Leitsatz (amtlich)

1. Der Träger der Unfallversicherung hat nach RVO § 1504 der KK auch solche Leistungen zu ersetzen, die diese aufgrund ihrer Satzung - als Mehrleistung - erbracht hat.

2. Der Anspruch auf Krankengeld ruht nach RVO § 189 Abs 1 S 1 auch dann, wenn dem Versicherten während der Krankheit Arbeitsentgelt ohne rechtliche Verpflichtung fortgezahlt wird.

3. RVO § 189 Abs 1 S 1 gilt nach dem RAMErl 1939-12-15 (AN 4 554) auch für weiterversicherte Ersatzkassenmitglieder.

 

Leitsatz (redaktionell)

Ruhen des Krankengeldanspruchs nach RVO § 189:

Der Begriff des Arbeitsentgelts in RVO § 189 Abs 1 ist mit dem in RVO § 160 normierten Entgeltbegriff identisch.

 

Orientierungssatz

Zum Begriff "Arbeitsentgelt" iS von RVO § 189 Abs 1 S 1.

 

Normenkette

RVO § 189 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1930-07-26, § 1504 Fassung: 1963-04-30; RAMErl 1939-12-15; RVO § 160

 

Tenor

Die Revision der beklagten Ersatzkasse gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. Februar 1968 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die klagende Berufsgenossenschaft (BG) fordert von der beklagten Ersatzkasse (ErsK) die Erstattung eines Betrages, den sie der Beklagten als Ersatz für von dieser gewährtes Krankengeld gezahlt hat.

Einem nichtversicherungspflichtigen Mitglied der Beklagten (K Oe.) hatte der Arbeitgeber (AEG) nach einem Arbeitsunfall des Oe. am 20. Oktober 1964 das Gehalt für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit, d.h. bis zum 1. Dezember 1964, aufgrund rechtlicher Verpflichtung, für den Rest des Monats Dezember 1964 (2. bis 31.) freiwillig weitergezahlt. Daneben hatte ihm die Beklagte für die zuletzt genannte Zeit Krankengeld in Höhe von 630 DM gewährt, weil nach ihren Versicherungsbedingungen der Anspruch auf Krankengeld für nichtversicherungspflichtige Mitglieder nur ruht, "solange ... der Arbeitgeber zur vollen Gehaltszahlung während der Arbeitsunfähigkeit verpflichtet ist". Die Klägerin (als die für den Arbeitsunfall entschädigungspflichtige BG) hat der Beklagten das von dieser gezahlte Krankengeld zunächst nach § 1504 RVO ersetzt, es später jedoch wieder zurückgefordert, nachdem sie erfahren hatte, daß der Versicherte neben dem Krankengeld das volle Gehalt weiterbezogen hatte. Die Klägerin hält die angeführte Bestimmung der Versicherungsbedingungen für unvereinbar mit § 189 Abs. 1 RVO, der bei Bezug von Arbeitsentgelt zwingend das Ruhen des Krankengeldanspruchs vorsehe; diese Vorschrift gelte nach einem Erlaß des früheren Reichsarbeitsministers (RAM) vom 15. Dezember 1939 auch für Weiterversicherte. Das mithin von der Beklagten zu Unrecht gezahlte Krankengeld habe sie nicht zu ersetzen brauchen.

Die Vorinstanzen haben die Erstattungsklage für begründet gehalten; nach Ansicht des LSG gilt der genannte Erlaß des RAM auch für weiterversicherte Ersatzkassenmitglieder (Urteil vom 13. Februar 1968).

Die Beklagte hat die zugelassene Revision eingelegt: Entgegen der Annahme des LSG sei der Erlaß auf weiterversicherte Ersatzkassenmitglieder nicht anwendbar, deren Versicherung richte sich vielmehr allein nach der Satzung der Ersatzkasse. Im übrigen habe Oe. während der streitigen Zeit kein Arbeitsentgelt erhalten, seine Bezüge seien ihm "allein aus Wohlwollen" des Arbeitgebers, d.h. als Schenkung, weitergewährt worden. Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil, insbesondere die Ausführungen des LSG über die Geltung des genannten RAM-Erlasses für weiterversicherte Ersatzkassenmitglieder für zutreffend; von einer Schenkung des Arbeitgebers könne keine Rede sein, das Gehalt sei Oe. als einem "altverdienten, langjährigen Angestellten" weitergezahlt worden.

Soweit die Beklagte vor dem LSG widerklagend den Ersatz eines weiteren, im Auftrage der Klägerin an Oe. gezahlten Betrages (Unterschied zwischen Krankengeld und Verletztengeld) von der Klägerin verlangt hat, ist der Rechtsstreit von den Beteiligten nicht fortgeführt worden, nachdem das LSG der Beklagten den verlangten Betrag zugesprochen hat.

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat sie mit Recht für verpflichtet gehalten, der Klägerin den streitigen Betrag zu erstatten.

