Leitsatz (amtlich)

1. Der Berufsschadensausgleich ist auch während der Durchführung berufsfördernder Maßnahmen zu gewähren. Die Entscheidung über diesen Anspruch darf nicht hinausgeschoben werden, bis sich das Ergebnis dieser Maßnahmen feststellen läßt (Abweichung von BSG 1968-03-12 9 RV 52/65 = SozR Nr 30 zu § 30 BVG).

2. Der Berufsschadensausgleich ist zu entziehen, wenn der Schaden ausgeglichen oder dieser Erfolg aus vom Beschädigten zu vertretenden Gründen nicht eingetreten ist.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 3 Fassung: 1964-02-21, Abs. 6 Fassung: 1964-02-21, § 62 Abs. 1 Fassung: 1964-02-21

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. Februar 1970 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen, soweit der Kläger Berufsschadensausgleich für die Zeit vor 1. Februar 1965 begehrt.

Im übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der am 25. November 1925 geborene Kläger bezieht wegen "Teilverlust des rechten Oberarmes" unter Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins seit 1. Oktober 1950 Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H. Er erlernte nach dem Besuch der Volkschule zuerst den Beruf eines Maschinenschlossers und dann den eines technischen Zeichners. Nach dem Krieg holte er das Abitur nach und studierte Rechtswissenschaft, weil er nach seinen Angaben das erstrebte Berufsziel eines Maschinenbau-Ingenieurs wegen der Schädigung nicht verwirklichen konnte. Im März 1966 legte der Kläger die Erste juristische Staatsprüfung ab. Seit Juli 1966 befand er sich in Ausbildung als Referendar im Bezirk des Oberlandesgerichts Köln. Während des Studiums wurden dem Kläger Leistungen der Berufsfürsorge (§§ 26 ff des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -) gewährt.

Im Februar 1965 beantragte der Kläger Berufsschadensausgleich. Das Versorgungsamt (VersorgA) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26. Juli 1966 ab, weil die 1954 begonnenen Umschulungsmaßnahmen (Förderung bis zur Reifeprüfung und anschließend während des Studiums) zur Ablegung der Ersten juristischen Staatsprüfung geführt hätten und damit erfolgreich gewesen seien (§ 30 Abs. 6 BVG idF des 2. NOG nF). Der Widerspruch gegen diesen Bescheid wurde zurückgewiesen (Bescheid vom 17. Juli 1967), weil der Kläger sich noch im Vorbereitungsdienst als Referendar befinde, die Umschulungsmaßnahmen deshalb noch nicht beendet seien und sich ein schädigungsbedingter Einkommensverlust im Sinne von § 30 Abs. 3 und 4 BVG zur Zeit nicht feststellen lasse; es müsse zunächst der Erfolg der Umschulungsmaßnahmen abgewartet werden. Mit Abhilfebescheid vom 26. Juli 1967 stellte das VersorgA die im Oktober 1966 zunächst herabgesetzte Rente wieder wie früher nach einer MdE um 80 v.H. fest. Das Sozialgericht (SG) hob die den Berufsschadensausgleich betreffenden Bescheide mit Urteil vom 18. Januar 1968 auf und verurteilte den Beklagten, dem Kläger den ab 1. Februar 1965 beantragten Berufsschadensausgleich ab 1. Januar 1964 zu zahlen. Es vertrat die Ansicht, der Kläger habe gegenüber dem angestrebten Beruf eines Maschinenbau-Ingenieurs (Leistungsgruppe II) trotz der Berufsförderungsmaßnahmen während des Studiums und der Referendarzeit einen erheblichen Minderverdienst gehabt, der ausgeglichen werden müsse, solange die Umschulung noch nicht zum Ausgleich geführt habe.

