Leitsatz (amtlich)

Gewährt eine Ersatzkasse ihren freiwillig weiterversicherten Mitglied, deren Einkommen die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteigt, nach ihrer Satzung bei Inanspruchnahme ärztlicher (zahnärztlicher) Behandlung Kostenerstattung in bestimmter Höhe, so haben diese Mitglieder keinen Anspruch auf freie vertragsärztliche (vertragszahnärztliche Behandlung) ("Behandlung auf Krankenschein").

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Bindungswirkung eines Bescheides, den eine Ersatzkasse über den Umfang der einem Mitglied zustehenden Versicherungsleistungen erteilt hat, entfällt bei einer wesentlichen Veränderung der Verhältnisse, sei es des zugrunde liegenden Sachverhalts, sei es der für die Beurteilung dieses Sachverhalts maßgeblichen Rechtsvorschriften.

 

Normenkette

SVAufbauV 12 Art. 2 § 4

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. Dezember 1964 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger (verheiratet, ein Kind) ist seit März 1953 freiwillig weiterversichertes Mitglied der beklagten Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK). Er ist Rechtsanwalt und als Angestellter (Prokurist und Syndikus) bei einem privaten Versicherungsunternehmen beschäftigt.

Im Juli 1956 hatte er der beklagten DAK u. a. mitgeteilt, daß er als Angestellter monatlich ein Gehalt von 750,- DM sowie 38,50 DM (Hälfte der Angestelltenversicherungsbeiträge), dazu jährlich ein 13. Monatsgehalt beziehe, und angefragt, ob er verpflichtet sei, im Krankheitsfalle gegenüber Vertragsärzten und Vertragszahnärzten als Selbstzahler aufzutreten. Die beklagte DAK hatte ihm mit Schreiben vom 18. Juli 1956 insoweit geantwortet, er bleibe weiterhin in Klasse 22 versichert und berechtigt, sich auf Krankenschein behandeln zu lassen; auf selbst bezahlte Rechnungen würde er keine Vergütung erhalten.

Mit Schreiben vom 31. Dezember 1963 zeigte der Kläger der DAK an, daß sein Monatsgehalt vom 1. Januar 1964 an 1.800,- DM (zuzüglich eines 13. Gehalts jährlich) betrage. Nunmehr eröffnete ihm die beklagte DAK, daß sie für ihn und seine Familie im Hinblick auf sein 1.250,- DM monatlich übersteigendes Einkommen in Zukunft keine Kranken- und Zahnarztscheine ausstellen werde und die Behandlung "auf privater Basis" erfolgen müsse; die bezahlten und quittierten Arztrechnungen würden nach den jeweils gültigen Sätzen der Ersatzkassen-Adgo vergütet werden (Schreiben vom 10. Januar 1964).

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, es verstoße gegen Treu und Glauben, wenn die beklagte DAK ihm entgegen ihrer schriftlichen Zusage vom 18. Juli 1956 trotz im wesentlichen unveränderter Rechtslage vom Januar 1964 an nicht mehr freie ärztliche Behandlung als Sachleistung gewähre. Auch dürfe die beklagte DAK als Ersatzkasse ihren freiwilligen Mitgliedern nur solche Leistungen gewähren, die die Reichsversicherungsordnung (RVO) ihrer Art nach als Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (KrV) vorsehe. Ärztliche Behandlung sei aber grundsätzlich nach der RVO eine Sachleistung.

Die beklagte DAK wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 14. Februar 1964): Nach Art. 2 § 4 Abs. 2 der Zwölften Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung vom 24. Dezember 1935 - RGBl I 1537 - idF der 15. Aufbau-Verordnung vom 1. April 1937 - RGBl I 439 - (12. Aufbau-VO) richte sich das Versicherungsverhältnis der freiwillig weiterversicherten Mitglieder nach den Bestimmungen der Satzung. Bestandteil der Satzung (vgl. § 3 Nr. 1 daselbst) seien auch die Versicherungsbedingungen. Hiernach hätten aber diejenigen freiwillig weiterversicherten Mitglieder, deren Einkommen die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteige, keinen Anspruch auf freie ärztliche Behandlung. Daß sie, die beklagte DAK, dem Kläger bisher Krankenscheine zur Ermöglichung freier ärztlicher Behandlung bei den Vertragsärzten ausgehändigt habe, könne sie nicht verpflichten, dies auch weiterhin zu tun.

