Entscheidungsstichwort (Thema)

Fachfremdheit. Anästhesist. Schmerztherapie. Chirotherapie. ärztliches Berufsrecht. Weiterbildung. Gebietsbezeichnung. Fachgebietswechsel. Zulassung. Fachgebietsgrenzen. Zusatzbezeichnung

 

Leitsatz (amtlich)

Der als Anästhesist zugelassene Vertragsarzt darf chirotherapeutische Leistungen als für ihn fachfremd auch dann nicht erbringen und abrechnen, wenn er die Zusatzbezeichnung “Chirotherapie” führen darf und chirotherapeutisch nur im Rahmen einer ganzheitlichen Schmerztherapie tätig sein will (Abgrenzung zu BSGE 68, 190 = SozR 3-2500 § 95 Nr 1).

 

Normenkette

SGB X § 48; SGG § 55; SGB V §§ 101, 103; Ärzte-ZV §§ 18, 24; EKV-Ä Anl 12 (Fassung: 1.7.1994); BMÄ/E-GO Nr. 3211

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 29.06.1994; Aktenzeichen L 12 Ka 59/93)

SG München (Urteil vom 18.02.1993; Aktenzeichen S 32 Ka 1404/91)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Juni 1994 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat der Beklagten deren Aufwendungen für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger war bis zum 1. Juli 1991 in Würzburg als praktischer Arzt niedergelassen und zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen. Antragsgemäß hatte ihm die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) mit Bescheid vom 26. März 1991 auf der Grundlage der “Chirotherapie-Richtlinien der KÄV Bayerns” die Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung chirotherapeutischer Leistungen in der kassen-/vertragsärztlichen Versorgung nach der Gebührenordnungsnummer 3211 Bewertungsmaßstab für kassenärztliche Leistungen/Ersatzkassengebührenordnung (BMÄ/E-GO 1987) erteilt.

Auf die Anzeige des Klägers, er werde ab dem III. Quartal 1991 nicht mehr als praktischer Arzt, sondern als Anästhesist mit dem Schwerpunkt “Schmerzbehandlung” tätig sein und wolle weiterhin chirotherapeutische Leistungen erbringen, teilte ihm die Beklagte am 16. Mai 1991 mit, nach Umwandlung der Zulassung in eine solche als Anästhesist seien nur Leistungen auf dem anästhesiologischen Fachgebiet abrechenbar. Das schließe die Abrechnung chirotherapeutischer Leistungen aus. Die Beklagte kündigte ausdrücklich den Widerruf der mit Bescheid vom 26. März 1991 erteilten Genehmigung für den Fall der Umwandlung der Zulassung an.

Dieser angekündigte Widerruf erging sodann mit Bescheid vom 3. Juli 1991 “mit sofortiger Wirkung”. Die Beklagte begründete den Widerruf damit, chirotherapeutische Leistungen seien für Anästhesisten fachfremd. Die Nr 3211 BMÄ/E-GO gehöre dem Kap N (Chirurgie/Orthopädie) des BMÄ an und könne für Anästhesisten auch im Rahmen der Schmerztherapie nicht anerkannt werden.

Mit seinem Widerspruch vertrat der Kläger unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 13. März 1991 – 6 RKa 20/89 (BSGE 68, 190 = SozR 3-2500 § 95 Nr 1) die Auffassung, jeder Arzt, der sich in geeigneter Form mit entsprechendem Nachweis in Verfahren zur Behandlung von Kranken geübt habe, dürfe die dabei erbrachten Leistungen in Rechnung stellen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 1991 unter Hinweis auf die gefestigte Rechtsprechung des Senats zur Fachgebietsbindung auch im Rahmen der kassen- bzw vertragsärztlichen Versorgung zurück.

