Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 29.08.1994; Aktenzeichen L 16 An 62/94)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 29. August 1994 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Altersversorgung der Klägerin, insbesondere darüber, ob sie auch einen Anspruch auf Dynamisierung der Leistungen aus einem Zusatzversorgungssystem und auf Berücksichtigung von Zurechnungsjahren wegen Kindererziehung hat.

Die im Jahre 1929 geborene Klägerin bezog seit März 1989 eine Altersrente aus der Sozialpflichtversicherung iHv monatlich 345,00 Mark (Bescheid des FDGB – Verwaltung der Sozialversicherung – vom 12. Januar 1989). Daneben erhielt sie eine weitere Rente aufgrund der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR (AVI) vom 12. Juli 1951 (GBl S 675) iHv 800,00 Mark monatlich (Bescheid der Staatlichen Versicherung der DDR vom 10. Februar 1989). Mit dem Gesamtzahlbetrag von 1.170,00 DM (vgl hierzu Bescheid zum 1. Januar 1991 „Bisherige Sozialpflichtversicherungsrente”: 370,00 DM; Zusatzversorgung: 800,00 DM) wurde die Altersversorgung der Klägerin ab Juli 1990 auf DM umgestellt.

Der Gemeinsame Träger der Sozialversicherung verfügte mit Bescheid nach der 1. Rentenanpassungsverordnung (1. RAV) vom 14. Dezember 1990 (BGBl I S 2867) den Gesamtzahlbetrag ab 1. Januar 1991 weiterhin auf 1.170,00 DM. Mit Bescheid über die Rentenanpassung nach der 2. Rentenanpassungsverordnung (2. RAV) vom 19. Juni 1991 (BGBl I S 1300) bestimmte der Träger der Rentenversicherung – Überleitungsanstalt Sozialversicherung – den Gesamtauszahlbetrag ab 1. Juli 1991 auf 1.277,00 DM; der Erhöhungsbetrag wurde auf die Zusatzversorgung nicht angerechnet, da der Zahlbetrag der Rente und derjenige der zusätzlichen Versorgung den Grenzwert nicht überstieg. Durch Bescheid vom 28. November 1991 „über die Umwertung und Anpassung der Rente aufgrund des ab 1. Januar 1992 geltenden neuen Rentenrechts” wurden die bisherigen Renten als Regelaltersrente gewährt; nach Abzug des Beitragsanteils der Klägerin für die Krankenversicherung wurde ein monatlicher Auszahlbetrag von 1.277,03 DM festgesetzt. Die Rentenberechnung erfolgte im maschinellen Verfahren nach § 307b Abs 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI); dabei wurden 1,5 Entgeltpunkte mehr in Ansatz gebracht wegen zwei bei der Klägerin zu berücksichtigenden Kindern. Den Widerspruch gegen diesen Bescheid wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 1992 zurück.

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. April 1994 und Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 29. August 1994). Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt: Die Klage auf umgehende Neubescheidung des Anspruchs auf Altersrente sei unzulässig, da insoweit ein Vorverfahren nicht durchgeführt worden sei. Im übrigen sei die Berechnung der Rente nach § 307b Abs 5 SGB VI nicht zu beanstanden. Zurechnungsjahre wegen Kindererziehung seien nicht weiter zu gewähren. Nach § 307b Abs 5 SGB VI werde stattdessen bei der Rentenberechnung eine Kindererziehungspauschale berücksichtigt. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die gesetzlichen Regelungen bestünden nicht.

Die Klägerin hat die vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des Staatsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 (BGBl II S 537), des Einigungsvertrages (EinigVtr – im folgenden: EV) vom 31. August 1990 (BGBl II S 889), des Grundgesetzes (GG) und der Bestimmungen der Konvention zum Schutze der Menschen und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950 (BGBl II S 685, 953 mit späteren Änderungen) bei der Überführung der Ansprüche und Anwartschaften der Renten aus der Sozialpflichtversicherung sowie derjenigen aus den Zusatzversorgungssystemen und trägt vor:

Sie habe sowohl einen Anspruch auf eine Rente aus der Sozialpflichtversicherung als auch einen solchen auf eine zusätzliche Altersversorgung. Diese Ansprüche habe sie in Übereinstimmung mit rechtsstaatlichen Grundsätzen im Berufsleben durch Arbeit, Qualifikation und Leistung erworben. Beide Ansprüche hätten in der ehemaligen DDR unter dem Schutz des Verfassungsgrundsätzegesetzes vom 17. Juni 1990, des Staatsvertrages und des EV gestanden. Sie hätten auch nach dem Beitritt der DDR unverändert im Hinblick auf Art 19 EV bzw gemäß Art 232 § 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB ≪eingeführt durch EV Anlage I Kapitel III Sachgebiet B Abschnitt II≫) weiter bestanden. Denn ihr Anspruch auf zusätzliche Altersversorgung sei zivilrechtlicher Natur; er sei im Rahmen des Zivilrechts überführt und sei im Wege der Rechtsnachfolge zunächst auf die Überleitungsanstalt Sozialversicherung und später auf die Beklagte übergegangen; auf diesen Anspruch fänden daher schuldrechtliche Bestimmungen Anwendung.

Grundrechtswidrig sei ihr Anspruch aus dem Zusatzversorgungssystem abgeschmolzen und liquidiert worden. Eine entsprechende Gesetzgebungsermächtigung enthalte der EV nicht. Ebenfalls verfassungswidrig sei ihr Anspruch auf Berücksichtigung von Zurechnungsjahren wegen Kindererziehung gestrichen worden. Insoweit handele es sich um enteignende Eingriffe. Sie werde durch die Art und Weise der Rentenüberleitung nicht nur gegenüber den Bürgern der alten Bundesländer, die sämtlich eine sog zweite Säule der Alterssicherung hätten, benachteiligt, sondern auch gegenüber den Bürgern der ehemaligen DDR mit Ansprüchen aus der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) ungleich behandelt.

Der EV habe „selbstverständlich” eine Realwertgarantie vorgesehen und nicht etwa einen lediglich ziffernmäßig bestimmten statischen Betrag. Durch die Nichtdynamisierung der Zusatzversorgung sei ihr darüber hinaus ein erheblicher Schaden entstanden. Würde man den Zahlbetrag von Rente und Zusatzversorgung unter Berücksichtigung der Grenzfestlegungen dynamisieren, dann würde dies auch zu einer Angleichung der Einkommen und des Lebensstandards in Ost und West führen. Es sei darüber hinaus verfassungs- und menschenrechtswidrig, wenn einem Bürger der älteren Generation jahrelang ein erheblicher Teil seiner Altersversorgung einbehalten werde.

Die bisher ergangenen Urteile seien verfassungswidrig; das BSG sei in der Lage und befugt, in verfassungskonformer Auslegung und Anwendung die Rechtsvorschriften zu korrigieren und rechtsstaatliche Grundsätze herbeizuführen (anders – wohl – teilweise: Anlage zum Schriftsatz vom 25. Februar 1996 in – 4 RA 49/94 –, dort Bl 103 dA).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin wird insbesondere auf ihren Schriftsatz vom 4. Juni 1995 (Bl 99 ff der Akten) verwiesen. Ferner hat sie in der mündlichen Verhandlung ergänzend auf die in dem Rechtsstreit – 4 RA 49/94 – gemachten Ausführungen sowie auf die dort eingereichten Anlagen Bezug genommen (vgl Schrifsatz vom 25. Februar 1996 – 4 RA 49/94 –, dort Bl 89 ff dA).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 29. August 1994 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. April 1994 aufzuheben und

  1. die Beklagte zu verurteilen, die undatierten Rentenanpassungsmitteilungen zum 1. Januar 1991 und zum 1. Juli 1991, den Umwertungsbescheid vom 28. November 1991 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 1992 und die Rentenanpassungsmitteilungen zum 1. Juli 1992, 1. Januar 1993, 1. Juli 1993, 1. Januar 1994 und zum 1. Juli 1994 abzuändern und ihr

