Leitsatz (amtlich)

Zum Umfang der Haftung eines Automobilherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sog. Dieselfall (hier: Ersatzfähigkeit von Finanzierungskosten).

 

Normenkette

BGB § 249 (Cb)

 

Verfahrensgang

OLG Naumburg (Urteil vom 20.05.2020; Aktenzeichen 8 U 64/19)

LG Halle (Saale) (Urteil vom 03.09.2019; Aktenzeichen 6 O 477/18)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des OLG Naumburg vom 20.5.2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils den Antrag der Klägerin auf Erstattung von Finanzierungskosten i.H.v. 1.416,32 EUR nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit abgewiesen hat. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Halle vom 3.9.2019 wird insoweit zurückgewiesen.

Die Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin zu 70 % und die Beklagte zu 30 %, die Kosten der zweiten Instanz tragen die Klägerin zu 65 % und die Beklagte zu 35 %.

Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Beklagte.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

Rz. 2

Die Klägerin erwarb am 31.8.2011 bei einem Autohaus einen gebrauchten VW Passat 2.0 TDI. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 EU 5 ausgestattet, in dem eine Software zur Abgassteuerung installiert wurde. Diese Software verfügt über zwei unterschiedliche Betriebsmodi, welche die Abgasrückführung steuern. In dem im Hinblick auf den Stickoxidausstoß optimierten "Modus 1", der bei Durchfahren des für die amtliche Bestimmung der Fahrzeugemissionen maßgeblichen neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) automatisch aktiviert wird, kommt es zu einer höheren Abgasrückführungsrate, wodurch die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten werden. Bei im normalen Straßenverkehr anzutreffenden Fahrbedingungen ist der partikeloptimierte "Modus 0" aktiviert, der zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und damit zu einem höheren Stickoxidausstoß führt.

Rz. 3

Der Bruttokaufpreis von 15.950 EUR wurde von der Klägerin zum Teil finanziert, wobei Zinsen i.H.v. 1.416,32 EUR gezahlt wurden. Am 4.10.2019 veräußerte die Klägerin das Fahrzeug für 1.840 EUR weiter.

Rz. 4

Die Klägerin hat erstinstanzlich u.a. beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 17.366,32 EUR abzgl. eines in das gerichtliche Ermessen gestellten Vorteilsausgleichs i.H.v. höchstens 4.718,33 EUR nebst Zinsen zu zahlen.

Rz. 5

Das LG hat die Beklagte hinsichtlich des Zahlungsantrags unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an die Klägerin 9.636,68 EUR nebst Zinsen i.H.v. 4 % in der Zeit vom 22.11.2018 bis zum 14.1.2019 und i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.1.2019 zu zahlen, und dabei die Darlehenszinsen als erstattungsfähig angesehen.

Rz. 6

Gegen das landgerichtliche Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Beklagte hat mit ihrer Berufung ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiterverfolgt. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren u.a. beantragt, die Beklagte unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils zu verurteilen, an sie 15.526,32 EUR abzgl. eines in das Ermessen des Gerichts gestellten Vorteilsausgleichs, höchstens aber i.H.v. 4.718,33 EUR, nebst Zinsen zu zahlen.

Rz. 7

Das OLG hat auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil dahingehend abgeändert, dass die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt wird, an die Klägerin 4.186,85 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Die weitergehende Berufung der Beklagten und die Berufung der Klägerin hat das OLG zurückgewiesen.

Rz. 8

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wendet sich die Klägerin gegen das Berufungsurteil insoweit, als der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Finanzierungskosten i.H.v. 1.416,32 EUR nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit nicht zuerkannt wurde.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 9

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (veröffentlicht in BeckRS 2020, 26057) - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Rz. 10

Der Klägerin stehe gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung ein Schadensersatzanspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung im Wege des Vorteilsausgleichs zu. Die Finanzierungskosten i.H.v. 1.416,32 EUR seien jedoch nicht erstattungsfähig, weil diese der Klägerin auch beim Erwerb eines anderen Fahrzeugs entstanden wären und daher nicht adäquat kausal von der Beklagten verursacht worden seien.

II.

Rz. 11

Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Klägerin beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht einen Anspruch auf Erstattung der Finanzierungskosten nebst Rechtshängigkeitszinsen verneint hat.

Rz. 12

1. Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme der Vorinstanzen, dass mit dem Erwerb des VW Passat am 31.8.2011 ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Rückgängigmachung der für sie nachteiligen Folgen des Kaufvertrages aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gem. § 826 BGB entstanden ist (vgl. BGH, Urt. v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 12 ff.). Die Beklagte bringt dagegen im Revisionsverfahren auch nichts vor.

Rz. 13

2. Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin gem. §§ 826, 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, als wäre es nicht zu dem Fahrzeugerwerb gekommen, erfasse neben dem gezahlten Kaufpreis nicht auch die mit dem Erwerb verbundenen Finanzierungskosten (vgl. BGH, Urt. v. 13.4.2021 - VI ZR 274/20 ZIP 2021, 1220 Rz. 14 ff.). Das Argument des Berufungsgerichts, die Finanzierungskosten seien keine adäquat kausal verursachte Schadensfolge, weil diese der Klägerin auch beim Erwerb eines anderen Fahrzeugs entstanden wären, trägt schon deshalb nicht, weil ein hypothetischer alternativer Fahrzeugerwerb nicht festgestellt ist. Die Beklagte hat im Revisionsverfahren auch keinen diesbezüglichen Instanzvortrag oder Beweisangebote aufgezeigt.

Rz. 14

3. Die Höhe der Finanzierungskosten (Darlehenszinsen) beträgt nach den bindenden tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 314 Satz 1 ZPO) 1.416,32 EUR.

III.

Rz. 15

Das Berufungsurteil war daher hinsichtlich der Abweisung des Antrags der Klägerin auf Erstattung der Finanzierungskosten nebst Rechtshängigkeitszinsen und im Kostenpunkt aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind (§ 563 Abs. 3 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 14709537

NJW-RR 2021, 1252

WM 2021, 1664

JZ 2021, 573

VersR 2021, 1451

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