Leitsatz (amtlich)

1. Ein Kraftfahrer, der aus einer Fahrgeschwindigkeit von 80 km/h anstelle der auf der Bundesstraße zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h eine Vollbremsung einleitet, um einen Hasen nicht zu überfahren, verletzt seine Sorgfaltspflicht nicht in besonders hohem Maße. Das Risiko, dass ein ordnungsgemäß bereifter Pkw bei einer Vollbremsung auf gerader Strecke aus einer Geschwindigkeit von 80 km/h heraus infolge nasser und feuchter Blätter auf der Fahrbahn ins Schleudern gerät und unkontrollierbar wird, ist nicht so groß, dass bereits ein solches Bremsmanöver als unentschuldbares Fehlverhalten gewertet werden könnte. Hierfür müssen weitere Umstände hinzutreten.

2. Zu den Voraussetzungen, unter denen eine objektiv falsche Angabe (hier: über die Laufrichtung des Hasen) Leistungsfreiheit wegen nachträglicher Obliegenheitsverletzung zur Folge haben kann.

 

Normenkette

VVG § 6 Abs. 3, §§ 61-63; AKB §§ 7, 12

 

Verfahrensgang

LG Potsdam (Aktenzeichen 1 O 349/00)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 24.10.2002; Aktenzeichen III ZR 107/02)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Potsdam vom 6.4.2001 wird zurückgewiesen, jedoch werden dem Kläger die Kosten auferlegt, die dadurch entstanden sind, dass er zunächst das unzuständige LG Stade angerufen hat.

Die Kosten der Berufung fallen der Beklagten zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 a.F. ZPO abgesehen.)

 

Gründe

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Das LG hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung von 20.461,75 DM nebst Zinsen verurteilt.

I. Der Kläger kann seinen Schaden allerdings nicht aus der Teilkaskoversicherung i.V.m. § 12 Nr. 1 Id AKB ersetzt verlangen, weil es unstreitig nicht zu einem Zusammenstoß oder einer Berührung mit Haarwild gekommen ist. Ein Zusammenstoß mit Haarwild ist jedoch Voraussetzung für einen Anspruch auf Ersatz des Fahrzeugschadens nach dieser Vorschrift (BGH v. 18.12.1996 – IV ZR 321/95, MDR 1997, 348 = VersR 1997, 351; r + s 1992, 77 [82]; OLG Karlsruhe r + s 1999, 404). Der Kläger kann den Schaden auch nicht als Rettungskostenersatz gem. den §§ 62, 63 VVG geltend machen. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils verwiesen.

Dem Kläger steht jedoch, wie das LG zutreffend ausgeführt hat, gegen die Beklagte ein Anspruch aus der Vollkaskoversicherung i.V.m. § 12 Abs. 1 S. 2 e AKB zu. Der fragliche Schadensfall, bei dem das Fahrzeug des Klägers infolge einer Vollbremsung ins Schleudern geraten und gegen einen Straßenbaum geprallt ist, fällt zweifellos unter den Begriff des Unfalls, der von der Fahrzeugvollversicherung gedeckt wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sein Verhalten durch einen die Fahrbahn querenden Hasen oder auch durch einen vorangegangenen Fahrfehler, etwa Fahren mit den Straßenverhältnissen unangepasster Geschwindigkeit, ausgelöst worden ist.

Die Beklagte kann diesem Anspruch des Klägers aus der Vollkaskoversicherung nur den allgemeinen Risikoausschluss des § 61 VVG – von der noch zu behandelnden Obliegenheitsverletzung abgesehen – entgegensetzen. Sie muss darlegen und ggf. beweisen, dass der Kläger den Unfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. Dies hat die Zivilkammer zu Recht verneint.

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Dabei muss es sich im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit auch in subjektiver Hinsicht um ein unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (BGH v. 8.2.1989 – IVa ZR 57/88, MDR 1989, 617 = VersR 1989, 582 m.w.N.).

Unabhängig von der unter den Parteien streitigen Frage, ob die Bremsreaktion aus einem Reflex heraus erfolgte, lässt sich die nach dem Vorbringen des Klägers vollzogene Vollbremsung nicht als objektiv grob fahrlässiges Verhalten werten. Ein Kraftfahrer, der aus einer Fahrgeschwindigkeit von 80 km/h anstelle der auf derBundesstraße zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h eine Vollbremsung einleitet, um einen Hasen nicht zu überfahren, verletzt seine Sorgfaltspflicht nicht in besonders hohem Maße. Das Risiko, dass ein ordnungsgemäß bereifter Pkw bei einer Vollbremsung auf gerader Strecke aus einer Geschwindigkeit von 80 km/h heraus infolge nasser und feuchter Blätter auf der Fahrbahn ins Schleudern gerät und unkontrollierbar wird, ist nicht so groß, dass bereits ein solches Bremsmanöver als unentschuldbares Fehlverhalten gewertet werden könnte. Hierzu müssen weitere Umstände hinzutreten.

Solche besonderen Umstände hat die Beklagte nicht hinreichend dargetan und unter Beweis gestellt. Soweit sie behauptet, der Kläger habe neben der Vollbremsung auch ein „Ausweichmanöver” durchgeführt, ist ihr Vorbringen schon nicht substantiiert, um ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers begründen zu können. Sie verweist lediglich darauf, das...

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