    1. umgehend ihre nach § 307b SGB VI neu berechnete Regelaltersrente zu bescheiden, hilfsweise rückwirkend ab dem 1. Juli 1994 die der pauschalen Umwertung der Regelaltersrente zugrundeliegenden durchschnittlichen 1.0035 Entgeltpunkte bis zur Neuberechnung pauschal auf durchschnittlich 1,5 Entgeltpunkte zu erhöhen, um zu sichern, daß sie eine Regelaltersrente in der ihr annähernd bereits zustehenden Höhe erhalte,
    2. zzgl zur Regelaltersrente rückwirkend ab dem 1. Juli 1990 die ursprüngliche, nicht abgeschmolzene Zusatzversorgung iHv 800,00 DM weiterzuzahlen und zu dynamisieren,
    3. die bis zum 31. Dezember 1991 anerkannten und ab dem 1. Januar 1992 gestrichenen Zurechnungsjahre weiterhin zu gewähren,
  2. hilfsweise,

    den Rechtsstreit zur erneuten Amtsermittlung, Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen sowie dabei das Landessozialgericht zu verpflichten, seine Entscheidung unter Berücksichtigung der Konsequenzen vorzubereiten, die sich aus dem Weitergelten des DDR-Rechts, aus der Bestandskraft der überführten Ansprüche bzw Verwaltungsakte sowie aus weiteren gemäß dem Amtsermittlungsgrundsatz zu machenden Feststellungen ergeben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf das Urteil des LSG Berlin sowie auf die Rechtsprechung des Senats zu den Fragen des Rentenüberleitungsrechts.

Den Antrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 5. März 1996, den Richter am BSG Dr. Meyer und die Richterin am BSG Tüttenberg als befangen abzulehnen, hat der Senat durch in der mündlichen Verhandlung verkündeten und begründeten Beschluß als rechtsmißbräuchlich verworfen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein mit der allgemeinen Leistungsklage (§ 54 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) sowie mit der kombinierten Anfechtungs-und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) geltend gemachter Anspruch auf eine höhere Altersversorgung für die Zeit ab 1. Juli 1990 (bis 29. August 1994 – Datum des angefochtenen Urteils). Damit sind Streitgegenstand die angefochtenen Bescheide zur 1. und 2. RAV, der Umwertungsbescheid vom 28. November 1991 sowie die folgenden Rentenanpassungsbescheide bis zum 1. Juli 1994. Unerheblich ist, daß ein Widerspruchsbescheid jedenfalls zu den Bescheiden nach der 1. und 2. RAV nicht ergangen ist. Der Senat hat bereits entschieden, daß im Hinblick auf die für die Bürger des Beitrittsgebietes besonders schwierige tatsächliche und rechtliche Umbruchsituation in den Jahren 1990 und 1991 es ausnahmsweise unbeachtlich ist, daß ein Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt worden ist, dies gilt auch hier, zumal beide Beteiligte sich nicht darauf berufen haben (näher hierzu: BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 8 S 20).

Der Klägerin steht aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt (bis zur bindenden individuellen Rentenfestsetzung) ein Anspruch auf eine höhere Altersversorgung in dem og Zeitraum zu.

Weder nach den Vorschriften der ehemaligen DDR, die nach dem EV übergangsrechtlich weiter anzuwenden waren, noch nach dem EV selbst, noch nach den Bestimmungen des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebietes (Anspruchs-und Anwartschaftsüberführungsgesetz ≪AAÜG≫) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S 1606, 1677) oder denjenigen des SGB VI hat die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung einer höheren, als ihr am 1. Juli 1990 zustehenden Altersversorgung. Der Anspruch auf Altersversorgung in dieser Höhe ist der Klägerin durch die – beiden – bindenden und nach Art 19 EV wirksam gebliebenen Bescheide des FDGB und der Staatlichen Versicherung der DDR (Sozialversicherungsrente: 370,00 DM; Rente aus der Zusatzversorgung: 800,00 DM) zuerkannt und in den Verfügungssätzen der Bescheide zur 1. und 2. RAV sowie der Bescheide vom 28. November 1991 und den folgenden Rentenanpassungsbescheiden – teilweise erhöht – fortgeschrieben worden. Eine bundesrechtliche Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch – ua von Zurechnungsjahren für Kindererziehung -findet sich mithin nicht.

1. Zwischen den Beteiligten steht zu Recht nicht im Streit, daß die Beklagte § 23 des Gesetzes zur Angleichung der Bestandsrenten an das Rentenniveau der Bundesrepublik Deutschland und zu weiteren rentenrechtlichen Regelungen (Rentenangleichungsgesetz der DDR ≪RAG≫) vom 28. Juni 1990 (GBl I Nr 38 S 495, 1457), § 6 der 1. RAV und die Vorschriften der 2. RAV sowie § 307b Abs 5 SGB VI in den angefochtenen Verwaltungsentscheidungen inhaltlich zutreffend umgesetzt hat, falls diese Vorschriften auf die Klägerin anwendbar und gültig sind.