Mit der Klage wiederholte der Kläger sein bisheriges Vorbringen und führte ergänzend aus: Da die Krankenpflege in der sozialen KrV grundsätzlich als Sachleistung zu gewähren sei, dürften auch weiterversicherte Mitglieder von Ersatzkassen, deren Einkommen die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteige, hiervon nicht ausgeschlossen werden. Die unterschiedliche Behandlung der Mitglieder verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Er hat beantragt,

den Bescheid der beklagten DAK vom 10. Januar 1964 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Februar 1964 aufzuheben und festzustellen, daß er im Krankheitsfalle gegen die Beklagte Anspruch auf freie vertragsärztliche (vertragszahnärztliche) Behandlung auf Grund eines Krankenscheines für sich und seine mitversicherten Familienangehörigen hat.

Auf Anfrage des Sozialgerichts (SG) beim Bundesversicherungsamt (BVA), ob dieses im Rahmen seiner Aufsichtspflicht die strittigen Versicherungsbedingungen der DAK beanstandet habe, hat dieses folgende Stellungnahme vom 13. Oktober 1964 abgegeben.

"Die strittigen Versicherungsbedingungen der Deutschen Angestellten-Krankenkasse sind am 1. September 1952 von der Funktionsvorgängerin des Bundesversicherungsamts, der Arbeitsbehörde Hamburg, genehmigt worden. Aus den dem Bundesversicherungsamt zur Verfügung stehenden Unterlagen ist nicht zu erkennen, welche Erwägungen für die damaligen Entschließungen ausschlaggebend waren. Es konnte nur festgestellt werden, daß die in den Versicherungsbedingungen getroffene Regelung inhaltlich unbeanstandet seit 1929 praktiziert worden ist.

Das Bundesversicherungsamt hat geprüft, ob sich die mit der Zulässigkeit dieser Bestimmung zusammenhängenden Fragen so eindeutig beantworten lassen, daß ein Einschreiten nach § 326 RVO geboten ist. Diese Voraussetzung kann nicht bejaht werden, zumal - soweit bekannt - die bisher ergangenen sozialgerichtlichen Entscheidungen die Zulässigkeit der getroffenen Regelung bestätigt haben und die Rechtsfrage überdies bereits Gegenstand eines vor dem Bundessozialgericht anhängigen Streitverfahrens ist. Das Bundesversicherungsamt hat sich bei dieser Sachlage jeden Tätigwerdens zu enthalten, da es aus verfassungsrechtlichen Gründen den zur Streitentscheidung berufenen Gerichten nicht vorgreifen kann. Herr Dr. L ist anläßlich einer dem Bundesversicherungsamt am 23. Februar 1964 unterbreiteten Aufsichtsbeschwerde mit Bescheid vom 2. März 1964 über diese Gründe unterrichtet worden."

