Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsplätze in nennenswerter Anzahl. verschlossener Arbeitsmarkt. Prüfschweißer in der Qualitätsüberwachung

 

Orientierungssatz

1. Eine nicht nur unbedeutende Zahl von Arbeitsplätzen muß grundsätzlich auch dann vorhanden sein, wenn der Versicherte noch fähig ist, in vollen Schichten zu arbeiten. Selbst bei zumutbaren Tätigkeiten iS des § 1246 Abs 2 RVO darf er nur auf das verwiesen werden, wofür Arbeitsplätze in nicht nur unbedeutender Zahl vorhanden sind.

2. Je weniger Versicherte die Anforderungen einer bestimmten Tätigkeit erfüllen, um so geringer kann die Zahl der Arbeitsplätze sein, die bei der Verweisung den Arbeitsmarkt nicht als verschlossen erscheinen läßt; denn für die Chance, eine Arbeitsstelle zu finden, ist das Verhältnis zwischen der Zahl der Bewerber und den vorhandenen Einsatzmöglichkeiten mitbestimmend. Da Prüfschweißer in der Qualitätsüberwachung eines Herstellers von Materialien, die zum Bedarf des Schweißers gehören, über spezielle Kenntnisse und Erfahrungen verfügen müssen, reichen 100 Arbeitsplätze aus, um eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu verneinen.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 19.02.1981; Aktenzeichen L 1 J 13/80)

SG Duisburg (Entscheidung vom 22.01.1980; Aktenzeichen S 7 J 210/78)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob dem Kläger Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 1246 Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht.

Der im Jahre 1934 geborene Kläger arbeitete 1950 und 1951 als Bürobote und anschließend überwiegend als Elektroschweißer, ab Februar 1972 bei einer Apparate-, Behälter- und Rohrleitungsbaufirma als Elektroschweißer und Monteur. Seinen Rentenantrag vom 7. Oktober 1977 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 12. April 1978 ab.

Die dagegen gerichtete Klage des Klägers und seine Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des Sozialgerichts -SG- vom 22. Januar 1980 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 19. Februar 1981). Das LSG hat den Kläger nach seiner bisherigen beruflichen Qualifikation als Facharbeiter eingestuft. Diese Bewertung entspreche der tariflichen Eingruppierung in die Lohngruppe 8 des Lohnrahmenabkommens in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens. Der Kläger sei noch in der Lage, in vollen Schichten leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, möglichst in geschlossenen Räumen, auszuüben, wenn ausschließlich sitzende Arbeit sowie solche in gebückter Haltung und mit andauernd einseitiger Belastung vermieden würde. Er sei nicht berufsunfähig, weil er auf die für ihn sozial zumutbare Tätigkeit eines Prüfschweißers in der Qualitätsüberwachung verwiesen werden könne. Dazu reichten die etwa 100 Arbeitsplätze aus, die es für Prüfschweißer im Bundesgebiet gebe.

Der Kläger hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Er rügt eine Verletzung des § 1246 Abs 2 RVO. Eine Verweisung auf den Prüfschweißer müsse daran scheitern, daß infolge der geringen Zahl von nur etwa 100 Arbeitsplätzen insoweit der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den angefochtenen Bescheid sowie die Urteile des SG und des LSG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Rente wegen Berufsunfähigkeit ab Oktober 1977 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Kläger ist nicht begründet. Ihm steht die beanspruchte Rente wegen Berufsunfähigkeit nicht zu.

"Bisheriger Beruf" des Klägers iS des § 1246 Abs 2 RVO ist die Tätigkeit des Elektroschweißers, die er zuletzt vor der Stellung des Rentenantrags langjährig verrichtet hat. Diese Tätigkeit hat das LSG aufgrund seiner nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters zugerechnet. Der Kläger kann somit nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG - vgl SozR 2200 § 1246 Nrn 55, 67 bis 69, 71 mwN) im Rahmen des § 1246 Abs 2 RVO zumutbar nur auf Tätigkeiten verwiesen werden, die in die Gruppe der Facharbeiter oder in diejenige der sonstigen Ausbildungsberufe (angelernte Tätigkeiten) gehören oder aber wegen sonstiger Qualitätsmerkmale, die den Wert der Tätigkeit bestimmen, aus dem Kreis der ungelernten Arbeiten herausragen und wie sonstige Ausbildungsberufe bewertet werden. Dabei ist ein zuverlässiges Indiz in der tariflichen Einstufung zu sehen.

Das LSG hat den Kläger, der seinen "bisherigen Beruf" als Elektroschweißer nicht mehr ausüben kann, auf die von ihm innerhalb einer dreimonatigen Einarbeitungszeit vollwertig zu verrichtende Tätigkeit eines Prüfschweißers verwiesen. Dieser gehöre zu den "sonstigen Ausbildungsberufen", was sich aus der tariflichen Einstufung in die Lohngruppe 6 des Lohnrahmenabkommens für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein- Westfalens ergebe. Der Kläger wendet sich nun mit seiner Revision gegen diese Verweisung, weil es nach den Feststellungen des LSG für die Tätigkeit des Prüfschweißers im gesamten Bundesgebiet nur etwa 100 Arbeitsplätze - frei oder besetzt - gibt. Entgegen der Ansicht des Klägers ist diese Zahl bei der hier konkret zu prüfenden Verweisung nicht so unbedeutend, daß insoweit der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist.