Der Beklagte legte Berufung ein. Das Landessozialgericht (LSG) lud die Bundesrepublik Deutschland bei; es wies die Berufung mit Urteil vom 3. Februar 1970 zurück und ließ die Revision zu: Das SG habe zutreffend entschieden, daß dem Kläger ab Januar 1964 Berufsschadensausgleich zustehe. Bei buchstabengetreuer Auslegung des § 30 Abs. 6 iVm Abs. 3 und 4 BVG könne man zwar zu dem Ergebnis kommen, daß der Berufsschadensausgleich erst dann gezahlt werden solle, wenn die berufsfördernden Maßnahmen abgeschlossen seien. Bei Studenten der Rechtswissenschaft seien die berufsfördernden Maßnahmen im allgemeinen mit Ablegung des ersten Staatsexamens abgeschlossen, dem Kläger stehe deshalb zumindest ab 1. April 1966 Berufsschadensausgleich zu. Er habe jedoch Berufsschadensausgleich für die gesamte Studien- und Referendarzeit zu beanspruchen, weil unstreitig sei, daß ein Minderverdienst von wenigstens 75 DM bestanden habe und noch jetzt bestehe. Es wäre nicht vertretbar, dem Beschädigten für die Dauer der Umschulungsmaßnahmen keinen Ausgleich zu zahlen und erst nach Abschluß der Umschulungsmaßnahmen einen solchen zu gewähren, falls dann immer noch ein Minderverdienst vorhanden sei. Aus den Ausführungen des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen - BT-Drucks. IV/1831 - ergebe sich, daß auch für die Dauer der Rehabilitationsmaßnahmen ein Berufsschadensausgleich gewährt werden sollte. Diese Ansicht werde durch die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. Dezember 1961 - 9 RV 610/57 - unterstrichen, wonach eine besondere berufliche Betroffenheit erst dann für die Bewertung der MdE oder den Berufsschadensausgleich ausscheide, wenn besondere berufliche Nachteile ausgeglichen seien. Das gleiche müsse gelten, wenn während berufsfördernder Maßnahmen ein Einkommensverlust gegeben sei. Soweit der Beklagte beanstande, daß dem Kläger, obwohl er den Berufsschadensausgleich erst im Februar 1965 beantragt habe, bereits ab 1. Januar 1964 ein Berufsschadensausgleich zuerkannt worden sei, verkenne er, daß der Antrag innerhalb eines Jahres nach Verkündung des 2. NOG gestellt worden sei, die Leistungen daher schon ab 1. Januar 1964 zu zahlen seien. Überdies sei der Antrag auf Berufsschadensausgleich schon ab 1. Januar 1964 zumindest in der Berufungsinstanz gestellt worden.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Beklagte die Verletzung des § 30 BVG und der §§ 77, 103, 128, 136 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). In dem vom LSG erwähnten Urteil vom 21. Dezember 1961 (BSG 16, 107) habe der erkennende Senat darüber zu befinden gehabt, ob eine vor Inkrafttreten des 1. NOG in Erwägung gezogene, aber noch nicht eingeleitete arbeits- und berufsfördernde Maßnahme die Höherbewertung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit ausschließe. Hier aber gehe es um die Frage, welche Bedeutung Förderungsmaßnahmen für die Zeit ihrer Durchführung zukomme. Mit dieser Frage habe sich der erkennende Senat im Urteil vom 12. März 1968 (SozR Nr. 30 zu § 30 BVG) befaßt und hervorgehoben, daß der Anspruch auf Höherbewertung der MdE insofern von dem Ergebnis eingeleiteter Berufsförderungsmaßnahmen abhänge, als die Versorgungsbehörde berechtigt sei, den Grad der MdE von dem Zeitpunkt der Einleitung berufsfördernder Maßnahmen an zunächst ohne Rücksicht auf ein berufliches Betroffensein festzustellen. Der Anspruch auf Berufsschadensausgleich sei für die Zeit während der Durchführung von Berufsförderungsmaßnahmen nicht anders zu beurteilen. Die endgültige Entscheidung über einen Berufsschadensausgleich werde für diese Zeit hinausgeschoben, weil die Berufsförderungsmaßnahmen Vorrang hätten. Der zeitliche Vorrang der Förderungsmaßnahmen solle nach dem Urteil des BSG vom 30. September 1966 (SozR Nr. 22 zu § 30 BVG) vermeiden, daß eine vorzeitige Erhöhung der MdE oder die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs das Interesse des Beschädigten an solchen Maßnahmen beseitige und damit ihren Erfolg in Frage stelle. Für die Auffassung, es reiche für die Bewilligung des Berufsschadensausgleichs aus, daß die Umschulung noch nicht zum Ausgleich geführt habe, biete § 30 Abs. 6 BVG keine Handhabe. Der vom Kläger nach Einleitung der Berufsförderungsmaßnahmen geltend gemachte Anspruch hätte als jedenfalls zur Zeit nicht begründet abgelehnt werden müssen, weil die Umschulung noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Der Abschluß stehe auch jetzt noch aus, obwohl Berufsförderung schon seit 1. August 1964 nicht mehr gewährt worden sei; denn nicht beendet sei die geförderte Ausbildung. Von ihrem Ergebnis hänge die Gewährung des Berufsschadensausgleichs ab. Soweit das LSG davon ausgegangen sei, es sei nicht vom Kläger zu vertreten, daß die Umschulung noch nicht zum Erfolg geführt habe, fehle es an der nach § 136 Abs. 1 Satz 6 SGG erforderlichen Begründung. Nach dem "Bescheid" des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe vom 15. April 1964 bestehe zumindest der Verdacht, daß der Kläger den Abschluß des Studiums hinausgezögert habe. Entsprechende Ermittlungen des LSG hätten möglicherweise zu dem Ergebnis geführt, daß die Verzögerung des juristischen Studiums in den Verantwortungsbereich des Klägers falle. Das LSG habe insoweit gegen die §§ 103, 128 SGG verstoßen.

Durch die Beschränkung des Klagebegehrens in der ersten Instanz sei ferner der Bescheid vom 26. Juli 1966 insoweit bindend geworden, als er die Ablehnung des Berufsschadensausgleichs für die Zeit vor dem 1. Februar 1965 betreffe. Da eine Erweiterung des Klagebegehrens in der Berufungsinstanz hieran nichts habe ändern können, hätte das LSG zumindest für die Zeit vor dem 1. Februar 1965 das Urteil des SG abändern und die Klage abweisen müssen.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG vom 3. Februar 1970 und des SG vom 18. Januar 1968 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er meint, der den Förderungsmaßnahmen eingeräumte Vorrang sei unzumutbar, wenn diese eine sehr lange Zeit in Anspruch nähmen. Die Umschulungsmaßnahme sei mit der Ersten juristischen Staatsprüfung abgeschlossen gewesen, worauf auch der Bescheid vom 26. Juli 1966 abgestellt habe. Die weitere Ausbildung als Referendar habe mit der Umschulung nichts zu tun; sie habe nicht zum Ausgleich des Berufsschadens geführt. Der Vorrang der Förderungsmaßnahme rechtfertige die Verweigerung des Berufsschadensausgleichs bis zum Zweiten juristischen Staatsexamen nicht. Die vorsorglich erhobenen Verfahrensrügen des Beklagten griffen nicht durch. Bei der Wiedergabe des Klagebegehrens "ab 1. Februar 1965" handele es sich um einen Irrtum des SG.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hält die Revision des Beklagten für begründet.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