Das SG hat dem Klageantrag gemäß entschieden und die Berufung zugelassen (Urteil vom 17. Dezember 1964). Es hat als entscheidend angesehen, daß die Bestimmung der Versicherungsbedingungen der beklagten Ersatzkasse gesetzwidrig sei, wonach die freiwillig weiterversicherten Mitglieder mit einem die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteigenden Einkommen keinen Anspruch auf freie Behandlung durch Vertragsärzte (Vertragszahnärzte) haben, sondern für die erforderliche Behandlung selbst sorgen müssen und nur Kostenerstattung in bestimmter Höhe beanspruchen können. Für die freiwillige Weiterversicherung von Ersatzkassenmitgliedern gelte das Satzungsrecht der jeweiligen Ersatzkasse (§ 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-VO). Die Ersatzkasse könne ihr Satzungsrecht insoweit frei gestalten bis auf die vom Gesetz selbst geregelten Ausnahmen, nämlich die Weiterversicherungsberechtigung des überlebenden Ehegatten (§ 4 Abs. 3 der 12. Aufbau-VO) und die Gewährung der Regelleistungen der Wochenhilfe und der Familienwochenhilfe (§ 507 a Abs. 2 RVO). Jedoch sei zu beachten, daß die Ersatzkassen durch das Gesetz über den Aufbau der Sozialversicherung vom 5. Juli 1934 - RGBl I 577 - (AufbauG) und die zu seiner Durchführung ergangene 12. Aufbau-VO Träger der KrV geworden und in das Gefüge der RVO eingegliedert worden seien. Dieser neuen Stellung der Ersatzkassen entspreche es, wenn § 508 RVO uneingeschränkt auf sie Anwendung finde, wonach die Ersatzkasse ihren Mitgliedern und deren Angehörigen ohne Beschränkung der Dauer und Höhe alle Leistungen gewähren dürfe, die § 179 ihrer Art nach bei den Krankenkassen zulasse. Da hiernach nur die im Zweiten Buch der RVO vorgeschriebenen Leistungen an Krankenhilfe, Wochenhilfe, Sterbegeld und Familienhilfe zulässig seien, könnten als Krankenhilfe auch von den Ersatzkassen Leistungen der Art nach nur gewährt werden, wie sie § 182 RVO vorsehe. Daraus folge, daß ärztliche Behandlung nur als Sachleistung gewährt werden dürfe. - Demgegenüber könne sich die beklagte DAK nicht auf entgegenstehende Bestimmungen im Arzt-Ersatzkassenvertrag berufen. Soweit diese die Anspruchsberechtigung für die Sachleistungen der Krankenpflege auf die Mitglieder mit einem nicht die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteigenden Einkommen beschränkten, seien sie nichtig. - Auch verstoße die unterschiedliche Behandlung der Mitglieder gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, an den die Ersatzkassen gebunden seien (§ 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-VO i. V. m. § 21 Abs. 1 des Gesetzes über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen und Bausparkassen vom 6.6.1931 - RGBl I 315 - idF vom 5.3.1937 - RGBl I 269 -). Daraus folge, daß der Kläger Anspruch auf freie vertragsärztliche (vertragszahnärztliche) Behandlung für sich und für seine mitversicherten Familienangehörigen habe.

Gegen dieses Urteil hat die beklagte DAK - unter Beifügung der Zustimmungserklärung des Klägers - Sprungrevision mit dem Antrag eingelegt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich in erster Linie auf die in Art. 2 § 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-VO zugestandene Satzungsautonomie: Obwohl die Ersatzkassen durch die Aufbau-Gesetzgebung Träger der KrV geworden seien, richte sich das Versicherungsverhältnis der nichtversicherungspflichtigen Mitglieder nach wie vor nach dem Satzungsrecht der Ersatzkasse, die insoweit - bis auf die im Gesetz vorgeschriebenen Einschränkungen - freies Ermessen habe. Somit sei die DAK berechtigt gewesen, in den Versicherungsbedingungen festzulegen, daß nichtversicherungspflichtige Mitglieder, deren Einkommen eine bestimmte Grenze überschreite, keinen Anspruch auf freie vertragsärztliche Behandlung hätten. Dem entspreche es, wenn die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) mit den Spitzenverbänden der Ersatzkassen im Arzt/Ersatzkassenvertrag vereinbart habe, daß nur solche Mitglieder auf Krankenschein zu behandeln seien, deren Einkommen sich im Rahmen der Angestelltenversicherungspflichtgrenze halte.

Der Kläger hat beantragt,

die Sprungrevision der beklagten DAK zurückzuweisen.

Er hat im wesentlichen ausgeführt: Bei der Auslegung des Art. 2 § 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-VO sei zu berücksichtigen, daß die Ersatzkassen seit der Aufbau-Gesetzgebung aus dem privatversicherungsrechtlichen Bereich ausgeschieden und in das System der gesetzlichen KrV einbezogen worden seien. Die Ersatzkasse habe bei der Gestaltung des Satzungsrechts auch die Beschränkung des § 508 i. V. m. § 179 RVO zu beachten. Das werde durch Art. 2 § 4 Abs. 6 Satz 2 der 12. Aufbau-VO bestätigt, woraus hervorgehe, daß von den Ersatzkassen "freie ärztliche Behandlung auf Grund eines Krankenscheins" für versicherungsberechtigte Mitglieder nur noch übergangsweise gewährt werden dürfe. Auch verstoße die unterschiedliche Behandlung der Mitglieder in der Frage der ärztlichen Behandlung gegen den in § 21 des Versicherungsaufsichtsgesetzes zum Ausdruck gebrachten Gleichbehandlungsgrundsatz.

