Rn 29

Das mit dem Kündigungsschutzprozess befasste Gericht hat, anders als bei § 148 ZPO, hinsichtlich der Frage, ob es den Rechtsstreit aussetzt, kein Ermessen (vgl. den Wortlaut des § 127 Abs. 2 InsO: "ist auszusetzen").[42] Der Kündigungsschutzprozess muss zwingend ausgesetzt werden, wenn die folgenden vier Voraussetzungen erfüllt sind:

[42] HK-InsO/Linck, 10. Aufl. 2020, § 127 Rn. 9; A/G/R/Hergenröder, InsO, 4. Aufl. 2020, § 127 Rn. 19.

3.1.1 Kündigungsschutzprozess

 

Rn 30

Dem Prozess, der ausgesetzt werden soll, muss eine Klage des Arbeitnehmers gegen den Insolvenzverwalter auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst oder die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt ist, zugrunde liegen. Dieser Prozess darf nicht bereits vor Erlass der Entscheidung, die im Verfahren nach § 126 ergehen wird, offensichtlich entscheidungsreif sein. Im Einzelnen gilt Folgendes:

3.1.1.1 Kündigung nicht offensichtlich wirksam

 

Rn 31

Der Kündigungsschutzprozess, der ausgesetzt werden soll, darf nicht offensichtlich aussichtslos sein. Offensichtlich aussichtslos ist er, wenn die Kündigung offensichtlich wirksam ist. Dies ist der Fall, wenn der Kläger die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG versäumt hat und seine Klage auch nicht nach § 5 KSchG nachträglich zugelassen werden kann. Denn in diesem Fall gilt die Kündigung nach § 7 Halbs. 1 KSchG als von Anfang an wirksam, sodass das Arbeitsgericht im Kündigungsschutzprozess nicht mehr prüfen darf, ob sie nach § 1 KSchG sozial gerechtfertigt ist. In solch einem Fall hat der Ausgang des Verfahrens nach § 126 für den Kündigungsrechtsstreit keine Bedeutung. Der Normzweck des § 126, in einem "Sammelverfahren" gebündelt über die soziale Rechtfertigung einer Vielzahl von Kündigungen zu entscheiden (§ 126 Rn. 1), kann für diesen einen Kündigungsschutzprozess nicht mehr erreicht werden, weil die Kündigungsschutzklage unabhängig von der Frage der sozialen Rechtfertigung abweisungsreif ist. Ein Bedürfnis für eine Aussetzung des Rechtsstreits nach § 127 Abs. 2 besteht nicht, sodass eine Aussetzung nicht erfolgen darf.[43] Wegen des Beschleunigungsgrundsatzes (§§ 9 Abs. 1, 61a ArbGG) ist eine solche Kündigungsschutzklage vielmehr abzuweisen. Lässt auf die Berufung des Arbeitnehmers das Landesarbeitsgericht die verspätete Kündigungsschutzklage zu (§ 5 Abs. 5 KSchG), hat es nach Erlass dieses Beschlusses den Rechtsstreit gemäß § 127 Abs. 2 auszusetzen, sofern die übrigen Voraussetzungen einer Aussetzung erfüllt sind.

[43] So zur ähnlichen Vorschrift des § 108 Abs. 2 SGB VII: BGH, 30.05.2017, VI ZR 501/16, juris, Rn. 17; OLG Saarbrücken 29.01.2020, 1 U 81/18, juris, Rn. 30; BAG 14.03.1967, 1 AZR 310/66, juris, Rn. 18.

3.1.1.2 Kündigung nicht offensichtlich unwirksam

 

Rn 32

Aus den in Rn. 31 genannten Gründen darf die Kündigung auch nicht offensichtlich unwirksam sein. Offensichtlich unwirksam ist sie etwa, wenn der klagende Arbeitnehmer schwerbehindert ist und die Kündigung ohne die nach § 168 SGB IX erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes erfolgt ist. In diesem Fall steht von vornherein fest, dass die Kündigungsschutzklage Erfolg haben wird, unabhängig von dem Ausgang des Verfahrens nach § 126. Denn auf die Frage, ob die Kündigung nach § 1 KSchG sozial gerechtfertigt ist, kommt es nicht mehr an, weil die Kündigung bereits aus einem anderen Grund unheilbar unwirksam ist. Da die in dem Verfahren nach § 126 zu treffenden Feststellungen für den Kündigungsrechtsstreit keine Bedeutung haben, kann der Kündigungsschutzklage sofort stattgegeben werden. Weil somit auf den Ausgang des Verfahrens nach § 126 nicht gewartet werden muss, darf eine Aussetzung des Kündigungsschutzprozesses nicht erfolgen.[44]

[44] So zur ähnlichen Vorschrift des § 108 Abs. 2 SGB VII: BGH, 30.05.2017, VI ZR 501/16, juris, Rn. 17; OLG Saarbrücken 29.01.2020, 1 U 81/18, juris, Rn. 30; BAG 14.03.1967, 1 AZR 310/66, juris, Rn. 18.

3.1.2 Anhängigkeit des Verfahrens nach § 126

 

Rn 33

In dem Zeitpunkt, in dem über die Aussetzung des Kündigungsschutzprozesses entschieden wird, muss das Verfahren nach § 126 bereits eingeleitet sein und darf noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sein. Dass es eingeleitet sein muss, bedeutet, dass der Antrag des Insolvenzverwalters nach § 126 bei einem Arbeitsgericht eingegangen sein muss. Die Zustellung an die übrigen Beteiligten muss noch nicht erfolgt sein. Ausreichend ist der Eingang bei einem örtlich unzuständigen Arbeitsgericht, weil dieses das Verfahren gemäß §§ 80 Abs. 2 Satz 1, 48 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 17a GVG an das zuständige Gericht verweisen muss.[45]

[45] Germelmann/Matthes/Prütting/Spinner, ArbGG, 9. Aufl. 2017, § 82 Rn. 4.

3.1.3 Mehr als zwei Kündigungsschutzprozesse

 

Rn 34

Neben dem Kündigungsschutzprozess, der ausgesetzt werden soll, muss es noch mindestens einen zweiten anhängigen Kündigungsrechtsstreit geben. Die Kündigung, die Gegenstand des auszusetzenden Verfahrens ist, darf also nicht die einzige streitige Kündigung sein. Ist sie die einzige streitige Kündigung, kann der Zweck des § 126, in einem "Sammelverfahren" gebündelt über die soziale Rechtfertigung mehrerer Kündigungen zu entscheiden (§ 126 Rn. 1), nicht erreicht werden. Eine Aussetzung darf in so...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge