Entscheidungsstichwort (Thema)

Verweisung eines Facharbeiters. Pförtner. Einweisungs- und Einarbeitungszeit

 

Orientierungssatz

Ein Facharbeiter (hier Maurer) kann zur Abwendung der Berufsunfähigkeit iS des RVO § 1246 Abs 2 grundsätzlich nicht auf die Tätigkeit des einfachen Pförtners verwiesen werden (vgl BSG 1980-05-29 5 RJ 138/79). Kommt eine "gehobene" Pförtnertätigkeit in Betracht, hängt die Zumutbarkeit der Verweisung regelmäßig davon ab, daß die neue Tätigkeit keine längere betriebliche Einweisungs- und Einarbeitungszeit als drei Monate voraussetzt. Andernfalls ist die Verweisung grundsätzlich erst möglich, wenn die Einweisung und Einarbeitung abgeschlossen ist.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 14.11.1977; Aktenzeichen L 3 J 192/76)

SG Kiel (Entscheidung vom 21.06.1976; Aktenzeichen S 3 J 287/75)

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob dem im Jahre 1930 geborenen Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit zusteht. Seinen erlernten Beruf als Maurer mußte er wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles vom 23. August 1973, bei dem er sich insbesondere eine Knieverletzung und Rippenbrüche zuzog, aufgeben. Die Beklagte gewährte ihm deswegen zunächst Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und mit Bescheid vom 18. September 1975 Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit vom 1. März 1975 bis zum 29. Februar 1976.

Der dagegen gerichteten Klage hat das Sozialgericht (SG) entsprochen und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Berufsunfähigkeitsrente auf Dauer ab 1. März 1976 zu gewähren (Urteil vom 21. Juni 1976). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) in seiner Entscheidung vom 14. November 1977 dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Einschränkung der Erwerbsfähigkeit des Klägers hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Zustand seines linken Beines erlaube es nicht, weite Anmarsch- oder Dienstwege über 1000 Meter ohne längere Pausen zurückzulegen sowie anhaltend Treppen zu steigen oder Leitern zu erklettern. Leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen könne der Kläger in vollen Schichten verrichten. Er sei in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel oder den vorhandenen Personenkraftwagen zu benutzen. "Bisherige Berufstätigkeit" des Klägers sei iS des § 1246 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) seine Tätigkeit als gelernter Maurer. Als solcher müsse er sich auf eine Beschäftigung als Pförtner mit einer Entlohnung nach dem Tarifvertrag über das Lohngruppenverzeichnis zum Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder vom 11. Juli 1966 (Amtsblatt für Schleswig-Holstein 1966 S 477) in Lohngruppe IV Fallgruppe 3 verweisen lassen. Gäbe es auch nur eine tarifvertraglich erfaßte Tätigkeit, die in solcher Weise qualifiziert sei, und die der Versicherte nach seinen Kräften und Fähigkeiten verrichten könne, so müsse eine Berufsunfähigkeit verneint werden.

Der Kläger hat dieses Urteil mit der vom Senat zugelassenen Revision angefochten. Er rügt eine Verletzung des § 1246 Abs 2 RVO. Die vom Berufungsgericht genannte Pförtnertätigkeit entspreche nicht dem Niveau des sonstigen Ausbildungsberufs, was für die Verweisung eines Facharbeiters erforderlich wäre. Im übrigen reichten die Feststellungen des LSG nicht aus, seine Eignung für diese Tätigkeit zu beurteilen, über die Dauer der erforderlichen Ausbildung oder Einarbeitung, die notwendig sei, eine gehobene Pförtnertätigkeit zu verrichten, enthalte das angefochtene Urteil keine Ausführungen.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die

Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG

vom 21. Juni 1976 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend. Die Verweisung des Klägers auf die Pförtnertätigkeit sei nur beispielhaft zu sehen. Für den Kläger kämen sicher noch eine Reihe anderer, hinreichend qualifizierter Arbeiten in Betracht.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen wird (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Die Tatsachenfeststellungen reichen zu einer abschließenden Entscheidung nicht aus.

"Bisherige Berufstätigkeit" des Klägers ist iS des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO, wie das LSG angenommen hat und was auch zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, die Tätigkeit des gelernten Maurers. Diesen Beruf hat er langjährig bis zum Unfall vom 23. August 1973 ausgeübt und kann ihn seitdem nicht mehr verrichten. Er ist nur noch in der Lage, leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen auszuführen.

Das LSG hat den Kläger verwiesen auf eine Tätigkeit als Pförtner an verkehrsreichen Eingängen oder mit Auskunftsbefugnissen oder einfachem Fernsprechvermittlungsdienst bei Behörden, Museen, Krankenhäusern und ähnlichen Institutionen sowie bei größeren Betrieben. Eine solche Beschäftigung rage zB durch die Sicherheit und Sauberkeit des Arbeitsplatzes, das Fehlen körperlicher Belastungen sowie durch die erforderliche Zuverlässigkeit und durch Verantwortungsbewußtsein aus dem Kreis der ungelernten Tätigkeiten hervor. In der Anlage 1 des Tarifvertrages über das Lohngruppenverzeichnis zum "Manteltarifvertrag für die Arbeiter der Länder" (MTL II vom 27. Februar 1964, § 22) ist in Lohngruppe III Nr 1 - Arbeiter mit Tätigkeiten, für die eine eingehende Einarbeitung erforderlich ist - unter Nr 1.9 der Pförtner aufgeführt, soweit er nicht in die Lohngruppen IV oder V eingereiht ist. Die vom LSG herangezogene Nr 3 der Lohngruppe IV umfaßt Arbeiter der Lohngruppe III Nr 1 nach dreijähriger Bewährung in dieser Lohngruppe.