Die Sprungrevision der beklagten DAK ist begründet. Zu Unrecht hat das SG festgestellt, daß der Kläger im Krankheitsfall gegen die Beklagte Anspruch auf freie vertragsärztliche (vertragszahnärztliche) Behandlung auf Grund Krankenscheins für sich und seine mitversicherten Familienangehörigen habe.

Die beklagte DAK ist entgegen der Meinung des Klägers nicht schon deshalb zur Gewährung freier ärztlicher Behandlung als Sachleistung an ihn über den 1. Januar 1964 hinaus verpflichtet, weil sie ihm auf seine Anfrage in ihrem Bescheid vom 18. Juli 1956 erklärt hatte, er bleibe weiterhin in Klasse 22 versichert und könne sich auf Krankenschein behandeln lassen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist diese Erklärung nicht im Rahmen eines privatrechtlichen Versicherungsverhältnisses abgegeben und von daher zu beurteilen. Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 29. Juli 1965 (BSG 23, 199, 200 f) näher dargelegt hat, stehen seit der Aufbau-Gesetzgebung und den zu ihrer Durchführung ergangenen Verordnungen auch die freiwillig versicherten Mitglieder einer Ersatzkasse zu dieser in einem öffentlich-rechtlichen Versicherungsverhältnis, auf Grund dessen die Ersatzkasse gegenüber dem Mitglied auch Verwaltungsakte setzen kann. Ob nun die Erklärung der beklagten DAK in ihrem Schreiben vom 18. Juli 1956 einen Verwaltungsakt i. S. des § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) darstellt oder ob ihre Verbindlichkeit aus anderen Erwägungen - etwa der des Vertrauensschutzes für Dispositionen, die auf Grund von Zusagen getroffen werden - hergeleitet wird, kann der Senat jedoch offenlassen. Die Bindungskraft des Bescheids ist jedenfalls auf den konkreten Einzelfall beschränkt, für den er erteilt wurde. Bei einer wesentlichen Veränderung der Verhältnisse - sei es des zugrunde liegenden Sachverhalts, sei es der für die Beurteilung des Sachverhalts maßgeblichen Normen - entfällt die Bindungswirkung (vgl. BSG 18, 22, 27 f). Sie wird - bei wesentlich veränderten Verhältnissen - nicht dadurch aufrechterhalten, daß nach den Regeln der Logik der neue Sachverhalt ähnlich wie der erste beurteilt werden müßte.

Im vorliegenden Fall haben sich sowohl Sachverhalt als auch Rechtslage gegenüber den vom Kläger zum Vergleich herangezogenen Verhältnissen des Jahres 1956 wesentlich verändert. Sein Monatsgehalt beträgt nicht mehr 750,- DM, sondern 1.800,- DM. Die für die Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung maßgebende Jahresarbeitsverdienstgrenze hatte sich mit Wirkung vom 1. März 1957 auf 15.000,- DM erhöht (§ 4 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - idF des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG -, Art. 3 § 7 Satz 2 AnVNG). Dementsprechend hatten sich das Satzungsrecht der beklagten DAK und der Arzt/Ersatzkassenvertrag geändert. Unter diesen Umständen kann offenbleiben, ob nicht der Kläger vom 1. März 1957 an wieder zu den Mitgliedern gehörte, deren Einkommen die - auf 15.000,- DM erhöhte - Angestelltenversicherungspflichtgrenze nicht überstieg, so daß allein schon aus diesem Grunde der möglicherweise ursprünglich fehlerhafte Bescheid der beklagten DAK vom 18. Juli 1956 "richtig" geworden wäre.

