Leitsatz (amtlich)

Die Rechtsprechung, daß für den Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten maßgebend sei (BSGE 14, 255, 260), ist nicht für die letzte Alternative des RVO § 1265 S 1 - "im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat" - zu übernehmen.

 

Normenkette

RVO § 1265 S. 1 Alt. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Dezember 1967 wird aufgehoben. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12. Mai 1967 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin beansprucht die Hinterbliebenenrente als geschiedene Ehefrau des Versicherten (§ 1265 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).

Die Ehe war im Mai 1953 geschieden, der Mann für alleinschuldig erklärt worden. 1954 hatte die Klägerin eine Tätigkeit als Hausgehilfin aufgenommen. Sie verdiente monatlich im Jahre

1963 brutto 311,20 DM und im Jahre 1964 brutto 368,40 DM.

Bis Ende 1963 erhielt sie von dem Versicherten je Monat Unterhaltszahlungen von 48,- DM. Der Versicherte war zu dieser Zeit bereits an Lungenkrebs erkrankt. Am 28. Juni 1964 starb er.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15. Juli 1965 die Bewilligung der Hinterbliebenenrente ab, weil die Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten über eigene Einkünfte verfügt habe und nicht unterhaltsbedürftig gewesen sei; auch habe der Versicherte nicht in einem solchen Umfange Zahlungen an die Klägerin geleistet, daß von einer regelmäßigen Unterhaltsgewährung im letzten Jahr vor seinem Tode die Rede sein könne.

Die Klägerin hat demgegenüber vorgetragen, ihr geschiedener Mann habe über ein hinreichend hohes Monatseinkommen verfügt, um Unterhalt leisten zu können. Sie selbst - 1917 geboren - habe dagegen aus Krankheitsgründen eigentlich nicht mehr arbeiten dürfen. Von Januar 1964 an habe der Versicherte die Überweisungen eingestellt. An seiner Stelle hätten zwei Töchter die Zahlungen übernommen, und zwar in der Erwartung, daß ihnen dieses Geld vom Vater erstattet werden würde.

Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Klage mit Urteil vom 12. Mai 1967 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 13. Dezember 1967 die Beklagte zur Zahlung der Hinterbliebenenrente vom 1. Juni 1964 an verurteilt. Beide Vorinstanzen stimmen darin überein, daß der Versicherte der Klägerin zur Zeit seines Todes weder nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) noch aus sonstigem Grunde Unterhalt zu leisten hatte. Die Klägerin sei nicht unterhaltsbedürftig gewesen, weil ihr eigenes Lohneinkommen für den angemessenen Lebensbedarf ausgereicht habe. Zudem habe den ärztlichen Bekundungen nicht entnommen werden können, daß sie seinerzeit über ihre Kräfte hinaus gearbeitet habe. - Im Gegensatz zur Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts hat aber das LSG die letzte Alternative des § 1265 RVO für verwirklicht angesehen. Der Versicherte habe "im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet", indem er während der ersten Hälfte dieses Jahres - so wie auch vorher - der Klägerin laufend monatlich 48,- DM habe zukommen lassen. Die Vorschrift des § 1265 RVO verlange nicht ausnahmslos eine ununterbrochene, zwölf Monate umfassende Zahlungsreihe bis unmittelbar vor dem Tode. Das letzte Halbjahr müsse außer Betracht bleiben, weil die Verhältnisse des Versicherten von der zum Tode ... führenden Krankheit beherrscht gewesen seien. Die Billigkeitserwägung, aus der heraus man bei den ersten beiden Alternativen des § 1265 RVO eine solche Situation nicht berücksichtige und statt dessen von dem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand ausgehe, treffe gleichermaßen auch hier zu. - Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat Revision eingelegt. Sie beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen. Sie meint, die Auslegung, die das LSG dem § 1265 RVO gegeben habe, sei mit seinem klaren Wortlaut - "im letzten Jahr vor seinem Tode" - nicht zu vereinbaren. Die Zeitdauer sei genau auf ein Jahr festgelegt und dieser Zeitabschnitt unverschiebbar mit dem Todesdatum verbunden. Der Wille des Gesetzes trete besonders deutlich in der Parallelvorschrift des § 592 RVO in Erscheinung. Diese Vorschrift verlange unmißverständlich die tatsächliche Unterhaltsgewährung "wenigstens während des letzten Jahres vor seinem Tode". - Man könne auch nicht annehmen - was das LSG offen gelassen habe -, daß die Töchter des Versicherten für ihren Vater Unterhalt gezahlt hätten. Es sei nichts dafür dargetan, daß sie ein Rechtsgeschäft des Vaters hätten besorgen wollen. Sie hätten jedenfalls nicht in seinem mutmaßlichen Willen gehandelt, wenn der Vater zur Leistung außerstande gewesen sein sollte.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Revision ist begründet.

Daß die Klägerin Anspruch auf Hinterbliebenenrente haben könnte, weil ihr geschiedener Mann, bevor er starb, aus einem gesetzlichen oder sonstigen Grunde Unterhalt zu leisten hatte (§ 1265 RVO), ist von dem LSG zutreffend verneint worden. Dem Berufungsgericht ist indessen nicht darin zu folgen, daß das Leistungsbegehren der Klägerin aus der letzten Alternative des § 1265 Satz 1 RVO zu rechtfertigen sei, nämlich damit, daß der Versicherte seiner früheren Frau "im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet" habe. Das Berufungsgericht hat gemeint, das Gesetz verlange nicht, daß der Versicherte bis unmittelbar vor seinem Tode zum Lebensbedarf der geschiedenen Frau ein Jahr lang kontinuierlich beigetragen habe; vielmehr fielen in den Zeitabschnitt des einen Jahres nicht diejenigen Monate, in denen der Versicherte an dem zum Tode führenden Leiden erkrankt gewesen sei.

Diese Ansicht ist - wenigstens in der Richtung, in der sie das LSG verstanden haben will - nicht zu billigen. Die letzte Alternative des § 1265 Satz 1 RVO ist in dreifacher Hinsicht gekennzeichnet. (a) Der zeitliche Maßstab ist genau begrenzt auf ein Jahr. Lebensumstände und Vorgänge in der Zeit vorher und nachher sind nicht von Gesetzes wegen rechtserheblich und können allenfalls zur Unterstützung des Verständnisses von Tatsachen, die in dieses Jahr fallen, herangezogen werden. (b) Das eine - maßgebliche - Jahr ist das "letzte" Jahr im Leben des Versicherten. Es ist dem Datum nach durch sein Ende - den Tod des Versicherten - unverrückbar festgelegt. (c) Unterhaltsleistungen müssen - jedenfalls "in der Regel" - für das volle Jahr aufgebracht worden sein (BSG 25, 86). Nur, wenn diese Merkmale verwirklicht sind, kann die letzte Alternative des § 1265 Satz 1 RVO ihren Sinn erfüllen. Durch sie wird die Rechtsanwendung erleichtert. Es wird die häufig mühevolle und zeitraubende Prüfung erspart, ob und in welchem Umfang der Versicherte zur Unterhaltsgewährung verpflichtet war. Für den Anspruch auf Hinterbliebenenrente reicht es aus, daß der Versicherte zuletzt ein ganzes Jahr lang der geschiedenen Frau Mittel zur Lebensführung zugewendet hat. Aber nur, wenn der Zeitabschnitt des letzten Jahres keine Unterhaltslücken aufweist, ist zu erwarten und zu unterstellen, daß der Versicherte auch künftig, wenn er nicht gestorben wäre, anhaltend und regelmäßig seine frühere Frau unterstützt hätte. Dagegen bieten Zahlungen, die - nicht stetig wiederkehrend - nur für einen Teil des letzten Jahres vorgenommen worden sind, nicht die Gewähr dafür, daß man es mit einem auf Dauer angelegten Leistungsverhältnis zu tun hat. Nur anstelle eines solchen - durch den Tod des Versicherten abgebrochenen - Dauerverhältnisses soll der Anspruch auf Hinterbliebenenrente treten. Diese Auffassung hat sich in der Rechtsprechung allmählich durchgesetzt. In dem in BSG 12, 279, 282 veröffentlichten Urteil ist erwogen worden, daß die letzte Alternative des § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - (= § 1265 RVO) Unterhaltsbeträge für die Gesamtheit des letzten Jahres fordere. Davon wurde lediglich der Fall ausgenommen, daß der Versicherte wegen "außergewöhnlicher Umstände", die er "weder beeinflussen noch gar beheben konnte", an kontinuierlichen Leistungen für seine geschiedene Frau gehindert war. Ähnlich einschränkend äußerte sich noch das Urteil in BSG 20, 252. Allerdings konnten sich in dem dort entschiedenen Fall die Unterhaltszahlungen deshalb nicht auf den Zeitraum eines Jahres erstrecken, weil der Versicherte die Scheidung nicht um ein volles Jahr überlebt hatte. Schließlich hat sich das Bundessozialgericht in dem hier vertretenen Sinne nachdrücklich in der Entscheidung vom 28. Juni 1966 (BSG 25, 86; fortgeführt in dem Urteil vom 28. Mai 1968 - 11 RA 309/66 -) ausgesprochen. Die Entwicklung, die diese Rechtsprechung genommen hat, stand wesentlich unter dem Einfluß der neueren Gesetzgebung auf dem Gebiete der Unfallversicherung. In dem durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) vom 30. April 1963 geschaffenen § 592 Abs. 1 RVO ist die dem § 1265 RVO entsprechende Gesetzesbestimmung schärfer dahin formuliert, daß der Anspruch der geschiedenen Frau auf Hinterbliebenenrente besteht, wenn der Versicherte ihr Unterhalt "wenigstens während des letzten Jahres vor seinem Tode geleistet hat". Diese Textgestaltung ist für die Auslegung des § 1265 RVO zu beachten, weil § 592 RVO aus ihm "übernommen" worden ist (Bundestagsdrucksache IV 120, Begründung zu § 590 des Entwurfs). Mit Rücksicht auf diese Verdeutlichung des gesetzgeberischen Willens ist es verständlich, daß in dem Urteil in BSG 25, 89 die denkbare Ausnahme von dem Grundsatz einer ganzjährigen Unterhaltsleistung nur noch zurückhaltend erwähnt wird.

Die dargelegte Absicht des Gesetzes gestattet es nicht, den Billigkeitsüberlegungen des LSG beizutreten. Das Berufungsgericht möchte den für die Unterhaltsgewährung bedeutsamen Zeitabschnitt von einem Jahr aus seiner Verknüpfung mit dem Tod des Versicherten lösen. Eine Parallele für seine Betrachtungsweise sieht es in der Rechtsprechung, die im Zusammenhang mit der Unterhaltspflicht des Versicherten die Worte "zur Zeit seines Todes" umgedeutet hat in die Formel "vom letzten wirtschaftlichen Dauerzustand". Danach soll für die unterhaltsrechtlichen Beziehungen der geschiedenen Ehegatten nicht auf einen kurzen Augenblick - den des Todes -, sondern auf einen längeren Zustand abgestellt werden, "der kraft genereller Vermutung ohne den Tod des Versicherten und ohne die damit zusammenhängenden Ereignisse" wahrscheinlich fortbestanden hätte (BSG SozR Nr. 22 zu RVO § 1265). Mit dieser Überlegung will man Unbilligkeiten begegnen, die häufig einer "schematischen Abgrenzung nach Jahren und Monaten anhaften" (vgl. BSG 14, 129, 132). Das Ende dieses letzten Dauerzustandes kann der Tod des Versicherten sein, soll aber auch "gegebenenfalls der Beginn der zum Tode führenden Krankheit" sein können (BSG 14, 132). Wie weit dieser Vorgang zeitlich von dem Todestag entfernt liegen kann, wird in der Judikatur bislang nicht eindeutig beantwortet. Dabei wird zwar an ein zeitliches Ausmaß bis zu einem Jahr gedacht (so BSG 12, 278, 279; SozR Nr. 9 zu § 1265 RVO; BSG 15. September 1964 - 5 RKn 12/61 -; 1. Juli 1965 - 4 RJ 265/62). Die Rechtsprechung war aber auch bereit, darüber hinauszugehen und hat sogar "jede allgemeine Festlegung" vermieden wissen wollen (BSG SozR Nr. 22 zu RVO § 1265). Soweit sie sich nicht an die Schranke des einen Jahres gebunden sah, hat sie es aber - worauf es hier ankommt - ausdrücklich abgelehnt, die Vorstellung von dem "letzten wirtschaftlichen Dauerzustand" mit dem Merkmal des "letzten Jahres vor dem Tode" im Sinne der letzten Alternative des § 1265 RVO zu verquicken (BSG SozR Nr. 22 zu RVO § 1265). Ob in bezug auf die ersten Alternativen des § 1265 RVO ein solches Abweichen von dem Erfordernis des "letzten Jahres" zu rechtfertigen ist oder ob nicht wenigstens die in Betracht kommende Periode in dieses Jahr hineinragen muß (so BSG 15. September 1964 - 5 RKn 12/61 -), mag hier auf sich beruhen. Die Formel von dem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand birgt bereits ohnehin eine "mit dem Wortlaut nur schwer zu vereinbarende Ausdehnung" des gesetzlichen Zeitbegriffs in sich (so BSG SozR Nr. 9 zu RVO § 1265). Keineswegs kann aber das fest umrissene Tatbestandsmerkmal der letzten Alternative des § 1265 RVO aus solchen Überlegungen heraus, wie sie das LSG angestellt hat, relativiert werden. Für eine Interpretation in dieser Richtung läßt das Gesetz keinen Raum. Die bewußt einfache, der Rechtsanwendung dienliche Lösung des Gesetzes würde preisgegeben; Ungewißheiten über den Gesetzesinhalt und zusätzliche Schwierigkeiten auf dem Gebiet der Tatsachenermittlung wären in Kauf zu nehmen. Das kann nicht gebilligt werden und zwar umso weniger, als der Gesetzgeber durch die jetzige Fassung des § 592 RVO seinen Willen in der dargelegten Richtung präzisiert hat. Mit dem Merkmal des "letzten Jahres vor seinem Tode" sind bereits diejenigen Erwägungen berücksichtigt, die der Rechtsprechung Anlaß für die zeitliche Erweiterung des Merkmals "zur Zeit des Todes" waren (so BSG 25, 88).

Der gegenwärtige Rechtsstreit bietet nichts, was als eine "besondere Ausnahme" angesehen werden könnte, die es zuließe, Unterhaltsleistungen während eines Zeitraumes von weniger als einem Jahr als rechtsbegründend zu bewerten. Wenn man eine solche Auffassung überhaupt rechtlich für angängig hält - darauf ist hier eine abschließende Antwort nicht nötig -, so stellt sich doch der Fall der Klägerin nicht als eine solche Besonderheit dar. Der Versicherte war zwar in der zweiten Hälfte seines letzten Lebensjahres krank und bettlägerig. Er war aber nach seinen damaligen Einkommensverhältnissen nicht außerstande, die Unterhaltszahlungen in dem früheren Rahmen fortzusetzen. Zumindest seine Sozialbezüge (Verletztenrente, Krankengeld) waren nach wie vor die gleichen. Es muß deshalb bei der uneingeschränkten Anwendung des in § 1265 RVO (letzte Alternative) aufgestellten Grundsatzes der ganzjährigen Unterhaltsleistung sein Bewenden haben. Ob die Klägerin von ihren Töchtern in der fraglichen Zeit mitunterhalten worden ist, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn davon auszugehen wäre, so ist nichts dafür dargetan, daß ihre Zahlungen dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Versicherten entsprochen haben (§§ 677, 683 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Es braucht deshalb nicht entschieden zu werden, ob Leistungen Dritter als Geschäftsführer ohne Auftrag überhaupt den Tatbestand des § 1265 RVO zu erfüllen vermögen.

Das Urteil des LSG ist daher aufzuheben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 92

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