Grundsätzlich besteht kein Anlaß, Feststellungen zur Zahl der vorhandenen Arbeitsplätze zu treffen, wenn der Versicherte fähig ist, auf die Dauer der vollen Zeit zu arbeiten und die Verweisungstätigkeit tariflich erfaßt ist (vgl BSG in SozR 2200 § 1246 Nrn 82, 86; § 1247 Nr 33 jeweils mwN). Davon ist nach dem angefochtenen Urteil auszugehen. Tariflich erfaßt ist in diesem Sinne eine Tätigkeit auch in einer Lohnordnung mit abstrakter Gruppendefinition (vgl BSG in SozR 2200 § 1246 Nr 45), wenn die Zuordnung zur Lohngruppe anhand der von den Vertragsparteien bestimmten Kriterien einwandfrei möglich ist. Die Vermutung einer ausreichenden Zahl von Arbeitsplätzen für Vollzeitarbeitskräfte kann jedoch aus bestimmten Gründen entfallen (vgl BSG in SozR 2200 § 1246 Nr 82) oder im Einzelfall widerlegt werden (vgl Urteil des Senats vom 16. Oktober 1981 - 5b RJ 36/81). Eine nicht nur unbedeutende Zahl von Arbeitsplätzen muß grundsätzlich auch dann vorhanden sein, wenn der Versicherte noch fähig ist, in vollen Schichten zu arbeiten. Selbst bei zumutbaren Tätigkeiten iS des § 1246 Abs 2 RVO darf er nur auf das verwiesen werden, wofür Arbeitsplätze in nicht nur unbedeutender Zahl vorhanden sind. Damit im Einklang hat das LSG die Zahl der vorhandenen Arbeitsplätze für Prüfschweißer festgestellt.

Die ermittelten etwa 100 Einsatzstellen für Prüfschweißer reichen aus, den Kläger darauf zu verweisen. Eine absolute Mindestzahl von Arbeitsplätzen für eine Verweisung läßt sich nicht allgemein festlegen, weil je nach den Verhältnissen des Einzelfalles auch die nur geringe Zahl der für eine Tätigkeit befähigten Interessenten nicht unberücksichtigt bleiben darf (so BSG in SozR 2600 § 46 Nr 1). Zutreffend hat das LSG daher eine Relation zwischen der erforderlichen Vorbildung bzw den notwendigen Kenntnissen und Fähigkeiten sowie dem dafür in Betracht kommenden Personenkreis hergestellt. Je weniger Versicherte die Anforderungen einer bestimmten Tätigkeit erfüllen, um so geringer kann die Zahl der Arbeitsplätze sein, die bei der Verweisung den Arbeitsmarkt nicht als verschlossen erscheinen läßt; denn für die Chance, eine Arbeitsstelle zu finden, ist das Verhältnis zwischen der Zahl der Bewerber und den vorhandenen Einsatzmöglichkeiten mitbestimmend. Da Prüfschweißer in der Qualitätsüberwachung eines Herstellers von Materialien, die zum Bedarf des Schweißers gehören, über spezielle Kenntnisse und Erfahrungen verfügen müssen, reichen 100 Arbeitsplätze aus, um eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu verneinen. Dem entspricht, daß der 5a Senat des BSG (Urteil vom 4. August 1981 - 5a/5 RKn 22/79 -) für eine Verweisung im Rahmen der Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit bei einem Versicherten mit einschlägiger Vorbildung als Offsetvervielfältiger 60 Arbeitsplätze im Bergbau an der Ruhr und an der Saar hat genügen lassen.

Nun hat allerdings zu § 46 Reichsknappschaftsgesetz (RKG), der § 1246 RVO entspricht, der 5. Senat des BSG im Urteil vom 14. März 1968 (SozR Nr 22 zu § 46 RKG) entschieden, daß etwa 300 Arbeitsplätze im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau für Arbeiten verwaltender Art bei der Arbeiterannahme, im Fehlschichtenbüro, im Büro des Sicherheitsbeauftragten, in der Wohnungsverwaltung sowie in der Stabsstelle (Wirtschaftsbüro) nicht die Verweisung ehemaliger Abteilungs- oder Schießsteiger auf solche Aufgaben zulassen. Diese Entscheidung war aber durch spezielle Besonderheiten beim Einsatz bergfertiger Reviersteiger gekennzeichnet und steht zu dem im Falle des Klägers gewonnenen Ergebnis nicht in Widerspruch. Bei den erwähnten 300 Arbeitsplätzen im Ruhrbergbau handelte es sich nämlich um solche, die tariflich nicht erfaßt und speziell zu dem Zweck getroffen worden waren, Angehörige des eigenen Betriebes oder zumindest des eigenen Unternehmens, die für ihren eigentlichen Beruf untauglich geworden waren, "unterzubringen". Derartige Tätigkeiten haben nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats für eine generelle Verweisung auszuscheiden (vgl Urteil vom 14. März 1968 aaO, sowie BSG SozR 2600 § 46 Nr 1 und Urteil vom 12. September 1980 - 5 RJ 98/78). Die vom LSG festgestellten 100 Arbeitsplätze beziehen sich indes nicht auf innerbetrieblich geschaffene Schonarbeitsplätze für "Berufsuntaugliche". Der Revision kann nicht darin gefolgt werden, daß es sich bei der Tätigkeit des Prüfschweißers in der Qualitätsüberwachung um Schonarbeitsplätze handele. Dafür sind nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG keine Anhaltspunkte vorhanden. Die Qualitätsüberwachung erfolgt in Betrieben, die Artikel des Bedarfs von Schweißern herstellen, ihrerseits also nicht in größerem Umfang für den Einsatz leistungsgeminderter Elektroschweißer Sorge zu tragen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661000

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