Der Kläger hat auch nach der Satzung der beklagten DAK keinen Anspruch auf "freie vertragsärztliche (vertragszahnärztliche) Behandlung auf Grund Krankenscheins".

Der Kläger gehört zu den Mitgliedern, die aus der Versicherungspflicht in der KrV ausgeschieden sind und sich freiwillig weiterversichert haben. Nach Art. 2 § 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-VO gelten für die Versicherung nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht die Bestimmungen der Satzung. Bereits das Reichsversicherungsamt (RVA) hat zutreffend darauf hingewiesen, daß sich durch die Eingliederung der Ersatzkassen in die gesetzliche KrV als "Träger der Krankenversicherung" (Abschn. II Art. 3 § 1 AufbauG) an dem bisherigen Rechtszustand nichts geändert hat, daß für die Versicherung nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht nur die Bestimmungen der Satzung maßgebend sind (Grunds. Entsch. Nr. 5118; AN 1937, 267, 268). Es ist deshalb grundsätzlich dem Ermessen der einzelnen Ersatzkasse überlassen geblieben, die Weiterversicherung zuzulassen, ihre Bedingungen zu regeln sowie die Voraussetzungen und den Umfang der Leistungen festzusetzen. Während die freiwillige Weiterversicherung bei den gesetzlichen Krankenkassen unmittelbar auf den Vorschriften der RVO beruht, werden die nichtversicherungspflichtigen Mitglieder der Ersatzkassen auf Grund des Satzungsrechts versichert, dessen Erlaß und Inhalt im Ermessen der einzelnen Ersatzkasse liegt, soweit das Gesetz es nicht beschränkt hat. Im gleichen Sinne führen Grünewald-Kilian (Das neue Deutsche Sozialversicherungsrecht, Stand: 19. Mai 1944, 12. Aufbau-VO, Art. 2 § 4, Anm. 23) zusammenfassend aus, die 12. Aufbau-VO überlasse grundsätzlich der Regelung durch die Satzung, ob und wann die Versicherung nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht endet und wie sie im einzelnen - auch in den Voraussetzungen und dem Umfang der Leistungen - gestaltet wird.

Dem steht nicht entgegen, daß der Reichs- und Preußische Arbeitsminister in seinem Erlaß vom 27. Januar 1937 (EuM 40, 502) dem Leiter der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte als der damals für die Angestellten-Ersatzkassen zuständigen Aufsichtsbehörde (vgl. Abschn. IV § 2 Abs. 1 AufbauG) zur Pflicht gemacht hat, die Ersatzkassen an das Recht der Weiterversicherung nach den Vorschriften der RVO immer näher heranzuführen. In dem Erlaß wird nämlich darauf hingewiesen, daß bei der derzeitigen Rechtslage dieses Ziel nur durch Änderungen der jeweiligen Satzungen zu erreichen sei, die die Aufsichtsbehörde anzustreben hätte. Mit Recht hat deshalb das RVA (Grunds. Entsch. 5118; AN 1937, 267, 268) in diesem Erlaß eine Bestätigung der Auffassung gesehen, daß sich die Ansprüche der freiwillig versicherten Mitglieder gegen ihre Ersatzkasse nach deren Satzungsrecht richten.

Das Satzungsrecht der beklagten DAK sieht für den Kreis der nichtversicherungspflichtigen Mitglieder, deren Einkommen die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteigt, keinen Anspruch auf freie vertragsärztliche Behandlung vor. Im Gegenteil ist in Abschnitt G, Nr. 2 a ihrer Versicherungsbedingungen, die Bestandteil der Satzung sind (§ 3 der Satzung), bestimmt, daß nur diejenigen Mitglieder Anspruch auf freie vertragsärztliche Behandlung haben, deren Einkommen die Angestelltenversicherungspflichtgrenze nicht übersteigt. Die übrigen Mitglieder haben für die erforderliche Behandlung für sich und ihre mitversicherten Familienangehörigen selbst zu sorgen und erhalten gegen Aushändigung der nachweislich bezahlten Rechnungen eine Vergütung in Höhe der Vertragssätze, jedoch nicht mehr als die tatsächlichen Kosten.