2. Die von der Beklagten herangezogenen Vorschriften sind nicht zu beanstanden. Dies hat der Senat bereits entschieden. Er hält an den Grundsätzen seiner Rechtsprechung fest, die er in der Grundentscheidung vom 27. Januar 1993 (BSGE 72, 50 ff = SozR 3-8570 § 10 Nr 1; dazu BVerfG, Beschluß der 2. Kammer des 1. Senats vom 7. Juli 1993 – 1 BvR 620/93: „Zahlbetragsbegrenzung auf 2.010,00 DM”) zusammengefaßt sowie in einer Vielzahl von Urteilen und Beschlüssen zu verschiedenen Bereichen des Rentenüberleitungsrechts näher entfaltet hat; vor allem: Urteil vom 30. September 1993 – 4 RA 1/93: „Übergangszeit vom 3. Oktober 1990 bis 31. Dezember 1991”; Urteil vom 25. Januar 1994, SozR 3-1300 § 44 Nr 8: „Keine Einstandspflicht für DDR-Rentenansprüche vor dem 1. Juli 1990”; Beschluß vom 30. März 1994 – 4 RA 33/92, SGb 1995, 37 ff: „Zahlbetragsbegrenzung MfS”; Urteil vom 30. März 1994 – 4 RA 62/93, AuA 1994, 224, 256: „Systementscheidung und Rechtmäßigkeit der 1. und 2. Rentenanpassungsverordnung”; Urteil vom 10. Mai 1994, BSGE 74, 184 ff = SozR 3-8570 § 11 Nr 1: „Dienstbeschädigungsteilrente I”; Beschluß vom 24. August 1994, SozR 3-8570 § 17 Nr 1: „Berufsbezogene Zuwendung an Ballettänzer”; Urteil vom 31. August 1994, SozR 3-8570 § 11 Nr 2: „Kürzung der Übergangsrente”; Urteil vom 31. August 1994, SozR 3-8570 § 12 Nr 1: „Krankenversicherung von Sonderversorgungsrentnern”; Urteil vom 31. August 1994 – 4 RA 56/93: „Fortsetzung zur Dienstbeschädigungsteilrente I”; Urteil vom 29. September 1994, SozR 3-8570 § 11 Nr 3: „Dienstbeschädigungsteilrente II”; Urteil vom 15. Dezember 1994 – 4 RA 67/93, SozR 3-8560 § 26 Nr 2: „Unanwendbarkeit von § 26 Abs 1 Rentenangleichungsgesetz”; Urteil vom 14. Juni 1995 – 4 RA 41/94, SozR 3-8120 Kap VIII H III Nr 9, Nr 1: „Gesetz-und Verfassungsmäßigkeit der 1. und 2. Rentenanpassungsverordnung”; Vorlagebeschlüsse vom 14. Juni 1995 – 4 RA 98/94 (§ 6 Abs 2 AAÜG), – 4 RA 54/94 (§ 7 AAÜG) sowie – 4 RA 28/94 (Zahlbetragsbegrenzung auf 2.700,00 DM); vgl im übrigen auch Urteil vom 14. September 1995 – 4 RA 90/94, zur Veröffentlichung vorgesehen: „Anzuwendendes Übergangsrecht bei der Überführung von Ansprüchen eines ‚FZR’-Versicherten mit Zusage aus einem Zusatzversorgungssystem”. Danach ist von folgendem auszugehen:

a) Bundesrecht gilt für Ansprüche, die für die Zeit ab 1. Juli 1990 geltend gemacht werden. Nach dem EV, der durch das Einigungsvertragsgesetz vom 23. September 1990 (BGBl II S 885) in innerstaatliches Recht transformiert und damit – einfaches – Bundesgesetz geworden ist, findet Bundesrecht seit dem 3. Oktober 1990 auch für die Zeit ab 1. Juli 1990 mit den Maßgaben des EV rückwirkend Anwendung. Das Recht der früheren DDR gilt nur weiter, soweit es im EV angeordnet worden ist, und zwar nachrangig, lückenfüllend und übergangsrechtlich kraft bundesrechtlichen Anwendungsbefehls und in dessen Grenzen.

