Rn 2

Stimmrechtsbindungen oder -beschränkungen, die sich etwa aus dem Gesellschaftsrecht ergeben könnten, werden von § 238a Abs. 1 Satz 2 überlagert. Demnach bleiben neben eventuell bestehenden Stimmrechtsbeschränkungen auch gesellschaftsrechtliche Sonder- oder Mehrstimmrechte außer Betracht.[8] Das Insolvenzrecht genießt insoweit Vorrang.[9]

 

Rn 3

Im Einzelnen:

  • Wegen der Unwirksamkeit von Stimmrechtsbeschränkungen sind auch Inhaber von (gesellschaftsrechtlich) stimmrechtslosen Vorzugsaktien an der Abstimmung über den Insolvenzplan zu beteiligen.[10]
  • Es kommt sowohl bei der AG als auch bei der GmbH nicht darauf an, dass der Gesellschafter seine Einlage vollständig geleistet hat. § 134 Abs. 2 S. 5 AktG findet keine Anwendung. Auch bei der GmbH ist es nicht notwendig, die Stimmrechtsbeschränkung anzuwenden, weil der Insolvenzverwalter die Einlage ohnehin einfordern wird.[11]
  • Auch Begrenzungen auf Höchststimmrechte nach § 134 Abs. 1 Satz 2 AktG sind unbeachtlich.[12]
  • Zu beachten ist allerdings, wenn Stimmrechte nach § 44 AktG i.V.m. §§ 33, 38, 39 AktG ruhen, weil es sich hierbei um Sanktionen handelt, die sonst leer laufen würden.[13] Kein Stimmrecht gewähren sowohl bei der GmbH als auch bei der AktG (vgl. § 71b AktG) vom Schuldner selbst gehaltene Anteile, da in diesem Fall die Mitgliedschaftsrechte generell ausgeschlossen sind.[14]
  • Sonder- und Mehrheitsstimmrechte sind unerheblich. Sonderstimmrechte sind zum Beispiel Stimmrechte von Personen, die überhaupt nicht am Kapital beteiligt sind.[15] Mehrheitsstimmrechte können bei verschiedenen Gesellschaftsformen auftreten z.B. § 5 Abs. 1 EGAktG; § 45 Abs. 1 GmbHG; § 43 Abs. 2 Satz 2 ff. GenG.
  • Schuldrechtliche Stimmrechtsregelungen sind für die Abstimmung nicht entscheidend; weder kann die pflichtgemäße Stimmabgabe erzwungen werden noch hängt die Wirksamkeit der Stimmabgabe von der Befolgung dieser schuldrechtlichen Pflicht ab.[16]
 

Rn 4

Da ein Verweis auf § 77 Abs. 2 Satz 2 – anders als bei den §§ 237, 238 – fehlt, ist unklar, wie bei Unstimmigkeiten über das Stimmrecht zu verfahren ist. Eine analoge Anwendung von § 77 Abs. 2 Satz 1 dahingehend, dass sich Gläubiger und Insolvenzverwalter einigen, kommt nicht in Betracht.[17] Anteilsrechte unterliegen nicht der Dispositionsbefugnis der Gläubiger, weswegen eine Einigung zwischen Insolvenzverwalter und den anwesenden Gläubigern nicht ausreichend sein kann. Es erscheint daher sinnvoll, dass eine Einigung zwischen den Anteilsinhabern und dem Insolvenzverwalter herbeigeführt wird.[18]

Falls keine solche Einigung erzielt werden kann, hat das Insolvenzgericht zu entscheiden. Gegen diese Entscheidung gibt es keine Rechtsmittel, § 6.[19]

[8] AG Düsseldorf, Beschluss vom 04.12.2019, 501 IN 150/19, ZInsO 2021, 2397 f.; Schäfer, ZIP 2020, 2164 (2165); Andrianesis, WM 2017, 362 (364); Seibt/Bulgrin, ZIP 2017, 353 (358 f.); a.A. Schäfer, ZIP 2019, 1305 (1306 f.); Skauradszun, NZG 2012, 1244 ff.; Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG – Evaluierung vom 07.12.2011, S. 177 f.
[9] OLG Frankfurt/M. ZIP 2013, 2018 ff., dazu Thole, ZIP 2013, 1937 (1943).
[10] BT-Drs. 17/5712, 33; Smid/Rattunde/Martini, 4. Aufl. 2015, Rn. 16.44; Jaeger-Kern, 1. Aufl. 2019, § 238a Rn. 18; insgesamt kritisch zur Beteiligung der Anteilsinhaber Kresser, ZInsO 2010, 1409 (1415).
[11] BeckOK-Gewitz/von Danckelmann, 14. Aufl. 2019, § 238a Rn. 10; K.Schmidt-Spliedt, § 238a Rn. 6, 8.
[12] Uhlenbruck-Hirte, 15. Aufl. 2019 § 238a Rn. 7; Jaeger-Kern, 1. Aufl. 2019, § 238a Rn. 18; MünchKomm-Madaus, 3. Aufl. 2014, § 238a Rn. 10; K.Schmidt-Spliedt, 19. Aufl. 2016, § 238a Rn. 7.
[13] Jaeger-Kern, 1. Aufl. 2019, § 238a Rn. 21.
[14] HambKomm-Thies, 7. Aufl. 2019, § 238a Rn. 10, 15.
[15] Jaeger-Kern, 1. Aufl. 2019, § 238a Rn. 22 f.
[16] Ausführlich hierzu Jaeger-Kern, 1. Aufl. 2019, § 238a Rn. 24; HambKomm-Thies, 7. Aufl. 2019, § 238a Rn. 30.
[17] So aber MünchKomm-Madaus, 4. Aufl. 2020, § 238a Rn. 4.
[18] K.Schmidt-Spliedt, § 238a Rn. 17; im Ergebnis auch HambKomm-Thies, 7. Aufl. 2019, § 238a Rn. 32; a.A. wohl MünchKomm-Madaus, 4. Aufl. 2020, § 238a Rn. 4.
[19] Vgl. § 237 Rdn. 6.

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