Im Klageverfahren hat der Kläger geltend gemacht, aus den Ausführungen des Senats im Urteil vom 13. März 1991 ergebe sich, daß ein Anästhesist schmerztherapeutische Leistungen ohne Bindung an Überweisungen erbringen dürfe. Zu diesen Leistungen könnten auch chirotherapeutische Leistungen nach Nr 3211 BMÄ/E-GO gehören. Es sei “unlogisch und widersprüchlich”, ihm einerseits als praktischem Arzt zu gestatten, chirotherapeutische Leistungen zu erbringen und abzurechnen, ihm das aber nach Umwandlung seiner Zulassung in eine solche als Arzt für Anästhesie zu versagen. Gerade weil er seit Januar 1992 über die ihm von der Ärztekammer verliehene Berechtigung zur Führung der die Zusatzbezeichnung “Chirotherapie” verfüge, dürfe ihm die Erbringung der fraglichen Leistungen nicht verwahrt werden.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Es hat die Beklagte für berechtigt gehalten, die Genehmigung zur Abrechnung chirotherapeutischer Leistungen zu versagen, weil der Kläger nach den maßgeblichen Bestimmungen der Weiterbildungsordnung für die bayerischen Ärzte als Anästhesist im Rahmen der kassenärztlichen Tätigkeit chirotherapeutische Leistungen nicht erbringen dürfe.

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat angenommen, daß die Beklagte mit dem Bescheid vom 3. Juli 1991 idF des Widerspruchsbescheides vom 25. November 1991 die am 26. März 1991 erteilte Genehmigung zur Erbringung und Abrechnung chirotherapeutischer Leistungen widerrufen habe. Entsprechend hat es den im Berufungsverfahren gestellten Antrag des Klägers als reinen Anfechtungsantrag aufgefaßt, weil bei Aufhebung der angefochtenen Bescheide der ursprüngliche Genehmigungsbescheid vom 26. März 1991 wieder seine volle Wirkung entfalte und der Kläger zur Erbringung und Abrechnung von Leistungen nach der Nr 3211 BMÄ/EG-O (wieder) berechtigt sei. In der Sache hat das LSG die chirotherapeutischen Leistungen als für den Kläger fachfremd gewertet, ungeachtet der Tatsache, daß er berechtigt ist, die Zusatzbezeichnung “Chirotherapie” zu führen und daß ihm für die Zeit seiner Zulassung als praktischer Arzt die entsprechende Genehmigung erteilt worden war. Die Umwandlung der Zulassung als praktischer Arzt in eine solche als Arzt für Anästhesie habe eine iS des § 48 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wesentliche Änderung der Verhältnisse zur Folge gehabt, die die Beklagte berechtigt habe, die dem Kläger ursprünglich erteilte Genehmigung zu widerrufen.

Dieses Urteil greift der Kläger mit der vom LSG zugelassenen Revision an.

Er wiederholt sein Vorbringen aus den Vorinstanzen und ist der Ansicht, wegen seiner chirotherapeutischen Qualifikation dürfe er auch als niedergelassener Anästhesist chirotherapeutische Leistungen erbringen und abrechnen. Nach den Grundsätzen des Senatsurteils vom 13. März 1991 komme es allein darauf an, ob der Anästhesist für die Leistungen, die er zur Behandlung von Schmerzpatienten erbringen wolle, qualifiziert sei oder nicht. Als Anästhesist müsse er im Rahmen der Schmerztherapie alle Verfahren zur Anwendung bringen dürfen, die für die betroffenen, oft von extremen Schmerzen geplagten Patienten aussichtsreich seien. Die Vorgehensweise der Beklagten berücksichtige nicht, daß sich seine konkrete Tätigkeit im Zuge der Umwandlung der Zulassung zum III. Quartal 1991 in keiner Weise geändert habe. Vor wie nach der Umwandlung der Zulassung sei er ganz überwiegend schmerztherapeutisch tätig gewesen und geblieben, und es mute absurd an, daß ihm nunmehr die Berechtigung zur Erbringung bestimmter ärztlicher Leistungen versagt werden solle, die ihm zuvor als praktischem Arzt erteilt worden sei.

Die Beklagte habe seit 1991 gewußt, daß er nahezu ausschließlich schmerztherapeutisch tätig sei. Die ihm verliehene Bezeichnung als “Schmerztherapeut” bzw “Algesiologe” umfasse querschnittsmäßig physikalisch-medizinische Leistungen, Leistungen aus dem Bereich der Naturheilkunde, Chirotherapie, physikalische Behandlungsmaßnahmen und andere im psychotherapeutischen Bereich angesiedelte Verfahren. Fehlerhaft sei es, die Chirotherapie allein zum Fachgebiet der Orthopädie zu rechnen. Zahlreiche Ärzte, die nicht Chirurgen oder Orthopäden seien, bemühten sich mit Erfolg um die Führung der Zusatzbezeichnung “Chirotherapie”. Im übrigen sei ihm im April 1995 von der Beklagten die Berechtigung verliehen worden, schmerztherapeutische Behandlungen im Rahmen der Anl 12 zum Arzt-Ersatzkassenvertrag (EKV) gegenüber Versicherten der Ersatzkassen zu erbringen; dazu gehörten auch chirotherapeutische Leistungen.

Auf der Grundlage der Ausführungen des Senats im Urteil vom 13. März 1991 müsse schließlich gefordert werden, daß ein eigenes Berufsbild des “Algesiologen und Schmerztherapeuten” eingeführt werde; die Eingliederung der Schmerztherapie in die vertragsärztliche Versorgung durch die Anl 12 zum EKV sei insoweit ein erster Schritt. Aus dem Grundrecht des Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) ergebe sich sein Recht auf eine “spezielle und eigene” Fachgruppe, damit ihm entsprechend seiner doppelten Qualifikation als Schmerztherapeut und Chiropraktiker der Weg zur Abrechnung der Nr 3211 BMÄ/EG-O offen stehe. Die Querschnittsdisziplin der Schmerztherapie erfordere, daß schmerztherapeutische Leistungen – ähnlich wie alle Leistungen von praktischen Ärzten oder Allgemeinmedizinern – ohne jede Fachgebietsgrenze erbracht und abgerechnet werden dürfen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Juni 1994 sowie das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. Februar 1993 und den Bescheid der Beklagten vom 1. Juli 1991 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 1991 aufzuheben und festzustellen, daß er (Kläger) als Anästhesist berechtigt sei, gemäß der Chirotherapie-Richtlinien chirotherapeutische Leistungen in der kassen/vertragsärztlichen Versorgung nach der Gebührenordnungsnummer 3211 BMÄ/EG-O 1987 abzurechnen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie legt dar, daß der Kläger auf der Grundlage des Art 29 Abs 1 des Bayerischen Kammergesetzes idF vom 9. März 1978 und § 19 Abs 1 der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns vom 11. Oktober 1987 bzw jetzt auf der Grundlage des Art 34 des Heilberufe-Kammergesetzes idF der Bekanntmachung vom 20. Juli 1994 sowie nach § 21 der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns idF vom 1. Oktober 1993 verpflichtet sei, seine ärztliche Tätigkeit auf das Gebiet zu beschränken, dessen Gebietsbezeichnung er führe. Dies gelte auch für die vertragsärztliche Tätigkeit mit der Folge, daß der Kläger nur in dem Gebiet vertragsärztlich tätig werden dürfe, für das er zugelassen sei. Das sei hier das Gebiet der Anästhesiologie. Zwar zähle die Schmerztherapie zum Fachgebiet der Anästhesiologie, wie sich aus Abschn I Ziff 2 der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns ergebe, doch folge aus dieser Bestimmung ebenso eindeutig, daß die Chirotherapie als Randgebiet zum Gebiet der Orthopädie zu rechnen sei, für das der Kläger nicht qualifiziert sei. Chirotherapie sei definiert als die Erkennung und Behandlung funktioneller, reversibler Erkrankungen des Bewegungssystems einschließlich ihrer Folgeerscheinungen mittels besonderer manueller Untersuchungs- und Behandlungstechniken. Im Rahmen der orthopädischen Weiterbildung sei die Vermittlung und der Erwerb von Kenntnissen über Chirotherapie und Sportmedizin obligatorisch. Bei den chirotherapeutischen Leistungen nach Nr 3211 BMÄ/EG-O 1987 handele es sich nicht um Behandlungen mit den Methoden der Anästhesiologie, sondern um gezielte therapeutische Manipulationen an Gelenken oder Wirbelsäule, die nicht in dieses Fachgebiet fielen. Daß kein fachlicher Zusammenhang zwischen der Chirotherapie und der Anästhesie existiere, ergebe sich auch daraus, daß nach § 6 Abs 3 der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns idF vom 1. Oktober 1993 die Zusatzbezeichnung “Chirotherapie” nicht neben der Gebietsbezeichnung Anästhesie geführt werden dürfe.