b) § 23 Abs 1 RAG, der am 1. Juli 1990 in Kraft getreten und aufgrund des Art 20 des Staatsvertrages beschlossen worden ist, hat zwar nach EV Anlage II Sachgebiet F Abschnitt III Nr 8 grundsätzlich bis 31. Dezember 1991 mit den Maßgaben des EV als sekundäres Bundesrecht weitergegolten. Er gibt jedoch keinen Anspruch auf eine Dynamisierung der Zusatzversorgungsrenten. Danach waren Renten aus der Sozialpflichtversicherung und Renten aus Zusatzversorgungssystemen lediglich nominell in unveränderter Höhe, umgestellt im Verhältnis 1:1 von Mark auf DM, weiter zu zahlen.

c) § 24 Abs 5 RAG findet keine Anwendung. Die darin vorgesehene schonende Überführung in Form einer Abschmelzung der Zusatzversorgungsrente bei Erhöhung des Gesamtzahlbetrages gelangte nach Inkrafttreten des EV – im Gegensatz zu § 23 RAG – als „Bundesrecht” nicht mehr zur Anwendung. EV Nr 9, der die Frage, ob und in welchem Umfang in Sonder- oder Zusatzversorgungssystemen erworbene Ansprüche und Anwartschaften in die Rentenversicherung (SGB VI) überführt werden, ausschließlich – „soweit sich aus dem Vertrag nichts anderes ergibt” – geregelt hat, veränderte das Überführungskonzept des RAG entscheidend. Er löste damit die Rahmenvorgaben in Art 20 des Staatsvertrages ab. Der vom RAG vorgesehene, auf den Maßgaben des Staatsvertrages beruhende Zwischenschritt auf dem Weg zur Wiederherstellung der Rechtseinheit in Deutschland auf dem Gebiet des Rentenversicherungsrechts, nämlich die Schaffung eines DDR-Rentenversicherungsrechts, das im wesentlichen dem Rentenversicherungsrecht der Bundesrepublik Deutschland entsprechen sollte, wurde im Blick auf das Inkrafttreten des SGB VI zum 1. Januar 1992 im EV fallengelassen. Die im Gegensatz zu diesem Überführungsprogramm stehenden, auf dem Staatsvertrag beruhenden Vorschriften, wie § 24 Abs 5 RAG, wurden verdrängt und damit gegenstandslos.

d) Eine Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf eine höhere Gesamtrente ergibt sich auch nicht aus der 1. und 2. RAV. Die aufgrund von EV Nr 9 Buchst f zum 1. Januar und zum 1. Juli 1991 ergangenen Rechtsverordnungen und die dort getroffenen Regelungen – ua Erhöhung der Rente aus der Sozialpflichtversicherung bei gleichzeitiger Kürzung der Rente aus den Zusatzversorgungssystemen (§ 6 der 1. RAV) – sind nicht zu beanstanden. Die hierauf gestützten (Abänderungs-)Bescheide entsprechen geltendem Recht.

Verfahrensrechtlich konnte der gemäß nach Art 19 EV auch über den 3. Oktober 1990 hinaus bindende Bescheid gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wegen Änderung der rechtlichen Verhältnisse im Hinblick auf die RAV geändert werden. Durch Art 19 Satz 1 EV wurde eine Abänderbarkeit der Verwaltungsakte nicht generell ausgeschlossen. Diese unterlagen vielmehr gemäß Art 19 Satz 3 EV den Vorschriften über die Bestandskraft von Verwaltungsakten und konnten mithin jedenfalls ab 1. Januar 1991 nach den auch in den neuen Bundesländern geltenden Verwaltungsverfahrensvorschriften, dem SGB X (EV Anlage I Sachgebiet D Abschnitt III Nr 2), abgeändert werden.

Materiell-rechtlich sind § 6 der 1. RAV und die Vorschriften der 2. RAV nicht zu beanstanden. Sowohl die Ermächtigungsnorm der beiden RAV, EV Nr 9 Buchst f, als auch die darauf beruhenden RAV selbst entsprechen formellem und materiellem Recht.