II

Die Revision des Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1, 164, 166 SGG). Sie ist auch begründet.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger ab 1. Januar 1964 - oder jedenfalls ab 1. Februar 1965 - laufend ein Berufsschadensausgleich zusteht oder ob die Entscheidung hierüber solange hinausgeschoben werden muß oder kann, bis das Ergebnis der beim Kläger durchgeführten berufsfördernden Maßnahmen nach §§ 26 ff BVG vorliegt. Die Vorinstanzen haben die Rechtslage, auf die es hierfür im wesentlichen ankommt, im Ergebnis richtig beurteilt. Trotzdem kann das Urteil des LSG nicht aufrechterhalten werden. Für die Zeit ab 1. Februar 1965 hat das LSG nicht alle für die Entscheidung erheblichen Tatsachen festgestellt; die Sache ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Für die vorhergehende Zeit war die Klage aus prozessualen Gründen abzuweisen.

Nach § 30 Abs. 3 BVG idF des hier anzuwendenden 2. NOG vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85) erhält derjenige, der als Schwerbeschädigter durch die Schädigungsfolgen beruflich insoweit besonders betroffen ist, als er einen Einkommensverlust von monatlich mindestens 75 DM hat, nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich. Sind Arbeits- und Berufsförderungsmaßnahmen nach § 26 BVG möglich und zumutbar, dann sind nach § 30 Abs. 6 BVG die Höherbewertung der MdE nach Absatz 2 und der Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 nur dann zu gewähren, wenn diese Maßnahmen aus vom Beschädigten nicht zu vertretenden Gründen erfolglos geblieben sind oder nicht zum Ausgleich des beruflichen Schadens geführt haben. Das mit Wirkung vom 1. Januar 1967 geltende 3. NOG vom 28. Dezember 1968 (BGBl I 750) hat § 30 Abs. 3 und 6 BVG mit Ausnahme des hier unwesentlichen Einkommensverlustbetrages nur redaktionell geändert. § 26 BVG als Teilregelung der Vorschriften über die Kriegsopferfürsorge (§§ 25 bis 27 e BVG) ist unverändert geblieben. Die Verordnung zur Kriegsopferfürsorge vom 30. Mai 1961 (BGBl I 653) wurde zwar durch die Verordnung vom 3. August 1965 (BGBl I 743) geändert und am 27. August 1965 (BGBl I 1031) neu gefaßt. Sie ist aber in den für den vorliegenden Fall wesentlichen Vorschriften ebenfalls unverändert geblieben. Danach kann für den gesamten streitigen Zeitraum für die Beurteilung der maßgeblichen Rechtsfrage von einer im wesentlichen einheitlichen Rechtslage ausgegangen werden.

Zunächst ist festzuhalten, daß der Kläger nach dem rechtsverbindlichen Abhilfebescheid vom 26. Juli 1967 wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins (§ 30 Abs. 2 BVG) weiterhin - wie seit 1950 - Rente nach einer MdE um 80 v.H. bezieht, also auch während der Umschulung. Aus der Weitergewährung dieser erhöhten Rente ergeben sich jedoch keine Rechtsfolgen für den im vorliegenden Fall allein streitigen Anspruch auf Gewährung von Berufsschadensausgleich während der Durchführung der berufsfördernden Maßnahmen.

Über die Frage, ob grundsätzlich bei Vorliegen eines Einkommensverlustes i.S. von § 30 Abs. 3 und 4 BVG schon während der Durchführung berufsfördernder Maßnahmen nach § 26 BVG Berufsschadensausgleich zu gewähren und wie insoweit § 30 Abs. 6 BVG auszulegen ist, hat das BSG bisher nicht entschieden. Es hat sich dagegen mehrfach mit der Frage befaßt, welche Bedeutung berufsfördernden Maßnahmen für die Feststellung eines besonderen beruflichen Betroffenseins i.S. von § 30 Abs. 2 BVG und einer entsprechenden Feststellung der MdE zukommt. Da sich § 30 Abs. 6 BVG idF seit dem 1. NOG sowohl auf § 30 Abs. 2 als auch auf § 30 Abs. 3 und 4 BVG bezieht, kommt der bisherigen Rechtsprechung zu § 30 Abs. 2 iVm § 30 Abs. 6 BVG auch für die hier streitige Frage Bedeutung zu.

