Rn 5

Der § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG enthält eine gesetzliche Fiktion, kann also nicht widerlegt werden. Sie modifiziert die schon vor dem in Kraft treten des COVInsAG bestehende Privilegierung von Zahlungen trotz vorliegender Insolvenzreife, wenn die Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind, und überlagert als speziellere Norm die jeweiligen rechtsformspezifischen Zahlungsverbote bzw. seit dem 01.01.2021 das rechtsformübergreifende Zahlungsverbot nach § 15b Abs. 1 bis 3 InsO. Im Ausgangspunkt gilt zwar auch nach den jeweiligen Zahlungsverboten, dass Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs gerechtfertigt sind, wenn die einstweilige Weiterführung des Unternehmens gegenüber der sofortigen Einstellung für die Masse günstiger ist, insbesondere weil innerhalb der Dreiwochenfrist des § 15a InsO oder in einem (vorläufigen) Insolvenzverfahren ernsthafte Sanierungschancen bestehen.

 

Rn 6

Da sich die von der Rechtsprechung[2] geforderten konkreten Sanierungschancen oder Erträge einer Betriebsfortführung in der COVID-19-Krise nur mit großer Unsicherheit prognostizieren lassen, hilft die Fiktion des Gesetzes. Einen "Freibrief" stellt sie den Geschäftsführern freilich nicht aus.[3] Es werden aber drohende Zweifel bei der Subsumtion von typischen Sachverhalten in der COVID-19-Krise, d.h. die Leistung von Zahlungen im Zeitraum der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, unter die allgemeinen Privilegierungstatbestände der rechtsformspezifischen Zahlungsverbote vermieden. Die Betriebsfortführung im Zeitraum der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 und/oder Abs. 3 COVInsAG wird letztlich nicht als Betriebsfortführung während einer Insolvenzverschleppung behandelt, sondern wie eine Betriebsfortführung in der bisher geltenden Dreiwochenfrist des § 15a InsO.

 

Rn 6a

Nochmals besonders betont werden muss, dass die Privilegierung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG nur Zahlungen im Aussetzungszeitraum erfasst, d.h. die Voraussetzungen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 und/oder Abs. 3 COVInsAG müssen erfüllt sein (oben Rdn. 3a). In einem späteren Insolvenzverfahren ist mithin vom Insolvenzverwalter in einem etwaigen Haftungsprozess gegen den Geschäftsführer eine Ausnahme nach Satz 2 des § 1 Abs. 1 COVInsAG von der im Regelfall (Satz 1) geltenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht darzulegen und nötigenfalls zu beweisen, wobei sich der Geschäftsführer auch unter Darlegung der Voraussetzungen des Vermutungstatbestands nach Satz 3 des § 1 Abs. 1 COVInsAG verteidigen kann (hierzu oben Rdn. 3c). Da die Vermutung widerleglich ist, bleiben Zahlungen im (möglicherweise irrig angenommenen) Aussetzungszeitraum riskant, insbesondere brechen im Haftungsprozess auch die Unklarheiten bei der Auslegung des Tatbestands der Aussetzung der Antragspflicht gem. § 1 Abs. 1, Abs. 2 und/oder Abs. 3 COVInsAG inzident durch. Im Rahmen der Prüfung der Zahlungsverbote wird die irrige Annahme einer Zahlungsfähigkeit zum 31.12.2019 und folglich auch die (irrige) Annahme der Erfüllung des Vermutungstatbestands nach § 1 Abs. 1 Satz 3 COVInsAG und einer entsprechenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht das Verschulden nicht ausschließen können. Denn für eine Haftung gegenüber der Gesellschaft ist bereits die Erkennbarkeit der Insolvenzreife (nicht etwa erst positive Kenntnis) und eine Vermeidbarkeit der Zahlungen ausreichend.

[2] Zu den tendenziell strengen Anforderungen siehe etwa BGH, (Hinweis-)Beschl. v. 24.09.2019 – II ZR 248/17 [Tz. 19], NZI 2020, 180; BGH, Urt. v. 23.06.2015 – II ZR 366/13 [Tz. 24], BGHZ 206, 52 = NZI 2015, 817, jeweils m.w.N.
[3] Bitter, ZIP 2020, 685, 691; Gehrlein, DB 2020, 713, 720.

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