EV Nr 9 Buchst f ist Bundesgesetz; er ermächtigt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates, das „Nähere” zu den Maßgaben nach EV Nr 9 Buchst a bis e zu bestimmen. Die Ermächtigungsnorm hat, wie der gesamte EV, gemäß dem Vertragsgesetz den Rang eines Bundesgesetzes ohne verfassungs- oder völkerrechtlichen Vorrang. Sie ist hinreichend bestimmt. Ihr Regelungsgegenstand ergibt sich zulässigerweise aus dem Gesamtzusammenhang des Gesetzes, nämlich dem EV Nr 9. Dieser regelt das Überführungsprogramm für Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen. Danach sind – unter „Aufrechterhaltung” eines Anspruchs der Bestandsrentner auf den sich für Juli 1990 aus der Sozialpflichtversicherungsrente und der Rente aus dem Zusatzversorgungssystem zu erbringenden Gesamtzahlbetrag (sog Zahlbetragsgarantie) – Renten aus der Sozialpflichtversicherung und solche aus den Zusatzversorgungssystemen in eine einzige (Voll-)Rente zu überführen, und zwar in eine Rente nach den ab 1. Januar 1992 geltenden Bestimmungen des SGB VI; diese ist von Bestandteilen freizuhalten, die nicht auf Arbeit und Leistung, sondern auf politischer Begünstigung beruhen.

Dieses Überführungsprogramm des EV Nr 9, das Grundlage für die Auslegung der Ermächtigungsnorm EV Nr 9 Buchst f ist und deren Inhalt bestimmt, steht im Einklang mit dem GG.

Art 14 GG wird durch die Schließung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme und die Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus diesen Systemen in eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht verletzt. Denn die Rentenansprüche und -anwartschaften aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen sind keine eigentumsgeschützten Rechtspositionen iS des GG (zur sog Zahlbetragsgarantie, siehe unten). Der Schutz der Eigentumsgarantie des Art 14 GG erstreckte sich nicht rückwirkend auf Erwerbstatbestände, die im Gebiet der ehemaligen DDR zurückgelegt worden sind. Der Verantwortungsbereich der dem GG verpflichteten Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland beschränkte sich sowohl tatsächlich als auch staatsrechtlich allein auf das damalige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (Art 23 Satz 1 GG aF).

Das Überführungsprogramm in EV Nr 9 verstößt auch nicht gegen Art 3 GG.

Dem Gesetzgeber stand es frei, wie er die Versorgung der Bestandsrentner mit Ansprüchen aus Zusatzversorgungssystemen regelt. Eine derartige Regelung ist nur nach den Maßstäben der Verfassung und nicht abstrakt unter dem Gesichtspunkt der Systemwidrigkeit, insbesondere nicht gemessen am System des DDR-Rechts, zu prüfen. Eine Systementscheidung ist selbst dann nicht willkürlich, wenn der Gesetzgeber unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat; sie ist es nur dann, wenn sich ein sachgerechter Grund für eine gesetzliche Bestimmung nicht finden läßt.