An der Zuordnung der Chirotherapie zur Orthopädie hätten auch die Anl 12 zum EKV (Bundesmantelvertrag-Ärzte-Ersatzkassen ≪BMV-Ärzte-Ersatzkassen≫) sowie die dazu ergangene Bayerische Ausführungsvereinbarung nichts geändert. In beiden Verträgen seien chirotherapeutische Leistungen nicht angesprochen. Nach § 6 der Bayerischen Ausführungsvereinbarung erlasse die KÄV einen Bescheid über die Berechtigung eines Arztes zur Teilnahme an dieser Vereinbarung. Diese Berechtigung umfasse aber nicht die Erbringung fachfremder Leistungen, vielmehr seien Leistungen nach der Vereinbarung über die ambulante Behandlung chronisch schmerzkranker Patienten für jeden Arzt nur im Rahmen seines Fachgebietes zulässig. Die Vertragspartner der Anl 12 zum BMV-Ärzte-Ersatzkassen besäßen ebenso wenig wie die Partner der Bayerischen Ausführungsvereinbarung die Kompetenz, die berufsrechtliche Zuordnung bestimmter Behandlungsformen zu einem ärztlichen Fachgebiet in Frage zu stellen. Deshalb sei es der Beklagten weder allgemein noch auch nur im Rahmen der Ausführungen der Anl 12 zum BMV-Ärzte-Ersatzkassen gestattet, die Erbringung fachfremder Leistungen zuzulassen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist nicht begründet.

Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidungen der beklagten KÄV ist entgegen der Annahme des LSG nicht § 48 Abs 1 SGB X. Die Beklagte hat nicht die mit Bescheid vom 26. März 1991 dem Kläger erteilte Berechtigung zur Erbringung chirotherapeutischer Leistungen widerrufen, sondern den Antrag des Klägers vom 17. April 1991, entsprechende Leistungen auch nach der zum 1. Juli 1991 geplanten Zulassung als Anästhesist abrechnen zu dürfen, abgelehnt. Nach der amtlichen Anmerkung zu Nr 3211 BMÄ/E-GO setzt die Abrechnung der darin aufgeführten Leistungen eine besondere ärztliche Qualifikation voraus, die der KÄV gegenüber nachzuweisen ist. Dieser Qualifikationsnachweis gilt nach Ziff 1 der Richtlinien der Beklagten über die “Voraussetzungen zur Durchführung und Abrechnung chirotherapeutischer Leistungen” als geführt, wenn ein Arzt die Zusatzbezeichnung “Chirotherapie” führen darf. Dazu ist der Kläger berechtigt, und seine persönliche Qualifikation zur Erbringung chirotherapeutischer Leistungen bezweifelt die Beklagte nicht. Sie hatte deshalb keinen Anlaß, mit den angefochtenen Bescheiden dem Kläger die Qualifikation zur Erbringung chirotherapeutischer Leistungen abzusprechen, die er als praktischer Arzt ebenso besitzt wie als Arzt für Anästhesie. Die Beklagte hat auf den Antrag des Klägers lediglich festgestellt, daß dieser ab dem 1. Juli 1991 als für das Fachgebiet der Anästhesie zugelassener Arzt chirotherapeutische Leistungen ungeachtet seiner fachlichen Qualifikation nicht mehr abrechnen darf, weil diese Leistungen für einen Anästhesisten fachfremd sind. Mit dieser Klarstellung hat die Beklagte die Aufhebung ihres Bescheides vom 26. März 1991 mit Wirkung zum 1. Juli 1991 verbunden. Dieser Aufhebung hätte es nicht bedurft, weil der Kläger unter dem Gesichtspunkt der Fachfremdheit Leistungen nach Nr 3211 BMÄ/E-GO als Anästhesist ab dem 1. Juli 1991 nicht hat abrechnen dürfen. Die Entscheidung der Beklagten ist gleichwohl sachgerecht, weil dadurch für die Zukunft klargestellt wird, daß die im März 1991 erteilte Genehmigung kein Vertrauen des Klägers begründen kann, chirotherapeutische Leistungen auch nach dem Wechsel des Fachgebietes abrechnen zu dürfen.