In dem Urteil des erkennenden Senats vom 21. Dezember 1961 (BSG 16, 107 = SozR Nr. 14 zu § 30 BVG) ist - ebenso wie in dem Urteil des 8. Senats vom 15. Dezember 1961 - 8 RV 1445/59 - (nur auszugsweise veröffentlicht in Die Kriegsopferversorgung 1962, 93) - entschieden worden, daß ein besonderes berufliches Betroffensein i.S. von § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG idF vor dem 1. NOG vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) - aF - erst dann für die Bewertung der MdE ausscheidet, wenn diese besonderen Nachteile durch zumutbare arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen i.S. von § 26 BVG ausgeglichen sind, und daß dies nicht der Fall ist, solange solche Maßnahmen (noch) nicht eingeleitet oder nicht erfolgreich abgeschlossen sind. An dieser Auffassung hat der erkennende Senat auch in dem Urteil vom 27. November 1964 (SozR Nr. 18 zu § 30 BVG) festgehalten; er hat sich für seine Auffassung besonders auf den Wortlaut des § 30 Abs.1 Satz 2 BVG aF gestützt, wonach die MdE bei besonderem beruflichen Betroffensein höher zu bewerten ist, "es sei denn, daß arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen einen Ausgleich bieten", und hieraus den Schluß gezogen, daß eine entsprechende MdE-Erhöhung erst entfalle, wenn die besondere Betroffenheit durch solche Maßnahmen beseitigt sei, und diese Vorschrift "insbesondere Bedeutung für diejenigen Behörden (Versorgungsämter, Hauptfürsorgestellen)" habe, die kraft Gesetzes bei besonderem beruflichen Betroffensein arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen ohne Verzug einzuleiten bzw. durchzuführen haben, er hat dabei auch das Rundschreiben des BMA vom 20. Februar 1957 (BVBl 1957, 34) herangezogen. In dem Urteil vom 30. September 1966 (SozR Nr. 22 zu § 30 BVG) hat der Senat dann erstmals über einen Fall entschieden, in dem ein Antrag nach § 30 Abs.2 BVG erst nach dem 1. Juni 1960 (Inkrafttreten des 1. NOG) gestellt worden war; arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen waren jedoch bis zum Abschluß des gerichtlichen Verfahrens damals nicht eingeleitet worden; der Senat hat ausgeführt, daß § 30 Abs. 6 BVG mit der Berufsumschulung "Vorrang" vor einer höheren Bemessung der MdE einräume, er hat die "Priorität berufsfördernder Maßnahmen" nach § 26 BVG dahin interpretiert, der Beschädigte solle nicht mit einer Rente abgefunden werden, wo ihm durch eine Umschulung geholfen werden könne, er solle keine höhere Rente erhalten, solange das Ergebnis der Umschulung noch ausstehe, durch § 30 Abs. 6 BVG nF solle vermieden werden, daß durch eine "vorzeitige" Erhöhung der MdE das Interesse des Beschädigten an der Umschulung beseitigt und damit der Erfolg dieser Maßnahme in Frage gestellt würde. In dem Urteil vom 12. März 1968 (SozR Nr. 30 zu § 30 BVG) ist sodann entschieden worden, daß § 30 Abs. 6 BVG der Versorgungsverwaltung "das Recht zur Verweigerung von Leistungen" gebe, wenn die in dieser Vorschrift bestimmten Voraussetzungen erfüllt sind. § 30 Abs. 6 BVG berechtige die Versorgungsbehörde, den Grad der MdE von dem Zeitpunkt der Einleitung berufsfördernder Maßnahmen an ohne Rücksicht auf das berufliche Betroffensein festzustellen und darüber hinaus die MdE, soweit sie auf Grund eines erst nach dem Inkrafttreten des 1. NOG gestellten Antrags für die Zeit bis zum Beginn der Berufsförderungsmaßnahmen bereits erhöht worden sei, von diesem Zeitpunkt an herabzusetzen. Unter Hinweis auf das bereits erwähnte Urteil des 8. Senats des BSG vom 15. Dezember 1961 und die Entstehungsgeschichte des § 30 Abs. 6 BVG ist diese Auffassung mit dem aus § 30 Abs. 6 BVG herzuleitenden "zeitlichen Vorrang" der Berufsförderungsmaßnahmen vor einer Höherbewertung der MdE begründet worden.

An der Auslegung des § 30 Abs. 6 BVG in dem Sinne, daß nach dieser Vorschrift den berufsfördernden Maßnahmen "Vorrang" vor der an sich gebotenen Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG und auch vor der im vorliegenden Fall allein streitigen Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG zukommt, hält der erkennende Senat weiterhin fest. Er vermag aber nach erneuter Prüfung der Rechtslage diesen Vorrang nicht mehr in dem Sinne zu verstehen, es handele sich dabei um eine - zeitliche - "Priorität", so daß § 30 Abs. 6 BVG nF der Versorgungsverwaltung während der Durchführung berufsfördernder Maßnahmen "das Recht zur Verweigerung von Leistungen", also zur Ablehnung von an sich begründeten Ansprüchen nach § 30 Abs. 2 und Abs. 3 und 4 BVG gebe. Die Versorgungsverwaltung ist nicht berechtigt, "den Grad der MdE vom Zeitpunkt der berufsfördernden Maßnahmen an ohne Rücksicht auf das berufliche Betroffensein festzustellen", sie darf auch nicht von der Gewährung eines Berufsschadensausgleichs solange absehen, als die berufsfördernden Maßnahmen nicht abgeschlossen sind und daher noch nicht feststeht, ob sie erfolgreich oder aus vom Beschädigten zu vertretenden Gründen erfolglos sein werden. § 30 Abs. 6 BVG weist auf einen Vorrang der berufsfördernden Maßnahmen vielmehr insoweit hin, als von der Versorgungsverwaltung zuerst die Möglichkeit und Zumutbarkeit solcher Maßnahmen geprüft, dem Beschädigten damit primär "Hilfe zur Selbsthilfe" gewährt und er wegen seines beruflichen Betroffenseins und (oder) eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes nicht ohne eine solche vorrangige Hilfe mit Geldleistungen abgefunden werden soll. Schon der - nicht eindeutige - Wortlaut des § 30 Abs. 6 BVG nF zwingt nicht zu dem insbesondere in dem Urteil des Senats (SozR Nr. 30 zu § 30 BVG) gezogenen Schluß, daß Leistungen nach § 30 Abs. 2 und Abs. 3 und 4 BVG erst dann gewährt werden dürfen, wenn die erwähnten Voraussetzungen eingetreten sind. Eine solche Auslegung läßt sich auch nicht auf die in dem Urteil erwähnte Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift - die Ausführungen des Urteils hierzu sind in SozR Nr. 30 zu § 30 BVG nur teilweise wiedergegeben - stützen. Eindeutig ist nach der Entstehungsgeschichte (vgl. insbesondere Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, 22. Ausschuß, Prot. Nr. 26 S. 5-11) nur, daß zwar mit § 30 Abs. 6 BVG der Vorrang der Rehabilitation zum Ausdruck gebracht werden sollte, über die Folgerungen hieraus aber schon damals Meinungsverschiedenheiten bestanden haben, daß die Formulierung des § 30 Abs. 6 BVG im Gesetzgebungsverfahren erhebliche Schwierigkeiten gemacht hat und wenig geglückt ist. Bei der Auslegung ist daher weniger auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift als auf ihren Sinn und Zweck abzuheben. Als ihr Sinn und Zweck ist mit den oben erwähnten Urteilen auch weiterhin anzusehen, daß ein besonderes berufliches Betroffensein und (oder) ein Einkommensverlust erst dann nicht mehr zu berücksichtigen sind, wenn sie u.a. auf Grund berufsfördernder Maßnahmen ausgeglichen sind oder aus vom Beschädigten zu vertretenden Gründen nicht ausgeglichen werden. Dagegen ist entgegen der in SozR Nr. 30 und auch in SozR Nr. 22 zu § 30 BVG früher vertretenen Auffassung nicht zu erkennen, daß durch eine - auch nur vorläufige - Versagung von Leistungen nach § 30 Abs. 2 und Abs. 3 und 4 BVG etwa das Interesse des Beschädigten an der erfolgreichen Durchführung solcher Maßnahmen habe gefördert werden sollen. Solche "erzieherischen" Erwägungen scheinen gegenüber einem Beschädigten, insbesondere einem Schwerbeschädigten, der einen im Gesetz vorgesehenen Ausgleich zu beanspruchen hat, nicht von vornherein angebracht sie ergeben sich nicht aus dem - unklaren - Gesetzeswortlaut, sie sind auch in der Entstehungsgeschichte, soweit sie durch die Gesetzesmaterialien bekannt ist, nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht worden. Auch der gesamte Aufbau des § 30 BVG ist zu beachten; er läßt den Schluß zu, daß im Regelfall stets die in § 30 Abs. 2, Abs. 3 und 4 BVG vorgesehenen Leistungen zu gewähren sind und daß sie ausnahmsweise nach Abs. 6 erst dann entfallen sollen, wenn festzustellen ist, daß die berufsfördernden Maßnahmen erfolgreich waren oder aus von dem Beschädigten zu vertretenden Gründen nicht zu einem Ausgleich geführt haben. Hierfür spricht schon die Erwägung des Senats in SozR Nr. 22 zu § 30 BVG, daß die Förderungsmaßnahmen "die durch § 30 Abs. 2 BVG bindend vorgeschriebene Erhöhung der Rente" nicht ersetzen, sondern eine ergänzende Hilfe darstellen sollen. Sie sollen den Beschädigten wieder zu vollen oder doch besseren Leistungen im Erwerbsleben befähigen. Mit dieser Auffassung ist es aber nicht zu vereinbaren, daß einem Beschädigten während sich möglicherweise jahrelang hinziehender Berufsförderungsmaßnahmen - im zu entscheidenden Fall haben sich diese Maßnahmen einschließlich der Vorbereitung zur Reifeprüfung mindestens auf rund 12 Jahre erstreckt - nur die geringeren Leistungen nach den §§ 26 ff BVG und der VO zur Kriegsopferfürsorge gewährt und die ihm gesetzlich zustehenden Leistungen nach § 30 Abs. 2 und Abs. 3 und 4 BVG ihm so lange vorenthalten werden dürfen, bis sich der Erfolg oder die Gründe des Nichterfolges feststellen lassen. Diese Auffassung scheint nicht vereinbar mit § 25 a Abs. 1 BVG, wonach die Leistungen der Kriegsopferfürsorge gewährt werden, wenn die Beschädigten ... nicht in der Lage sind, "trotz der übrigen Leistungen nach diesem Gesetz ... eine angemessene Lebensstellung zu erlangen oder sich zu erhalten". Damit ist (wie Strohn in "Kriegsopferfürsorge", 1963, 34, zutreffend hervorhebt) daran festgehalten, daß "der Grundsatz der Nachrangigkeit, der ... in der Sozialhilfe gilt ..., auch das Recht der Kriegsopferfürsorge beherrscht", daß deshalb, bevor Leistungen der Kriegsopferfürsorge gewährt werden, der Hilfesuchende in der Regel zunächst "die übrigen Leistungen nach dem BVG" einzusetzen hat. Zu diesen Leistungen gehören auch die nach § 30 Abs. 2 BVG erhöhte Rente und der Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG. Ein Widerspruch zu der Auffassung von der Vorrangigkeit der berufsfördernden Maßnahmen der Kriegsopferfürsorge besteht deshalb nicht, weil dieser Vorrang nicht die Rechtsfolge auslösen muß, daß die Leistungen, die der Beschädigte nach dem BVG zu beanspruchen hat, nachrangig zu gewähren seien. Die Leistungen auf Grund von Rechtsansprüchen wegen besonderen beruflichen Betroffenseins und wegen Einkommensverlustes sind in solchen Fällen auch nicht nur aufgeschoben und nicht von einer etwa aus § 30 Abs. 6 BVG zu entnehmenden "aufschiebenden Bedingung" des Erfolgs oder des vom Beschädigten zu vertretenden Nichterfolgs abhängig. Soweit es sich überhaupt um bedingte Ansprüche handeln sollte, wäre eher an eine "auflösende Bedingung" zu denken in dem Sinne, daß dann, wenn der Erfolg oder der zu vertretende Nichterfolg der Maßnahmen festgestellt werden kann, das besondere berufliche Betroffensein entfällt und die Rentenerhöhung und (oder) der Berufsschadensausgleich (ganz oder teilweise) zu entziehen ist. Eine auflösende Bedingung könnte aber nur dann zu einem automatischen Wegfall der während der Berufsförderung gewährten Leistungen führen, wenn diese Bedingung in dem Bescheid, durch den solche Leistungen gewährt worden sind, zum Ausdruck gebracht worden wäre; sie könnte nicht allein aus dem Gesetz - § 30 Abs. 6 BVG nF - hergeleitet werden. Die Versorgungsverwaltung ist zwar verpflichtet, auch während der Durchführung der Maßnahmen die Leistungen aus § 30 Abs. 2 und Abs. 3 u. 4 BVG zu gewähren. Ihr ist aber in § 30 Abs. 6 BVG das Recht zur Rücknahme des Bewilligungsbescheides der keine auflösende Bedingung enthält, eingeräumt, wenn die Maßnahmen erfolgreich sind oder sich feststellen läßt, daß sie aus vom Beschädigten zu vertretenden Gründen nicht zum Erfolg geführt haben. Die Rechtslage ist dann ebenso zu beurteilen wie bei einer nachträglichen Änderung der Verhältnisse i.S. von § 62 BVG; als "Verhältnisse, die für die Bewilligung der Leistungen maßgebend sind", ist außer den Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 und Abs. 3 und 4 BVG auch die in § 30 Abs. 6 BVG für die Leistungsgewährung vorausgesetzte Mitwirkung des Beschädigten zur Herbeiführung des Erfolgs anzusehen; wenn trotzdem der Erfolg nicht eintritt oder vom Beschädigten vereitelt wird und damit diese letztgenannten "Verhältnisse" wegfallen, ist die Versorgungsverwaltung zur Neufeststellung der Leistungen, also auch zur Herabsetzung einer früher nach § 30 Abs. 2 BVG erhöhten MdE und zur Einstellung eines bisher gewährten Berufsschadensausgleichs berechtigt. Soweit es an einer möglichen und zumutbaren Mitwirkung des Beschädigten zur Herbeiführung des Erfolges fehlt, ist die Rechtslage auch ähnlich wie im Fall des § 63 BVG, der eine Ermächtigung sogar zur vollständigen Rentenentziehung bei fehlender "Mitwirkung" des Beschädigten enthält.

