Orientierungssatz

Zweckmäßigkeit der individuellen Förderung iS von AFG § 36:

1. Die Zweckmäßigkeit der Umschulung eines EDV-Operators zum Masseur ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil für EDV-Operatoren ein weitaus größeres und breiter gestreutes Arbeitsplatzangebot besteht als für Masseure. Vielmehr kommt es auf die Verhältnisse im angestrebten Beruf an.

2. Eine Umschulung ist grundsätzlich dann nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes als zweckmäßig anzusehen, wenn es sich bei dem angestrebten Beruf um einen Mangelberuf handelt.

 

Normenkette

AFG § 47 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 36 Fassung: 1969-06-25; AFuU § 8 Fassung: 1969-12-18

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Dezember 1973 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger hat die Mittlere Reife und eine abgeschlossene Berufsausbildung als Bankkaufmann. Vom 1. Oktober 1967 bis zum 30. Juni 1971 arbeitete er überwiegend als EDV-Operator und teilweise gleichzeitig als Programmierer. Der Kläger besuchte vom 5. Oktober 1971 an bei der Kneipp-Gesundheitsschule Boppard den Lehrgang als Masseur, den er am 28. September 1972 mit der Prüfung vor dem staatlichen Prüfungsausschuß an der Schule abschloß. Demnach absolvierte er das Praktikum als Masseur und medizinischer Bademeister.

Am 30. November 1971 beantragte der Kläger beim Arbeitsamt Koblenz für die Umschulung zum Masseur Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Das Arbeitsamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20. Januar 1972 ab und wies den Widerspruch des Klägers am 29. März 1972 zurück, weil die Umschulung die berufliche Beweglichkeit des Klägers nicht sichere oder verbessere; als Bankkaufmann und Operator habe er ausreichende Beschäftigungs- und Aufstiegsmöglichkeiten.

Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht, in seinem Lehrberuf als Bankkaufmann könnte er erst nach einer bis eineinhalbjährigen Einarbeitungszeit wieder Fuß fassen. Er habe als Operator drei Jahre lang Schichtarbeit leisten müssen, könne sich aber auf die Dauer eine Tätigkeit im Schichtwechsel gesundheitlich nicht zumuten. Zudem komme ein Aufstieg vom Operator zum Programmierer für ihn mangels entsprechender Neigung nicht in Betracht.

Das Sozialgericht (SG) Koblenz hat die Beklagte am 20. Februar 1973 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger ab 5. Oktober 1971 für die Dauer der Umschulungsmaßnahme Leistungen nach dem AFG bzw. der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 18. Dezember 1969 (ANBA 1970, S. 85, 772 - AFuU 1969 -) zu zahlen.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz eine am 25. Oktober 1973 abgegebene Stellungnahme der Ärztin beim Kreisgesundheitsamt H Dr. K eingeholt zu der Behauptung des Klägers, er habe während der Zeit seiner Tätigkeit als Operator Depressionen bekommen. Die Ärztin hat dazu ausgeführt, ob der Kläger infolge seiner Tätigkeit als Operator Depressionen bekommen habe, lasse sich retrospektiv nicht entscheiden. Daraufhin hat der Kläger mitgeteilt, er sei wegen Depressionen nicht beim Arzt gewesen. Primär sei jedoch die Tatsache, daß er unter Migräneanfällen litt, die bedingt durch Schichtarbeit in klimatisierten Räumen mit grellem Neonlicht sehr häufig auftraten. Der Kläger hat ein Zeugnis des Facharztes für Innere Krankheiten Dr. C vom 12. November 1973 vorgelegt und behauptet, er sei außer bei diesem Arzt - wahrscheinlich 1968 - wegen migräneartiger Kopfschmerzen noch einige Male bei einem Internisten gewesen. Nach Beginn der Schichtarbeit hätten sich die Schmerzanfälle gehäuft. Die Schmerzen habe er durchweg nur mit Tabletten bekämpft, die er ohne Rezept von seiner Mutter erhalten habe.