Der vor dem LSG und auch vor dem Senat gestellte kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsantrag des Klägers wird der verfahrensrechtlichen Situation gerecht. Der Feststellungsantrag ist entgegen der Auffassung des LSG zulässig, weil über die Abrechnungsberechtigung hinsichtlich chirotherapeutischer Leistungen zwischen den Beteiligten Streit besteht und der Kläger insofern ein Feststellungsinteresse iS des § 55 Abs 1 SGG besitzt. Ihm kann angesichts der eindeutigen Haltung der Beklagten nicht zugemutet werden, chirotherapeutische Leistungen in einzelnen Behandlungsfällen zu erbringen und abzurechnen, um nach der zu erwartenden Streichung der Leistungsansätze seitens der Beklagten im Honorarberichtigungsverfahren seinen Standpunkt durchzusetzen, diese Leistungen seien für ihn nicht fachfremd.

In der Sache haben die Vorinstanzen zutreffend entschieden, daß der Kläger ab 1. Juli 1991 als für das Fachgebiet der Anästhesie zugelassener Kassen- bzw Vertragsarzt chirotherapeutische Leistungen nach Nr 3211 BMÄ/E-GO gegenüber der Beklagten nicht abrechnen darf, weil diese Leistungen für ihn fachfremd sind. Der Senat hat bereits mehrfach ausgesprochen, daß der Tätigkeitsbereich eines Gebietsarztes durch die auf landesrechtlicher Grundlage beruhende Gebietsbezeichnung bestimmt und begrenzt wird und daß dagegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (zuletzt Urteil vom 27. Oktober 1987; BSGE 62, 224, 226 ff = SozR 2200 § 368a Nr 19). Die Berufsordnungen der Länder normieren auf der Grundlage von Ermächtigungen in Heilberufs- bzw Kammergesetzen die Verpflichtung derjenigen Ärzte, die Gebietsbezeichnungen führen, ihre Tätigkeit auf dieses Fachgebiet zu beschränken. Für den Kläger folgt diese Verpflichtung aus Art 29 Abs 1 bzw Art 34 Abs 1 des Bayerischen Kammergesetzes in den Fassungen von 1978 bzw 1994 iVm §§ 19 bzw 21 der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns in den Fassungen von 1987 bzw 1992, wie das LSG in Anwendung dieser nicht revisiblen (§ 162 SGG) landesrechtlichen Vorschriften dargelegt hat.

