Erwerbstätigkeit wie beim Arbeitnehmer. In der Beitragsfreiheit während Krankengeldbezuges könne kein allgemein zu beachtendes Strukturprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung erblickt werden.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger die - vom Senat zugelassene - Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts, den Verstoß gegen Denkgesetze sowie die Verletzung des von der Verfassung garantierten Gleichheitsgrundsatzes und des Schutzes des Eigentums (Art 3 und 14 des Grundgesetzes -GG-). Das LSG habe übersehen, daß bei dem Ein-Mann-Betrieb des Klägers das Einkommen mit der Tätigkeit bzw Untätigkeit dieser Person stehe oder falle. In der gleichen Beitragsklasse zahle zB ein Versicherter der Kaufmännischen Krankenkasse Halle (KKH) einen geringeren monatlichen Beitrag und genieße Beitragsfreiheit ab dem 22. Krankheitstag. Ein KKH-Versicherter habe bei Arbeitsunfähigkeit vom 1. Januar 1984 bis zum 31. Dezember 1984 nur für die nicht beitragsfreien ersten 21 Tage der Krankheit einen Beitrag in Höhe von rund DM 338,- zu zahlen; demgegenüber müsse ein Mitglied der Beklagten für dieses Jahr insgesamt DM 6.252,an Beiträgen entrichten. Diese Ungleichbehandlung sei sachlich nicht gerechtfertigt. Es müßten auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vielmehr bei vergleichbaren Verhältnissen die Aussichten auf die Leistung annähernd gleich sein. Hinsichtlich der Leistungshöhe wirke sich der Unterschied dahingehend aus, daß ein KKH-Versicherter bei geringeren Beiträgen im Monat DM 3.690,- Krankengeld beziehe, während der Versicherte der Beklagten wegen der Beitragsentrichtung nur DM 3.169,- erhalte. Die Satzung der Beklagten verstoße außerdem gegen den Hauptgrundsatz der Sozialversicherung: Beitragsfreiheit im Leistungsfall. Der Hinweis der Beigeladenen, daß der Kläger nicht genötigt gewesen sei, sich bei der Beklagten freiwillig weiter zu versichern, sei falsch; der Kläger habe 1968 die Weiterversicherung bei der Beklagten, bei der er zunächst pflichtversichert gewesen sei, vornehmen müssen, da die Allgemeine Ortskrankenkasse Berlin zu diesem Zeitpunkt noch keinen Tarif für Weiterversicherte mit Krankengeldanspruch geführt habe. Im übrigen beschränke § 238 RVO das Wahlrecht. Hingegen enthalte § 383 RVO keine Beschränkung der Vergünstigung nur auf Pflichtversicherte. Eine - hiervon abweichende - Sonderregelung für die Beklagte sei unzulässig und verstoße gegen die Art 3 und 20 GG. Mit der Beitragsforderung während des Krankengeldbezuges greife die Beklagte zudem zu Unrecht in den Eigentums- und Besitzstand des Klägers ein. Sein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch sei ebenfalls Eigentum in diesem Sinne.

Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 4. Juli 1984 - L 9 Kr 34/83 - und des Sozialgerichts Berlin vom 7. April 1983 - S 75 Kr 149/81 - den Bescheid der Beklagten vom 17. November 1980 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. März 1981 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die in der Zeit vom 24. August 1978 bis zum 30. September 1979 entrichteten Beiträge zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 4. Juli 1984 zurückzuweisen.