Das LSG hat am 17. Dezember 1973 das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Ausbildung zum Masseur sei für den Kläger eine Maßnahme der beruflichen Umschulung gewesen. Dafür habe aber die Zweckmäßigkeit nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes gefehlt. Die Maßnahme habe die berufliche Beweglichkeit des Klägers nicht gesichert oder verbessert; denn als qualifizierter Bankkaufmann und als EDV-Operator habe ihm keine Arbeitslosigkeit oder unterwertige Beschäftigung gedroht. Aus den von der Beklagten vorgelegten Erhebungen ihres Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ergebe sich für EDV-Operatoren ein weitaus größeres breiter gestreutes Arbeitsplatzangebot als für Masseure. Auf dem Gebiet der EDV sei außerdem mit einer außergewöhnlichen Zunahme des Bedarfs an Fachkräften zu rechnen. Ein Aufstieg sei innerhalb des Berufsfeldes der Heilhilfsberufe, zu dem der Kläger als Masseur gehören würde, allenfalls im Wege weiterer Umschulung möglich. Darüber hinaus könne eine Umschulung aus einem Mangelberuf in einen anderen in der Regel nicht zweckmäßig sein. Gegenüber dem weitaus größeren Bedarf an EDV-Fachleuten müsse das Interesse der Allgemeinheit an ausreichender Besetzung der Heilhilfsberufe zurücktreten.

Erhebliche gesundheitliche Gründe für den Berufswechsel seien nicht ersichtlich. Depressionen des Klägers während seiner Tätigkeit als Operator hätten sich nach dem Ergebnis der Untersuchung beim Kreisgesundheitsamt retrospektiv nicht feststellen lassen. Die Bescheinigung des Dr. C spreche dagegen. Nach Beginn der Schichtarbeit habe der Kläger nur im Juni und September 1971 wegen Beschwerden in Form einer vegetativen Dysregulation bei Dr. C in Behandlung gestanden. An ähnlichen Beschwerden habe er aber bereits vor Beginn der Schichtarbeit gelitten, nämlich 1962, 1964, 1966 und im Februar 1967. In keinem Fall hätten die Beschwerden dem Arzt Anlaß gegeben, einen Berufswechsel vorzuschlagen. Eine Verschlimmerung des seit Jahren bestehenden Leidens sei nicht eingetreten, jedenfalls sei sie aus dem Attest vom 12. November 1973 nicht ersichtlich. Unter diesen Umständen könne die Beurteilung des Dr. C, der Berufswechsel erscheine aus gesundheitlichen Erwägungen angezeigt, nicht überzeugen. Mit dem anderen von ihm in Anspruch genommenen Arzt habe der Kläger nicht über den Berufswechsel gesprochen, deshalb bestehe kein Anlaß, ihm noch Gelegenheit zu geben, ein Attest dieses Arztes nachzureichen.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 36, 47 AFG und des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch das LSG und führt hierzu insbesondere aus: Wenn das LSG die objektiven Notwendigkeiten des Arbeitsmarktes in den Vordergrund stelle, lenke es damit die berufliche Entscheidung des einzelnen und beeinträchtige seine freie Berufswahl. Im Fall des Klägers sei darüber hinaus die Umschulung aus gesundheitlichen Gründen notwendig gewesen. Das LSG hätte erforschen müssen, welche besonderen Umstände für die bisherige Tätigkeit des Klägers als Operator gegeben waren, ob diese Tätigkeit für einen Menschen, der seit langer Zeit ständig an Kopfschmerzen infolge von Durchblutungsstörungen leidet, tragbar sei und ob sie bei Fortsetzung in Zukunft schwere Gesundheitsstörungen befürchten lasse. Zum Beweis für seine ständigen Kopfschmerzen hätte sich die Vernehmung seiner Mutter als Zeugin angeboten. Das LSG habe die Beurteilung des Dr. C, daß die Umschulung gesundheitlich angezeigt war, nicht erwähnt. Wenn es aber diese Bescheinigung nicht für ausreichend gehalten habe, hätte es ein Gutachten einholen müssen. Das Schreiben des Gesundheitsamtes, das nur aus drei Sätzen bestanden habe, sei kein erschöpfendes Gutachten gewesen. Dadurch hätte auch der frühere Gesundheitszustand nicht festgestellt werden können.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 20. Februar 1973 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und im Sinn der Zurückverweisung begründet.