Die Bindung des Arztes an die Grenzen seines Fachgebietes trifft ihn, wie der Senat ebenfalls im Urteil vom 27. Oktober 1987 (aaO) ausgeführt hat, auch in seiner Eigenschaft als Kassen- bzw Vertragsarzt, obwohl dies im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und in der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) nicht ausdrücklich bestimmt ist. Nach § 18 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV muß in jedem Zulassungsantrag angegeben werden, für welchen Vertragsarztsitz und unter welcher Arztbezeichnung die Zulassung beantragt wird. § 24 Abs 3 Ärzte-ZV bestimmt, daß der Vertragsarzt das Fachgebiet, für das er zugelassen ist, nur mit vorheriger Genehmigung des Zulassungsausschusses wechseln darf. § 101 Satz 4 SGB V regelt, daß bei der Ermittlung des Versorgungsgrades die Entwicklung des Zugangs zur vertragsärztlichen Versorgung seit dem 31. Dezember 1980 arztgruppenspezifisch angemessen zu berücksichtigen ist. In gleicher Weise ordnet § 101 Satz 2 SGB V für die ab dem 1. Januar 1999 geltende Bedarfszulassung an, daß die Festlegung von Verhältniszahlen arztgruppenbezogen zu erfolgen hat. Nach § 103 Abs 2 Satz 3 SGB V sind schließlich Zulassungsbeschränkungen nach geltendem Recht arztgruppenbezogen unter angemessener Berücksichtigung der Besonderheiten bei den Kassenarten anzuordnen. Die Zusammenschau dieser Vorschriften zwingt zu dem Schluß, daß der Gesetzgeber auch des Gesundheitsreformgesetzes und des Gesundheitsstrukturgesetzes von der klaren Vorstellung einer nach einzelnen ärztlichen Fachgebieten gegliederten ambulanten vertragsärztlichen Tätigkeit ausgegangen ist und sich insoweit auf die landesrechtlichen Vorschriften zur Abgrenzung der einzelnen “Arztgruppen” gestützt hat. Die Gründe, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Senats unter verfassungsrechtlichen Aspekten für die Aufgliederung der ärztlichen Tätigkeit in verschiedene Fachdisziplinen und die Notwendigkeit der Beschränkung des für ein Fachgebiet zugelassenen Arztes auf die Tätigkeit in diesem Fachgebiet angeführt worden sind, beanspruchen nach wie vor Gültigkeit (Urteil vom 27. Oktober 1987 aaO mit Nachweisen auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Der Senat hat in seinem Urteil vom 13. März 1991 (BSGE 68, 190 = SozR 3-2500 § 95 Nr 1) die Bindung des einzelnen Vertragsarztes an die Grenzen des Fachgebietes, für das er zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, nicht in Frage gestellt. Er hat entschieden, daß die Zulassung einer Ärztin für Anästhesie, die schwerpunktmäßig schmerztherapeutisch tätig werden will, nicht auf Überweisungsfälle beschränkt werden darf. An der Notwendigkeit der sachgerechten Abgrenzung der einzelnen ärztlichen Fachgebiete hat der Senat in diesem Zusammenhang ausdrücklich festgehalten. Er hat formuliert, daß die dortige Klägerin zur Erbringung von anästhesistischen schmerztherapeutischen Leistungen ohne Bindung an die Überweisung eines anderen Vertragsarztes ua berechtigt ist, wenn die von ihr zu erbringenden Leistungen nicht solche ärztlichen Leistungen sind, die unter dem Gesichtspunkt sachgerechter Abgrenzung als Randbereich zu einem anderen ärztlichen Fachgebiet gehören, für das die Anästhesistin nicht qualifiziert ist (BSGE aaO S 193 f). Aus dem genannten Urteil des Senats ergibt sich im übrigen nichts für die Auffassung des Klägers, daß dem “Algesiologen” oder “Arzt für Schmerztherapie” wie anderen Allgemein- oder Gebietsärzten ein eigenständiges Berufsbild und Tätigkeitsfeld zugewiesen werden müßte, das ihn von der Bindung an Fachgebietsgrenzen weitgehend dispensiert. Die Bildung von ärztlichen Fachgebieten gehört zur Materie des ärztlichen Berufsrechts und liegt verfassungsrechtlich in der Kompetenz der Landesgesetzgeber. Die kassen- bzw vertragsärztliche Zulassung knüpft an die vom Landesgesetzgeber bzw auf landesgesetzlicher Grundlage von den Ärztekammern normierten Fachgebietsabgrenzungen an. Solange es in den auf landesgesetzlicher Grundlage beruhenden Weiterbildungsordnungen für Ärzte kein eigenständiges Gebiet der Schmerztherapie gibt, kann der Kläger in seiner Eigenschaft als Vertragsarzt nicht beanspruchen, bei der Erbringung schmerztherapeutischer Leistungen von den bestehenden Fachgebietsgrenzen freigestellt zu werden. Der Einwand des Klägers, praktische Ärzte oder Ärzte für Allgemeinmedizin dürften auch im Rahmen der Schmerztherapie chiropraktische Leistungen erbringen, während ihm dies als Arzt für Anästhesie verwehrt sei, greift nicht durch. Der einzelne Arzt, der als Gebietsarzt schmerztherapeutische Leistungen erbringen will, hat keinen Anspruch darauf, daß die schmerztherapeutische Tätigkeit generell wie die Tätigkeit eines praktischen Arztes oder eines Arztes für Allgemeinmedizin behandelt wird. Die Freistellung von Fachgebietsgrenzen und die Berechtigung, grundsätzlich alle Gesundheitsstörungen der Patienten behandeln zu dürfen, gehören zum Wesen der allgemeinmedizinischen und allgemeinhausärztlichen Tätigkeit. Der Kläger hat sich aus Gründen, die dem Senat nicht bekannt sind und zu denen er im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren nichts vorgetragen hat, dafür entschieden, die von der Bindung an bestimmte Fachgebietsgrenzen freie Tätigkeit eines praktischen Arztes zu beenden und als Gebietsarzt im Bereich der Anästhesie vertragsärztlich tätig zu werden. Die Konsequenzen, die sich aus dieser Entscheidung hinsichtlich der Einhaltung der für die Gebietsgruppe der Anästhesisten geltenden Fachgebietsgrenzen ergeben, muß der Kläger wie jeder andere Gebietsarzt hinnehmen.