Sie trägt im wesentlichen vor, auch bei sogenannten Ein-Mann-Betrieben habe die Arbeitsunfähigkeit eines selbständig Tätigen nicht in aller Regel einen sofortigen vollständigen Einkommensverlust zur Folge, zumal er je nach Schwere der Krankheit sein Gewerbe auch weiter ausüben könne. Der Kläger könne sich nicht auf das Solidaritätsprinzip berufen, sondern müsse sich seine Versicherung "kaufen"; er sei auch zur Versicherung bei der Beklagten nicht genötigt. Aus den §§ 504 ff RVO leite sich keine Bindung der Beklagten an § 383 RVO ab. Verfassungsnormen seien nicht verletzt, wobei der Kläger übersehe, daß seine Personengruppe gegenüber den Arbeitnehmern begünstigt sei; versicherungsberechtigte Selbständige und Angehörige freier Berufe, die mit Anspruch auf Krankengeld versichert seien, hätten nach den satzungsrechtlichen Vorschriften der Beklagten einen Anspruch auf Krankengeld bereits vom 22. Tag der Arbeitsunfähigkeit an, der auch nicht durch Ruhensvorschriften wie in § 189 RVO, § 15 Abs 13 der Versicherungsbedingungen der Beklagten belastet sei. Der erforderliche Mehraufwand für die Gruppe der Selbständigen dürfe nicht den pflichtversicherten und freiwillig versicherten Arbeitnehmern aufgelastet werden. Soweit der Kläger eine Differenzierung zwischen dem Ein-Mann-Betrieb und solchen Betrieben wünscht, die über mehrere Arbeitnehmer verfügen, so daß im Falle der Arbeitsunfähigkeit Einkommenseinbußen nicht entstehen, verweist die Beklagte auf die eben genannten Vorschriften; bei Selbständigen in größeren Betrieben, die im Krankheitsfall keinen Einkommensverlust zu beklagen hätten, seien die Ruhensvorschriften zu beachten.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie führt im wesentlichen aus, der Gesetzgeber habe den Selbständigen, zu denen der Kläger gehöre, keine besondere Schutzbedürftigkeit zuerkannt; folgerichtig könne dieser sich nicht unter Berufung auf das Solidaritätsprinzip im Beitragsrecht von der Beitragspflicht ausnehmen. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit Mitgliedern anderer Ersatzkassen bestehe wegen des satzungsrechtlichen Gestaltungsrechts der verschiedenen Versicherungsträger nicht. Es bleibe jedem Versicherten überlassen, im Rahmen der zugelassenen Wahlmöglichkeiten die für ihn günstigsten Bedingungen auszuwählen; ein solches Recht bestehe nicht nur im Zeitpunkt des (ersten) Beitritts zu einer Kasse, sondern auch nach Beginn der Versicherung. Die Beigeladene habe der Beklagten auch nicht ein Satzungsrecht zugestanden, das sie anderen Ersatzkassen nicht eingeräumt habe; diese Kassen hätten vielmehr im Rahmen ihrer Gestaltungsfreiheit im Bereich der freiwilligen Versicherung von der Einführung vergleichbarer Regelungen abgesehen.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Beklagte durfte in ihrer Satzung bestimmen, daß für nichtversicherungspflichtige (versicherungsberechtigte) Mitglieder Beiträge zur Krankenversicherung auch während des Anspruchs auf Krankengeld zu zahlen sind.

Für das Beitragsrecht der Ersatzkassen gilt - wie das BSG schon früher entschieden hat (BSGE 25, 195, 196 f) - Art 2 § 4 Abs 2 der 12. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 1537) idF der 15. Verordnung vom 1. April 1937 (RGBl I 439). Dort heißt es: "Für die Versicherung nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht gelten die Bestimmungen der Satzung."

Hieran hat sich, wie der erkennende Senat mit Urteilen vom selben Tage bereits entschieden hat (Urteile vom 19. Juni 1986 - 12 RK 7/85 und 12 RK 28/85 -), nichts geändert. Im einzelnen wird auf diese Urteile verwiesen. Die Ersatzkassen sind allerdings an gesetzliche Vorschriften, die auch für Ersatzkassen gelten, gebunden (BSG SozR 2200 § 511 Nr 1 mwN). Solche Vorschriften bestehen hier jedoch nicht. § 383 RVO, der für die gesetzlichen Krankenkassen (§ 225 RVO) bestimmt, daß Beiträge während des Anspruchs auf Krankengeld nicht zu entrichten sind, gilt nicht für Ersatzkassen (so schon RVA 29. Oktober 1942 EuM 50, 80, 82 f).

Die §§ 504 ff RVO enthalten keine Verweisung auf § 383 RVO. Insbesondere ist diese nicht in den §§ 507, 514 RVO enthalten. Die Regelungen des § 507 Abs 1 bis 3 RVO betreffen nur die versicherungspflichtigen Mitglieder; das Gebot, den Versicherungspflichtigen die Leistungen nicht mehr als bei den Krankenkassen (§ 225) zu kürzen (§ 507 Abs 2 Satz 1 RVO), könnte zwar zu der Überlegung führen, daß auch eine Belastung des Krankengeldes mit Beiträgen ausgeschlossen ist. Diese Schutzvorschrift gilt jedoch - wie der Wortlaut klar erkennen läßt - nicht für die versicherungsberechtigten Mitglieder (vgl auch Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 507 Anm 4 und passim). § 507 Abs 4 RVO, welcher auch für die versicherungsberechtigten Ersatzkassenmitglieder gilt, erwähnt § 383 nicht. Das hängt - wie Peters aa0 ausführt - offenkundig damit zusammen, daß § 507 RVO die Leistungen betrifft, § 383 RVO aber dem Beitragsrecht angehört.