Der erkennende Senat hat wiederholt ausgeführt, daß ein Facharbeiter - wie der Kläger - nur auf Tätigkeiten verwiesen werden kann, die entweder in die Gruppe der Facharbeiter (Ausbildungsberufe mit einer Lehrzeit von mindestens 2 Jahren) oder in die Gruppe der sonstigen Ausbildungsberufe (angelernte Tätigkeiten) gehören oder aber wegen der ihnen anhaftenden Qualitätsmerkmale aus dem Kreis der ungelernten Tätigkeiten herausragen und wie sonstige Ausbildungsberufe bewertet werden, was am zuverlässigsten aus der tariflichen Eingruppierung erkennbar ist (vgl SozR 2200 § 1246 Nr 36 mwN Nr 38; Urteil des 4. Senats in SozR aaO Nr 45 und des 1. Senats vom 12. Dezember 1979 in SozR aaO Nr 55). Der Senat hat bereits im Urteil vom 27. April 1977 (SozR 2200 § 1246 Nr 17) ausgeführt, eine einfache Pförtnertätigkeit nach BAT X kommt - selbst wenn sie nach einer gewissen Zeit im Wege des Bewährungsaufstiegs nach BAT IXb entlohnt werde - als Verweisungstätigkeit für einen Facharbeiter nicht in Betracht. In Weiterführung dieser Rechtsprechung hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) am 12. Dezember 1979 (aaO) entschieden, daß ein Facharbeiter zur Abwendung der Berufsunfähigkeit iS des § 1246 Abs 2 RVO grundsätzlich nicht auf die Tätigkeit des einfachen Pförtners nach Lohngruppe IV MTL II verwiesen werden kann (vgl auch Urteil des erkennenden Senats vom 29. Mai 1980 - 5 RJ 138/79 -). Insoweit kann hier auf die Gründe jener Entscheidung des 1. Senats Bezug genommen werden, da sie - was die Qualität der Pförtnertätigkeit angeht - ebenso für die Verweisung des Klägers zutreffen.

Die Begründung, mit der das Berufungsgericht eine Berufsunfähigkeit des Klägers verneint, entspricht demnach nicht den aufgezeigten Anforderungen der einschlägigen Rechtsprechung des BSG. Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Entscheidung des 4. Senats vom 19. März 1980 - 4 RJ 13/79 -, die einen Versicherten betrifft, der eine ihm an sich subjektiv nicht zumutbare Tätigkeit als Pförtner aufgenommen hatte. Der 4. Senat hat die Berufsunfähigkeit in jenem Fall verneint, weil der Versicherte aufgrund einer tariflichen Verdienstsicherung weiterhin seinen früheren Lohn erhielt. Da die vom LSG genannte eine Verweisungstätigkeit des Pförtners der Tarifgruppe IV MTL II für einen Facharbeiter grundsätzlich nicht in Betracht kommt, kann es hier dahingestellt bleiben, ob es ausreicht, nur eine Verweisungstätigkeit zu benennen (so Urteil des 4. Senats vom 28. Juni 1979 in SozR 2200 § 1246 Nr 45).

Zwar hat der 1. Senat in seiner Entscheidung vom 12. Dezember 1979 (aaO) jenen Versicherten, den das LSG auf den einfachen Pförtner verwiesen hatte, als berufsunfähig angesehen. Streitig war in jenem Rechtsstreit aber das Übergangsgeld für eine zurückliegende Zeit zwischen Unfall und Umschulung. Im Falle des Klägers geht es dagegen um eine dauernde Berufsunfähigkeit, und die vom LSG bislang getroffenen Feststellungen lassen eine abschließende Entscheidung dieser Frage nicht zu. Das Berufungsgericht hat es ausdrücklich offengelassen, ob für den Kläger weitere Verweisungsmöglichkeiten bestehen. Das wird es nun noch prüfen müssen und die erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben.

Sollte das LSG nun - nachdem die Verweisung des Klägers auf eine "einfache" Pförtnertätigkeit ausscheidet - eine "gehobene" Pförtnertätigkeit in Betracht ziehen, so hängt die Zumutbarkeit der Verweisung regelmäßig davon ab, daß die neue Tätigkeit keine längere betriebliche Einweisungs- und Einarbeitungszeit als drei Monate voraussetzt. Andernfalls ist die Verweisung grundsätzlich erst möglich, wenn die Einweisung und Einarbeitung abgeschlossen ist (vgl BSG in SozR Nr 90 zu § 1246 RVO, Nr 40 zu § 45 RKG, SozR 2200 § 1246 Nrn 23 und 38, Urteil des Senats vom 29. Mai 1980 - 5 RJ 38/78 -). Auch haben Arbeitsplätze, die speziell zu dem Zwecke geschaffen worden sind, Angehörige des eigenen Unternehmens unterzubringen, die für ihren eigentlichen Beruf untauglich geworden sind, für eine Verweisung auszuscheiden (vgl BSG in SozR Nr 22 zu § 46 RKG). Zwar besteht bei Vollzeittätigkeiten grundsätzlich kein Anlaß, Feststellungen zur Zahl der vorhandenen Arbeitsplätze zu treffen (vgl BSGE 44, 39 f = SozR 2200 § 1246 Nr 19, SozR aaO Nrn 22 und 30). Ausnahmen können insoweit aber in Betracht kommen, wenn der Versicherte die Vollzeittätigkeit nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes verrichten kann, er etwa nicht mehr in der Lage ist, Arbeitsplätze dieser Art von seiner Wohnung aus aufzusuchen (BSGE 44, aaO 40) oder eine in einem Tarifvertrag einheitlich behandelte Tätigkeit unterschiedliche Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit stellt (so BSG in SozR 2600 § 45 Nr 19).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657752

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