Aus der berufsrechtlichen Aufgliederung des einheitlichen Arztberufes in verschiedene Fachdisziplinen und der (auch) vertragsärztlichen Beschränkung der ärztlichen Tätigkeit auf das Fachgebiet, für das der Arzt zugelassen ist, folgt notwendig, daß es für die Einhaltung der Fachgebietsgrenzen nicht darauf ankommt, ob ein Arzt aufgrund seiner beruflichen Qualifikation, seiner Ausbildung oder seiner tatsächlich erworbenen Erfahrung persönlich qualifiziert ist, solche ärztlichen Leistungen zu erbringen, die nach der gesetzlichen oder auf gesetzlicher Grundlage erfolgten Abgrenzung der ärztlichen Disziplinen für Ärzte seiner Gebietsgruppe fachfremd sind. Andernfalls wäre eine sachgerechte Abgrenzung der einzelnen ärztlichen Disziplinen nicht gewährleistet, weil jeder Arzt im Abrechnungsstreit den Nachweis führen könnte, für die Erbringung bestimmter ärztlicher Leistungen aus persönlichen Gründen qualifiziert zu sein. Auch ein Arzt, der berufsrechtlich mehrere Gebietsbezeichnungen führen darf, aber nur für ein Fachgebiet zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, muß sich im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auf Leistungen des Gebietes beschränken, für das er zugelassen ist. Diese Bindung gilt ungeachtet der Tatsache, daß an der persönlichen Qualifikation des Arztes, Leistungen auch aus dem Gebiet zu erbringen, in dem er die Weiterbildung erfolgreich abgeschlossen hat, kein Zweifel bestehen kann. Deshalb hat die Beklagte bei ihrer Entscheidung, chirotherapeutische Leistungen seien für den Kläger als Arzt für Anästhesie fachfremd, zu Recht außer Betracht gelassen, daß der Kläger berufsrechtlich berechtigt ist, die Zusatzbezeichnung “Chirotherapie” zu führen und damit grundsätzlich auch als Vertragsarzt die fachliche Qualifikation zur Abrechnung von Leistungen nach der Nr 3211 BMÄ/E-GO nachgewiesen hat.

Die Begrenzung der vertragsärztlichen Abrechnungsbefugnis des Klägers auf Leistungen aus dem Gebiet der Anästhesie wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß er berechtigt ist, an der Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten nach § 3 der “Vereinbarung über die ambulante Behandlung chronisch schmerzkranker Patienten” (Anl 12 zum BMV-Ärzte-Ersatzkassen) vom 1. Juli 1994 teilzunehmen. In dieser Vereinbarung und in der sie ausführenden Honorierungsvereinbarung zwischen der Beklagten und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen vom 17. August 1994 findet sich kein Anhaltspunkt dafür, daß die Fachgebietsgrenzen für die Erbringung von schmerztherapeutischen Leistungen im Rahmen der genannten Verträge keine Geltung haben sollten. Den Vereinbarungen kann nicht entnommen werden, daß jeder teilnehmende Arzt alle Leistungen zur Versorgung Schmerzkranker, wie sie in § 2 der Anl 12 zum Ersatzkassenvertrag beschrieben sind, unabhängig von seiner Fachgebietsbezeichnung abrechnen darf. In den Ziff 5 bis 7 des § 2 ist das gesamte Spektrum der im Rahmen der Schmerztherapie in Betracht kommenden Behandlungsverfahren von der Hypnose über die Entzugsbehandlung bis zur manuellen Therapie aufgeführt, was zeigt, daß nicht jeder Arzt jedes der genannten Verfahren anwenden kann und wird. Ob die Partner des BMV-Ärzte-Ersatzkassen berechtigt wären, einzelne Vertragsärzte für schmerztherapeutische Leistungen von der Einhaltung der Fachgebietsgrenzen zu dispensieren, bedarf danach keiner Entscheidung.