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die klagende BG - als der für die Entschädigung des fraglichen Arbeitsunfalls zuständige Träger der Unfallversicherung - der beklagten ErsK nach § 1504 Abs. 1 RVO diejenigen Aufwendungen an Krankengeld zu ersetzen hat, die der Beklagten nach Ablauf des 18. Tages nach dem Arbeitsunfall aufgrund gesetzlicher oder satzungsmäßiger Verpflichtung entstanden sind: § 1504 RVO nimmt von der Ersatzverpflichtung nur einzelne, gegenständlich bestimmte Leistungen des Trägers der Krankenversicherung (Sterbegeld, Kosten der Krankenpflege) aus, beschränkt den Kostenersatz jedoch nicht auf die unmittelbar auf Gesetz beruhenden Regelleistungen (§ 179 Abs. 2 RVO). Zu ersetzen sind dem Krankenversicherungsträger deshalb auch Leistungen, die er aufgrund seiner Satzung - als Mehrleistung (§ 179 Abs. 3 RVO) - erbracht hat (vgl. Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Auflage, § 1504, Anm. 10 a und g). Dabei wird indessen vorausgesetzt, daß die Leistung aufgrund einer gültigen Satzungsbestimmung erbracht worden ist. Das trifft, wie das LSG richtig entschieden hat, für die fraglichen Krankengeldzahlungen der Beklagten nicht zu.

Nach den Versicherungsbedingungen der Beklagten ruht für die nichtversicherungspflichtigen Mitglieder bestimmter Klassen, zu denen auch Oe. gehörte, der Anspruch auf Krankengeld nur, "solange aufgrund gesetzlicher Vorschriften, Arbeitsverträge oder Tarife der Arbeitgeber zur vollen Gehaltszahlung während der Arbeitsunfähigkeit verpflichtet ist" (Abschnitt G, Leistungen, Nr. 5 Abs. 2 der seinerzeit maßgebenden Fassung = Nr. 3 der gegenwärtigen Fassung). Wäre diese Bestimmung gültig, dann würde der Anspruch auf Krankengeld nicht ruhen, solange der Arbeitgeber das volle Gehalt zahlt, ohne dazu verpflichtet zu sein, wie es im vorliegenden Fall für die streitige Zeit (2. bis 31. Dezember 1964) geschehen ist. Die Bestimmung verstößt jedoch gegen zwingendes Gesetzesrecht, nämlich gegen § 189 Abs. 1 Satz 1 RVO. Danach ruht der Anspruch auf Krankengeld stets, wenn und soweit der Versicherte während der Krankheit Arbeitsentgelt erhält. Unerheblich ist dabei, ob das Arbeitsentgelt aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung oder ohne eine solche gezahlt wird; ausreichend - allerdings auch erforderlich - ist der tatsächliche Bezug von Arbeitsentgelt (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Auflage, § 189 RVO, Anm. 2 g).

Ob § 189 Abs. 1 Satz 1 RVO auch für Kassenmitglieder gilt, die nicht der Versicherungspflicht unterliegen, insbesondere für Weiterversicherte, ist in der RVO nicht ausdrücklich geregelt und zunächst umstritten gewesen. So hat das ehemalige Reichsversicherungsamt (RVA) die Vorschrift in mehreren Entscheidungen, die Ersatzkassen betrafen, bei Weiterversicherten nicht für anwendbar gehalten (vgl. Grundsätzliche Entscheidung Nr. 5246, AN 1938, IV 517; Die Ersatzkasse 1940, 56). Wenig später hat jedoch der frühere Reichsarbeitsminister (RAM) in einem Erlaß vom 15. Dezember 1939, der auf § 9 Satz 2 der Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung vom 13. Februar 1939 gestützt war, bestimmt, daß § 189 RVO auch für Weiterversicherte gilt (AN 1939, IV 554; schon in einem Erlaß vom 7. Februar 1939 hatte er keine Bedenken dagegen erhoben, daß die Krankenversicherungsträger § 189 Abs. 1 Satz 1 RVO auf Weiterversicherte weiterhin anwenden, AN 1939, IV 78).

Daß der - inhaltlich als eine Rechtsverordnung anzusehende - Erlaß vom 15. Dezember 1939 wirksam zustande gekommen und nach wie vor rechtsverbindlich ist, hat der Senat bereits entschieden (BSG 12, 157; 14, 104, 110). Das LSG ist dieser Rechtsprechung gefolgt und hat ferner angenommen, der genannte Erlaß gelte auch für weiterversicherte Ersatzkassenmitglieder. Dem ist beizutreten. Dafür spricht neben dem Wortlaut des Erlasses und seinen Adressaten - von einer Beschränkung auf Weiterversicherte der Pflichtkrankenkassen ist nicht die Rede, als Adressaten sind ua alle Träger der Krankenversicherung genannt, zu denen auch die Ersatzkassen gehören - vor allem der enge zeitliche Zusammenhang mit den genannten Entscheidungen des RVA; dieser Zusammenhang legt den Schluß nahe, in dem Erlaß eine Reaktion auf die - vom Verordnungsgeber offenbar nicht gebilligte - Rechtsprechung des RVA zu sehen. Würde man den Erlaß im übrigen auf Ersatzkassen nicht anwenden, hätte er praktisch kaum Bedeutung, da die Frage, inwieweit die Gewährung von Arbeitsentgelt bei Weiterversicherten den Krankengeldanspruch ruhen läßt, nur für die - ganz überwiegend bei den Ersatzkassen weiterversicherten - Angestellten einer Regelung bedurfte.