Gegen die früher im SozR Nr. 22 und Nr. 30 zu § 30 BVG vertretene Auffassung spricht schließlich auch noch ihr praktisches Ergebnis. Es würde nämlich darin bestehen, daß die Ansprüche des Beschädigten während der Zeit, in der er weiterhin wegen der festgestellten Schädigungsfolgen beruflich besonders betroffen ist und (oder) einen Einkommensverlust hat, nicht erfüllt würden und er mit den möglicherweise geringeren Leistungen der Kriegsopferfürsorge auskommen müßte, obwohl in dieser Zeit - wenn die berufsfördernden Maßnahmen zu einem Erfolg führen sollen - von ihm besondere Anstrengungen erwartet werden.

Erst wenn der Erfolg eingetreten wäre, bei einem Studium unvermeidlich erst nach Jahren, würden ihm für die zurückliegende Zeit die Leistungen nach § 30 Abs. 2 und (oder) Abs. 3 und 4 BVG gewährt werden, obwohl diese Leistungen der Bestreitung des laufenden Lebensunterhalts dienen und einen in der Gegenwart bestehenden beruflichen Schaden ausgleichen sollen; noch weniger einleuchtend erscheint dieses Ergebnis dann, wenn erst nach längerer Zeit festgestellt werden kann, daß die Maßnahmen aus von dem Beschädigten nicht zu vertretenden Gründen ohne Erfolg geblieben sind. Eine Nachzahlung der Leistungen kann das berufliche Betroffensein und (oder) den Einkommensverlust jedenfalls nicht in vollem Umfang "ausgleichen". Außerdem sind nach dem BVG grundsätzlich alle Leistungen schon während der Zeit, in der ihre Voraussetzungen erfüllt sind, und nicht erst nachträglich, zu gewähren (vgl. § 60 BVG). Es kommt hinzu, daß nach der früheren Auffassung der Träger der Kriegsopferfürsorge zwar "vorrangig" leistungspflichtig wäre, daß er aber dann, wenn die Maßnahmen nicht zum Ausgleich geführt oder aus von dem Beschädigten nicht zu vertretenden Gründen keinen Erfolg gehabt haben und die Versorgungsverwaltung deshalb nachträglich die Leistungen nach § 30 Abs. 2 und Abs. 3 und 4 BVG erbringen müßte, einen Forderungsübergang nach § 27 e BVG geltend machen könnte. Auch ein solches "Hin- und Herschieben" der Leistungsgewährung zwischen den in Betracht kommenden verschiedenen Leistungspflichtigen würde dem Gesetzeszweck widersprechen.

