Gesetzestext

 

Ist der Schuldner eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, so haben der Aufsichtsrat, die Gesellschafterversammlung oder entsprechende Organe keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners. Die Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung ist nur wirksam, wenn der Sachwalter zustimmt. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn die Maßnahme nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führt.

1. Bisherige gesetzliche Regelung

 

Rn 1

Bisher existierte keine besondere Regelung für die Mitwirkung der gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane bei der Eigenverwaltung. § 276a wurde durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG)[1] eingeführt.

[1] Gesetz vom 7.12.2011 (BGBl. I, S. 2582).

2. Allgemeines

 

Rn 2

§ 276a bringt zum Ausdruck, dass die Organe, denen außerhalb eines Insolvenzverfahrens Überwachungsfunktion zukommt, im Eigenverwaltungsverfahren keinen größeren Einfluss auf die Geschäftsführung durch den Schuldner haben sollen als wenn im Standardinsolvenzverfahren ein Insolvenzverwalter bestellt worden wäre. Die wirtschaftlichen Entscheidungen werden durch den Sachwalter, den Gläubigerausschuss und die Gläubigerversammlung überwacht.[2] Der Gesetzgeber hält es aber für angebracht, die Befugnis zur Besetzung der Geschäftsleitung in den Händen der zuständigen Organe zu belassen, wobei Missbrauch dadurch verhindert werden soll, dass der Sachwalter diesen Veränderungen zustimmen muss.

 

Rn 3

Der Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst juristische Personen ebenso wie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit[3].

 

Rn 4

Im Eröffnungsverfahren nach § 270a ist § 276a noch nicht anzuwenden. Das ergibt sich daraus, dass § 270a Abs. 1 Satz 2 auf §§ 274, 275 verweist, wo die Mitwirkung des Sachwalters geregelt ist, nicht jedoch auf die Vorschrift des § 276a, der die Mitwirkung der Überwachungsorgane regelt.

[2] Begr. RegE BT-Drs. 17/5712, S. 42.
[3] Siehe die Legaldefinition in § 11 Abs. 2 Nr. 1.

3. Kein Einfluss auf Geschäftsführung

 

Rn 5

Soweit es beim Schuldner Organe gibt, die außerhalb des Insolvenzverfahrens Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen können, verdrängt § 276a die gesetzlichen und vertraglichen Vorschriften, mit denen diese Einflussmöglichkeiten begründet werden. Solche Einflussmöglichkeiten finden sich beispielsweise in § 111 Abs. 4 AktG, wonach dem Aufsichtsrat oder der Hauptversammlung ein Zustimmungsrecht zukommt oder in § 37 GmbHG, wonach die Gesellschafterversammlung selbst Geschäftsführungsentscheidungen sowohl verbietender als auch anweisender Natur beschließen kann. § 276a bestimmt, dass all diese Einflussmöglichkeiten entfallen. Weisungsrechte der Organe mit Überwachungsfunktion bestehen in der Eigenverwaltung daher nicht.

 

Rn 6

Die Geschäftsführung umfasst die zur Erreichung des Gesellschaftszweckes erforderlichen Entscheidungen und dabei vor allem die Bestimmung über den Einsatz der dem Unternehmen zugeordneten Vermögenswerte und Arbeitnehmer.[4] Demnach ist der Begriff der Geschäftsführung weit auszulegen. Er umfasst – gemessen am Zweck des Insolvenzverfahrens – alle Entscheidungen und Tätigkeiten, die unmittelbar oder mittelbar einen Einfluss auf die wirtschaftliche Situation des Schuldners haben können. Dementsprechend kann etwa ein Mehrheitsgesellschafter nicht von der Geschäftsleitung die Einberufung einer Gesellschafterversammlung (§§ 121 AktG, 49 GmbHG) verlangen, wenn diese lediglich den Charakter einer Informationsveranstaltung ohne Möglichkeit zur Beschlussfassung mit Wirkung für das weitere Insolvenzverfahren hätte.[5]

[4] Vgl. Baumbach/Hueck-Zöllner/Noack, 19. Aufl. 2010, § 35 GmbHG Rn. 29.
[5] AG Montabaur Beschluss v. 19.6.2012, HRB 20744, BeckRS, 14971.

4. Besetzung der Geschäftsleitung

 

Rn 7

Lediglich die Abberufung und Neubestellung der Mitglieder der Geschäftsleitung soll weiterhin durch die gesellschaftsrechtlich zuständigen Organe durchgeführt werden. Der Gesetzgeber hielt weder das Insolvenzgericht noch den Sachwalter für geeignet, bezüglich dieser Entscheidung an die Stelle der Gesellschaftsorgane zu treten.[6] Die Wortwahl "Abberufung und Neubestellung" weisen darauf hin, dass sich die Befugnis auf die Begründung oder Aufhebung der Organstellung beschränkt, nicht jedoch auf den Abschluss des daneben üblicherweise bestehenden Dienstvertrages.[7] Für diese enge Auslegung spricht auch, dass sonst das Überwachungsorgan Verbindlichkeiten des Schuldners begründen könnte, die als Masseverbindlichkeit zu bedienen wären. Für den Abschluss des Dienstvertrages kommt lediglich der Sachwalter in Betracht, der hierzu die Gläubigerversammlung abstimmen lassen kann.

 

Rn 8

Die Abberufung oder Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung bedarf darüber hinaus nach Satz 2 zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Sachwalters. Die – annahmebedürftige – Bestellung einer Person zum Organ der Gesellschaft ist ein körperschaftlicher Akt.[8] § 182 BGB, der für die Zustimmung zu Verträgen oder einseitigen Rechtsgeschäften gilt, ist dafür nicht unmittelbar anwendbar. Es fehlt daher eine Regelung, wem gegenüber die Zustimmungserklärung vom Sachwalte...

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