Zutreffend hat das LSG ausgeführt, daß es sich bei der Ausbildung des Klägers zum Masseur und medizinischen Bademeister um eine Maßnahme der beruflichen Umschulung handelt. Als EDV-Operator und gelernter Bankkaufmann strebte der Kläger mit dem Besuch der Kneipp-Gesundheitsschule den Übergang in eine andere berufliche Tätigkeit an. Indessen reichen die Feststellungen des LSG nicht aus für die Entscheidung, ob die Voraussetzungen des § 47 AFG und der allgemeinen Vorschriften über die Förderung der beruflichen Bildung - §§ 33 ff AFG - vorliegen.

Der Kläger war Arbeitsuchender im Sinne des § 47 AFG. Allerdings ist bisher nicht festgestellt, ob er mit der Ausbildung zum Masseur eine unselbständige oder selbständige Tätigkeit anstrebte. Selbst wenn er sich aber nach Abschluß der Ausbildung alsbald selbständig machen wollte, würde dies seiner Eigenschaft als Arbeitsuchender nicht entgegenstehen; denn mit der Berufsqualifikation als Masseur und medizinischer Bademeister hat er objektiv in gleicher Weise die Möglichkeit, bei einem Krankenhaus, einer Kuranstalt oder bei einem anderen Masseur unselbständig tätig zu werden. Der Teilnehmer an einer Bildungsmaßnahme ist (auch) dann als Arbeitsuchender anzusehen, wenn er zwar die Aufnahme einer Tätigkeit als Beamter oder Selbständiger anstrebt, die von ihm zu diesem Zweck besuchte Umschulungsmaßnahme ihrer inhaltlichen Ausgestaltung und Zielsetzung nach objektiv jedoch ebenso und nicht nur ausnahmsweise die Berufsqualifikation zur Ausübung eines Beschäftigungsverhältnisses auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt. Auf die subjektiven Zielvorstellungen des Teilnehmers kommt es hierbei nicht entscheidend an, insbesondere wenn dem Teilnehmer Abänderungsmöglichkeiten offenstehen und wenn sich seine Zielvorstellungen nicht ohne weiteres verwirklichen lassen (BSG vom 30. September 1975 - 7 RAr 96/73 -).

Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 2 der AFuU 1969 sind erfüllt, denn der Kläger war vor der Umschulung mehr als drei Jahre als Operator berufstätig. Weiter kann davon ausgegangen werden, daß die Umschulung planmäßig mit einem qualifizierenden Abschluß geendet hat (§ 3 Abs. 3 AFuU 1969). Die Ausbildung zum Masseur und medizinischen Bademeister dauert nach dem Gesetz über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten vom 21. Dezember 1958 (BGBl I 985, zuletzt geändert durch Art. 29 des Gesetzes vom 25. Juni 1969 - BGBl I 645), mindestens zweieinhalb Jahre. Sie besteht aus dem mindestens einjährigen Lehrgang (im Fall des Klägers wurde diese Dauer eingehalten) und der eineinhalbjährigen praktischen Tätigkeit. Damit liegt die Umschulung unter der Höchstdauer von drei Jahren gemäß § 47 Abs. 3 Satz 2 AFG i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 3 AFuU 1969. Allerdings überschreitet die Umschulung zum Masseur und medizinischen Bademeister die Regeldauer von zwei Jahren; sie kann aber nach dem Gesetz nicht auf andere Weise verwirklicht werden (§ 6 Abs. 1 Satz 3 AFuU 1969). Eine Abkürzung der Ausbildungszeit für Umschüler ist im Gesetz nicht vorgesehen. Daher scheitert die Förderung nicht an der Soll-Vorschrift des § 3 Abs. 3 Satz 2 AFuU 1969. Die persönliche Eignung des Klägers i.S. des § 36 AFG ist nach dem Bestehen der staatlichen Prüfung nicht zu bezweifeln.