Der Berechtigung des Klägers, als Arzt für Anästhesie chirotherapeutische Eingriffe nach Nr 3211 BMÄ/E-GO abrechnen zu dürfen, steht entgegen, daß diese Eingriffe nicht zum Fachgebiet der Anästhesie gehören, sondern als Randbereich dem Fachgebiet der Orthopädie zuzurechnen sind, für dessen Kernbereich der Kläger nicht qualifiziert ist. Das hat das LSG in Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Vorschriften der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns entschieden. Mit dem Einwand, das LSG habe diese Vorschriften “zu eng” ausgelegt, kann der Kläger nicht gehört werden.

Bei den von der Revision angeführten §§ 19 bzw 21 sowie dem Abschn I Ziff 2 der Weiterbildungsordnung für die bayerischen Ärzte handelt es sich um nicht revisibles Recht, weil sich der Geltungsbereich der Weiterbildungsordnung nicht über den Bezirk des Bayerischen LSG hinaus erstreckt. Der Senat kann diese Bestimmungen deshalb, wie sich aus § 162 SGG ergibt, nicht selbst auslegen, sondern hat sie gemäß § 562 Zivilprozeßordnung iVm § 202 SGG mit dem vom Berufungsgericht festgestellten Inhalt der Revisionsentscheidung zugrunde zu legen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn für die Bezirke anderer Landessozialgerichte inhaltlich übereinstimmende Vorschriften geschaffen worden wären und dies bewußt und gewollt um der Rechtseinheit willen geschehen wäre. Das hätte indes in der Revisionsbegründung dargelegt werden müssen; denn die verletzte Rechtsnorm ist, soweit es sich um eine nur im Bezirk des LSG geltende Vorschrift handelt, nur dann iS des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG “bezeichnet”, wenn zugleich eine gleichlautende Norm im Bezirk eines anderen LSG benannt und dargelegt wird, daß diese zum Zweck der Rechtsvereinheitlichung erlassen worden ist (BSGE 56, 45, 51 = SozR 2100 § 70 Nr 1 S 7; BSG SozR 4100 § 117 Nr 14). Darauf hat der erkennende Senat in jüngerer Zeit nochmals ausdrücklich hingewiesen (Urteil vom 16. Januar 1991 – BSGE 68, 93, 95 = SozR 3-2500 § 106 Nr 3; Urteil vom 31. Juli 1991 – 6 RKa 19/90 –, Hinweis in Arzt und Recht 1992 Nr 1 S 18; Urteil vom 28. Oktober 1992 SozR 3-2500 § 75 Nr 2). Der Kläger ist diesen Anforderungen nicht nachgekommen; er hat schon nicht gleichlautende Vorschriften anderer landesrechtlicher Weiterbildungsordnungen angegeben. Von dieser Verpflichtung ist der Kläger nicht deshalb entbunden, weil der Senat im Urteil vom 27. Oktober 1987 (BSGE 62, 224, 226 = SozR 2200 § 368a Nr 19 S 64) davon ausgegangen ist, daß die Definition des ärztlichen Fachgebietes der Anästhesiologie in der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns idF vom 1. Januar 1978 mit den Weiterbildungsordnungen anderer Länder übereingestimmt hat. Ob das 1987 für alle landesrechtlichen Weiterbildungsordnungen oder nur für einzelne zugetroffen hat, kann auf sich beruhen. Inzwischen hat sich das Recht der ärztlichen Weiterbildung nicht zuletzt auf der Grundlage von Beschlüssen des Deutschen Ärztetages zu Musterweiterbildungsordnungen weiterentwikkelt, und in Folge dieser Weiterentwicklung und der Bildung zahlreicher zusätzlicher ärztlicher Fachgebiete kann nicht mehr unterstellt werden, daß die Gebietsabgrenzungen in den Weiterbildungsordnungen aller oder zumindest zahlreicher Bundesländer übereinstimmen. Der Kläger hätte Entsprechendes zumindest beispielhaft anhand der Weiterbildungsordnung eines anderen Bundeslandes vortragen müssen, was nicht geschehen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1996, 3103

SozSi 1997, 119

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