Der Gesetzgeber hat im EV Nr 9 die auf entgeltlicher Beschäftigung in der DDR beruhenden Rentenansprüche wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Alters und Tod aus Zusatzversorgungssystemen unter Wahrung des Bestandsschutzes zukunftsorientiert ab 1. Januar 1992 als in die gesetzliche Rentenversicherung überführbar gewertet. Er hat dieses Überführungsprogramm verfassungsgemäß, insbesondere unter Bindung an den Gleichheitssatz und das Sozialstaatsgebot des Art 20 Abs 1 GG gestaltet. Er mußte bei der Ausgestaltung das Ziel der Gleichheit der Lebensverhältnisse im ganzen Bundesgebiet berücksichtigen. Insbesondere im Hinblick auf die vielfältigen und vielschichtigen Probleme der Bewältigung der Folgen ua des Staatsbankrotts der DDR (so BVerfGE 84, 90, 131; vgl im übrigen Feststellungen in dem og Vorlagebeschluß vom 14. Juni 1995 – 4 RA 54/94) oblag es ihm, in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht die Prioritäten für eine Annäherung der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu setzen. Aus diesem Grund war er berechtigt, ein System zu schaffen, das für alle eine Rentenleistung sicherte, die nach der Art ihrer Ausgestaltung typischerweise bei einem den allgemeinen Regeln entsprechenden Arbeitsleben zur angemessenen Sicherung der Existenz ausreichte. Sozialpflichtversicherungs- und Zusatzversorgungsrente sind danach in der – neu zu berechnenden – dynamischen Rente zusammengefaßt. Der „Wert der zusätzlichen Versorgungsleistung” wurde damit berücksichtigt. Die Zusatzversorgungsrente ist mithin nicht liquidiert, sondern – im Hinblick auf die Anhebung auf DM, auf die im Gegensatz zur ehemaligen DDR regelmäßige Dynamisierung der Rente und die Berechnung der Rente auf der Grundlage des tatsächlich erzielten gesamten Entgelts, der Hochwertung auf das Westniveau und der Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze – in die Gesamtleistung integriert. Die Überführung war auch im Hinblick auf die vielfältigen Aufgaben der Bundesrepublik Deutschland bei der Wiedervereinigung und die Art ihrer Ausgestaltung system- und sachgerecht. Der Gesetzgeber hat bei der Überführung den Grundsatz des Vertrauensschutzes gewahrt, indem er den Beziehern einer Rente auch aus der Zusatzversorgung den ihnen am 1. Juli 1990 zustehenden, auf ihrer Arbeitsleistung beruhenden – entsprechend dem die einfache Rechtsordnung und das Geldschuldensystem beherrschenden Nominalwertprinzip – nominalen (nicht realen) Gesamtzahlbetrag aufgewertet in DM bis zum Erreichen einer SGB VI-Rente in dieser Höhe eigentumsgeschützt garantiert hat (EV Nr 9 Buchst b Satz 4, sog Zahlbetragsgarantie).

Im Hinblick auf die im Rahmen der Gestaltungsfreiheit vom Gesetzgeber getroffene, nicht zu beanstandende Systementscheidung kann auch dahinstehen, ob Ansprüche aus Zusatzversorgungssystemen der ehemaligen DDR in deren Rechtssystem zivilrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur waren. Für die Klägerin günstigere Rechtsfolgen würden sich im übrigen bei einer zivilrechtlichen Ausgestaltung ebenfalls nicht ergeben. Denn selbst wenn Art 232 § 1 EGBGB in diesen Fällen Anwendung fände, wäre ein zu „DDR-Zeiten” bestehender zivilrechtlicher Anspruch auf Altersversorgung der Klägerin nach der Wiedervereinigung ins Leere gegangen. Denn mit dem Erlöschen der DDR und ihrer Einrichtungen wäre ein Anspruchsgegner, der für die Schuld der Versicherungseinrichtungen der DDR einzustehen gehabt hätte, nicht mehr vorhanden gewesen. Die Bundesrepublik Deutschland war nicht Gesamtrechtsnachfolgerin der DDR und die Rentenversicherungsträger nur Funktionsnachfolger und nicht etwa Rechtsnachfolger der Versicherungseinrichtungen.

Die 1. und 2. RAV setzen das Überführungsprogramm des EV auch sachgerecht um. Der Verordnungsgeber hat nur diejenigen Angleichungen vorgenommen, die im Hinblick auf das Angleichungsziel, einer ab 1. Januar 1992 in ganz Deutschland gültigen SGB VI-Rente und zur Erreichung eines Nettorentenniveaus von 70 vH sachlich berechtigt und verhältnismäßig waren.

Der Verordnungsgeber hat durch das Abschmelzen der Renten aus Zusatzversorgungssystemen nicht gegen Art 14 GG verstoßen. Denn die erstmals im EV Nr 9 Buchst b Satz 4 als eigentumsgeschützte Rechtsposition ausgestaltete Zahlbetragsgarantie wurde bei diesem Anpassungsvorgang nicht unterschritten.