Nicht abschließend entschieden werden kann indessen nach den Feststellungen des LSG, ob die Förderung der Bildungsmaßnahme des Klägers nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig erscheint. Das LSG hat allerdings überzeugend dargelegt, daß der Förderungsanspruch nicht auf das Grundrecht der freien Berufswahl gestützt werden kann. Nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) haben alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Arbeitsstätte frei zu wählen. Daraus ergibt sich aber kein von den Voraussetzungen der Vorschriften des AFG unabhängiger Anspruch auf Förderung jeder beruflichen Bildungsmaßnahme. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Bundesanstalt für Arbeit nicht verpflichtet, entsprechend der freien Berufswahl des Bürgers Ausbildungs-, Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen finanziell stets zu fördern (BSGE 36, 3).

Für die Beurteilung der Zweckmäßigkeit einer Förderung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes ist, wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, von der Bestimmung des § 8 AFuU 1969 auszugehen (BSG SozR 4100 § 42 AFG Nr. 5, BSG vom 6. Mai 1975 - 7 RAr 46/73). Die Förderung ist gemäß dieser Bestimmung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig, wenn der Erwerbstätige seine berufliche Beweglichkeit sichern oder verbessern oder beruflich aufsteigen will und durch die Teilnahme an einer Maßnahme arbeitsmarkt- oder sozialpolitischen Bedürfnissen besser entsprochen werden kann, als dies ohne eine berufliche Fortbildung oder Umschulung möglich wäre. Dem Kläger ging es subjektiv um die Sicherung seiner beruflichen Beweglichkeit, und zwar schon deshalb, weil er glaubte, den Beruf als EDV-Operator nicht mehr ausüben zu können. Seine Umschulung hatte eine generelle Beziehung zum Arbeitsmarkt im Sinn der §§ 36 AFG, 8 AFuU 1969. Selbst wenn er als Masseur und medizinischer Bademeister selbständig tätig werden wollte, wäre die Beeinflussung des Arbeitsmarkts - negativ - gegeben, weil er nach dem Überwechseln in die selbständige Tätigkeit nicht mehr als Unselbständiger vermittelt zu werden brauchte. Nach der Meinung des LSG ist die Zweckmäßigkeit der Förderung unter Berücksichtigung der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes deshalb zu verneinen, weil für EDV-Operatoren ein weitaus größeres breiter gestreutes Arbeitsplatzangebot besteht als für Masseure. Der Senat hält demgegenüber an seiner Rechtsprechung fest, daß es für diese Zweckmäßigkeit grundsätzlich auf die Verhältnisse in dem angestrebten Beruf ankommt, nicht aber generell auf einen Vergleich mit den Verhältnissen im bisherigen Beruf (vgl. Urteile vom 6. März 1975 - 7 RAr 30/74 - und vom 4. November 1974 - 7 RAr 3/74 -). Davon geht auch die Beklagte in der hier nicht anzuwendenden Neufassung des § 8 AFuU (Fassung vom 19. Dezember 1973) aus. Der Kläger weist mit Recht daraufhin, daß schon nach dem Wortlaut des § 36 AFG Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit lediglich berücksichtigt werden müssen. Diese Prüfung gibt keinen Raum für eine Ordnung des Arbeitsmarktes, insbesondere für eine Lenkung der Arbeitskräftefluktuation zwischen verschiedenen Berufen durch die Beklagte. Eine solche allgemeine Lenkungsbefugnis dem § 36 AFG zu entnehmen, würde den in § 2 AFG aufgeführten Zielen des Gesetzes nicht entsprechen. Ob eine Förderung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig erscheint, orientiert sich vielmehr regelmäßig an den Zwecken, denen die jeweilige Maßnahme dient.

Zweck der Umschulung ist es, in erster Linie die berufliche Beweglichkeit des Arbeitnehmers zu sichern oder zu verbessern (§ 47 Abs. 1 AFG). Gesichtspunkte für die berufliche Beweglichkeit sind allerdings auch die vom LSG hervorgehobene breite Streuung des Arbeitsplatzangebotes und die Aufstiegschancen. Indessen hindern auch breite Streuung der Arbeitsplätze und beste Aufstiegsmöglichkeiten im Ausgangsberuf nicht, daß durch die Umschulung die berufliche Beweglichkeit gesichert oder verbessert wird. Das Ziel einer Umschulung wird regelmäßig erreicht, wenn der Umschüler in dem neuen Beruf - zusätzlich zu seinem bisherigen Beruf - eine auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Beschäftigungsmöglichkeit erhalten hat. Wie der Senat in den vorgenannten Entscheidungen ausgeführt hat, ist diese Voraussetzung grundsätzlich dann erfüllt, wenn es sich bei dem angestrebten Beruf um einen sogenannten Mangelberuf handelt. Von einem Mangelberuf in diesem Sinne ist dann auszugehen, wenn dem Angebot an freien Stellen für eine bestimmte Beschäftigung eine so geringe Nachfrage nach solchen Stellen auf der Arbeitnehmerseite gegenübersteht, daß der Bedarf in dem betreffenden Beschäftigungszweig nicht in der für eine ausgeglichene Arbeitsmarktsituation erforderlichen Weise gedeckt werden kann. Diese Situation läßt sich nicht mit bestimmten Zahlen oder Prozentsätzen abgrenzen. Es kommt sowohl auf die Besonderheiten des jeweiligen Berufs sowie auf seine Bedeutung für den Arbeitsmarkt und das Wirtschaftsleben an. In besonderen Fällen kann bereits eine geringe Zahl von nichtbesetzbaren Stellen dazu führen, den entsprechenden Beruf als einen Mangelberuf zu bezeichnen. In anderen Fällen wird man zu dem Ergebnis erst gelangen können, wenn in einem größeren, nennenswerten Umfang der Arbeitskräftebedarf der Wirtschaft nicht gedeckt werden kann. Die Beurteilung dieser Frage kann auch von der konjunkturellen Situation auf dem Arbeitsmarkt abhängen. Wenn der Kläger sich nach der Umschulung selbständig machen wollte, würde nichts anderes gelten. Eine Mangellage kann regelmäßig auch im Beruf der selbständigen Masseure und medizinischen Bademeister angenommen werden, wenn die entsprechende unselbständige Tätigkeit ein Mangelberuf ist. Im übrigen könnte der Kläger dann mindestens jederzeit aus der selbständigen in die unselbständige Tätigkeit ausweichen.

Das LSG hat im angefochtenen Urteil nicht festgestellt, ob der Beruf des Masseurs und medizinischen Bademeisters als Mangelberuf anzusehen war. Von diesen Feststellungen hängt aber die Entscheidung des Rechtsstreits ab, so daß er an das LSG zurückverwiesen werden muß.

Ergibt die weitere Sachaufklärung, daß es sich bei dem angestrebten Beruf um einen Mangelberuf im vorstehenden Sinn handelt, so ist die Voraussetzung der arbeitsmarktpolitischen Zweckmäßigkeit für eine Förderung i.S. von § 36 AFG entsprechend der Rechtsprechung des Senats ohne weiteres zu bejahen. Im anderen Fall ist folgendes zu beachten:

Es könnte sich einmal ergeben, daß der Beruf des Masseurs und medizinischen Bademeisters zwar nicht ein Mangelberuf ist, daß Angebot und Nachfrage jedoch ausgeglichen sind. In diesem Fall kommt es darauf an, ob der Kläger mit der Umschulung seine berufliche Beweglichkeit dadurch sichert oder verbessert, daß er einen zweiten Beruf erhält und daneben die Beschäftigungsmöglichkeit im alten Beruf fortbesteht. Auf diese Weise wäre sowohl arbeitsmarktpolitischen wie sozialpolitischen Bedürfnissen durch die Teilnahme an der Maßnahme besser entsprochen als ohne die berufliche Umschulung (§ 8 AFuU 1969). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, ob die Verhältnisse in dem bisherigen Beruf für den Kläger unverändert bleiben. Möglicherweise scheitert nämlich die Verbesserung oder Sicherung der beruflichen Beweglichkeit daran, daß eine Rückkehr in den bisherigen Beruf ausgeschlossen oder sehr erschwert ist, z.B. bei besonders schneller Entwicklung der Anforderungen an die Berufskenntnisse oder weil ständige Übung bestimmter Tätigkeiten in dem bisherigen Beruf erforderlich ist (vgl. Urteil des Senats vom 3. Juni 1975 - 7 RAr 30/74). In einem solchen Fall würde sich ergeben, daß der Kläger auf absehbare Zeit nicht mehr in der Lage wäre, in seinem Beruf als EDV-Operator eine gesicherte Existenzgrundlage zu behalten. Würde er darüberhinaus in dem neuen Beruf des Masseurs und medizinischen Bademeisters nur eine gegenüber seiner bisherigen Berufstätigkeit geringere Möglichkeit des beruflichen Einsatzes gewinnen, wäre es nicht zweckmäßig, i.S. des § 36 AFG die Umschulung zu fördern.

Ebenso wäre es, wenn sich aus den Feststellungen des LSG ergeben sollte, daß für die Tätigkeit eines unselbständigen Masseurs und medizinischen Bademeisters nicht nur kein ausgeglichener Arbeitsmarkt vorhanden ist, sondern sogar gegenüber der Nachfrage ein nur geringeres oder gar minimales Angebot freier Stellen besteht. In diesem Fall würde sich durch die Umschulung die berufliche Beweglichkeit des Klägers nicht nur nicht verbessern, sondern sogar verschlechtern. Er würde nämlich die Möglichkeiten zur Ausübung seines Berufs als EDV-Operator nach und nach verlieren, ohne eine gleichwertige Beweglichkeit im Beruf des abhängigen Masseurs zu erlangen, im Gegenteil. Auch in diesem Fall wäre sonach die Förderung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes nicht zweckmäßig.

Die Entscheidung des LSG war demnach aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Dabei wird das LSG schließlich noch folgendes zu berücksichtigen haben: Der Anspruch des Klägers kann auch unabhängig von der Angebots- und Nachfragesituation auf dem Arbeitsmarkt der EDV-Operatoren begründet sein und zwar auch, wenn der Beruf des Masseurs kein Mangelberuf war. Wenn nämlich die Umschulung aus gesundheitlichen Gründen geboten ist, erscheint sie zweckmäßig im Sinne des § 36 AFG unter der Voraussetzung, daß sie wahrscheinlich zu einer dauerhaften Unterbringung im angestrebten Beruf führt. Das LSG wird dazu bei der neuen Verhandlung und Entscheidung ohne Bindung an seine bisherigen Feststellungen zu prüfen haben, ob solche Gründe vorlagen, auch unter Berücksichtigung der Behauptung des Klägers, er habe noch einen anderen Arzt aufgesucht und sich von seiner Mutter wegen seiner Beschwerden Tabletten geben lassen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647732

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