Im Ergebnis stimmt die dargelegte Rechtsauffassung weitgehend überein mit den Einwendungen, die Wünscher in Zentralblatt für Sozialversicherung 1968, 297 ff erhoben hat, ferner mit Schieckel/Gurgel, Komm. zum BVG, 3. Aufl, Anm. 131 zu § 30, S. 294-03 (nicht eindeutig Wilke, Bundesversorgungsgesetz, 3. Aufl., III Nr. 4 zu § 30 BVG). Die entgegenstehende Auffassung von Vorberg/van Nuis (Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, Teil IV, 40, 42) des BMA in dem Rundschreiben vom 18. Oktober 1968 (BVBl 1968, 143 Nr. 67) und von Getrost (Die Sozialgerichtsbarkeit 1968, 337), der allerdings eine Gesetzesänderung im Sinne der hier vertretenen Auffassung befürwortet (vgl. aaO III, 337/338), vermag der Senat aus den dargelegten Gründen nicht mehr zu teilen. Eine Abweichung von dem Urteil des 8. Senats vom 15. Dezember 1961 - 8 RV 1445/59. - liegt nicht vor; in diesem Urteil ist zwar erstmals § 30 Abs. 6 BVG nF im Sinne einer - zeitlichen - "Priorität der Berufsförderungsmaßnahmen" ausgelegt worden, diese Ausführungen gehören aber nicht zu den tragenden Gründen des Urteils, weil in jenem Falle berufsfördernde Maßnahmen in der streitigen Zeit nicht eingeleitet gewesen sind und deshalb eine Erhöhung der MdE wegen beruflichen Betroffenseins nicht hat versagt werden dürfen.

Obwohl der erkennende Senat sonach grundsätzlich die Auffassung der Vorinstanzen teilt, kann das Urteil des LSG trotzdem nicht aufrechterhalten bleiben. Das LSG hat zunächst die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG insoweit nicht zurückweisen dürfen, als das SG den Berufsschadensausgleich schon ab 1. Januar 1964 gewährt hat. Die Voraussetzungen für eine "Rückwirkung" des Antrags auf die Zeit ab 1. Januar 1964 nach Art. VI § 1 Abs. 2 Sätze 2 und 3 des 2. NOG (BGBl 1964 I, 83, 99) haben zwar vorgelegen, jedoch ist der Anspruch für die Zeit vor dem 1. Februar 1965 aus verfahrensrechtlichen Gründen abzulehnen. Die entgegenstehende Entscheidung des SG hat das LSG nicht durch die uneingeschränkte Zurückweisung der Berufung des Beklagten bestätigen dürfen. Insoweit hatte das SG dem Kläger etwas zugesprochen, was er nicht beantragt hatte; es hatte damit gegen § 123 SGG verstoßen; dies hat der Beklagte zu Recht gerügt. Die Gerichte entscheiden nach dieser Vorschrift über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die "Fassung" der Anträge gebunden zu sein. Mit der Klage hat der Kläger nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung des SG (und dem im Urteil des SG wiedergegebenen Klagantrag) die Gewährung des Berufsschadensausgleichs erst ab 1. Februar 1965 beantragt. Wenn es sich dabei, wie der Kläger schon im Berufungsverfahren vorgetragen hat und im Revisionsverfahren erneut vorträgt, um ein "Versehen (Schreibfehler)" in der Niederschrift handeln sollte, wäre eine Berichtigung der Niederschrift durch den Vorsitzenden und den Urkundsbeamten zwar möglich gewesen; da sie aber nicht erfolgt ist, erbringt die Niederschrift den Beweis der Beachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, zu denen auch der in der Niederschrift wiedergegebene Antrag gehört (§ 122 SGG iVm § 164 ZPO). Gegen den Inhalt der Niederschrift wäre nur der Nachweis der Fälschung zulässig. Dies hat das LSG nicht beachtet. Es hat sich hierüber nicht deshalb hinwegsetzen dürfen, weil der Kläger jedenfalls im Berufungsverfahren "den entsprechenden Sachantrag" gestellt habe. Der Kläger hat vor dem LSG nur beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sein Vorbringen, er habe schon im ersten Rechtszug einen Berufsschadensausgleich ab 1. Januar 1964 begehrt, kann nicht als eine zulässige Anschlußberufung - über die das LSG auch nicht im Tenor entschieden hat - ausgelegt werden. Die Klage hat im Berufungsverfahren insoweit nicht mehr erweitert werden können. Der Beklagte hatte einen Berufsschadensausgleich auch für die Zeit vor dem 1. Februar 1965 abgelehnt. Mit der Klage hat der Kläger die Bescheide des Beklagten insoweit nicht angefochten, sie sind damit teilweise rechtsverbindlich geworden (§ 77 SGG). Für die Zeit vor 1. Februar 1965 muß daher auf die Revision des Beklagten das Urteil des LSG aufgehoben und die Klage abgewiesen werden (§ 170 Abs.2 Satz 1 SGG).