Ob die Ruhensvorschrift des § 189 Abs. 1 RVO auch dann, wenn der RAM-Erlaß sie zunächst nur auf weiterversicherte Mitglieder von Pflichtkrankenkassen übertragen hätte, für die Ersatzkassen über § 508 Satz 2 RVO gelten würde ("Für den Beginn des Krankengeldes und seine Höhe sind die für die Krankenkassen geltenden Vorschriften maßgebend"), kann unentschieden bleiben (vgl. einerseits Bescheid des RVA vom 5. September 1942, EuM 50, 137; andererseits Tietze, Die Ersatzkasse 1956, 189, 191, der auf die Anführung des § 189 Abs. 1 in der Vorschrift des § 507 Abs. 1 RVO aF verweist, die sich ausdrücklich nur auf versicherungspflichtige Ersatzkassenmitglieder bezog). Der Erlaß vom 15. Dezember 1939 gilt, wie ausgeführt, nach Wortlaut, Zweck und Entstehungsgeschichte unmittelbar, nicht erst über § 508 RVO, auch für weiterversicherte Ersatzkassenmitglieder (ebenso im Ergebnis Peters, aaO, § 189 Anm. 2a; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-7. Auflage, S. 434 b). Die Ersatzkassen dürfen daher für ihre weiterversicherten Mitglieder keine von § 189 Abs. 1 RVO abweichende Satzungsbestimmungen treffen; insofern erleidet der Grundsatz, daß für die Versicherung von Ersatzkassenmitgliedern nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht die Bestimmungen der Satzung gelten (§ 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-VO vom 24. Dezember 1935, RGBl I 1537), eine Ausnahme. Auch die fragliche Satzungsbestimmung der Beklagten ist hiernach ungültig, soweit sie - entgegen § 189 Abs. 1 RVO - die Zahlung von Krankengeld neben der von Arbeitsentgelt nicht ausschließt.

Der Begriff des Arbeitsentgelts ist dabei im gleichen Sinne wie im Beitragsrecht zu verstehen. Ob bestimmte vom Arbeitgeber geleistete Zahlungen Arbeitsentgelt sind, hängt deshalb - seit der Bindung des Beitragsrechts an das Steuerrecht - von ihrer lohnsteuerrechtlichen Beurteilung ab (Gemeinsamer Erlaß des Reichsministers für Finanzen und des RAM vom 10. September 1944, AN 1944, II 281, Abschnitt 1; SozR Nr. 4 zu § 160 RVO). Nach § 2 Abs. 1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung, dessen Fassung sich seit dem letzten Krieg nicht geändert hat, sind Arbeitslohn alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis zufließen (Satz 1); dabei ist es gleichgültig, ob es sich um einmalige oder laufende Einnahmen handelt, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht und unter welcher Bezeichnung oder Form sie gewährt werden (Satz 3; vgl. auch § 2 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 3, wonach zum Arbeitslohn auch Gratifikationen und Zuschüsse bei Krankheit gehören). Daß im vorliegenden Fall die Arbeitgeberin (AEG) das volle Gehalt nach Ablauf der ersten sechs Krankheitswochen freiwillig weitergezahlt hat, schließt mithin nicht aus, die Zahlungen als Entgelt im steuer- und damit auch versicherungsrechtlichen Sinne anzusehen. Entscheidend ist allein, ob es sich um Bezüge "aus dem Dienstverhältnis", d.h. um Bezüge gehandelt hat, die in einem inneren Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis gestanden haben, ohne dieses also nicht gewährt worden wären. An einem solchen Zusammenhang kann hier trotz der Freiwilligkeit der Zahlungen kein Zweifel sein, wie sich auch daraus ergibt, daß die AEG der Klägerin in einem Schreiben vom 26. August 1965 bestätigt hat, daß sie ihrem "altverdienten, langjährigen Angestellten das volle Gehalt bis 31.12.1964 freiwillig weitergezahlt" habe.

Hat die beklagte Ersatzkasse somit für die streitige Zeit, für die Oe. noch Arbeitsentgelt von der Arbeitgeberin erhalten hat (2. bis 31. Dezember 1964), zu Unrecht Krankengeld gezahlt, so hatte sie wegen dieser Zahlungen keinen Anspruch auf Ersatz gegen die Klägerin nach § 1504 RVO. Der von der Klägerin dennoch - unter falschen tatsächlichen Voraussetzungen - geleistete Ersatz ist ihr nach den Grundsätzen des öffentlichen Rechts über die Erstattung von Überzahlungen zurückzuzahlen (zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch vgl. BSG 31, 23, 29 mit weiteren Nachweisen). Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 69

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge