Verfahrensgang

Hessisches LSG (Beschluss vom 24.03.2016; Aktenzeichen L 3 SB 84/14)

SG Fulda (Aktenzeichen S 6 SB 183/11)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. März 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

In der Hauptsache begehrt der Kläger die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 ab einem früheren Zeitpunkt als dem 1.9.2012. Auf den im März 2011 gestellten Antrag des Klägers stellte der Beklagte zunächst einen GdB von 20 fest (Bescheid vom 10.6.2011; Widerspruchsbescheid vom 27.9.2011). Im Klageverfahren hob der Beklagte nach Vorlage beigezogener Befundberichte den GdB ab Januar 2012 auf 40 (Bescheid vom 29.5.2012) und im Anschluss an ein auf Antrag des Klägers eingeholtes nervenärztlich-psychosomatisches Gutachten den GdB ab 1.9.2012 auf 50 an (Bescheid vom 18.11.2013). Das SG verurteilte den Beklagten zur Anhebung des GdB auf 40 ab 28.3.2011 bis 8/2012 und ab 9/2012 auf 50 und wies die weitergehende Klage ab, weil die gravierendste Erkrankung, die seelische Erkrankung, und damit die Schwerbehinderung vor dem 1.9.2012 nicht nachgewiesen seien (Urteil vom 7.7.2014). Im Berufungsverfahren hat das LSG eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen eingeholt und auf deren Grundlage die Berufung nach vorheriger Anhörung der Beteiligten zurückgewiesen, ohne einem Antrag des Klägers auf mündliche Verhandlung und Anhörung des Sachverständigen sowie eines weiteren vom Kläger in einem Arbeitsplatzkonflikt im Jahr 2011 beauftragten Arbeits- und Gerichtspsychologen zu folgen, dessen Gutachten der Kläger in den Rechtsstreit eingeführt hatte. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ua ausgeführt, es sei nicht zur Überzeugung des Senats zweifelsfrei erwiesen, dass insbesondere die psychische Erkrankung bereits zu einem früheren Zeitpunkt so stark ausgeprägt war, dass sie zusammen mit den anderen Erkrankungen einen GdB von 50 rechtfertigte. Dies gelte auch, soweit der Kläger im Berufungsverfahren seine Klage auf Feststellung eines GdB von 50 bereits ab einem Zeitpunkt vor Antragstellung (ab April 2010) erweitert habe (Beschluss vom 24.3.2016).

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG und rügt Divergenz und Verfahrensmängel.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

1. Die Beschwerde genügt nicht den Darlegungsanforderungen für das Vorliegen einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Zur formgerechten Rüge eines Zulassungsgrundes der Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das Urteil oder der Beschluss des LSG abweichen soll, zumindest so zu bezeichnen, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin eine Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss also darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine die Berufungsentscheidung tragende Abweichung in deren rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Sie muss einen abstrakten Rechtssatz des vorinstanzlichen Urteils und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Es reicht dagegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Rechtsprechung mit der Behauptung hinzuweisen, die angegriffene Entscheidung weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29). Daran fehlt es.

Der Kläger behauptet zwar unter Benennung von BSG-Entscheidungen, das LSG weiche mit seiner Setzung "willkürlicher" Zeitpunkte unter Ausschluss der Schwerbehindertenausweisverordnung von der Rechtsprechung des BSG ab, die grundsätzlich den Tag des Eingangs des Antrags auf Feststellung der Behinderung und sogar frühere Zeitpunkte für entscheidend halte, damit dem Ausweis rückwirkende Geltung zu komme. Auch lege das LSG einen anderen Behinderungsbegriff zugrunde als das BSG, indem es eine Dauer von sechs Monaten vorausgesetzt habe, während das BSG eine entsprechende Prognose ausreichen lasse. Damit zeigt er jedoch keine tragenden Widersprüche im Grundsätzlichen auf. Die Beschwerdebegründung versäumt schon die notwendige Auseinandersetzung mit der Frage, wieso die behaupteten Abweichungen im Rechtlichen tragend sein könnten angesichts des Umstands, dass sich das LSG auf das Ergebnis der Beweisaufnahme im Tatsächlichen stützt. Denn danach ist der zweifelfreie Nachweis einer Behinderung im Ausmaß der Schwerbehinderung erst ab September 2012 erbracht, ohne dass sich der Kläger hiergegen mit durchgreifenden Verfahrensrügen wendet (dazu sogleich unter 2.). Die notwendige Trennung von Rechtssätzen und entscheidungsrelevanten Tatsachen wird nicht dadurch entbehrlich, dass der Kläger auf die arbeitsrechtliche Notwendigkeit einer früheren Feststellung des Schwerbehindertenstatus verweist.

2. Der Kläger hat auch einen Verfahrensmangel nicht hinreichend dargetan. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Der Kläger rügt zunächst, das LSG habe Dr. S. und Prof. Dr. E. entgegen seinem Antrag im letzten Schriftsatz vor der Beschlussfassung nicht in einem Termin zur mündlichen Verhandlung zwecks Erläuterung ihrer Gutachten angehört. Die damit behauptete Aufklärungspflichtverletzung (§ 103 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO) ist damit indessen nicht hinreichend bezeichnet. Hinsichtlich des Gutachters Prof. Dr. E. folgt dies bereits daraus, dass die Beschwerdebegründung nicht darlegt, wieso die Vorschrift des § 411 Abs 3 ZPO auch auf einen Privatgutachter des Klägers Anwendung finden könnte. Der Kläger führt selbst an, dass das Privatgutachten von Prof. Dr. E. lediglich als urkundlich belegtes Beteiligtenvorbringen zu qualifizieren ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 128 RdNr 7g). Im Übrigen wird schon kein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens oder sachverständige Zeugenvernehmung bezeichnet, dem das LSG nachzugehen hätte verpflichtet sein können (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5). Hinsichtlich des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. S. versäumt die Beschwerdebegründung eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen des § 411 Abs 3 ZPO, der es dem Ermessen des Gerichts überlässt, ob das Erscheinen des Sachverständigen angeordnet wird, damit er das schriftliche Gutachten erläutere, oder ob eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens eingeholt wird.

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang zudem rügt, das LSG habe durch die unterlassene Anhörung von Dr. S. sein rechtliches Gehör verletzt, beruft er sich allerdings - unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, zur weiteren Sachaufklärung von Amts wegen das Erscheinen des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung anzuordnen - auf das jedem Beteiligten gemäß § 116 S 2, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO zustehende Recht, einem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet. Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen allerdings auch deren Voraussetzungen erfüllt sein (BSG Beschluss vom 21.6.2016 - B 9 V 18/16 B - Juris mwN). Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Die Beschwerdebegründung gibt keinen Aufschluss darüber, über welche medizinisch untermauerten Funktionsbeeinträchtigungen von entscheidungserheblicher Bedeutung Dr. S. und darüber hinaus sogar der Gerichts- und Arbeitspsychologe Prof. Dr. E. im anhängigen Rechtsstreit mündlich noch weitere Auskunft hätten geben können, welche das LSG nicht berücksichtigt hat. Die Beschwerdebegründung versäumt die differenzierte Beschäftigung mit der vom LSG veranlassten, ergänzenden schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen Dr. S. und - unter der Annahme eines Anhörungsrechts - erst recht mit dem Umstand, dass Prof. Dr. E. zu keiner Zeit hinsichtlich der hier streitgegenständlichen Funktionsbeeinträchtigungen gutachtlich tätig geworden ist, sondern vom Kläger allein in seiner Funktion als Arbeitspsychologe zur Analyse und Bewertung eines Arbeitsplatzkonflikts eingeschaltet wurde.

Die darüber hinaus angeführte Verletzung von Aufklärungspflichten der Versorgungsverwaltung (§§ 20, 21 SGB X) begründet aus sich heraus keinen Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen könnte (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Die Beschwerdebegründung verdeutlicht auch nicht, wieso die behauptete Ausgrenzung des Gutachtens von Prof. Dr. E. im Verwaltungsverfahren als Verfahrensmangel im Berufungsverfahren fortgewirkt haben könnte (vgl BSG Beschluss vom 22.6.2015 - B 9 SB 72/14 B - Juris RdNr 14), nachdem der Kläger selbst anführt, das Gutachten sei Gegenstand der Ausführungen des Sachverständigen und des LSG gewesen, wenn auch nicht in seinem Sinne.

Soweit der Kläger schließlich die Würdigung des Sachverständigengutachtens und des Privatgutachtens als verfahrensfehlerhaft beanstandet, ist darauf hinzuweisen, dass die Würdigung widerstreitender Gutachten zum Kernbereich der Beweiswürdigung gehört (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2015 - B 9 SB 93/14 B - Juris), welche der Überprüfung im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde gänzlich entzogen ist. Sollte der Kläger die Entscheidung des LSG wegen eines Verstoßes gegen die Versorgungsmedizin-Verordnung für rechtfehlerhaft halten, begründet dieser Umstand ebenfalls keinen Zulassungsgrund. Denn die inhaltliche Richtigkeit der Vorentscheidung ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG) und weist vor dem Hintergrund des in Verfahren beim BSG angeordneten Vertretungszwangs (§ 73 Abs 4 SGG) ergänzend darauf hin, dass es nicht Aufgabe des BSG sein kann, einen umfangreichen und weitgehend ungeordneten Vortrag daraufhin zu untersuchen und auszuwerten, ob und inwieweit sich daraus weitere Anhaltspunkte für die Zulässigkeit und Begründetheit einer Nichtzulassungsbeschwerde gewinnen lassen (BSG Beschluss vom 30.1.2014 - B 12 R 13/13 B - Juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 24.10.2014 - B 9 SB 38/14 B - Juris RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 8.3.2016 - B 13 R 317/15 B - Juris RdNr 5).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI10448809

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