Für die Zeit ab 1. Februar 1965 kann der Senat das Urteil des LSG deshalb nicht bestätigen, weil das LSG nicht alle Tatsachen festgestellt hat, auf die es für die Nachprüfung seiner Rechtsauffassung ankommt. Dabei ist es bei einer zugelassenen Revision unerheblich, ob der Beklagte einen Verfahrensmangel formgerecht gerügt hat (vgl. BSG in SozR Nr. 6 zu § 163 SGG). Das LSG hat zwar bindend festgestellt, der Kläger habe sowohl während seines Studiums als auch während seiner Referendarzeit gegenüber dem vor der Schädigung angestrebten Beruf eines Maschinenbauingenieurs einen Einkommensverlust von mindestens 75.- DM monatlich gehabt. Diese Feststellung hat aber nicht ausgereicht, um den Beklagten zur Zahlung eines Berufsschadensausgleichs für die gesamte Dauer der Studien- und Referendarzeit zu verurteilen. Das Urteil des LSG läßt zunächst nicht erkennen, wie lange der Kläger während seiner Studienzeit Berufsförderung, insbesondere etwa den Unterhaltsbeitrag nach § 18 der VO zur Kriegsopferfürsorge, erhalten hat, ob die Berufsförderung während der gesamten Dauer der Studienzeit ununterbrochen gewährt oder aus welchen Gründen sie etwa vor der Ablegung des Ersten juristischen Staatsexamens eingestellt worden ist. Die Gründe, die zur Versagung oder Einstellung der Berufsförderung geführt haben, können jedoch auch bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 30 Abs. 6 BVG nicht unberücksichtigt bleiben. Insoweit kann das vom Beklagten in der Revisionsbegründung erwähnte Schreiben des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe vom 15. April 1964 an den Kläger (offenbar identisch mit der Ablichtung Bl. 27 in Band 2 der Versorgungsakten) erheblich sein, wonach möglicherweise eine Berufsförderung im Hinblick darauf, daß der Kläger sich nach achtjähriger Studienzeit noch nicht zum Referendarexamen gemeldet hatte, im Jahre 1964 eingestellt worden ist. Träfe dies zu, so wäre vom LSG zu prüfen, ob der zunächst durch die Berufsförderung während des Studiums als des ersten Ausbildungsabschnitts (§ 10 Abs. 1 der VO zur Kriegsopferfürsorge) verfolgte Zweck, nämlich die Ablegung des Ersten juristischen Staatsexamens, aus vom Kläger zu vertretenden Gründen damals nicht in der üblichen oder jedenfalls dem Kläger zumutbaren Zeit eingetreten ist. In diesem Falle könnte der Kläger für die Zeit nach der Einstellung der berufsfördernden Maßnahmen trotz eines etwaigen Einkommensverlustes nach § 30 Abs. 6 BVG auch keinen Berufsschadensausgleich erhalten. § 30 Abs. 6 BVG ist nach der Überzeugung des Senats dahin auszulegen, daß die Leistungen nach § 30 Abs. 2, Abs. 3 und 4 BVG auch nicht für Zeiten gewährt werden dürfen, in denen es der Beschädigte an der gebotenen Mitwirkung zur Herbeiführung des Erfolgs der Maßnahmen fehlen läßt. Die gleichen Erwägungen können auch für die Frage erheblich sein, für welche Zeiten der Kläger etwa Berufsschadensausgleich während seiner Referendarausbildung zu beanspruchen hat. Nach den vom LSG in seinem Urteil wiedergegebenen Angaben des Klägers - Feststellungen enthält das Urteil des LSG nicht - hat der Kläger am 11. März 1966 die Erste juristische Staatsprüfung abgelegt und im Sommer 1966 die Referendarausbildung begonnen. Das LSG ist erkennbar davon ausgegangen, die Referendarausbildung sei bei Erlaß seines Urteils (3. Februar 1970) noch nicht durch die Ablegung des Zweiten juristischen Staatsexamens beendet gewesen. Der Senat ist mit dem Beklagten und der Beigeladenen der Auffassung, daß der Erfolg der Ausbildung eines Juristen in der Regel nicht schon mit der Ablegung des Ersten Staatsexamens, sondern erst mit der Ablegung der Zweiten Staatsprüfung eintreten wird, weil eine juristische Ausbildung nach den zur Zeit maßgebenden Ausbildungsvorschriften erst mit der praktischen Ausbildung abgeschlossen und in den üblichen Berufen für Juristen zu verwerten ist (vgl. § 9 Nr. 1 der VO zur Kriegsopferfürsorge; ferner Juristenausbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen idF vom 24. Februar 1966 - GVBl NRW S. 78 - und vom 16. Juni 1970 - GVBl NRW S. 508). Der Vorbereitungsdienst ist mindestens als ein weiterer Ausbildungsabschnitt im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 2 der VO zur Kriegsopferfürsorge anzusehen (ebenso auch Strohn, aaO, S. 76). Auch hier erhebt sich jedoch die Frage, ob der Kläger - selbst wenn er wegen der Höhe seines Einkommens während der Referendarzeit (insbesondere der Versorgungsleistungen und des Unterhaltszuschusses für Referendare) nicht mehr eine Berufsförderung, jedenfalls keinen Unterhaltsbeitrag nach § 18 der VO zur Kriegsopferfürsorge hätte erhalten können - den Erfolg der Maßnahmen innerhalb der üblichen Zeit aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht erreicht und deshalb nach § 30 Abs. 6 BVG von einem bestimmten Zeitpunkt an keinen Berufsschadensausgleich mehr zu beanspruchen hat. Das LSG hat insoweit keinerlei Feststellungen getroffen, obwohl das Studium des Klägers offensichtlich erst nach ungewöhnlich langer Zeit abgeschlossen worden und nicht auszuschließen ist, daß auch die Referendarausbildung nicht oder nicht in der üblichen und dem Kläger zumutbaren Ausbildungszeit abgeschlossen worden ist. Diese Feststellungen sind jedoch für den Anspruch auf Berufsschadensausgleich erheblich, sie können vom Senat nicht nachgeholt werden. Deshalb muß das Urteil des LSG, soweit es die Zeit ab 1. Februar 1965 betrifft, aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 195

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge