Leitsatz (amtlich)

Für die Berechnung des Krankengeldes ist von dem Arbeitsentgelt vor Eintritt der AU auszugehen. Lohnerhöhungen zwischen dem Eintritt der AU und dem Beginn der Krankengeldzahlung wirken nicht auf dessen Berechnung (Anschluß an BSG 1973-06-22 3 RK 105/71 = BSGE 36, 59).

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 5 Fassung: 1967-12-21

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 03.09.1975; Aktenzeichen L 9 Kr 13/74)

SG Berlin (Entscheidung vom 22.01.1974; Aktenzeichen S 73 Kr 398/73)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts Berlin vom 22. Januar 1974 und des Landessozialgerichts Berlin vom 3. September 1975 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Berechnung des Krankengeldes.

Der Kläger ist aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Angestellter Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Am 26. März 1973 erkrankte er und wurde arbeitsunfähig. Sein Arbeitgeber zahlte ihm das Arbeitsentgelt entsprechend einer tarifvertraglichen Regelung für 12 Wochen - bis zum 17. Juni 1973 - fort, die Beklagte zahlte ihm vom 18. Juni 1973 bis zum Ende der Arbeitsunfähigkeit, dem 22. Juli 1973, Krankengeld. Sie berechnete das Krankengeld nach dem im Monat Februar 1973 gezahlten Arbeitsentgelt und begrenzte es auf das Nettoarbeitseinkommen.

Am 27. März 1973 wurde für den Arbeitsbereich des Klägers nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) ein neuer Tarifvertrag abgeschlossen, der eine Erhöhung der Arbeitsentgelte rückwirkend bis zum 1. Januar 1973 vorsah. Die Nachzahlungen für die Monate Januar bis März wurden im April 1973 ausgezahlt.

Der Kläger forderte von der Beklagten, ihm das Krankengeld nicht von dem früheren Arbeitseinkommen zu berechnen, sondern von dem neuen Tarifgehalt auszugehen. Er habe das neue Arbeitseinkommen tatsächlich ab Januar 1973 bezogen, es sei auch der Lohnfortzahlung zugrunde gelegt worden und das Krankengeld könne seine Funktion als Lohnersatz nur dann ordnungsgemäß erfüllen, wenn es von dem Lohn berechnet werde, der ihm tatsächlich entgangen sei. Überdies habe er von dem neuen Lohn auch Beiträge entrichtet, so daß aus diesem Grund die von ihm geforderte Berechnungsweise ebenfalls gerechtfertigt sei. Die Beklagte lehnte die Forderung des Klägers ab.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat auf seine Klage hin die Beklagte verurteilt, das Krankengeld nach dem neuen Tariflohn zu gewähren. Es hat die Berufung zugelassen (Urteil vom 22. Januar 1974). Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des LSG Berlin vom 3. September 1975): Die Tariferhöhung habe bis vor den Bemessungszeitraum für die Krankengeldberechnung zurückgewirkt. Die Beklagte habe die Berechnung auch erst vorgenommen, nachdem der neue Tarifvertrag bereits in Kraft getreten gewesen sei. Die Berechnung nach dem neuen Tariflohn berücksichtige die Lohnersatzfunktion des Krankengeldes: Die Berechnungsvorschrift des § 183 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei auslegungsfähig, der Fall der nachträglichen, aber rückwirkenden Lohnerhöhung werde dort nicht ausdrücklich geregelt.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten. Sie stützt sich auf das Urteil des erkennenden Senats vom 22. Juni 1973 - 3 RK 105/71 - (SozR Nr 60 zu § 182 RVO = BSGE 36, 59). Die Beklagte weist weiter darauf hin, daß das Problem der Aktualisierung des Krankengeldes inzwischen vom Gesetzgeber in § 182 Abs 8 RVO geregelt worden sei. Damit habe er dem Gedanken der Anpassung des Krankengeldes an die wirtschaftliche Entwicklung Rechnung getragen, jedoch sei das nicht in der Weise geschehen, wie es der Kläger und die Vorinstanzen beabsichtigt hätten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Berlin vom 22. Januar 1974 und das Urteil des LSG Berlin vom 3. September 1975 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der beklagten Krankenkasse ist begründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf ein höheres Krankengeld zu.

Der Anspruch des Klägers auf Krankengeld steht dem Grunde nach zwischen den Beteiligten außer Streit, streitig ist nur die Art der Berechnung. Wie der Senat bereits in dem Urteil vom 22. Juni 1973 aaO im einzelnen dargelegt hat, weist der erkennbare Sinn der für das Krankengeld heranzuziehenden Berechnungsvorschriften (§ 182 Abs 5 und 6 RVO in der zur streitigen Zeit geltenden Fassung - RVO aF -) darauf hin, daß als Berechnungsgrundlage für die Barleistung auf eine Lohnperiode abzustellen ist, die vor dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit liegt und die auch zu diesem Zeitpunkt bereits abgerechnet ist. Bis zur Grundsätzlichen Entscheidung (GE) Nr 5517 des Reichsversicherungsamtes vom 25. Februar 1943 (AN 1943 II, S. 145) wurde als maßgebender Zeitpunkt zwar auf den Eintritt der Krankheit abgestellt (vgl GE Nr 2342 vom 27. März 1917 in AN 1917, S 462), von da an jedoch auf den Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit. An dieser Rechtslage war weder durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall (Leistungsverbesserungsgesetz) vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913) etwas geändert worden noch hat das Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall (Lohnfortzahlungsgesetz - LFZG -) vom 27. Juli 1969 (BGBl I 946) die bis dahin geltenden Grundsätze unanwendbar gemacht. Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes, dem 1. Januar 1970 (Art 4 § 9 LFZG), wurde für Arbeiter und Angestellte der gleiche Rechtszustand hergestellt, und zwar dahingehend, daß Lohnveränderungen nach Eintritt der letzten Arbeitsunfähigkeit für die Berechnung des Krankengeldes nicht zu berücksichtigen sind. Der erkennende Senat hat in der zitierten Entscheidung allerdings darauf hingewiesen, daß bei dieser Berechnungsmethode die Bemessung des Krankengeldes in zunehmenden Maße in Widerspruch zum Lohnersatzprinzip geraten und daß auch eine Diskrepanz zur Beitragsleistung eintreten könne, insofern der Beitrag möglicherweise bereits nach einem anderen Arbeitsentgelt berechnet wird als das Krankengeld. Der Senat hat jedoch dargelegt, daß damit eine Frage an die Gesetzgebung aufgeworfen worden sei, die im Rahmen des Gesamtkomplexes der Barleistungen beantwortet werden müsse und die jedenfalls nicht von der Rechtsprechung isoliert aufgegriffen werden könne.

Der erkennende Senat hält an dieser Auffassung fest; er vermag sich der Ansicht des LSG, daß die von ihm vorgeschlagene Berechnungsweise sich noch im Rahmen zulässiger Gesetzesauslegung halte, nicht anzuschließen. Das LSG meint, eine tarifliche Gehaltserhöhung sei dann noch zu berücksichtigen, wenn die Leistungspflicht der Krankenkasse in einem Zeitpunkt einsetze, zu dem der Tarifvertrag bereits in Kraft sei und zumindest bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zurückwirke. Der Senat hingegen hält es nicht für vertretbar, zwischen dem Eintritt der Leistungspflicht - damit meint das LSG offenbar den faktischen Zahlungsbeginn - und dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu differenzieren. Es kann nach Auffassung des Senats schon nicht als zulässig angesehen werden, den Termin des Zahlungsbeginns als "Eintritt der Leistungspflicht" zu bezeichnen, denn der Anspruch auf Krankengeld wird ausgelöst durch den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit (§ 182 Abs 2 Nr 2 RVO aF). Dieser Zeitpunkt ist auch maßgebend für die zeitliche Begrenzung des Krankengeldanspruchs, denn die in § 183 Abs 2 Satz 1 RVO aF genannte Frist von drei Jahren rechnet vom Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit an. Diesen den Grund des Anspruchs betreffenden Vorschriften korrespondiert die Regelung der Anspruchshöhe durch § 183 Abs 5 RVO aF, in der ebenfalls auf den Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit abgestellt wird. Daraus erhellt, daß nach dem gesamten Regelungssystem der Anspruch auf Krankengeld maßgeblich beeinflußt wird durch den Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit.

Er ist als Anspruchsvoraussetzung für das Krankengeld weitgehend verselbständigt (vgl BSGE 18, 122, 125), und dieser Zeitpunkt ist somit für die Leistungspflicht der Krankenkasse entscheidend. Das zeigt sich am deutlichsten darin, daß die Krankenkasse von diesem Zeitpunkt an Krankengeld dann gewähren muß, wenn der Versicherte nach § 1 Abs 1 Satz 2 oder Abs 2 oder nach § 5 LFZG oder gemäß § 182 Abs 7 RVO aF vom Arbeitgeber keine Zahlungen erhält. Wenn auch der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht als eigenständiger Versicherungsfall anzusehen ist, so hat dieses Ereignis als wesentlichste Voraussetzung für den Krankengeldanspruch doch eine so weittragende Bedeutung, daß es entscheidend für die Begründung und Bestimmung des Anspruchs ist. Wenn das LSG den faktischen Beginn der Krankengeldzahlung zum maßgebenden Ereignis erheben will, so verkennt es, daß jener Termin durch zahlreiche nicht den Kern des Anspruchs berührende Nebenumstände verändert werden kann und deshalb schon aus grundsätzlichen Erwägungen heraus kaum geeignet ist, als Anknüpfungspunkt zur Festlegung des Anspruchs zu dienen. Der Beginn des Krankengeldes hängt einmal davon ab, ob es aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufungskrankheit iS der gesetzlichen Unfallversicherung gezahlt wird oder aufgrund einer anderen Krankheit (§ 182 Abs 3 RVO aF), zudem hängt er weiterhin davon ab, wann die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt ist. Darüber hinaus wird der Zahlungsbeginn maßgeblich davon beeinflußt, zu welchem Zeitpunkt der Versicherte die Arbeitsunfähigkeit der Kasse meldet (§ 216 Abs 3 RVO aF), im Falle nicht rechtzeitiger Meldung kann es sogar zu einer ermessensmäßigen Feststellung des Beginns kommen. Schließlich ist es auch von Bedeutung, daß das Gesetz eine Reihe von Ruhenstatbeständen vorsieht (vgl § 183 Abs 6, § 189 RVO aF), aufgrund deren das Krankengeld nicht vom Beginn des Anspruchs, sondern erst von einem späteren Zeitpunkt an gezahlt wird. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Lohnfortzahlung zu beachten. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Fortzahlung des Lohns kann je nach der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses und den tarifvertraglichen Regelungen von durchaus unterschiedlicher Länge sein. Auch im vorliegenden Fall hat der Kläger die Lohnfortzahlung nicht für die Dauer von sechs Wochen erhalten, wie das § 1 Abs 1 Satz 1 LFZG als Regelfall vorsieht, sondern ihm wurde der Lohn für zwölf Wochen fortgezahlt. Wollte man mithin den Zeitpunkt als maßgebend ansehen, zu dem die Krankengeldzahlung einsetzt, so würde ein Kriterium gewählt, das je nach der Gestaltung des Einzelfalls von den unterschiedlichsten Komponenten beeinflußt würde und das daher auch zu den unterschiedlichsten Ergebnissen führen könnte. Damit wäre aber kein sachgerechter Anknüpfungspunkt für die Bemessung des Krankengeldes gewonnen. Wenn auch der Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit dem Gesichtspunkt der Lohnaktualität nicht immer voll Rechnung trägt, so ist er doch am sachnächsten, weil auf dem Zeitpunkt des Ereignisses abgestellt wird - die Arbeitsunfähigkeit -, das seinerseits überhaupt erst den Anspruch zum Tragen kommen läßt.

Aus diesen Erwägungen hält der Senat an der in SozR Nr 60 zu § 182 RVO = BSGE 36, 59 entwickelten Auffassung fest (gleiche Auffassung auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 8. Aufl 1977, S 394 a; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl 1977, § 182, Anm 12 a, 19 b; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl 1976, § 182 RVO, Anm 4.4). Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß der Gesetzgeber zur Frage der Aktualisierung des Krankengeldes inzwischen eine Regelung getroffen hat, obgleich sie erst für einen Zeitpunkt wirkt, der nach der im Rechtsstreit maßgebenden Zeit liegt. Der Gesetzgeber hat durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) die Vorschrift des § 182 Abs 8 neu geschaffen und in die RVO eingefügt. Mit dieser Regelung wird dem Gedanken der Anpassung des Krankengeldes an die wirtschaftliche Entwicklung Rechnung getragen, wenn auch in einer ganz anderen Art und Weise als das der Kläger erstrebt. Während der Kläger eine Berechnung des Krankengeldes erstrebt, die auf neue Berechnungsgrundlagen aufbaut, geht § 182 Abs 8 RVO gerade davon aus, die bisherige Berechnung beizubehalten und sie nur mit einem prozentualen Zuschlag zu versehen. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß für die Berechnung von Unterhaltsgeld (§ 44 Abs 2 des Arbeitsförderungsgesetzes) Tariferhöhungen ebenfalls nicht zu berücksichtigen sind, wenn sie zwar vor dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis vereinbart worden sind, in der letzten abgerechneten Lohnzahlung vor der Maßnahme aber noch nicht mit enthalten waren (vgl BSG, Urteil vom 21. Juli 1977 - 7 RAr 102/76).

Da die Beklagte das Krankengeld des Klägers nach dem Arbeitsentgelt berechnet hat, das er im Referenzzeitraum vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bezogen hatte, ist ihre Berechnungsweise nicht zu beanstanden. Auf ihre Revision hin waren demgemäß die Urteile des SG und LSG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 126

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