Da somit das Satzungsrecht den mit der Klage verfolgten Anspruch nicht zu begründen vermag, wäre der Anspruch nur gegeben, wenn die beklagte DAK kraft Gesetztes verpflichtet wäre, auch den nichtversicherungspflichtigen Mitgliedern mit einem die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteigenden Einkommen ärztliche Behandlung als Sachleistung zu gewähren. In diesem Falle wäre es unerheblich, daß die DAK eine entsprechende Vorschrift nicht in ihr Satzungsrecht übernommen hat.

Einschränkungen der grundsätzlich nach Art. 2 § 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-VO gewährleisteten Satzungsautonomie bestehen mehrfach. So ist die Ersatzkasse verpflichtet, die Weiterversicherung des überlebenden Ehegatten (Art. 2 § 4 Abs. 3 der 12. Aufbau-VO) und die Weiterversicherung in dem in § 514 RVO geregelten Sonderfall des Ausscheidens aus der Rentnerkrankenversicherung durchzuführen. Sie hatte - solange die Bestimmung (Art. 2 § 4 Abs. 4 der 12. Aufbau-VO) galt - das Erlöschen der Mitgliedschaft der Personen, die der Ersatzkasse nach dem 1. Januar 1936 beigetreten waren, zu beachten, wenn das regelmäßige jährliche Gesamteinkommen 7.200,- RM überstieg. Ferner hat die Ersatzkasse nach § 507 a Abs. 2 RVO den freiwillig weiterversicherten Mitgliedern die gleichen Leistungen der Wochenhilfe wie den versicherungspflichtigen Mitgliedern zu gewähren.

Indessen besteht für die beklagte Ersatzkasse entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung keine gesetzliche Verpflichtung, den freiwillig weiterversicherten Mitgliedern mit einem die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteigenden Einkommen ärztliche Behandlung als Sachleistung zu gewähren. Da § 507 RVO die Ersatzkassen zu Mindestleistungen in Gestalt der Regelleistungen nur bei versicherungspflichtigen Mitgliedern verpflichtet - und § 507 a Abs. 2 RVO, wie dargelegt, nur eine bestimmte Leistung, nämlich Wochenhilfe, den Ersatzkassen auch gegenüber freiwillig weiterversicherten Mitgliedern zur Pflicht macht -, könnte eine gesetzliche Verpflichtung zur Gewährung ärztlicher Behandlung als Sachleistung allenfalls aus § 508 Satz 1 i. V. m. § 179 RVO abgeleitet werden. Hiernach darf die Ersatzkasse ihren Mitgliedern und deren Angehörigen ohne Beschränkung der Dauer und Höhe alle Leistungen gewähren, die § 179 ihrer Art nach bei den Krankenkassen zuläßt. Diese Vorschrift ist nicht, wie die beklagte Ersatzkasse annimmt, für die freiwillig weiterversicherten Mitglieder durch die Aufrechterhaltung der Satzungsautonomie in Art. 2 § 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-VO gegenstandslos geworden, wie schon daraus folgt, daß in derselben Verordnung (Art. 5 § 24) § 508 RVO im Hinblick auf den neuen öffentlich-rechtlichen Rechtsstand der Ersatzkassen (Art. 2 § 2 Abs. 1 Satz 3 der 12. Aufbau-VO) sprachlich neu gefaßt wurde. Nun war allerdings vor der Aufbaugesetzgebung für die versicherungsberechtigten Mitglieder eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit dessen Eigenschaft als Ersatzkasse ohne Belang gewesen (so in ständiger Rechtsprechung das RVA; vgl. Grunds. Entsch. Nr. 2074, AN 1915, 641, 642; Grunds. Entsch. Nr. 2880, AN 1925, 275, 276). Nur Versicherungspflichtige konnten einem Versicherungsverein in seiner Eigenschaft als Ersatzkasse angehören. Die §§ 503 ff RVO - einschließlich des § 508 RVO - regelten nur die Rechtsstellung der Versicherungsvereine in ihrer Funktion als Ersatzkassen; § 507 a Abs. 2 wurde als eng auszulegende Ausnahmevorschrift verstanden, die den Unterschied zwischen den "versicherungsberechtigten Vereinsmitgliedern" und den "eigentlichen Ersatzkassenmitgliedern" nicht aufhob (RVA aaO, AN 1925, 276).