Die Regelungen in der 1. und 2. RAV verstoßen auch nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Zwar werden danach die Renten von Mitgliedern der FZR und die Renten von Angehörigen der Zusatzversorgungssysteme verschieden angepaßt. Ein sachlicher Grund für die verschiedene Behandlung der Angehörigen der beiden Versicherungs- bzw Versorgungssysteme lag jedoch vor. Denn die Ungleichbehandlung knüpfte an den Umstand, daß nach dem Überführungsprogramm des EV Grundlage der Rentenberechnung ua Arbeitsleistung und geleistete Beiträge sein sollten und die Höhe der Beiträge bei den Mitgliedern der FZR ohne weiteres aus den Unterlagen der Versicherungsanstalten der ehemaligen DDR erkennbar waren, während dies bei den Renten aus den Zusatzversorgungssystemen nicht der Fall war (vgl og Urteil vom 14. September 1995 – 4 RA 90/94). Im Hinblick auf das Angleichungsziel einer SGB VI-Rente als Spiegelbild der erbrachten Arbeits- und Beitragsleistung war es somit sachlich gerechtfertigt, bis zur endgültigen Berechnung der SGB VI-Rente für eine Übergangszeit es bei den bestandsgeschützten Zahlbeträgen zu belassen, um im Hinblick auf die SGB VI-Rente mögliche Überzahlungen zu vermeiden.

e) § 307b Abs 5 SGB VI, auf dem der Umwertungsbescheid beruht und in dem die beiden Ansprüche auf Sozialpflichtversicherungsrente und Rente aus dem Zusatzversorgungssystem durch einen Anspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung ersetzt worden sind, ist ebenfalls gültig. Er ermächtigte die Beklagte, für Rentenbezugszeiten ab 1. Januar 1992 die für die Höhe der überführten Rente maßgeblichen Entgeltpunkte in einem „maschinellen Verfahren” zu ermitteln und bei der pauschalierten Berechnung der überführten Leistung Werte zugrunde zu legen, die bei der individuellen Feststellung der Rente später uU zu einem erheblichen Nachzahlungsanspruch führen. Solange die für die Rentenberechnung in jedem Einzelfall erforderlichen Daten aus dem gesamten Versicherungsverlauf noch nicht ermittelt werden konnten, konnte sie also die Rentenhöhe vorab aufgrund abstrakter, gesetzlich vorgegebener Werte und damit verbindlich feststellen. Der Anspruch des Versicherten auf eine seinen individuellen Verhältnissen entsprechende Festsetzung der Höhe seines Rentenanspruchs blieb dadurch dem Grunde nach unberührt, wurde aber zunächst hintangehalten (vgl § 307c SGB VI). Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken bestehen im Hinblick auf das og Angleichungsziel und den – zugrundezulegenden – Kenntnisstand des Gesetzgebers bei der Kodifikation des Rentenüberleitungsrechts nicht. Denn jedenfalls aus seiner damaligen Sicht gab es Anhaltspunkte dafür, daß die der Berechnung der Zusatzversorgungsrenten zugrundeliegenden Arbeitsentgelte möglicherweise aus politischen Gründen gegenüber den sonstigen Erwerbstätigen in der früheren DDR überhöht oder sogar „Unrechtsentgelte” (vgl zum Begriff und der Bedeutung der og Vorlagebeschluß vom 14. September 1995 – 4 RA 54/94) waren. Das maschinelle Verfahren sollte nach alledem gerade für eine Übergangszeit ermöglichen, daß bis zur individuellen Rentenberechnung einerseits Überzahlungen vermieden werden, andererseits aber den Betroffenen ein monatlicher Rentenanspruch wenigstens auf der Grundlage eines Entgeltpunkts gewährt werden konnte. Dies war aus den genannten Gründen sachlich gerechtfertigt.

Im Hinblick auf das Angleichungsziel, die Zuerkennung einer SGB VI-Rente, hat die Beklagte bei der pauschalierten Berechnung auch zutreffend die Regelungen in § 307b Abs 5 SGB VI bzgl der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten zugrunde gelegt. Diese Regelung orientiert sich an der Systematik des SGB VI, eine Bewertung dieser Zeiten ist in die Entgeltpunktberechnung eingeflossen. Für eine – weitere – Berücksichtigung von Zurechnungsjahren gibt es keine Rechtsgrundlage.

Eine Rechtsgrundlage, die der Klägerin seit dem 1. Juli 1990 übergangsrechtlich einen Anspruch auf eine höhere Altersversorgung einräumt, ist somit nicht erkennbar; sie ergibt sich auch nicht aus den Bestimmungen der EMRK oder aufgrund einer Rechtsfortbildung, die hier unzulässig ist.

Nach alledem ist die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173816

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