§ 508 Satz 2 RVO, der vorschreibt, daß für den Beginn des Krankengeldes und seine Höhe die für die Krankenkassen geltenden Vorschriften maßgebend sind, steht ebenfalls nicht entgegen. Erstens bezieht sich diese Vorschrift nur auf die Leistung selbst. Sie schließt Gestaltungen im Rahmen des hiervon unabhängigen Beitragsrechts, die das Krankengeld mittelbar belasten, nicht aus. Das Gesetz unterscheidet sorgfältig zwischen den Regelungen des Leistungsrechts und des Beitragsrechts, woraus zu schließen ist, daß die leistungsrechtlichen Regelungen sich ausschließlich auf die Leistungsgewährung selbst beziehen. Zweitens gilt aber § 508 Satz 2 RVO auch nur für die Versicherungspflichtigen (vgl Peters, aaO, § 508 Anm 2a unter Hinweis auf einen Erlaß des RAM in EuM 29, 109). Dies steht im Einklang mit § 507 Abs 2 RVO, der ausdrücklich hervorhebt, daß Versicherungspflichtigen die Leistungen nur im gleichen Umfang wie bei den Krankenkassen (§ 225) gekürzt werden dürfen.

Der bisherigen Rechtsprechung ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Das Urteil des erkennenden Senats vom 16. April 1985 (- 12 RK 9/84 - SozR 2200 § 311 Nr 18), in dem die Anwendbarkeit von § 383 RVO auch auf Ersatzkassenmitglieder bejaht wurde (aaO S 16), betraf ein versicherungspflichtiges Mitglied einer Ersatzkasse. Der 3. Senat des BSG hat bei einer ähnlichen Problematik (Anwendbarkeit von § 189 Abs 1 RVO auf nichtversicherungspflichtige Mitglieder von Ersatzkassen) dessen Anwendbarkeit kraft Gesetzes offengelassen und die Anwendbarkeit aus einem besonderen Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 15. Dezember 1939 gefolgert (BSGE 33, 69, 71).

Auch aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen läßt sich nichts anderes ableiten. Der erkennende Senat hat bereits in anderem Zusammenhang hervorgehoben, daß das versicherte Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich beitragspflichtig ist und nur ausnahmsweise bei Bestehen einer ausdrücklichen Vorschrift beitragsfrei (Urteil vom 27. November 1984 - 12 RK 17/83 - USK 84133; s ferner SozR 2200 § 311 Nr 18). Es gibt auch keinen allgemeinen Grundsatz, daß eine Belastung von Krankengeld mit Beiträgen ausgeschlossen ist. Hiergegen sprechen bereits die in neuerer Zeit eingeführten §§ 1385b RVO, 112b des Angestelltenversicherungsgesetzes, 186 des Arbeitsförderungsgesetzes, die das Krankengeld mit Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung belasten.

Der Hinweis des Klägers auf Unterschiede zu den Satzungen anderer Ersatzkassen greift nicht durch. Die Zubilligung der Satzungsautonomie an die Ersatzkassen hat zwangsläufig unterschiedliche Gestaltungen zur Folge. Ein verfassungsrechtliches Gebot der einheitlichen Regelung unter Aufgabe der gegliederten Krankenversicherung und der Freiräume der Selbstverwaltung im Beitragsrecht besteht nicht (vgl ua BSGE 58, 134). Ebenso ist nicht ersichtlich, wieso der Kläger gehindert gewesen sein sollte, die Kasse zu wechseln.

Die angefochtene Satzungsbestimmung der Beklagten verletzt auch nicht den Solidaritätsgrundsatz. Das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung knüpft an eine - im Vergleich zur Versicherungspflicht - geringere Schutzbedürftigkeit an (vgl Bley, Sozialrecht, 5. Aufl, S 169). Stärker als der Solidaritätsgrundsatz kommt in diesen Fällen das Versicherungsprinzip zum Tragen, welches den Fortbestand des Versicherungsverhältnisses an die Weiterzahlung der Beiträge anknüpft.

Die Revision konnte deshalb keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662183

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