Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch auf das "vorzeitige" Altersruhegeld nach AVG § 25 Abs 3 (= RVO § 1248 Abs 3) besteht nicht, wenn die Versicherte noch in Großbritannien beschäftigt ist und die Beschäftigung versicherungspflichtig wäre, sofern sie in der Bundesrepublik ausgeübt würde.

 

Normenkette

AVG § 25 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; SozSichAbk GBR Art. 36 Abs. 1 Fassung: 1960-04-20; RVO § 1248 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 15. Januar 1963 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Klägerin, geb. am 5. Oktober 1899, entrichtete von 1916 bis 1921 und von 1925 bis 1932 teils Pflicht-, teils freiwillige Beiträge zur Angestelltenversicherung (AnV). Im Jahre 1939 wanderte sie nach Großbritannien aus. Dort ist sie jetzt als Anwaltssekretärin tätig. Auf ihren Antrag wurde als Ersatzzeit die Zeit politischer Verfolgung vom 1. März 1939 bis 31. Dezember 1949, insgesamt 130 Monate, berücksichtigt.

Im November 1959 beantragte die Klägerin das vorzeitige Altersruhegeld, weil sie das 60. Lebensjahr vollendet und in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt habe, eine solche Beschäftigung aber jetzt nicht mehr ausübe (§ 25 Abs. 3 AVG).

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 27. August 1960 ab: Die Klägerin habe in den letzten 20 Jahren nicht überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt; von 1939 bis 1959 lägen keine Pflichtbeiträge vor, die Ersatzzeiten für die politische Verfolgung seien keine Zeiten einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung i. S. des § 25 Abs. 3 AVG.

Die Klage wies das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 26. Oktober 1960 ab. Die Klägerin legte Berufung ein.

Das LSG wies die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 15. Januar 1963 zurück: Ob die Klägerin in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt habe, hänge davon ab, ob die Ersatzzeit für Verfolgung auch einer versicherungspflichtigen Beschäftigung i. S. des § 25 Abs. 3 AVG gleichzusetzen sei, hierüber brauche jedoch nicht entschieden zu werden; es fehle jedenfalls an der weiteren Anspruchsvoraussetzung des § 25 Abs. 3 AVG, daß die Klägerin eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr ausübe; die Klägerin sei in Großbritannien als Anwaltssekretärin tätig und entrichte auf Grund dieser Tätigkeit Beiträge zur englischen Rentenversicherung; auf Anfrage des Senats habe sie mitgeteilt, sie verdiene bei Halbtagsarbeit wöchentlich 12 - 14 englische Pfund; das vorzeitige Altersruhegeld nach § 25 Abs. 3 AVG solle an die Stelle eines weggefallenen Arbeitsentgelts treten, es könne auch dann nicht gewährt werden, wenn eine Versicherte im Ausland noch eine ihrer Art nach versicherungspflichtige Beschäftigung ausübe; nicht erheblich sei, daß die Beschäftigung der Klägerin nicht der deutschen, sondern der englischen Rentenversicherungspflicht unterliege.

Das LSG ließ die Revision zu.

Mit der ordnungsgemäß eingelegten Revision beantragte die Klägerin,

die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr das vorzeitige Altersruhegeld nach § 25 Abs. 3 AVG zu gewähren.

Sie rügte die Verletzung des § 25 Abs. 3 AVG.

Die Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Mit Bescheid vom 6. November 1964 gewährte die Beklagte der Klägerin vom 1. Oktober 1964 an das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 25 Abs. 1 AVG).

Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 SGG) einverstanden.

II.

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG); sie ist jedoch unbegründet.

Streitig ist, ob der Klägerin das "vorzeitige" Altersruhegeld nach § 25 Abs. 3 AVG zusteht. Nach § 25 Abs. 3 AVG erhält auf Antrag das ("vorzeitige") Altersruhegeld die Versicherte, die das 60. Lebensjahr vollendet hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist und wenn sie in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat und eine solche Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr ausübt. Die Klägerin hat zur Zeit der Stellung des Antrages (November 1959) das 60. Lebensjahr vollendet gehabt, sie hätte auch unter Berücksichtigung der Ersatzzeiten für politische Verfolgung eine Versicherungszeit von mehr als 180 Monaten zurückgelegt (§ 25 Abs. 4 AVG); insoweit wären die Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 AVG erfüllt. Die Frage, ob die Klägerin in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, hat das LSG nicht abschließend entschieden; diese Frage kann auch offenbleiben (vgl. hierzu im übrigen Urteil des BSG vom 16. September 1960, SozR Nr. 4 zu § 1248 SGG); es fehlt, wie das LSG zutreffend angenommen hat, jedenfalls an der Anspruchsvoraussetzung des § 25 Abs. 3 AVG, daß die Klägerin "eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr ausübt".

Die Klägerin ist - nach den mit der Revision nicht angegriffenen und daher für das Bundessozialgericht (BSG) bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) - in der hier maßgeblichen Zeit ab November 1959 in Großbritannien als Anwaltssekretärin tätig; sie entrichtet auf Grund dieser Beschäftigung Beiträge zur englischen Rentenversicherung; es trifft deshalb nicht zu, daß sie "eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr ausübt"; daran ändert nichts, daß sie keine Beiträge zur deutschen Rentenversicherung leistet. Als "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" im Sinne des § 25 Abs. 3 AVG kann zwar, soweit die Ausübung einer solchen Tätigkeit in den letzten 20 Jahren als Anspruchsvoraussetzung zu beurteilen ist, nur eine Beschäftigung oder Tätigkeit gelten, für die auch Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden sind oder als entrichtet gelten (BSG 16, 284; Urt. des BSG vom 23.6.1964 zu § 1248 RVO Nr. 24; Urt. des BSG vom 29.10.1964 - 12 RJ 20/62). Soweit das Gesetz jedoch die Gewährung des "vorzeitigen" Altersruhegeldes nach § 25 Abs. 3 AVG an die Voraussetzung knüpft, daß die Versicherte keine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit mehr ausübt, ist damit nicht nur eine Beschäftigung oder Tätigkeit gemeint, für die Beiträge zu entrichten sind und entrichtet werden, vielmehr ist hierunter auch eine Beschäftigung zu verstehen, die nur an sich oder ihrer Art nach eine Rentenversicherung begründet, ohne daß es darauf ankommt, ob die Versicherte aus einem besonderen Grund für ihre Person - etwa auf Grund des § 1229 Abs. 1 Nr. 3 RVO (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 AVG) - versicherungsfrei ist (Urteil des BSG vom 23. Juni 1964, SozR Nr. 27 zu § 1248 RVO). Für die Frage, ob die Versicherte eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung noch oder nicht mehr ausübt, kann deshalb auch eine Tätigkeit, die nur deshalb nicht der Versicherungspflicht - nach den deutschen Rentengesetzen - unterliegt, weil die Versicherte sie im Ausland ausübt, nicht außer Betracht bleiben. Das ergibt sich aus Sinn und Zweck des § 25 Abs. 3 AVG; nach dieser Vorschrift sollen Frauen, die viele Jahre in einem abhängigen Arbeitsverhältnis berufstätig gewesen sind, - abweichend von dem Regelfall der Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 25 Abs. 1 AVG) - "vorzeitig" in den Genuß des Altersruhegeldes kommen können; auch für sie soll aber das Altersruhegeld an die Stelle eines - weggefallenen - Arbeitsentgeltes treten. Die Vorschrift macht deshalb die Gewährung des "vorzeitigen" Altersruhegeldes ausdrücklich davon abhängig, daß eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht mehr ausgeübt wird; damit sollen alle diejenigen Versicherten von der Vergünstigung ausgeschlossen sein, die eine Berufstätigkeit in einem abhängigen Arbeitsverhältnis noch ausüben und hieraus ein Arbeitseinkommen erzielen; das "vorzeitige" Altersruhegeld soll nicht eine zusätzliche Leistung zu einem Arbeitseinkommen aus einem noch bestehenden abhängigen Arbeitsverhältnis sein. Es kann deshalb nach dem Grundgedanken des § 25 Abs. 3 AVG grundsätzlich auch keinen Unterschied machen, ob die Versicherte im Geltungsbereich der deutschen Rentengesetze oder im Ausland noch aus einer abhängigen Arbeitnehmertätigkeit ein Arbeitseinkommen erzielt. Die Voraussetzungen für die Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes sind deshalb auch dann nicht erfüllt, wenn die Versicherte im Ausland eine Arbeitnehmertätigkeit ausübt, die ihrer Art nach rentenversicherungspflichtig wäre, wenn sie im Inland ausgeübt würde. Das gilt jedenfalls insoweit, als sich aus zwischenstaatlichem Recht nichts anderes ergibt. Das ist hier aber nicht der Fall. Art. 36 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über Soziale Sicherheit vom 20. April 1960 (BGBl. 1961 II, 241) bestimmt:

"Sehen die Rechtsvorschriften einer Vertragspartei vor, daß wegen einer Beschäftigung, die im Hoheitsgebiet dieser Vertragspartei ausgeübt wird, kein Anspruch auf eine Leistung besteht oder eine Leistung gekürzt wird, ruht oder wegfällt oder der Anspruch auf eine Leistung gemindert wird, so wird eine Beschäftigung im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei so behandelt, als ob sie im Hoheitsgebiet der ersten Vertragspartei ausgeübt würde."

Damit ist der Grundsatz der territorialen Gleichbehandlung normiert. Aus dieser Vorschrift ergibt sich, daß eine Beschäftigung, die den Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld nach § 25 Abs. 3 AVG ausschlösse, sofern sie in der Bundesrepublik ausgeübt würde, diesen Anspruch auch dann ausschließt, wenn sie in Großbritannien ausgeübt wird. Diese Vorschrift hat nicht, wie die Klägerin meint, nur Bedeutung für Rentenansprüche, die für Zeiten nach dem Inkrafttreten des Abkommens geltend gemacht waren, sie wirkt nicht nur konstitutiv; sie ist vielmehr eine Bestätigung dafür, daß die Auslegung des § 25 Abs. 3 AVG, die sich schon bisher aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift ergeben hat, mit dem Abkommen vom 20.4.1960 nicht im Widerspruch steht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wie die Klägerin meint, aus Art. 20 bis 22 des Abkommens; diese Vorschriften haben nur Bedeutung, wenn eine Person nach den vom "Träger einer Vertragspartei anzuwendenden innerstaatlichen Vorschrift" einen Anspruch auf Rente hat; im vorliegenden Falle ergibt sich aus der von dem deutschen Versicherungsträger anzuwendenden Vorschrift des § 25 Abs. 3 AVG, daß die Klägerin, solange sie in Großbritannien beschäftigt ist, nach deutschen innerstaatlichen Vorschriften keinen Anspruch auf Rente hat; die Frage, welche Ansprüche der Klägerin gegenüber deutschen Versicherungsträgern oder Trägern der Rentenversicherung in Großbritannien zustehen, falls sie ihre Beschäftigung in Großbritannien aufgibt, ist für die Entscheidung des anhängigen Rechtsstreits ohne Bedeutung.

Das LSG hat danach zutreffend entschieden. Die Revision ist deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325499

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