Mit der Umgestaltung der Ersatzkassen zu "reinen" Trägern der Sozialversicherung durch die Aufbaugesetzgebung und die zu ihrer Durchführung ergangenen Verordnungen kann allerdings § 508 RVO auch für die versicherungsberechtigten Mitglieder, die Ersatzkassenmitglieder im Vollsinne geworden waren, Bedeutung erlangt haben, so daß die Ersatzkassen bei der Gestaltung ihres Satzungsrechts, auch soweit es sich um ihre freiwillig weiterversicherten Mitglieder handelt, die Schranke des § 508 RVO zu beachten hätten und auch diesen Mitgliedern und deren Angehörigen nur Leistungen gewähren dürften, die § 179 RVO ihrer Art nach bei den Krankenkassen zuläßt. Es könnte sein, daß diese Beschränkung es ausschließt, daß die beklagte DAK bestimmten weiterversicherten Mitgliedern den Versicherungsschutz für den Fall des Bedarfs ärztlicher Behandlung nach dem Kostenerstattungsprinzip gewährt. Der Senat hat dies nicht zu entscheiden, da es im vorliegenden Rechtsstreit auf diese Frage nicht ankommt. Selbst wenn das Satzungsrecht der beklagten DAK, soweit es für bestimmte Mitglieder bei Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung Kostenerstattung vorsieht, nichtig wäre, ergäbe sich daraus noch nicht, daß der Klageanspruch begründet wäre. § 508 RVO setzt nur eine Schranke, die allenfalls die Freiheit der Ersatzkasse in der Gestaltung ihres Satzungsrechts insofern eingrenzt, als sie auch allen ihren weiterversicherten Mitgliedern ärztliche Behandlung nur in Gestalt der Sachleistung gewähren könnte, wenn sie insoweit einen Versicherungsschutz bereitstellen will. Ob die beklagte Ersatzkasse diese Leistungsverpflichtung auch gegenüber den freiwillig weiterversicherten Mitgliedern mit einem die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteigenden Einkommen übernimmt, steht in ihrem freien Ermessen, das erst durch Beschlußfassung ihrer zuständigen Organe über eine entsprechende Neugestaltung des Satzungsrechts - und Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde - betätigt sein müßte, bevor Ansprüche hierauf gegründet werden könnten.

Der Senat hat schließlich die - entfernte - Möglichkeit erwogen, ob der Klageanspruch auch ohne Satzungsgrundlage nicht trotzdem begründet sein könnte, weil das Ermessen der beklagten DAK - unterstellt, daß § 508 i. V. m. § 179 RVO die dargelegte Beschränkung enthielte - zwangsläufig nur in Richtung der Einführung der ärztlichen Behandlung als Sachleistung für den bisher davon ausgeschlossenen Mitgliederkreis gehen könnte und der Beschluß über die Umgestaltung der Versicherungsbedingungen somit "nur eine Formalität" wäre (vgl. als allerdings nur bedingt mögliche Parallele den "Anspruch" auf eine bestimmte Leistung bei zwangsläufigen Ermessensentscheidungen: BSG 9, 232, 239 f).

Diese Möglichkeit einer in Ausnahmefällen denkbaren Anspruchsbegründung entfällt aber hier schon deshalb, weil von einer solchen Zwangsläufigkeit im Ermessensgebrauch bei der beklagten DAK keine Rede sein kann. Um ärztliche Behandlung als Sachleistung gewähren zu können, bedarf es der Bereitstellung eines umfassenden Systems ärztlicher Versorgung, das Versicherte, Ersatzkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄV) umspannt. Während die ärztliche Versorgung der bei den gesetzlichen Krankenkassen Versicherten - und zwar in Gestalt der Sachleistung - kraft Gesetzes durch den an die KÄV erteilten Auftrag in einem System der "kassenärztlichen Versorgung" (§ 368 Abs. 1 Satz 1 RVO) sichergestellt ist (§ 368 n Abs. 1 Sätze 1 bis 3 RVO), sieht § 368 n Abs. 1 Satz 4 RVO u. a. für die ärztliche Versorgung der bei den Ersatzkassen Versicherten und ihrer mitversicherten Familienangehörigen nur vor, daß die KÄV mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde diese Aufgabe übernehmen können. Das ist im Arzt/Ersatzkassenvertrag geschehen, der in seiner jetzt gültigen Fassung - von kleineren Änderungen abgesehen - am 20. Juli 1963 zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e. V. und dem Verband der Arbeiter-Ersatzkassen e. V. geschlossen wurde. Hiernach (§ 4 Abs. 2) haben "Mitglieder der Vertragskassen sowie deren mitversicherte Familienangehörige, soweit das Bruttoeinkommen des Mitgliedes die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteigt", keinen Anspruch auf die im Vertrag näher festgelegte freie vertragsärztliche Behandlung. Die in § 4 Abs. 8 des Vertrags vorgesehene Regelung - falls nämlich die Ersatzkasse vertragswidrig einem Nichtanspruchsberechtigten einen Krankenschein ausgehändigt hat - regelt nur eine Art Vertragsstrafe-Verfahren und berührt nicht den Grundsatz.

Hieraus folgt, daß die beklagte DAK z. Zt. gar nicht in der Lage wäre, ihren freiwillig weiterversicherten Mitgliedern mit einem die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteigenden Einkommen ärztliche Behandlung als Sachleistung zu gewähren. Voraussetzung hierfür wäre die entsprechende Umgestaltung des Arzt/Ersatzkassenvertrages, eines Vertragswerks, auf dessen Gestaltung die beklagte DAK nur indirekt - über ihren Verband - Einfluß nehmen kann. Ob eine solche Änderung des Vertrags im Sinne einer Ausweitung der Anspruchsberechtigung für freie vertragsärztliche Behandlung auf alle Mitglieder möglich ist - gegebenenfalls, zu welchen Bedingungen -, ist völlig offen. Erst wenn es aber gelungen ist, durch Umgestaltung des Arzt/Ersatzkassenvertrags die freie vertragsärztliche Behandlung auch für den bisher nicht anspruchsberechtigten Mitgliederkreis sicherzustellen, kann die beklagte DAK in ihrem Satzungsrecht die ärztliche Behandlung als Sachleistung vorsehen, falls sie sich nicht zu undurchführbaren Leistungen verpflichten will.

Damit ist auch dargetan, daß die beklagte DAK weder gegen den versicherungsmäßigen Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitglieder noch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) verstößt, wenn sie ihren freiwillig weiterversicherten Mitgliedern mit einem die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteigenden Einkommen keine ärztliche Behandlung als Sachleistung gewährt. Die besondere Natur dieser Leistung, die nur in einem ausgewogenen System ärztlicher Versorgung unter Koordinierung sehr verschiedener Interessen erbracht werden kann, macht die verpflichtete Ersatzkasse von einem Vertragswerk abhängig, das von Dritten gestaltet wird. Die beklagte DAK handelt sachgerecht, wenn sie dieser Abhängigkeit in ihrem Satzungsrecht Rechnung trägt.

Bei dieser Sach- und Rechtslage ist zusammenfassend festzustellen, daß die beklagte DAK keineswegs in ihrem Ermessen schon so festgelegt ist, daß nur noch eine Umgestaltung ihres Satzungsrechts im Sinne einer Ausweitung der Anspruchsberechtigung für freie vertragsärztliche Behandlung denkbar ist, wenn feststünde, daß sie auch den freiwillig weiterversicherten Mitgliedern mit einem die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteigenden Einkommen den Versicherungsschutz für ärztliche Behandlung nur als Sachleistung gewähren dürfte. Demnach hat jeder Angehörige dieses Mitgliederkreises erst dann Anspruch auf freie vertragsärztliche Behandlung, wenn die beklagte DAK diese Anspruchsberechtigung in ihr Satzungsrecht eingeführt hat.

Die Klage ist somit unbegründet. Auf die Sprungrevision der beklagten DAK war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 195

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